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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 02.06.2004
Aktenzeichen: 2 L 3/03
Rechtsgebiete: BauGB, LSA-KAG, AO, VwGO


Vorschriften:

BauGB § 1 IV
BauGB § 1 V
BauGB § 1 VI
BauGB § 125 II
BauGB § 131 I
BauGB § 133 II
LSA-KAG § 13 I Nr. 4b
AO § 169 II
AO § 170 I
VwGO § 162 II 2
1. Die Verjährung beginnt nicht bereits mit der endgültigen Herstellung der Anlage zu laufen; es müssen vielmehr alle Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht erfüllt sein.

2. Fehlte es für eine Straße, die nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, an der nach § 125 Abs. 2 BauGB alter Fassung notwendigen Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde, so wurde dieser Mangel (erst) durch die Rechtsänderung zum § 125 Abs. 2 BauGB geheilt, wonach die Anlage mit den Grundsätzen des § 1 Abs. 4-6 BauGB übereinstimmen muss.

3. Eines bestätigenden Ratsbeschlusses, dass die Planungsgrundsätze des § 1 BauGB eingehalten sind, wird es auch mit Blick auf § 1 Abs. 6 BauGB nicht bedürfen, der nicht nur die Richtigkeit des Abwägungsergebnisses, sondern auch eine Abwägung (im Rahmen des Abwägungsvorgangs) verlangt. Notwendig, aber wahrscheinlich auch ausreichend, ist eine verwaltungsinterne Dokumentation, die etwa in Aktenvermerken zum Ausdruck kommen kann.

4. Für den Beitrag haftet das "Buchgrundstück"; es kann aus mehreren Flurstücken bestehen, sofern diese im Grundbuch unter einer Nummer zusammengefasst sind.

5. Über die Frage, ob ein Bevollmächtigter im Vorverfahren notwendig war, ist nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss zu entscheiden.

Ist die Notwendigkeit durch Urteil verneint worden und wendet sich der Unterlegene dagegen mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, so ist dieser nur im Rahmen des § 124 Abs. 2 VwGO statthaft.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 3/03

Datum: 02.06.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 124a Abs. 4-6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO <Kosten> und auf § 13 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), <Streitwert>.

Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

Der Darlegungslast genügt nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt. Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Zulassungsantragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Daran fehlt es hier.

Ohne Erfolg machen die Kläger geltend, der von der Beklagten festgesetzte Beitrag sei zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide im Dezember 2000 bereits verjährt gewesen, weil die streitgegenständliche Stichstraße zur "H-Straße" bereits im Jahre 1993 fertiggestellt gewesen sei. Die Forderungsverjährung, d. h. die Verjährung des Anspruchs der Gemeinde auf Geltendmachung einer für ein bestimmtes Grundstück nach § 133 Abs. 2 BauGB entstandenen Beitragsforderung durch einen Beitragsbescheid, tritt zwar gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b) KAG-LSA i. V. m. §§ 169 Abs. 2, 170 Abs. 1 AO nach Ablauf von vier Jahren seit Ende des Kalenderjahres ein, in dem die Beitragsforderung entstanden ist (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl., § 19 RdNr. 35, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Für das Entstehen der Beitragsforderung ist aber nicht nur der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Erschließungsanlage endgültig hergestellt ist (§ 133 Abs. 2 BauGB), sondern es müssen darüber hinaus alle weiteren gesetzlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragsforderung erfüllt sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.09.1973 - BVerwG IV C 39.72 -, Buchholz 406.11 [BBauG] § 133 Nr. 46 S. 37 [39]). Diese Voraussetzungen lagen hier frühestens am 01.01.1998 vor mit der Folge, dass die streitgegenständliche Beitragsforderung frühestens mit Ablauf des Jahres 2002 und daher erst nach Erlass der angefochtenen Beitragsbescheide verjährte. Gemäß § 125 Abs. 2 des Baugesetzbuches in der (bis zum 31.12.1997) geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 08.12.1986 (BGBl. I S. 2253) - BauGB a. F. - durften nämlich in den Fällen, in denen - wie hier - ein Bebauungsplan nicht vorlag, Erschließungsanlagen grundsätzlich nur mit Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde hergestellt werden. An einer derartigen Zustimmung fehlt es hier jedoch. Der darin liegende formelle Mangel ist erst dadurch unerheblich geworden, dass das Zustimmungserfordernis nach § 125 Abs. 2 des Baugesetzbuches in der Fassung der Bekanntmachung vom 27.08.1997 (BGBl. I S. 2141, ber. BGBl. 1998 S. 137) - BauGB n. F. -, das am 01.01.1998 in Kraft trat, mit Wirkung von diesem Tage entfallen ist. Dieser Wegfall des Zustimmungserfordernisses durch Gesetzesänderung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 26.11.2003 - BVerwG 9 C 2.03 -, NVwZ 2004, 483) -- der sich der Senat insoweit anschließt - wie eine nachträgliche Erfüllung mit heilender Wirkung zu behandeln.

