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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 16.10.2003
Aktenzeichen: 2 L 291/00
Rechtsgebiete: VwGO, LSA-KWG


Vorschriften:

VwGO § 42
LSA-KWG § 21 I
LSA-KWG § 21 V
LSA-KWG § 39 II
LSA-KWG § 39 IV
LSA-KWG § 39 V
LSA-KWG § 39 VI
LSA-KWG § 39 VII
LSA-KWG § 50 II
LSA-KWG § 53 II
1. Die Wahlprüfungsklage des § 53 Abs. 2 KWG LSA richtet sich (in Form einer Anfechtungsklage) gegen die Wahlprüfungsentscheidung und will zugleich (in Form einer Verpflichtungsklage) die Neu-Feststellung des Wahlergebnisses erreichen.

2. Zur Wirksamkeit (Rechtzeitigkeit) eines Wahleinspruchs, der mit einem offensichtlichen Schreibfehler behaftet ist.

3. Die Verbindung von Einzel-Wahlvorschlägen dient als "Zählgemeinschaft" in erster Linie der "Reststimmen-Verwertung". Mangels alle Einzelbewerber verbindenden Programms werden die Einzelbewerber nicht als Gruppe, sondern als Einzelne gewählt; das unterscheidet sie von Parteien und Wählergruppen.

4. Ein "Wahlvorschlag mit mehreren Bewerbern" i. S. des § 39 Abs. 6, 7 KWG LSA kann deshalb nur ein solcher von Parteien oder Wählergruppen sein.

5. Die Konsequenz, dass Einzelbewerber einer Wahlvorschlagsverbindung weder "nachrücken" noch einen Sitz erlangen können, der als zweiter einem anderen zusteht, widerspricht nicht der Wahlgleichheit.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 2 L 291/00

Datum: 16.10.2003

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Ergebnisses der Gemeinderatswahlen in Hohenwarsleben.

Am 13.06.1999 fanden im Land Sachsen-Anhalt Kommunalwahlen statt. Für die Gemeinderatswahlen in der Gemeinde Hohenwarsleben wurden ausweislich der Gemeindewahlausschusssitzung vom 11.05.1999 Wahlvorschläge der CDU (3 Bewerber), der Wählergruppe "Bürger für Hohenwarsleben" (6 Bewerber) sowie von sechs Einzelpersonen eingereicht. Fünf der Einzelbewerber hatten ihre Wahlvorschläge miteinander verbunden, nämlich der Beigeladene, ..., Herr B., Herr D., Herr F.sowie Frau N.. Ausweislich der Wahlniederschrift über die Ermittlung und Feststellung des Ergebnisses der Wahl vom 14. 06.1999 wurden insgesamt 1.399 gültige Stimmen abgegeben. Davon entfielen 311 Stimmen auf den Wahlvorschlag der CDU, 492 Stimmen auf den Wahlvorschlag der Wählergruppe "Bürger für Hohenwarsleben" und 62 Stimmen auf den Einzelbewerber Herrn K. Auch hinsichtlich der auf dem Wahlvorschlag verbundenen Einzelbewerber wurde jeweils für jeden Bewerber ein eigenes Stimmergebnis festgestellt, nämlich 198 Stimmen für Herrn F., 154 Stimmen für Herrn B., 69 Stimmen für Frau N., 68 Stimmen für Herrn D. und 45 Stimmen für den Beigeladenen, Herrn .... Dies ergab eine Gesamtstimmenzahl von 534. Ausweislich der Niederschrift über die Sitzung des Gemeindewahlausschusses zur Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses vom 16.06.1999 wurden wiederum die vorgenannten Feststellungen getroffen und die 12 Sitze des Gemeinderates der Gemeinde Hohenwarsleben (ein Wahlbezirk) wie folgt verteilt: CDU 3 Sitze, Wählergruppe "Bürger Hohenwarsleben" 4 Sitze, Einzelbewerber K. 0 Sitze und Wahlvorschlagsverbindung 5 Sitze. Die fünf für die Wahlvorschlagsverbindung festgestellten Sitze wurden so verteilt, dass der erste Sitz Herrn F., der zweite Sitz Herrn B., der dritte Sitz Frau N., der vierte Sitz Herrn D. und der fünfte Sitz dem Beigeladenen, Herrn ..., zugeteilt wurde.

