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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 17.06.2005
Aktenzeichen: 2 L 264/02
Rechtsgebiete: LSA-BauO, BauGB, VwGO


Vorschriften:

LSA-BauO § 77 I 1
LSA-BauO § 77 III
BauGB § 34
VwGO § 86 I
1. Eine zu weit gehende "Ausklammerung" von Genehmigungsvoraussetzungen und die "Abschiebung" auf Nebenbestimmungen begegnet Bedenken.

2. Sieht das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten ab, verletzt es seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn sich dem Gericht eine weitere Sachaufklärung aufdrängen musste; dies ist nicht schon dann der Fall, wenn andere Sachverständige zu widersprechenden Ergebnissen gekommen sind.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 264/02

Datum: 17.06.2005

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2001 (BGBl I 3638 [3639]).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.

1.1. Ohne Erfolg wendet der Kläger zunächst ein, das Verwaltungsgericht habe die in der angefochtenen Baugenehmigung enthaltene und dort ausdrücklich als Bedingung bezeichnete Nebenbestimmung, mit der die Einholung einer schalltechnischen Berechnung und der Nachweis der Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte gefordert wurde, zu Unrecht als Auflage ausgelegt. Selbst wenn eine solche Auslegung am (eindeutigen) Wortlaut dieser Nebenbestimmung scheitern sollte, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass die Baugenehmigung auf Grund der Regelung des Lärmschutzes durch eine Bedingung rechtswidrig sein könnte. Nach § 77 Abs. 3 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA - vom 09.02.2001 [LSA-GVBl., S. 50], zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.07.2004 [LSA-GVBl., S. 408), kann die Baugenehmigung sowohl unter Auflagen als auch unter Bedingungen erteilt werden. Da es Zweck der Baugenehmigung ist, die Erfüllung aller im Verfahren zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Voraussetzungen möglichst umfassend sicherzustellen (§ 77 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA), dürfte zwar eine zu weit gehende Ausklammerung von Genehmigungsvoraussetzungen und ihr "Abschieben" in eine Nebenbestimmung nicht zulässig sein (vgl. hierzu BayVGH, Beschl. v. 15.09.1998 - 20 ZB 98.2042 -, BauR 1998, 1221). Dies gilt aber unabhängig davon, ob die in Rede stehende Nebenbestimmung als Bedingung oder als Auflage anzusehen ist.

1.2. Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht hätte die streitige Skateranlage nicht als Freizeitanlage, sondern als Sportanlage einstufen müssen, vermag er auch damit nicht durchzudringen. Auch wenn es sich bei dem Skaterpark insbesondere im Hinblick auf seine Größe und Zweckbestimmung nicht lediglich um eine "Freizeitanlage", sondern um eine Sportanlage im Sinne von § 1 der Sportanlagenlärmschutzverordnung vom 18.07.1991 BGBl I 1790) ( 18. BImSchV ( handeln sollte (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 11.02.2003 - BVerwG 7 B 88.02 -, NVwZ 2003, 751), würde sich dadurch keine für den Kläger günstigere Beurteilung ergeben. § 2 Abs. 1 Nr. 1 der 18. BImSchV sieht für Sportanlagen außerhalb von Gebäuden in Gewerbegebieten - diesen Gebietscharakter hat das Verwaltungsgericht angenommen - dieselben Immissionsrichtwerte vor wie Nr. 4.1 Buchstabe a) des vom Verwaltungsgericht herangezogenen Entwurfs der Freizeitlärm-Richtlinie, nämlich 65 dB (A) tags und 50 dB (A) nachts. Auch für Mischgebiete sehen beide Regelwerke gleiche Immissionsrichtwerte vor mit der Ausnahme, dass der Entwurf der Freizeitlärm-Richtlinie in Nr. 4.1 Buchstabe b) für Sonn- und Feiertage generell einen Richtwert von 55 dB(A) vorgibt, während nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 der 18. BImSchV - wie an Werktagen auch - nur für die Ruhezeiten tagsüber dieser Richtwert, für die übrige Zeit tagsüber hingegen ein höherer Richtwert von 60 dB (A) gilt. In diesem Bereich wäre damit die Anwendung des Entwurfs der Freizeitlärm-Richtlinie für den Kläger als Nachbar der Skateranlage sogar günstiger.

