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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: 2 L 258/03
Rechtsgebiete: LSA-KAG


Vorschriften:

LSA-KAG § 2 I 2
LSA-KAG § 6a II 1
LSA-KAG § 6a II 2
LSA-KAG § 6a V
1. Die Variante des § 6a Abs. 2 Satz 1 KAG LSA, anstelle der jährlichen Investitionsaufwendungen zu erwartende Aufwendungen innerhalb eines künftigen Fünf-Jahres-Zeitraums zu berücksichtigen, gestattet nur die Einbeziehung von Aufwendungen der folgenden Jahre, nicht auch des Jahres der Satzungsgebung.

2. Ersetzt die Gemeinde durch eine neue Satzung mit Rückwirkung eine frühere, für welche ein Mangel beseitigt werden soll, so hat sie eine aktuelle Flächenermittlung zu Grunde zu legen. Die Regelungen über die Über- und Unterdeckung sind nicht entsprechend anwendbar, weil sie eine frühere rechtmäßige Satzung voraussetzen.

3. Soweit Regelungen durch eine Satzung zu treffen sind, reicht ein bloßer "Fortschreibungsbeschluss" des Rates nicht aus.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 258/03

Datum: 09.06.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

I. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Der Darlegungslast genügt nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt. Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Zulassungsantragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Daran fehlt es hier.

1. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 2; 6a Abs. 5 des Kommunalabgabengesetzes - KAG-LSA - i. d. F. d. Bek. v. 13.12.1996 (LSA-GVBl., S. 405), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158 [158 <Art. 3>]), erforderliche satzungsmäßige Festlegung des Beitragssatzes nicht mit § 6a Abs. 2 Satz 1 KAG-LSA in Einklang steht.

Nach dieser Vorschrift kann bei der Ermittlung des Beitragssatzes anstelle der jährlichen Investitionsaufwendungen vom Durchschnitt "der zu erwartenden Aufwendungen der folgenden fünf Jahre" ausgegangen werden, d. h. bei der Ermittlung des Durchschnittsaufwands sind die Aufwendungen der dem jeweiligen Beitragsjahr folgenden (fünf) Jahre zugrunde zu legen (st. Rspr. d. Senats; vgl. OVG LSA, Beschl. v. 05.06.2003 - 2 L 28/03 -). Kalkuliert die Gemeinde also - wie hier - im Jahre 1998 den Beitragssatz und legt ihn in einer Satzung fest (§ 6a Abs. 5 KAG-LSA), so hat sie ihrer Kalkulation nur die geschätzten Investitionsaufwendungen der Jahre 1999 bis 2003 zugrunde zu legen, nicht aber auch die Investitionsaufwendungen des Jahres 1998. Diese Auslegung des in § 6a Abs. 2 Satz 1 KAG-LSA gewählten Begriffs "folgenden" verkennt die Beklagte mit ihrem Hinweis auf § 3 Abs. 1 Satz 1 ihrer Satzung über die Erhebung wiederkehrender Beiträge für die öffentlichen Verkehrsanlagen vom 31.03.1998 - WBS 1998 - bzw. § 3 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung wiederkehrender Beiträge für die öffentlichen Verkehrsanlagen vom 08.11.2001 - WBS 2001 -. Es trifft zwar zu, dass sich die Beklagte in ihren Satzungen (ausschließlich) für die Ermittlung des Beitragssatzes "nach dem Durchschnitt der im Zeitraum von 5 Jahren zu erwartenden Investitionsaufwendungen" entschieden hat, die den Anforderungen des § 6a Abs. 2 Satz 1 KAG-LSA dem Grunde nach gerecht wird. In der konkreten Umsetzung hat die Beklagte sich allerdings nicht an ihre eigenen Satzungsbestimmungen gehalten, indem sie auch das Jahr 1998 bei der Kalkulation berücksichtigt hat; denn dieses Jahr folgt dem Beitragsjahr (d. h. dem Jahr der Ermittlung des Beitragssatzes) nicht nach.