Das Wahlergebnis wurde vom 17.06. bis zum 02.07.1999 zu Bekantmachungszwecken ausgehängt.

Mit Schreiben vom 30.06.1999, eingegangen bei der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde am selben Tage und am 01.07.1999 bei der Gemeindewahlleiterin, erhob der Kläger Wahleinspruch. Er war an die Gemeindewahlleiterin der Gemeinde Hohenwarsleben unter Angabe der Anschrift der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde adressiert. In dem Betreff war angegeben, dass es sich um einen Wahleinspruch gegen die Gemeinderatswahlen in der Gemeinde Hohenwarsleben handle.

In der Begründung des Wahleinspruchs führte der Kläger hingegen aus, dass "fristwahrend Wahleinspruch gegen die Gemeinderatswahlen in der Gemeinde Meitzendorf vom 13. Juni 1999" eingelegt werde. Den Wahleinspruch begründete der Kläger damit, dass die Sitzverteilung für die Wählerverbindung der Einzelbewerber nicht entsprechend der Regelung des § 39 Abs. 4 des Wahlgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - KWG LSA - (LSA-GVBl., S. 594) berechnet worden sei. Nach richtiger Berechnung gemäß § 39 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 2 KWG LSA hätte der Beigeladene als derjenige Einzelbewerber, der innerhalb der Wahlvorschlagsverbindung die wenigsten Stimmen erhalten hatte, keinen Sitz im Gemeinderat der Gemeinde Hohenwarsleben erhalten dürfen.

In der konstituierenden Sitzung vom 01.07.1999 stellte der Gemeinderat der Gemeinde Hohenwarsleben fest, dass ein Wahleinspruch vorliege, der aber, weil er sich gegen die Gemeinderatswahlen in Meitzendorf richte, fehlerhaft sei, deshalb nicht beachtet werden müsse, und die Wahl daher gültig sei. Diesen Beschluss gab die Gemeinde Hohenwarsleben dem Kläger mit Schreiben vom 03.08.1999, zugestellt am 06.08. 1999, unter Hinzufügung einer Rechtsmittelbelehrung bekannt. Zur Begründung führte sie aus: Der Wahleinspruch sei als nicht zugestellt betrachtet worden, da er sich gegen die Gemeinderatswahlen in der Gemeinde Meitzendorf gerichtet habe. Die Sitzverteilung sei entsprechend den Vorschriften des KWG LSA vorgenommen worden.

Mit am 06.09.1999 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Klage erhoben und seinen bisherigen Rechtsstandpunkt wiederholt.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines insoweit entgegenstehenden Bescheids vom 03. August 1999 zu verpflichten, festzustellen, dass die den begründeten Einwendungen zu Grunde liegenden Tatbestände so schwerwiegend sind, dass bei einwandfreier Durchführung der Wahl ein wesentlich anderes Wahlergebnis zu Stande gekommen oder festgestellt worden wäre, und das Wahlergebnis unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzustellen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er ergänzend vorgetragen: Eine Sitzverteilung, wie sie sich der Kläger vorstelle, führe zu einer Privilegierung von Parteien und Wählergruppen, da bei diesen Gruppierungen die interne Verteilung der Sitze unabhängig von den Einzelstimmen der Kandidaten erfolge. Darüber hinaus habe die Zustellung des Wahleinspruchs an die Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde nicht die Frist des § 50 KWG LSA gewahrt.

Mit Urteil vom 23.05.2000 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben.

