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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 02.05.2005
Aktenzeichen: 2 L 283/03
Rechtsgebiete: VwGO, LSA-VwVfG


Vorschriften:

VwGO § 113 I
LSA-VwVfG § 48 II
LSA-VwVfG § 48 III 1
LSA-VwVfG § 50
1. Der Anspruch auf Ausgleich eines Vermögensausgleichs setzt voraus, dass die Behörde die Genehmigung aufgehoben hat; die gerichtliche Anfechtungsentscheidung nach § 113 Abs. 1 VwGO genügt nicht.

2. Das gilt auch, wenn die Behörde nach dem Urteil die Genehmigung (nochmals) "aufhebt".


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 283/03

Datum: 02.05.2005

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, sowie auf den §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Die Kläger begehren den Ausgleich eines Vermögensnachteils, der ihnen aufgrund der Aufhebung einer Baugenehmigung entstanden sei.

Mit Bescheid vom 29.06.1995 erteilte der Beklagte den Klägern eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des Erdgeschosses ihrer Doppelhaushälfte in eine Schankwirtschaft. Dagegen betrieb eine Nachbarin, der die Baugenehmigung nicht bekannt gegeben war, erfolglos das Widerspruchsverfahren (Widerspruch vom 24.11.1995) und anschließend Klage beim Verwaltungsgericht Halle. Mit Urteil vom 14.02.1999 gab das Verwaltungsgericht der Klage statt und hob die Baugenehmigung auf. Am 10.04.2000 erließ der Beklagte einen Bescheid, mit dem er die Baugenehmigung vom 29.06.995 erneut aufheben wollte und führte dazu aus: "Der Landkreis Merseburg-Querfurt hat auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den Sie dadurch erleiden, dass sie auf den Bestand der Baugenehmigung vertraut haben, soweit das Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist."

Mit Datum vom 16.03.2001 beantragten die Kläger bei dem Beklagten den Ausgleich eines Vermögensnachteils in Höhe von 144.022,10 DM, den sie dadurch erlitten hätten, dass sie auf den Bestand der Baugenehmigung des Beklagten vom 29.061995 vertraut hätten. Eine Reaktion des Beklagten erfolgte darauf nicht. Am 24.08.2001 erhoben die Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Halle.

Mit Urteil vom 26.05.2003 wies das Verwaltungsgericht die Klage mit folgender Begründung ab: Die Klage sei als Untätigkeitsklage zulässig, aber unbegründet. Nach § 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG-LSA sei die Behörde in den Fällen, in denen ein rechtswidriger Verwaltungsakt zurückgenommen wurde, der nicht auf eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewähre oder hierfür Voraussetzung sei, dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensvorteil auszugleichen, dieser dadurch erleide, dass er auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraue, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig sei. Diese Voraussetzungen seien deshalb nicht erfüllt, weil das Vertrauen der Kläger auf den Bestand der aufgehobenen Baugenehmigung unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse nicht schutzwürdig sei. Für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens würden dieselben Grundsätze gelten, wie bei Verwaltungsakten im Sinne des § 48 Abs. 2 VwVfG LSA. Bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts mit Drittwirkung sei das Vertrauen bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit in der Regel nicht - oder jedenfalls nur weniger oder nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände - schutzwürdig, weil der Begünstigte ja noch mit einer Aufhebung im Rechtsbehelfsverfahren rechnen müsse. Diese Wertung für Verwaltungsakte mit Drittwirkung entspreche auch der Regelung des § 50 VwVfG LSA. Danach sei der Ausgleichsanspruch nach § 48 Abs. 3 VwVfG LSA in den Fällen ausgeschlossen, in denen ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden sei, während des Vorverfahrens oder des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben würde. Der Begünstige genieße in der Regel keinen Vertrauensschutz, weil er, solange ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig sei, ohnehin in der Regel nicht auf den Bestand des Verwaltungsakts vertrauen könne, sondern mit der Aufhebung durch die Widerspruchsbehörde oder durch das Verwaltungsgericht rechnen müsse. Das Vertrauen des Begünstigten sei darüber hinaus selbst in den Fällen nicht geschützt, in denen der Verwaltungsakt dem Dritten bekannt sei und er mit einer Anfechtung rechnen müsse, wobei die zeitliche Grenze in der Verwirkung des Anfechtungsrechts durch Dritte liege. Dagegen haben die Kläger rechtzeitig den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Der Senat konnte die Berufung nicht zulassen, da die geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124a Abs. 1 S. 4 VwGO), nämlich ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nicht vorliegen.

1. Die Zulassungsschrift vermag nicht ernstliche Zweifel am Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, soweit sie die Klägerin belastet, zu begründen.

§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO öffnet den Zugang zur Rechtsmittelinstanz mit Blick auf das prognostizierte Ergebnis des angestrebten Rechtsmittels. Er soll Richtigkeit im Einzelfall gewährleisten; die maßgebliche Frage geht also dahin, ob die Rechtssache richtig entschieden worden ist. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO will Zugang zu einer inhaltlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils in einem Berufungsverfahren in den Fällen eröffnen, in denen die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist.

Deshalb reicht es nicht aus, wenn Zweifel lediglich an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen bestehen, auf welche das Urteil gestützt ist. Diese müssen vielmehr zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründen. Das wird zwar regelmäßig der Fall sein. Jedoch schlagen Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente nicht auf das Ergebnis durch, wenn das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verlangt nicht, die Berufung wegen eines Fehlers zuzulassen, der für den Ausgang des Berufungsverfahrens und damit für das Ergebnis des Prozesses mit Sicherheit bedeutungslos bleiben wird.

