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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 29.07.2004
Aktenzeichen: 2 L 168/03
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO


Vorschriften:

BauGB § 34
BauNVO § 2
BauNVO § 4
1. Allein, dass sich ein Vorhaben nicht i. S. des § 34 BauGB "einfügt", kann der Nachbar nicht als eigene Rechtsbetroffenheit geltend machen, es sei denn das Vorhaben sei "rücksichtslos".

2. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht schon verletzt, wenn eine dem Nachbarn günstigere bauliche Lösung möglich ist.

3. Pferdehaltung ist in allgemeinen Wohngebieten nicht schlechthin unzumutbar.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 168/03

Datum: 29.07.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

Soweit der Kläger in seiner Antragsschrift geltend macht, das mit dem angefochtenen Bescheid des Beklagten genehmigte Vorhaben des Beigeladenen - Errichtung eines Pferdestalls für drei Pferde nebst Lagerraum - sei planungsrechtlich unzulässig, weil es sich seiner Art nach nicht gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung einfüge, kann er hiermit bereits deshalb keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils begründen, weil er insoweit nicht die für den Erfolg einer baurechtlichen Nachbarklage erforderliche Verletzung eines drittschützenden Rechts dargelegt hat. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt die Begründetheit einer Anfechtungsklage neben der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes voraus, dass der Kläger dadurch "in seinen Rechten" verletzt ist. Bei der Anfechtung einer Baugenehmigung durch den Nachbarn ist eine solche Verletzung in eigenen Rechten nur insoweit denkbar, als die Genehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz als Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Eine derartige nachbarschützende Wirkung entfaltet die Vorschrift des § 34 Abs. 1 BauGB jedoch nicht insgesamt (BVerwG, Urt. v. 13.06.1969 - BVerwG IV C 234.65 -, BVerwGE 32, 173), sondern nur insoweit, als das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme dergestalt betroffen ist, dass in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977 - BVerwG IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122; Beschl. v. 13.11.1997 - BVerwG 4 B 195.97 -, BRS 59 Nr. 177).

Der Kläger macht mit seiner Antragsschrift zwar auch insoweit eine Rechtsverletzung geltend, weil er vorträgt, die Nutzung des Pferdestalls auf dem Grundstück des Beigeladenen sei wegen der damit verbundenen Geruchs- und Lärmimmissionen für ihn nicht zumutbar. Eine derartige Unzumutbarkeit und damit einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme hat das Verwaltungsgericht jedoch zu Recht verneint.

Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzuwägen ist, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urt. v. 28.10.1993 - BVerwG 4 C 5.93 -, Buchholz 406.19 [Nachbarschutz] Nr. 120); dabei ist das Gebot der Rücksichtnahme nicht schon dann verletzt, wenn eine dem Nachbarn günstigere bauliche Lösung möglich ist. Andererseits setzt ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme auch nicht voraus, dass der Nachbar schwer und unerträglich betroffen ist (BVerwG, Beschl. v. 20.09.1984 - BVerwG 4 B 181.84 -, Buchholz 406.19 [Nachbarschutz] Nr. 62).

Diese Grundsätze sind auch für die Frage der Zumutbarkeit einer Pferdehaltung anzuwenden. Hierbei kommt, da insoweit keine speziellen technischen Anleitungen oder sonstigen Regelwerke zur Verfügung stehen, der Würdigung des Einzelfalls besondere Bedeutung zu. Dementsprechend ist auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Pferdehaltung in allgemeinen Wohngebieten oder in sonstigen durch Wohnbebauung geprägten Bereichen je nach der Lage des Einzelfalles teils für zumutbar (vgl. NdsOVG, Urt. v. 19.10.1982 - 1 A 46/78 -, BRS 39, 135; OVG Saarl, Urt. v. 01.03.1990 - 2 R 8/89 -, BRS 50, 455) und teils für unzumutbar erachtet worden (vgl. OVG Saarl, Beschl. v. 29.01.1988 - 2 R 363/86 -, BRS 48, 138; VGH BW, Urt. v. 16.05.1990 - 3 S 218/90 -, JURIS; Urt. v. 10.10.2003 - 5 S 1692/02 -, VBlBW 2004, 181). Als Kriterien für die Bewertung der Zumutbarkeit ist insoweit zum Beispiel abgestellt worden auf die Intensität und die Häufigkeit der von der Pferdenutzung ausgehenden Geruchs- und Geräuschimmissionen, die Anzahl der untergebrachten Pferde, die bauliche Nutzung des Baugrundstücks und seiner näheren Umgebung sowie auf vorhandene Vorbelastungen.

Das Verwaltungsgericht ist in Anwendung dieser Grundsätze aufgrund einer Ortsbesichtigung zu dem Ergebnis gelangt, dass die streitgegenständliche Pferdehaltung für den Kläger nicht unzumutbar ist, wobei es die nähere Umgebung als Gemengelage zwischen einem (faktischen) Kleinsiedlungsgebiet (§ 2 BauNVO) und einem (faktischen) allgemeinen Wohngebiet (§ 4 BauNVO) eingestuft und bei der Abwägung der gegenseitigen Belange insbesondere die konkrete Bebauung einschließlich der Lage des Dungplatzes, die geringe Intensität der von den insgesamt lediglich drei Pferden ausgehenden Immissionen und den langen Bestand der Pferdenutzung auf dem Nachbargrundstück berücksichtigt hat.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Würdigung hat der Kläger nicht dargelegt. Insbesondere macht er insoweit ohne Erfolg geltend, der nunmehr genehmigte Pferdestall halte zu seinem Grundstück einen geringeren Grenzabstand ein als das zuvor an dieser Stelle vorhandene Gebäude, der Bestandsschutz sei durch dessen Abriss erloschen, und die jetzige Pferdenutzung mit drei statt bisher zwei Pferden komme einer Steigerung von 50% gleich. All dies mag zwar zutreffen, führt aber nicht zur Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung; denn das Verwaltungsgericht hat seine Abwägung im Rahmen der Prüfung des Rücksichtnahmegebotes an der Situation ausgerichtet, wie sie sich nunmehr aufgrund der angefochtenen Baugenehmigung darstellt, und hat insoweit die Umstände abgewogen, die nach der Lage des Falles zu berücksichtigen waren. Hierbei hat es auch nicht etwa den vorherigen (baulichen) Zustand im Sinne eines Bestandsschutzes gewertet - dieser ist in der Tat durch den Abriss des vormaligen Gebäudes insoweit erloschen - sondern, was rechtlich nicht zu beanstanden ist, im Sinne einer vorhandenen Vorbelastung als Kriterium der Abwägung.

Ende der Entscheidung

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