Sie sei zulässig. Es fehle nicht an einem die Wahlprüfung des Gemeinderats erst auslösenden Wahleinspruch gegen die Gemeinderatswahlen in der Gemeinde Hohenwarsleben. Das Schreiben des Klägers vom 30.06.1999 hätte auch vom Beklagten als Wahleinspruch gegen die Gemeinderatswahlen der Gemeinde Hohenwarsleben verstanden werden müssen. Dies ergebe sich zum einen aus der Adressierung, zum anderen aus dem Begriff und schließlich auch aus der Begründung des Wahleinspruchs. Insoweit hätte der Beklagte den auf die Gemeinderatswahl in der Gemeinde Meitzendorf bezogenen Satz des Schreibens richtigerweise dahingehend verstehen müssen, dass es sich hierbei nur um einen Schreibfehler handle. An einem wirksamen Wahleinspruch fehle es auch nicht, weil in diesem als Adresse die der Wahlleiterin der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde aufgeführt sei. Der Wahleinspruch sei an die Gemeindewahlleiterin, wie es auch § 50 Abs. 2 KWG LSA vorsehe, gerichtet gewesen, an die Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde lediglich postalisch adressiert worden. Dass die Gemeindewahlleiterin dort ihren Sitz hatte, ergebe sich aus dem beigezogenen Vorgang. Der Wahleinspruch sei von dem Kläger auch mithin innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 50 Abs. 2 KWG LSA bei der hierfür vorgesehenen Stelle eingereicht worden. Die Klage sei eine auf den Erlass eines rechtsgestaltenden Verwaltungsakts gerichtete Verpflichtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 VwGO und zu Recht gegen den Gemeinderat erhoben. Gegenüber dem Beigeladenen ... sei das Wahlergebnis unrichtig festgestellt worden. Für Wahlvorschlagsverbindungen sei die Verteilung der Sitze nach § 39 Abs. 2 und 4 des KWG LSA vorzunehmen. Die Wahlvorschlagsverbindung habe fünf Sitze errungen. Nach § 39 KWG LSA sei die Sitzzahl 5 mit der Anzahl der Stimmen, die auf den jeweiligen Wahlbewerber entfielen, zu multiplizieren und das Ergebnis durch die Gesamtzahl der Stimmen, die auf die Verbindung entfielen - hier 534 - zu dividieren.

Auf Herrn F. sei der Faktor 1,8539,

auf Herrn B. der Faktor 1,4419,

auf Frau N. der Faktor 0,6460,

auf Herrn D. der Faktor 0,6367 und

auf Herrn ... [den Beigeladenen] der Faktor 0,4213 entfallen.

Da gemäß § 39 Abs. 2 Satz 3 KWG LSA zunächst jeder Einzelbewerber so viele Sitze erhalte, wie ganze Zahlen auf ihn entfielen, hätten nur Herr F. und Herr B. einen Sitz errungen. Nach § 39 Abs. 2 Satz 4 KWG LSA seien die restlichen Sitze nach der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile zu verteilen. Der höchste Zahlenbruchteil sei mit 0,8539 auf Herrn F., der zweithöchste Zahlenbruchteil mit 0,6460 auf Frau N., der dritthöchste mit 0,6367 auf Herrn D. und der vierthöchste mit 0,4419 auf B. entfallen. Da Herr F. und Herr B. bereits jeweils einen Sitz innehätten und keine zwei Sitze belegen könnten, blieben diese Sitze unbesetzt. § 39 Abs. 4 S. 2 KWG LSA regele die Verteilung der Sitze auf die Wahlvorschlagsverbindung von zusammengeschlossenen Einzelbewerbern abschließend. Dies führe zwar zur Ungleichbehandlung dieser Gemeinderatskandidaten gegenüber den Regelungen für Parteien und Wählergruppen, dies sei aber sachlich gerechtfertigt; die Bewerber auf den Wahlvorschlagsverbindungen blieben nämlich Einzelbewerber, die wegen fehlender Partei- oder Gruppenzugehörigkeit nicht wegen eines hinter ihnen stehenden Programms gewählt würden.

Gegen das ihm am 26.06.2000 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 26.07.2000 den Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Mit Beschluss vom 19. Mai 2003 hat der Senat die Berufung zugelassen.