Allerdings ist das Oberverwaltungsgericht nicht verpflichtet, schon im Zulassungsverfahren umfassend nachzuprüfen, ob das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig darstellt, wenn an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente Zweifel bestehen. Die Frage nach der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung kann im Zulassungsverfahren nicht abschließend geklärt werden. Das Zulassungsverfahren wäre anderenfalls in der Sache ein Berufungsverfahren. Die abschließende Prüfung des angefochtenen Urteils in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht ist nach wie vor dem Berufungsverfahren vorbehalten. Das Oberverwaltungsgericht soll sich jedoch zu seiner Entlastung nicht mehr mit den Rechtssachen befassen müssen, in denen dies mit Blick auf die zu gewährleistende Gerechtigkeit im Einzelfall nicht erforderlich erscheint. Das sind die Rechtssachen, von denen sich ohne den Aufwand eines Berufungsverfahrens schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, das Verwaltungsgericht habe sie im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben. Das Oberverwaltungsgericht kann dem gemäß im Zulassungsverfahren nur dann auf andere Gründe abstellen, aus denen das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig ist, wenn diese Gründe ohne Weiteres auf der Hand liegen, ihre Heranziehung also nicht über den Aufwand hinausgeht, der in einem Zulassungsverfahren mit Blick auf dessen Zweck vernünftigerweise zu leisten ist. Anderenfalls ist die Berufung zuzulassen, wenn entscheidungstragende Gründe des Verwaltungsgerichts in ihrer Richtigkeit zweifelhaft sind; dem Berufungsverfahren ist dann die Prüfung vorbehalten, ob das angefochtene Urteil sich aus anderen Gründen als richtig erweist (BVerwG, Beschl. v. 10.03.2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838).

Gemessen an diesen Grundsätzen erweist sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig.

§ 48 Abs. 3 VwVfG-LSA, auf den die Kläger ihren Anspruch auf Ausgleich eines Vermögensnachteils, den sie durch die Aufhebung ihrer Baugenehmigung erlitten haben wollen, stützen, ist hier nicht anwendbar. Die Anwendung von § 48 VwVfG-LSA setzt nämlich die Aufhebung der Baugenehmigung durch die Bauaufsichtsbehörde voraus. Der mehrpolige Verwaltungsakt ist hier indes nicht von dem Beklagten, sondern vom Verwaltungsgericht mit Urteil vom 14.02.1999 - 2 A 2186/96 HAL - aufgehoben worden. Bei einer begründeten Anfechtungsklage besteht gemäß § 113 Abs. 1 S.1 VwGO die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Aufhebung der Baugenehmigung, d. h. in deren Beseitigung. Die Wirkung der Aufhebung tritt unmittelbar durch das Urteil ein, das die Rechtslage verändert und damit Gestaltungswirkung hat. Das Urteil wirkt durch die Aufhebung ex tunc und beseitigt den Verwaltungsakt von Anfang an (vgl. Kuntze, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, Verwaltungsgerichtordnung, § 113 RdNr. 22). Eine Baugenehmigung, die der Beklagte mit Bescheid vom 10.04.2000 noch hätte aufheben können, existierte zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr.

Die Kläger könne daher mangels Rechtsgrundlage einen Anspruch auf Ausgleich ihres Vermögensschadens nicht geltend machen. Dieses Ergebnis wird auch gestützt durch § 50 VwVfG LSA. Danach gilt § 48 Abs. 3 nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird.

In einem solchen Fall kann der Betroffene seine angeblichen Vermögensschaden nur im Wege der Amtshaftungsklage vor den ordentlichen Gerichten geltend machen, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen.

2. Die Angelegenheit weist auch nicht die von der Zulassungsschrift behaupteten besonderen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Besondere Schwierigkeiten liegen vor bei erheblich über dem Durchschnitt liegender Komplexität der Rechtssache, im Tatsächlichen besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, wenn der Sachverhalt schwierig zu überschauen oder zu ermitteln ist, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen (vgl. Meyer-Ladewig, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 124 RdNrn. 27, 28;). Dies ist hier nicht der Fall. Der Sachverhalt steht fest. Die Rechtsfragen lassen sich durch einfache Gesetzessubsumtion klären.

3. Die Zulassungsschrift kann sich mit Erfolg auch nicht auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO berufen.

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine (auch) für die Rechtsmittelentscheidung erhebliche, klärungsbedürftige, insbesondere höchst- oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte Frage allgemeiner, fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der gerichtlichen Klärung bedarf (Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde, 1971, RdNr.106, BVerwG, Beschl. v. 17.07.1987 - BVerwG 1 B 23.87 -). Einer Rechtsfrage kommt grundsätzliche, fallübergreifende Bedeutung nur dann zu, wenn sie im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Maßstab sind dabei stets die Interessen der Allgemeinheit, nicht die des Betroffenen. Mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die individuell erhebliche Bedeutung oder dem Hinweis auf einen Grundrechtsbezug bzw. -verstoß kann die grundsätzliche Bedeutung nicht ausreichend dargelegt werden.

Die Rechtsfrage muss für eine Vielzahl, jedenfalls Mehrzahl von Verfahren bedeutsam sein. Jedoch reicht allein der Umstand nicht aus, dass der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse sein könnte oder sich vergleichbare Fragen in einer unbestimmten Vielzahl ähnlicher Verfahren stellen.

Dies ist hier nicht der Fall.

Ende der Entscheidung

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