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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 27.10.2003
Aktenzeichen: 2 L 323/00
Rechtsgebiete: LSA-GO, BauGB


Vorschriften:

LSA-GO § 22 I
LSA-GO § 25 I 1
LSA-GO § 25 II 3
LSA-GO § 25 IV 3
LSA-GO § 4
LSA-GO § 26 II 1
LSA-GO § 2
LSA-GO § 2 III Nr. 7
LSA-GO § 2 IV 1
LSA-GO § 44 I
BauGB § 205
1. Inhalt des Bürgerbegehrens muss eine konkrete Fragestellung sein; nur allgemeine Handlungsanweisungen an den Gemeinderat, den Bürgermeister oder gar einen Planungsverband, dem die Gemeinde angehört, reichen nicht aus.

2. Gegenstand des Bürgerbegehrens kann nur eine eigene Angelegenheit der Gemeinde sein.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 323/00

Datum: 27.10.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 124a; 124 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, geändert durch Gesetz vom 01.11.1996 (BGBl I 1626) und zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.07.2001 (BGBl I 1543) - wegen der durch das Änderungsgesetz vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) als § 194 Abs. 1 VwGO eingefügten Übergangsregelung auf diesen Fall noch anwendbar -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO (Kosten) und auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG (Streitwert).

1. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen; denn diese sind nicht hinreichend dargelegt worden (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Der Darlegungslast genügt nur, wer den "Grund" benennt, der ausnahmsweise die Zulassung rechtfertigt, und dessen Voraussetzungen "schlüssig" beschreibt. Dazu gehört bei § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, dass belegt wird, es beständen gerade "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit" der angefochtenen Entscheidung. Dies verlangt zunächst, dass der Antrag einzelne tatsächliche Feststellungen des Gerichts oder Elemente der rechtlichen Ableitung konkret bezeichnet, die beanstandet werden sollen, sowie zusätzlich, dass aufgezeigt wird, aus welchem Grund die konkrete Passage ernstlichen Zweifeln begegnet. Da § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO außerdem verlangt, dass ernstliche Zweifel an der "Richtigkeit" des Ergebnisses bestehen, muss der Zulassungsantragsteller ferner darlegen, dass das Gericht bei Vermeidung der gerügten Fehler zu einer anderen, für den Rechtsmittelführer positiven Entscheidung gelangt wäre. Daran fehlt es hier.

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das beantragte Bürgerbegehren schon formell unzulässig ist; denn es genügt bereits nicht den Anforderungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt - GO LSA - vom 05.10.1993 (LSA-GVBl., S. 568), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [136 <Nr. 53>]). Hiernach kann die Bürgerschaft über eine wichtige Gemeindeangelegenheit (§ 26 Abs. 2 GO LSA) im Wege des Bürgerbegehrens einen Bürgerentscheid beantragen. Daran fehlt es; denn das Bürgerbegehren zielt entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht auf eine eigene Sachentscheidung der Bürgerschaft.

Mit der in § 25 Abs. 1 Satz 1 GO LSA gewählten Formulierung hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass den Bürgern im Wege des Bürgerbegehrens und des nachfolgenden Bürgerentscheids die Befugnis zu eigenständiger Sachentscheidung überantwortet werden soll. Mit der intendierten Mitwirkung der Bürgerschaft an kommunalen Entscheidungen ist mithin nicht eine mehr oder weniger unverbindliche Meinungsäußerung oder die Kundgabe der Unterstützung bestimmter Anliegen, sondern eine konkrete Sachentscheidung gemeint. Das Bürgerbegehren steht zudem in engem sachlichen Zusammenhang mit dem Bürgerentscheid, der bei einer die Zulässigkeit bejahenden Entscheidung des Gemeinderates durchzuführen ist (§ 25 Abs. 4 Satz 3 GO LSA). Der Bürgerentscheid trifft eine abschließende Entscheidung der Bürgerschaft über eine bestimmte Sachfrage und steht im Erfolgsfall in seiner Wirkung einem entsprechenden Gemeinderatsbeschluss gleich (§ 26 Abs. 4 Satz 1 GO LSA). Das Bürgerbegehren wird in § 25 Abs. 1 GO LSA als der Antrag der Bürger auf diese - einen Gemeinderatsbeschluss ersetzende - Entscheidung definiert. Die mit diesem Antrag zum Ausdruck gebrachte Fragestellung ist auch dem Bürgerentscheid zu Grunde zu legen.