Der Beklagte begründet die Berufung wie folgt: Er sei nach wie vor der Auffassung, dass der Wahleinspruch des Klägers sich gegen die Gemeinderatswahlen in Meitzendorf gerichtet habe und die Zustellung des Wahleinspruchs an die Verwaltungsgemeinschaft "Hohe Börde" die Frist des § 50 KWG LSA nicht gewahrt habe. Soweit gemäß § 21 Abs. 1 S. 2 KWG LSA Wahlvorschlagsverbindungen von Einzelbewerbern zulässig und diese Wahlvorschlagsverbindungen gemäß § 39 Abs. 4 KWG als ein Wahlvorschlag anzusehen seien, seien bei der Sitzverteilung soviel Bewerber zu berücksichtigen, wie sich Einzelbewerber auf der Wahlvorschlagsverbindung zusammengeschlossen hätten, mithin 5 (Einzel-)Bewerber. Da somit 5 Sitze und 5 Bewerber vorhanden seien, entfalle nach dem eindeutigen Wortlaut des § 39 Abs. 6 KWG LSA ein Sitz auch auf den Beigeladenen. Nur eine solche Auslegung entspreche dem Willen des Gesetzgebers. Die Verbindung von Wahlvorschlägen gemäß § 21 KWG LSA diene der Schaffung eines Minderheitenschutzes für kleinere Gruppierungen. Würde die Auslegung des Klägers zutreffen, so würde dies zu einer Privilegierung der Parteien und Wählergruppen führen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, und macht geltend: Hinsichtlich der Zulässigkeitsfrage beziehe er sich auf die zutreffenden Gründe der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Wenn § 39 Abs. 4 S. 2 KWG LSA für die Zuteilung der einer Wahlvorschlagsverbindung insgesamt zukommenden Sitze auf die beteiligten Parteien, Wählergruppen und Einzelbewerber das Verfahren nach Abs. 2 für entsprechend anwendbar erkläre, so werde damit auch insoweit das Sitzverteilungsverfahren Hare-Niemeyer als Zuteilungsmodus festgelegt. Die Bedeutung einer Wahlvorschlagsverbindung bestehe in erster Linie darin, dass bei der Berechnung der Sitzverteilung die verbundenen Wahlvorschläge zunächst wie ein Wahlvorschlag behandelt würden. Dadurch entständen den verbundenen Wahlvorschlägen Vorteile bei der Zuteilung der Sitze, weil durch die Sammlung sonst verlorener Reststimmen unter Umständen zusätzliche Mandate erworben werden könnten. Der Umstand, dass der einem Bewerber aufgrund seiner Stimmzahl rechnerisch zustehende zweite Sitz nicht einem anderen Mitglied der Wahlvorschlagsverbindung zugute kommen könne, finde seine innere Rechtfertigung darin, dass die einzelnen Mitglieder einer Wahlvorschlagsverbindung immer Einzelbewerber blieben, die nicht mehr verbinde als das Bestreben, anfallende Reststimmen besser zu verwerten. Inhaltliche Gemeinsamkeiten, wie sie etwa bei der Vorschlagsliste einer Partei oder einer Wählergruppe in Bezug auf politische Ziele und Absichten angenommen werden können, beständen nicht.

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er schließt sich der Auffassung des Beklagten an.

Wegen des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im einzelnen wird auf deren Schriftsätze in beiden Rechtszügen und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Klage ist als verwaltungsgerichtliche Wahlprüfungsklage nach § 53 Abs. 2 KWG LSA zulässig. Sie ist mit dem kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft. Die gerichtliche Anfechtung von Kommunalwahlen erfolgt nicht etwa in einem Klageverfahren eigener Art, sondern ist auf den Erlass eines Verwaltungsakts gerichtet, auf eine verbindliche Feststellung der Ungültigkeit der Wahl. Darüber hinaus ist die Klage zu Recht auf Aufhebung der die Gültigkeit der Wahl feststellenden Wahlprüfungsentscheidung gerichtet.

Die hinsichtlich der Wirksamkeit des Wahleinspruchs (die Gemeinderatswahl in Meitzendorf sei beanstandet worden) sowie hinsichtlich der Adressierung an die Verwaltungsgemeinschaft Hohe Börde von dem Beklagten erhobenen Einwendungen sind vom Verwaltungsgericht zutreffend gewürdigt worden. Die Berufungsbegründung enthält insoweit keine neuen Gesichtspunkte.

Die Klage ist auch begründet. Im Grundsatz geht das KWG LSA in § 21 Abs. 1 Satz 1 jeweils von getrennten Wahlvorschlägen von Parteien, Wählergruppen oder Einzelbewerbern aus. Durch § 21 Abs. 1 S. 2 KWG LSA wird die weitere Möglichkeit eingeräumt, eingereichte Wahlvorschläge miteinander zu verbinden.