1.3. Auch die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das Wohnhaus des Klägers liege innerhalb eines faktischen Gewerbegebiets, vermag der Kläger mit seinem Vorbringen nicht zu erschüttern. Ohne Erfolg wendet er ein, die Wohnbebauung nördlich der H-Straße könne für die Beurteilung des Gebietscharakters nicht unberücksichtigt bleiben. Das Verwaltungsgericht ist aufgrund einer Ortsbesichtigung davon ausgegangen, die nähere Umgebung des Baugrundstücks werde im Norden durch die H-Straße begrenzt. Bei der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits ein geplantes Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das betreffende Baugrundstück prägend auswirken kann (BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 - BVerwG 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369 [380]). Daraus folgt, dass der die Erhaltung der Gebietsart betreffende Nachbarschutz durch die wechselseitige Prägung der benachbarten Grundstücke begrenzt ist und nicht alle Grundstücke in der Umgebung erfassen muss, die zu derselben Baugebietskategorie gehören (BVerwG, Beschl. v. 20.08.1998 - BVerwG 4 B 79.98 -, BauR 1999, 32). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das Baugrundstück eingebettet ist (BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003 - BVerwG 4 B 74.03 -, zit. bei Juris). Eine Straße kann dabei sowohl trennende als auch verbindende Funktion haben; auch die unterschiedliche Nutzung diesseits und jenseits der Straße kann dabei eine Rolle spielen (BVerwG, Beschl. v. 10.06.1991 - BVerwG 4 B 88.91 -, zit. bei Juris). Der Kläger hat indessen nicht dargelegt, aus welchen Gründen der H-Straße nicht die vom Verwaltungsgericht angenommene trennende Funktion zukommt. Allein der Umstand, dass der Senat bei Augenscheinseinnahme möglicherweise zu einer anderen Beurteilung der "näheren Umgebung" im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB und/oder des Gebietscharakters gekommen wäre, begründet noch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 26.01.1999 - 1 S 287/98 -, SächsVBl 1999, 134).

1.4. Zu Unrecht rügt der Kläger weiter, das Verwaltungsgericht habe willkürlich das Gutachten ... vom 08.06.1999 herausgegriffen, das (sogar) die Immissionsrichtwerte für Mischgebiete eingehalten sieht, wenn der Betrieb der Anlage auf 4,5 Stunden werktags außerhalb der Ruhezeiten beschränkt wird, wie dies im 1. Nachtrag zur Baugenehmigung vom 18.02.2000 dann auch angeordnet wurde. Allein aufgrund des Umstands, dass das Gutachten ... vom 28.12.1998 eine Betriebszeit von lediglich 3 Stunden werktags außerhalb der Ruhezeiten für zulässig gehalten hat, war das Verwaltungsgericht nicht gehindert, für die Frage der Zumutbarkeit der Lärmbelastung das Gutachten vom 08.06.1999 heranzuziehen. Das Tatsachengericht würdigt die Beweise gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien Überzeugung. Es kann, wenn es sich dazu in der Lage sieht, bei sich widersprechenden Gutachten dem einen den Vorzug vor dem anderen geben oder ein Obergutachten einholen (BVerwG, Urt. v. 08.02.1973 - BVerwG V C 64.72 -, BVerwGE 41, 359). Sieht das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten ab, verletzt es seine Aufklärungspflicht nur dann, wenn sich dem Gericht eine weitere Sachaufklärung aufdrängen musste; dies ist nicht schon dann der Fall, wenn andere Sachverständige zu widersprechenden Ergebnissen gekommen sind (BVerwG, Beschl. v. 07.09.1993 - BVerwG 9 B 509.93 -, Juris). Das Verwaltungsgericht hat dem Gutachten ... vom 08.06.1999 mit der nicht zu beanstandenden Begründung den Vorzug gegeben, dieses berücksichtige bei seinen Berechnungen im Gegensatz zu dem Gutachten ... vom 28.12.1998 eine - wenn auch erst noch zu errichtende - Lärmschutzwand an der Grenze zum Grundstück des Klägers. Hinzu kommt, dass die Firma ...-GmbH in einem weiteren Gutachten vom 09.05.2000 zu dem - für den Kläger ungünstigeren - Ergebnis kommt, dass auch bei einer Betriebszeit von 5,5 Stunden außerhalb der Ruhezeiten die maßgeblichen Immissionsrichtwerte eingehalten seien.

1.5. Ohne Erfolg bleibt auch der Einwand des Klägers, er bestreite, dass die beauftragten Gutachter in der Lage gewesen seien, Berechnungen darüber anzustellen, wie oft und mit welcher Intensität die in der Skateranlage vorhandenen Sportgeräte genutzt werden können. Dem Gericht ist es grundsätzlich nicht verwehrt, bei seiner Entscheidung Gutachten zu berücksichtigen, die nicht von ihm, sondern von einem der Verfahrensbeteiligten eingeholt worden sind (BVerwG, Beschl. v. 25.04.2002 - BVerwG 4 BN 20.02 -, JURIS, m. w. Nachw.). Das BVerwG hat in dieser Entscheidung ausgeführt:

"Ob das Gericht es mit dem Gutachtenmaterial bewenden lassen darf, das ihm vorliegt, oder verpflichtet ist, noch einen weiteren Sachverständigen einzuschalten, hängt von der Überzeugungskraft der gutachterlichen Äußerung ab. Die Notwendigkeit, einen gutachterlich aufgehellten Sachverhalt weiter zu erforschen, muss sich grundsätzlich nur dann aufdrängen, wenn das vorhandene Gutachten unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend ist, wenn es auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruht, wenn Zweifel an der Sachkunde oder der Überparteilichkeit des erstbeauftragten Sachverständigen bestehen, wenn ein anderer Sachverständiger über neuere oder überlegenere Forschungsmittel verfügt oder wenn die Erkenntnisse, die in dem vorliegenden Gutachten ihren Niederschlag gefunden haben, durch substanziierte Einwände eines Beteiligten oder durch die übrige Ermittlungstätigkeit des Gerichts ernsthaft in Frage gestellt erscheinen..."

Dem schließt sich der Senat an. Allein das Bestreiten der für die Berechnung der Lärmimmissionen maßgebliche Nutzungsintensität genügt nicht, um die Verwertbarkeit der Gutachten zu erschüttern. Der im Gutachten ... vom 08.06.1999 angenommene Umfang der Nutzung der einzelnen Sportgeräte basiert auf den Angaben des sportlichen Betreuers des die Anlage betreibenden Sportvereins über die Zahl der Sportler bei maximalem Betrieb der Anlage (vgl. Seite 8 des Gutachtens, Nr. 3.3). Die Annahme des Gutachters, aufgrund der hohen Anforderungen an die Kondition der Sporttreibenden sei davon auszugehen, dass von den anwesenden 35 Sportlern höchstens 27,5 gleichzeitig aktiv "im Einsatz" seien, ist schlüssig und wird vom Kläger nicht substanziiert angegriffen.

1.6. Soweit der Kläger geltend macht, die vom Gutachter errechnete Höhe der Lärmschutzwand sei falsch berechnet, weil er nicht berücksichtigt habe, dass das Gelände von der Schallschutzmauer an der Grundstücksgrenze in Richtung Süden um etwa 0,5 bis 0,6 Meter ansteige und verschiedene Sportgeräte, insbesondere die "Halfpipes" bereits eine Höhe von bis zu 3 Metern erreichten, vermag er auch damit letztlich nicht durchzudringen. Nach dem Gutachten ... vom 09.05.2000, das die zu diesem Zeitpunkt schon errichtete Lärmschutzwand berücksichtigen konnte, werden die maßgeblichen Immissionsrichtwerte auch im ungünstigsten Fall bei "üblichem extremen Betrieb" eingehalten, und zwar auch bei einem Betrieb von 5,5 Stunden außerhalb der Ruhezeiten.

1.7. Ohne Erfolg bleibt schließlich der Einwand des Klägers, es seien von den Gutachtern keine Berechnungen über die Lärmbelastung angestellt worden, die nunmehr dadurch entstanden sei, dass die Lärmschutzwand den von der H-Straße ausgehenden Verkehrslärm zurück zu ihrem Grundstück reflektiere. Es ist schon nicht dargelegt, dass von der H-Straße wesentlicher Verkehrslärm ausgeht. Im Übrigen erreicht ein großer Teil dieser Verkehrsgeräusche schon nicht die Lärmschutzwand, da diese zu einem großen Teil durch das Wohnhaus des Klägers von der H-Straße abgeschirmt wird.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen der geltend gemachten besonderen tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Besondere Schwierigkeiten liegen vor, bei erheblich über dem Durchschnitt liegender Komplexität der Rechtssache, im Tatsächlichen besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, wenn der Sachverhalt schwierig zu überschauen oder zu ermitteln ist (vgl. Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 RdNrn. 27, 28;). Die Darlegung des Zulassungsgrunds nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erfordert, dass in fallbezogener Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die fortbestehenden besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten als solche benannt werden und darüber hinaus bezeichnet wird, dass und aus welchen Gründen diese sich qualitativ von einem - wie auch immer zu bestimmenden - Verwaltungsrechtsstreit "durchschnittlicher" Schwierigkeit abheben. Dem Darlegungserfordernis wird nicht genügt, wenn besondere Schwierigkeiten - wie hier - bloß unter stichwortartiger Bezeichnung behauptet werden (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 13.04.2004 - 2 L 915/03 -). Die Frage der Zumutbarkeit der Lärmbelastung ist durch die bereits vorliegenden, vom Kläger ohne Erfolg angegriffenen Gutachten geklärt. Soweit der Kläger die Nachholung "diverser tatsächlicher Feststellungen" für erforderlich hält, bleibt offen, um welche konkreten Feststellungen es dabei gehen soll.

Ende der Entscheidung

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