2. Weiter hat das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, dass die von der Beklagten vorgenommene Kalkulation des Beitragssatzes rechtswidrig ist, weil die Ermittlung der beitragspflichtigen Grundstücksflächen nicht gemäß der WBS 2001, sondern auf der Grundlage der WBS vom 31.03.1998 in der Form der ersten Änderungssatzung vom 27.10.1998 erfolgt ist. Der Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass sie die beanstandeten Satzungsbestimmungen § 7, welche nicht nach der Art der Grundstücksnutzung differenzierte, § 7 Abs. 4 (Heranziehung übergroßer Wohngrundstücke) und § 7 Abs. 3c (Tiefenbegrenzungsregelung) inzwischen inhaltlich überarbeitet und die geänderte Satzung rückwirkend zum 24.06.1998 in Kraft gesetzt hat. Indes hat die Beklagte auf der Grundlage dieser aktuellen Satzungsregelung der WBS 2001 keine neue Flächenermittlung vorgenommen, so dass die Beschlussfassung des Stadtrates der Beklagten über die Ergänzungssatzung zur Festlegung des Beitragssatzes am 08.11. 2001 auf der Grundlage der WBS 1998 erfolgt ist. Dies ergibt sich unzweifelhaft aus dem Beschluss des Stadtrates der Beklagten vom 28.08.2003 (Beschluss-Nr. 411/III/03), in dem es in der Begründung wörtlich heißt:

"Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat in seiner Verhandlung unserer Klagen am 25.04.2003 festgestellt, dass zum Zeitpunkt 2001 (Satzungsbeschluss) die Kalkulation hinsichtlich der in der überarbeiteten Satzung beschlossenen Verteilungsregelungen (speziell neue Tiefenbegrenzungsregelung, Kappung übergroße Wohngrundstücke,...) angepasst werden muss.

Grund dafür ist, dass sich die Beitragsflächen verändern und ein anderer Beitragssatz entstehen würde.

Diese Kalkulation wurde durch das beauftragte Ingenieurbüro zwar erstellt, aber in der Ratssitzung nicht erneut beschlossen. Da sich der Beitragssatz nicht wesentlich verändert hatte und das Ziel der wiederkehrenden Beitragserhebung (gleichbleibender Beitragssatz über die Investitionsperiode von 5 Jahren) beibehalten werden sollte, konnte die Ergänzungssatzung wie gehabt mit 0,88 DM/m² bzw. 0,45 €/m² beschlossen werden.

Auf Grund der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes wird der Beschluss zur Fortschreibung der Kalkulation hiermit nachgeholt."

Die erklärte Absicht der Beklagten, den Mangel einer ordnungsgemäßen Kalkulation nach Ablauf der gewählten Kalkulationsperiode zusammen mit den sich ansonsten ergebenden Über- und Unterdeckungen nachzuholen und einen rechnerischen Ausgleich unter den betroffenen Beitragspflichtigen herbeizuführen, ist rechtlich unerheblich; insbesondere ist insoweit für eine entsprechende Anwendung des § 6a Abs. 2 Satz 2 KAG-LSA kein Raum; denn diese Vorschrift, wonach das Beitragsaufkommen der folgenden Jahre entsprechend auszugleichen ist, wenn dieses Aufkommen die tatsächlichen Investitionsaufwendungen nach Abzug des Gemeindeanteils über- oder unterschreitet, bezieht sich nach der Systematik des Gesetzes nur auf Fälle der rechtmäßigen Festlegung der Beitragssätze auf der Grundlage einer Schätzung der jährlichen bzw. durchschnittlich in den folgenden fünf Jahren erwarteten Investitionsaufwendungen, nicht dagegen auf von vornherein aufgrund von unwirksamen Satzungsbestimmungen fehlerhaft ermittelten Beitragssätzen, die die Nichtigkeit der Beitragssatzsatzung und der darauf basierenden Bescheide zur Folge haben.

3. Selbst wenn mit der Beklagten davon auszugehen wäre, dass sie im Zulassungsverfahren eine tragfähige Rechtsgrundlage hätte nachschieben können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis; denn durch den "Fortschreibungs-Beschluss" des Stadtrates der Beklagten vom 28.08.2003 hat dieser keine wirksame Ergänzungssatzung beschlossen bzw. nachgeschoben; auch kann durch eine nachträgliche Anerkennung des auf einer fehlerhaften Kalkulationsgrundlage ergangenen Ratsbeschlusses die nichtige Ergänzungssatzung vom 08.11.2001 nicht rückwirkend geheilt werden. Hierzu hätte es aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit einer erneuten Beschlussfassung über die Ergänzungssatzung und deren Veröffentlichung bedurft, was ausweislich des vorliegenden Verwaltungsvorgangs der Beklagten nicht der Fall ist.

II. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen; denn mit dem Hinweis der Beklagten, die Rechtssache weise deswegen besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf, weil das Verwaltungsgericht durch die unzureichende tatsächliche und auch rechtliche Aufklärung des durchgeführten zugrundeliegenden Kalkulations- und Erhebungsverfahrens der ihm von Gesetzes wegen obliegenden Amtsermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist, genügt die Antragsschrift schon nicht den Darlegungsanforderungen i. S. d. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Sie belegt nämlich nicht, weshalb der zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht signifikant vom Spektrum verwaltungsgerichtlicher Streitverfahren abweicht. Allein der Umstand, dass im vorliegenden Fall eine Sach- und Rechtsmaterie, die möglicherweise einen weiteren Aufklärungsbedarf ausgelöst hat, zu berücksichtigen ist, macht ein Verfahren nicht "schwierig", wenn sich - wie hier - die zu entscheidenden Rechts- und Tatsachenfragen anhand der vorliegenden Unterlagen beantworten lassen.

Die Beklagte beschränkt sich inhaltlich darauf, die Rechtsanwendung des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen und der erstinstanzlichen Beurteilung der Sach- und Rechtslage eine andere Auffassung entgegen zu setzen. Für die Darlegung reicht es aber nicht aus, wenn lediglich "einfache" und jeder richterlichen Rechtsanwendung immanente Probleme der fallbezogenen Anwendung auslegungsbedürftiger Rechtssätze auf einen im Kern geklärten (entscheidungserheblichen) Sachverhalt oder der Notwendigkeit der Aufbereitung und der Würdigung des Tatsachenstoffs dargelegt werden. Erforderlich ist grundsätzlich vielmehr, dass in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die fortbestehenden besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten als solche benannt werden und darüber hinaus bezeichnet wird, dass und aus welchen Gründen diese sich qualitativ von einem - wie auch immer zu bestimmenden - Verwaltungsrechtsstreit "durchschnittlicher" Schwierigkeit abheben. Dem Darlegungserfordernis wird eindeutig nicht genügt, wenn - wie hier - "besondere Schwierigkeiten" lediglich allgemein oder unter bloß stichwortartiger Bezeichnung behauptet werden.

III. Auch die "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtssache i. S. des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nicht dargelegt; denn die Beklagte wirft keine konkrete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, aber in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechtsfrage auf, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung bedarf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist; insbesondere macht der Hinweis auf die fehlende obergerichtliche Rechtsprechung einen Rechtsstreit nicht grundsätzlich bedeutsam.

Auch die von der Beklagten aufgeworfene Frage der Zulässigkeit des Nachschiebens einer die Beitragserhebung nachträglich "heilenden" Rechtsgrundlage gerade unter Beachtung der besonderen Fallkonstellation der Kostenermittlung während einer fünf Jahre andauernden Kalkulationsperiode lässt sich - wie oben erläutert - mit der Gesetzessystematik beantworten. Im Übrigen geht das gesamte Beitragsrecht von der Annahme aus, dass die Beitragserhebung nur auf der Grundlage einer wirksamen Rechtsgrundlage erfolgen kann. Weder die Ergänzungssatzung vom 08.11.2002 erfüllt diese Voraussetzung, da der Stadtrat der Beklagten von einer fehlerhaften Kalkulation ausgegangen ist, noch hat die Beklagte eine wirksame Ergänzungssatzung nachträglich beschlossen.

IV. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.

Die Antragsschrift macht als Verfahrensmangel geltend, das Verwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, weil es den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt habe. Diese Rüge greift schon deshalb nicht durch, weil vor dem Verwaltungsgericht kein Beweisantrag in Bezug auf die von der Beklagten für notwendig erachtete Sachaufklärung gestellt worden ist. Bei der Tatsachenaufklärung haben die Beteiligten eine weitreichende Mitwirkungspflicht. Ein Gericht verstößt deshalb grundsätzlich nicht gegen seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die eine von einem Rechtsanwalt vertretene Partei nicht beantragt hat (st. Rspr. des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. u. a. Beschl. v. 22.02.1988 - BVerwG 7 B 28.88 -, NVwZ 1988, 1019; Beschl. v. 24.11.1977 - BVerwG VI B 16.77 -, Buchholz 310 [VwGO] § 132 Nr. 161, VGH BW, Beschl. v. 30.04.1997 - 8 S 1040/97 -, DVBl 1997, 1343). Dem Gericht musste sich im Übrigen auch eine Sachverhaltsaufklärung auf der Grundlage seiner maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung, dass es der Beklagten an einer wirksamen Rechtsgrundlage mangele, da die Ergänzungssatzung zur Festlegung des Beitragssatzes bereits wegen eines Verstoßes gegen § 6a Abs. 2 Satz 1 KAG-LSA rechtswidrig ist, nicht aufdrängen.

Ende der Entscheidung

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