Für die Feststellung des bei einer Wahl erzielten Ergebnisses für eine Wahlvorschlagsverbindung sind die Sonderregelungen des § 39 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2, 7 KWG LSA anzuwenden. Die Feststellung der Sitzverteilung für eine Wahlvorschlagsverbindung geschieht in Sachsen-Anhalt in einem abgestuften Verfahren. Zunächst wird eine Wahlvorschlagsverbindung bei der Ermittlung der Gesamtzahl der auf sie entfallenden Sitze rein rechnerisch den übrigen Wahlvorschlägen gleichgestellt und als ein Wahlvorschlag behandelt. Anschließend wird die festgestellte Anzahl der Sitze innerhalb der Wahlvorschlagsverbindung entsprechend den in § 39 Abs. 2 KWG LSA bestimmten Verfahren den einzelnen Beteiligten zugeteilt. Dieses Verfahren hat dazu geführt, dass der Einzelbewerber Herr F. den ersten und den dritten Sitz der Wahlvorschlagsverbindung und damit zwei Sitze erhalten hat. Die Sitze vier und fünf gingen an Frau N. und Herrn Drewes. Als Einzelbewerber konnte Herr F. naturgemäß nur einen Sitz zugeteilt bekommen. Führt die interne Zuteilung zu dem Ergebnis, dass ein Wahlvorschlag mehr Sitze erhält als Bewerber auf ihm vorhanden sind, so bleiben gemäß § 39 Abs. 7 KWG LSA die übrigen Sitze bis zum Ablauf der Wahlperiode oder bis zu einer Ergänzungswahl gemäß § 49 unbesetzt.

Der Wortlaut des § 39 Abs. 4, 2 und 7 KWG LSA ist eindeutig. Das KWG LSA begünstigt Wahlvorschlagsverbindungen in § 39 Abs. 4 S. 1 KWG LSA nur bei der rechnerischen Ermittlung der Gesamtzahl der auf sie entfallenen Sitze als Zählgemeinschaft, während bei der internen Sitzverteilung gemäß § 39 Abs. 4 S. 2 i. V. m. Abs. 2 KWG LSA nach den einzelnen an der Wahlvorschlagsverbindung beteiligten Wahlvorschlägen differenziert wird. Folgerichtig stellt § 39 Abs. 7 KWG LSA bei der endgültigen Verteilung der Sitze nunmehr wieder auf den einzelnen Wahlvorschlag unabhängig davon ab, ob der betreffende Wahlvorschlag an einer Wahlvorschlagsverbindung beteiligt ist oder nicht.

Für Einzelbewerber in einem verbundenen Wahlvorschlag ist die Regelung des § 39 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 KWG LSA abschließend.

Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass § 39 Abs. 6 S. 1 KWG LSA auch für Einzelbewerber im verbundenen Wahlvorschlag gilt. Nach dieser Vorschrift erhalten die übrigen Sitze die Bewerber ohne Stimmzahlen, wenn die Berechnung nach den Absätzen 2 bis 4 mehr Sitze für einen Wahlvorschlag ergibt, als Bewerber mit Stimmzahlen auf ihm vorhanden sind. Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass § 39 Abs. 6 S. 1 KWG LSA im Gegensatz zu § 39 Abs. 5 KWG LSA nicht den ausdrücklichen Zusatz "Wahlvorschlag einer Partei oder Wählergruppe" enthält, gleichwohl gebieten Sinn und Zweck des in Sachsen-Anhalt kodifizierten Kommunalwahlrechts sowie die verfassungsrechtlich verankerten Wahlrechtsgrundsätze eine solche Auslegung.