Konnte mithin die Beitragspflicht frühestens mit dem Wegfall des Zustimmungserfordernisses am 01.01.1998 entstehen und damit die streitgegenständliche Beitragsforderung frühestens mit Ablauf des Jahres 2002, also nach Erlass der streitgegenständlichen Bescheide, verjähren, kann dahinstehen, ob die Verjährung stattdessen erst mit Ablauf des Jahres 2004 eintreten wird, weil es - wie die Beklagte vorträgt - für die Entstehung der Beitragspflicht auf ihren Ratsbeschluss vom 10.07.2000 ankomme, mit dem sie festgestellt habe, dass die Herstellung der streitgegenständlichen Stichstraße in Übereinstimmung mit den Grundsätzen nach § 1 Abs. 4 - 6 BauGB stehe. Der Senat weist insoweit allerdings klarstellend darauf hin, dass § 125 Abs. 2 BauGB n. F. lediglich das materiellrechtliche Erfordernis normiert, dass die Herstellung von Erschließungsanlagen, wenn ein Bebauungsplan nicht vorliegt, den in § 1 Abs. 4 bis 6 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen muss (BVerwG, Urt. v. 26.11.2003, a. a. O.). Die insoweit wichtigste materiellrechtliche Bindung ist hierbei das in § 1 Abs. 6 BauGB geregelte Abwägungsgebot, das sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang bezieht, also insbesondere darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang "herauskommt" (BVerwG, Urt. v. 26.11.2003, a. a. O.). Für den Abwägungsvorgang bedarf es jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten keines Ratsbeschlusses, sondern lediglich einer verwaltungsinternen Dokumentation, die etwa in Aktenvermerken der Gemeinde zum Ausdruck kommen kann (BVerwG, Urt. v. 26.11.2003, a. a. O.). Da eine derartige verwaltungsinterne Dokumentation nicht vorliegt, dürfte hier allerdings auf den Beschluss des Gemeinderates der Beklagten vom 10.07.2000 abzustellen sein.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehen auch nicht deshalb, weil das Verwaltungsgericht angenommen hat, die Beklagte habe das Grundstück der Kläger zu Recht mit seiner gesamten Fläche berücksichtigt. Für die Beantwortung der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine bestimmte Grundstücksfläche gemäß § 131 Abs. 1 BauGB an der Aufwandsverteilung teilnimmt, ist im Tatbestandsmerkmal "Grundstück" auf das sog. Buchgrundstück abzustellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.08.1996 - BVerwG 8 C 34.94 -, BVerwGE 101, 382), d. h. auf den räumlich abgegrenzten Teil der Erdoberfläche, der im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchblattes unter einer besonderen Nummer gebucht ist (vgl. Bassenge, in: Palandt, BGB, 57. Aufl., Überblick vor § 873 RdNr. 1). Dies ist hier die aus den beiden Flurstücken ... und ... bestehende, jedoch unter einer Nummer im Grundbuch verbuchte Gesamtfläche des klägerischen Grundstücks. Zwar können sich von Fall zu Fall gewisse räumliche Eingrenzungen aus dem in § 131 Abs. 1 BauGB enthaltenen Tatbestandsmerkmal "erschlossen" ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.08.1996, a. a. O.). Eine solche begrenzte Erschließungswirkung ist jedoch nur in bestimmten Fallkonstellationen anerkannt, etwa wenn - was hier allein in Betracht kommt - ein zwischen zwei (nahezu) parallel verlaufenden Anbaustraßen liegendes "durchlaufendes" Grundstück nach den bebauungsrechtlichen Vorgaben eindeutig erkennbar an jeder der beiden Straßen selbständig und ungefähr gleichgewichtig bebaubar ist, d. h. wenn sich aufgrund der bebauungsrechtlichen Gegebenheiten der Eindruck aufdrängt, unter diesem Blickwinkel handele es sich um zwei voneinander vollauf unabhängige Grundstücke (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.04.1994 - BVerwG 8 C 18.92 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 131 Nr. 91). Ein derartiger Fall ist hier jedoch bereits deshalb nicht gegeben, weil das Grundstück der Kläger nicht an zwei parallel verlaufende Straßen angrenzt, sondern der streitgegenständliche Stichweg etwa rechtwinklig zu der an das Flurstück ... angrenzenden "K-Straße" verläuft. Abgesehen davon sind die beiden Flurstücke der Kläger auch nicht ungefähr gleichgewichtig bebaubar; dies folgt bereits aus ihrer unterschiedlichen Umgebungsbebauung, aber auch aus ihrer voneinander abweichenden Erschließungssituation.

