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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 07.11.2001
Aktenzeichen: 1 O 259/01
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 86 Abs. 1
VwGO § 99
VwGO § 99 Abs. 1 Satz 2
VwGO § 99 Abs. 2 Satz 1
VwGO § 130 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 1 O 259/01

Datum: 07.11.2001

Gründe:

Die zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht (zur Anwendung des § 130 Abs. 1 VwGO im Beschwerdeverfahren vgl. Kopp/Schenke, 12. Auflg., § 130, Rdn. 1 m. w. N.).

Das Verwaltungsgericht hat im Sinne von § 130 Abs. 1 Nr. 1 VwGO noch nicht in der Sache entschieden, weil es entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 27.10.1999 - 1 BvR 385/90 -, BVerfGE 101, 106) von der Anwendbarkeit des § 99 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwGO ausgegangen ist und demgemäß seine Prüfung lediglich auf die Frage beschränkt hat, ob die von dem Beteiligten geltend gemachten Gründe für seine Weigerung, die in Rede stehenden Prüfungsakten vorzulegen, glaubhaft gemacht worden sind.

1. Das Bundesverfassungsgericht (a. a. O.) hat die in § 99 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 VwGO normierte eingeschränkte Nachprüfbarkeit der behördlichen Weigerung, Verwaltungsvorgänge vorzulegen, in Fällen, in denen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes von der Kenntnis der Verwaltungsvorgänge abhängt, als mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar angesehen: Um ein legitimes Geheimhaltungsinteresse zu befriedigen, sei es nicht erforderlich, eine Prüfung lediglich darauf zu erstrecken, ob die behördlicherseits geltend gemachten Weigerungsgründe glaubhaft gemacht worden seien. Vielmehr könnten die Belange der Geheimhaltung und die Rechtsschutzansprüche des Betroffenen dadurch in Einklang gebracht werden, dass die Akten dem Gericht vorgelegt werden und dieses unter Verpflichtung auf Geheimhaltung nachprüft, ob die Voraussetzungen der Verweigerung im konkreten Fall erfüllt sind ("in camera-Verfahren").

2. Im vorliegenden Fall ist nicht auszuschließen, dass das Verwaltungsgericht in Wahrnehmung seiner umfassenden Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache auf eine Einsichtnahme in die - über die Prüfungsniederschrift vom 11. Februar 1998 hinaus - weiteren Prüfungsvorgänge des Staatlichen Rechnungsprüfungsamtes M.......... angewiesen ist.

a) Die Voraussetzungen, unter denen eine Vorlagepflicht ausnahmsweise entfällt, sind nicht gegeben. Ausgenommen von der Vorlagepflicht sind nur Vorgänge, die offensichtlich für das Hauptsacheverfahren ohne Bedeutung sind (BVerwG, B. v. 22.1.1987 - 2 B 14.85 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 18; VGH München, BayVBl. 1978, 86; Kopp/Schenke, a. a. O., § 99, Rdn. 3). Davon kann nicht die Rede sein. Die Klägerin hat in ihrer ergänzenden Stellungnahme im Einzelnen aufgezeigt, dass die fraglichen Prüfungsunterlagen einen konkreten Bezug zum anhängigen Rechtsstreit aufweisen und dazu dienen können, entscheidungserhebliche Feststellungen zu gewinnen.

b) Eine Einsichtnahme in die Prüfungsvorgänge stellt sich auch nicht angesichts der Ausführungen des Beteiligten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als entbehrlich dar. Nach dieser Äußerung, die zu dem vorinstanzlich als bedeutsam erachteten Prüfungsgegenstand ergangen ist, hätten die Prüfer bei der Einsichtnahme in den Vorgang des Beklagten Fragen zu den Angaben im Zuwendungsantrag und dem Zuwendungsbescheid gestellt. Bewertungen über die Rechtmäßigkeit des Zuwendungsverfahrens hätten die Prüfer dem Beklagten gegenüber nicht vorgenommen. Damit wird die Entscheidungsrelevanz der Prüfungsvorgänge, insbesondere der dort möglicherweise festgehaltenen Äußerungen von Bediensteten des Beklagten, nicht in Frage gestellt. Die umfassende gerichtliche Nachprüfung des Verfahrensstoffes darf - ungeachtet einer berechtigten Vorlageverweigerung - nicht dadurch beschränkt werden, dass dem Gericht lediglich eine zusammenfassende Bewertung des Vorgangs zugeleitet wird.

c) Eine Vernehmung der Prüfer oder Bediensteten des Beklagten, für die es in Anwendung wiederum des § 99 VwGO einer Aussagegenehmigung bedürfte (Kopp-Schenke, VwGO, a. a. O., § 99, Rdn. 1), stellt kein geeigneteres Erkenntnismittel dar. Vielmehr ist den seinerzeit schriftlich und im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Prüfung niedergelegten Unterlagen jedenfalls kein geringerer Erkenntniswert beizumessen.

d) Der Anwendung des "in-camera-Verfahrens" steht vorliegend auch nicht entgegen, dass der Beteiligte im Kern nicht den Inhalt der Prüfungsakten selbst als geheimhaltungsbedürftig ansieht, sondern seine Vorlageverweigerung auf Einwände grundsätzlicherer Art stützt, wie etwa die Beeinträchtigung der Unabhängigkeit seiner Mitglieder durch Preisgabe interner Willensbildungsprozesse und die Wahrung der Vertraulichkeit zwischen Prüfern und geprüften Stellen. Denn nach den verbindlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (a. a. O.) ist dieses Verfahren ohne jede Einschränkung in Fällen durchzuführen, in denen - wie vorliegend - die Kenntnis geheimgehaltener Vorgänge für eine effektive Rechtsschutzgewährung erforderlich ist. Ob die Vorlageverweigerung mit dem Hinweis auf den Akteninhalt oder aber etwa der Unabhängigkeit der Prüfer begründet wird, ist mithin ohne Bedeutung.

3. Das Verwaltungsgericht - in der Person des den Vorsitz führenden Richters als Einzelrichter - ist nach alledem gehalten, dem Beteiligten die Anwendung des "in camera-Verfahrens" gegen Übersendung der in Rede stehenden Prüfungsvorgänge zuzusichern. Deren Geheimhaltungsbedürftigkeit wird das Gericht sowohl nach dem eigentlichen Inhalt der Prüfungsakten als auch nach den von dem Beteiligten erhobenen Einwände genereller Art zu würdigen haben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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