Dass der Gesetzgeber von Sachsen-Anhalt die unterschiedliche Behandlung von Parteien und Wählergruppen gegenüber Einzelbewerbern im Wahlverbund mit der gesetzlichen Regelung auch tatsächlich beabsichtigt hat, könnte sich aus der Einzelbegründung zum Gesetzesentwurf der Landesregierung ergeben. Zu dem ehemaligen § 38 Abs. 7 KWG LSA (nunmehr § 39 Abs. 7) heißt es dort: "Entfallen auf einen Wahlvorschlag mehr Sitze, als Bewerber auf ihm vorhanden sind, so bleiben die übrigen Sitze bis zum Ablauf der Wahlperiode oder bis zu einer Ergänzungswahl nach § 48 unbesetzt (Absatz 7); dies gilt auch, wenn auf einen Einzelvorschlag mehr als ein Sitz entfällt (LdTgDrs 1/2442, Einzelbegründung zu § 38). Eine klare Auslegung lässt sich daraus jedenfalls nicht herleiten.

Für eine Auslegung, dass § 39 Abs. 6 KWG LSA nur für Parteien und Wählergruppen Geltung hat, könnte schon folgende gesetzessystematische Ableitung sprechen: Nach § 21 Abs. 5 KWG LSA darf der Wahlvorschlag eines Einzelbewerbers nur den Namen dieses Bewerbers enthalten. Wenn Einzelbewerber sich in Anwendung von § 21 Abs. 1 S. 2 und 3 KWG LSA verbinden, so gelten gemäß § 39 Abs. 4 S. 1 KWG LSA die verbundenen Wahlvorschläge nur im Verhältnis zu den übrigen Wahlvorschlägen als ein Wahlvorschlag. Die Gleichstellung des § 39 Abs. 4 S. 1 KWG LSA beschränkt sich daher nur auf die Ermittlung der Gesamtzahl der auf die einzelnen Wahlvorschläge entfallenden Sitze sowie auf die Sitzverteilung innerhalb des verbunden Wahlvorschlags.

Danach wird der fiktiv verbundene Wahlvorschlag der Einzelbewerber wieder zu einem Einzelwahlvorschlag im Sinne von § 21 Abs. 5 KWG LSA. Dies hätte zur Folge, dass das Gesetz, wenn es in § 39 Abs. 6 und 7 KWG LSA von einem Wahlvorschlag mit mehreren Bewerbern spricht, nur die Wahlvorschläge der Parteien und Wählergruppen meinen kann.

Zwingend folgt die Auslegung, dass die Reglung des § 39 Abs. 6 KWG LSA nur für Parteien und Wählergruppen gilt, jedoch aus dem Verfassungsrecht.

Würde man den Wahlvorschlag von Parteien und Wählergruppen gleich behandeln wie den Wahlvorschlag von Einzelbewerbern, die sich zu einem Wahlvorschlag verbunden haben, so würde dies dem Grundsatz der gleichen Wahl widersprechen. Dieser Grundsatz verlangt, dass die Stimme eines jeden Wahlberechtigten den gleichen Zählwert und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muss (vgl. BVerfG, Urt. 10.04.1997 - 2 BvF 1/95 -, BVerfGE 95, 335 [353], m. w. N.). Würde man § 39 Abs. 6 S. 1 KWG LSA auch auf Einzelbewerber im verbundenen Wahlvorschlag anwenden, wäre der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt, weil dann der Erfolgswert einer Stimme für einen Einzelbewerber im Gegensatz zur Stimme für einen Kandidaten einer Partei oder Wählergruppe unverhältnismäßig hoch wäre.

Für eine Ungleichbehandlung von Parteien und Wählergruppen einerseits zu den Wahlvorschlagsverbindungen andererseits besteht ein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung zwingend erfordert. Parteien und Wählergruppen sind programmatisch miteinander verbunden. Bewerber auf einer Wahlvorschlagsverbindung können völlig unabhängig voneinander agierende, programmatisch sogar gegensätzliche Einzelbewerber sein. Wer in den Gemeinderat gewählt wird, soll wenigstens ein Mindestmaß an Wählerakzeptanz im programmatischen Bereich vorweisen können. Einzelbewerbern wird mit der Möglichkeit einer Wahlvorschlagsverbindung ein wahltaktischer Vorteil geboten, obwohl es keine inhaltliche Verbindung zwischen ihnen gibt. Eine weitere Bevorzugung wie sie § 39 Abs. 5, 6 KWG LSA für Parteien und Wählergruppen vorsieht, wäre unter keinem Gesichtspunkt mehr gerechtfertigt.