Die Kläger können schließlich auch nicht mit ihrem Einwand durchdringen, das Verwaltungsgericht hätte die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren auch hinsichtlich der Klägerin zu 1) für notwendig erklären müssen.

Der Antrag ist zwar auch insoweit zulässig. Insbesondere steht seiner Zulässigkeit nicht entgegen, dass gegen die Entscheidung, die Zuziehung eines Bevollmächtigten insoweit nicht für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), an sich die Beschwerde und nicht der Antrag auf Zulassung der Berufung auch dann statthaft ist, wenn die Entscheidung - wie hier - nicht durch gesonderten Beschluss, sondern im Tenor des Urteils erfolgt ist (vgl. Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Abedyll, VwGO, 2. Aufl., § 162 RdNr. 15, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Ist die Entscheidung jedoch im Urteil erfolgt und hat das Verwaltungsgericht - wie hier - in seiner Rechtsmittelbelehrung nicht auf das statthafte Rechtsmittel der Beschwerde hingewiesen, ist nach dem Grundsatz der "Meistbegünstigung" (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., Vorb. zu § 124 RdNr. 22) auch das gegen das Urteil statthafte Rechtsmittel, also der Antrag auf Zulassung der Berufung im Sinne der §§ 124, 124a VwGO, zulässig.

Der Antrag ist jedoch nicht begründet, weil die Kläger die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auch insoweit nicht hinreichend dargelegt haben (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Es spricht zwar Einiges dafür, dass die Voraussetzungen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch hinsichtlich der Klägerin zu 1) vorgelegen haben. Insbesondere hat auch im Hinblick auf sie "ein Vorverfahren geschwebt", weil auch sie gegen die streitgegenständlichen Bescheide Widerspruch erhob und auch ihr gegenüber ein Widerspruchsbescheid erlassen wurde. Auch dürfte die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auch für sie notwendig gewesen sein, weil die angefochtenen Ausgangsbescheide zwar nicht an sie adressiert sind, aber sie als Beitragsschuldnerin zu 1/2 ausweisen, weshalb zumindest nicht auszuschließen ist, dass auch sie durch die Bescheide möglicherweise in ihren Rechten verletzt ist (§ 42 Abs. 2 VwGO). Diese Gründe haben die Kläger aber nicht "schlüssig" beschrieben. Ihre Ausführungen beschränken sich vielmehr auf eine Wiedergabe der Urteilsgründe und die unzutreffende Aussage, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts seien hinsichtlich der Zulässigkeit der Klage rechtsfehlerhaft.

Ende der Entscheidung

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