Würde die Auffassung des Beklagten zutreffen und würde der zweimal vergebene Sitz nicht unbesetzt bleiben, sondern einem weiteren auf der Wahlvorschlagsverbindung enthaltenen Einzelbewerber zufallen, so würde dies bedeuten, dass ein Bewerber einen Gemeinderatssitz erhält, dessen Wahlvorschlag die Wählerinnen und Wähler aber nicht die dafür erforderliche Zahl der Stimmen gegeben haben, er also nicht entsprechend durch die Wahlberechtigten legitimiert wäre. Nach Absatz 6 des § 39 KWG LSA kann sogar ein Bewerber ohne Stimmen nachrücken.

Bei dem vom Beklagten begehrten weiteren zu besetzenden Sitz für die Wahlvorschlagsverbindung geht es nicht darum, einer Wählermehrheit zum Erfolg zu verhelfen, die sich auf eine Partei oder Wählergruppe konzentriert. Vielmehr soll gebündelten, nicht deckungsgleichen Wählerinteressen, die erst infolge des Verbunds die Stimmenmehrheiten hinter sich vereinigen, die Sitzmehrheit verschafft werden. Bei einer solchen bloßen "Zählgemeinschaft", wie sie die Wahlvorschlagsverbindung darstellt, besteht kein zwingender innerer Grund, den auf den Einzelbewerber innerhalb der Wahlvorschlagsverbindung entfallenden zweiten Sitz mit einem Bewerber der an der Wahlvorschlagsverbindung beteiligten Partei oder Wählergruppe zu besetzen; denn damit wird einem mehrheitlichen Wählerwillen nicht Rechnung getragen. Soweit sich die Wähler überhaupt bewusst für die Wahlvorschlagsverbindung, auf die auf dem Stimmzettel hinzuweisen ist, entschieden haben, haben sie die Wahlvorschlagsverbindung als "Auffangreservoir" (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.11.1991, a. a. O.) für eine ansonsten möglicherweise verlorengehende Stimme benutzt (so auch NdsOVG, Beschl. v. 18.09.2002 - 10 LA 132/02 -, NordÖR 2002, 474).

Von einer "Wahl" der Wahlvorschlagsverbindung im Wortsinn kann dagegen nicht die Rede sein; denn die Wähler haben jeweils innerhalb der Wahlvorschlagsverbindung Herrn F., Frau N. oder den Beigeladenen und gerade nicht jeweils die anderen Wahlvorschlagsträger in der Wahlvorschlagsverbindung gewählt. Es wäre sogar möglich, dass ein Wähler, der Herrn F. gewählt hat, auf keinen Fall sich von dem Beigeladenen wegen dessen politischen Überzeugungen im Rat vertreten lassen will.

Legt man die Wahlvorschriften für die Wahlvorschlagsverbindungen so aus, dann werden diesen auch nicht Wählerstimmen "weggenommen"; denn insoweit verkennt der Beklagte den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Wahlvorschlagsverbindung bei der Verteilung der zu vergebenden Sitze. Zwar will der Gesetzgeber die Wahlvorschlagsverbindung nach § 39 Abs. 4 S. 1 KWG LSA gegenüber den anderen Wahlvorschlägen als Einheit verstanden wissen. Diese Absicht orientiert sich aber ausschließlich an dem Zweck der besseren Reststimmenverwertung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.02.1961 - 2 BvR 63/61 -, BVerfGE 12, 200-205; BVerwG, Urt. v. 29.11.1991 - BVerwG 7 C 13.91 -; Buchholz 160 [Wahlrecht] Nr. 35) gegenüber den anderen Wahlvorschlägen mit mehreren Bewerbern. Soweit es wie hier durch die hohe Stimmzahl eines Einzelbewerbers innerhalb einer Wahlvorschlagsverbindung zu einem Reststimmenverlust kommt, ist diese Folge dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Wahlsystem immanent.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2; 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO. Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil grundsätzliche Fragen des Bundesrechts nicht zu klären sind, der Senat von keiner Entscheidung eines übergeordneten Gerichts abweicht und weil Verfahrensfehler nicht ersichtlich sind (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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