Dies schließt für das Bürgerbegehren eine Fragestellung aus, die sich nicht auf eine Entscheidung in der Sache, sondern auf eine lediglich resolutionsartige Unterstützung oder Ablehnung eines bestimmten Anliegens richtet. Dem steht nicht entgegen, dass sich der Gemeinderat im Rahmen seiner Zuständigkeit in einem von ihm zu treffenden Beschluss darauf beschränken darf, allgemeine Ziele und Absichten zu formulieren, ohne stets eine Entscheidung in der Sache zu treffen; denn § 44 Abs. 1 GO LSA überantwortet dem Gemeinderat die Allzuständigkeit für grundsätzlich alle Angelegenheiten der Gemeinde. Dies beinhaltet die Befugnis zu umfassender Beschlussfassung. Im Unterschied hierzu knüpft die in § 25 Abs. 1 GO LSA gewählte gesetzliche Formulierung an eine konkrete durch die Bürgerschaft zu treffende Sachentscheidung an.

Einen solchen Bezug zu einer konkreten Sachentscheidung lässt die Formulierung des klägerischen Bürgerbegehrens nicht erkennen. Sie beschränkt sich auf die bloße Kundgabe einer Meinung und allgemeinen Handlungsanweisungen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellt - an die Gemeinde und/oder deren Bürgermeister, ohne dass deutlich wird, was Folge eines entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses oder eines erfolgreichen Bürgerentscheids wäre. Diese in der Formulierung des Begehrens angelegte Unsicherheit wird nicht dadurch relativiert, dass es nach den Angaben des Klägers mit dem Bürgerbegehren um die Verhinderung eines der größten Windindustriegebiete in der umliegenden Landschaft gehe und sich der hochkomplexe Sachverhalt letztlich nicht vollständig in einem Bürgerbegehren darstellen lasse; denn selbst in diesem Fall bzw. gerade deswegen bleibt unklar, was im Erfolgsfall zu veranlassen wäre. Auch wird nicht deutlich, durch wen etwas zu veranlassen ist; denn das Bürgerbegehren bezieht sich auf Maßnahmen der Gemeinde, deren Bürgermeister und des Planungsverbands und will letztlich Einfluss nehmen auf alle Entscheidungsprozesse zum Windpark Badingen/Querstedt. Dies entspricht allerdings nicht den formellen Anforderungen, die §§ 25; 26 GO LSA an die Beantragung eines Bürgerbegehrens stellt (vgl. auch OVG NW, Urt. v. 09.12.1997 - 15 A 974/97 -, DVBl. 1998, 785 [786]).

Zwar mögen zur Vermeidung übergroßer Hürden auf dem Weg zur Mitentscheidung der Bürgerschaft gewisse Ungenauigkeiten der Formulierung des Anliegens hinzunehmen sein. Der Gegenstand der Entscheidung muss sich aber stets unzweideutig aus dem Text des Bürgerbegehrens ergeben; denn dieser ist Grundlage sowohl der Entscheidung des einzelnen Bürgers für oder gegen das Bürgerbegehren als auch der des Gemeinderates über die Feststellung der Zulässigkeit des Begehrens oder eine diesem entsprechende eigene Entscheidung (§ 25 Abs. 4 Satz 4 GO LSA) sowie eines Bürgerentscheids (§ 26 Abs. 4 GO LSA). Lässt der Text - wie vorliegend - eine auf eine konkrete Sachentscheidung gerichtete Fragestellung (§ 25 Abs. 2 Satz 3 G LSA) nicht erkennen, ist das Bürgerbegehren unzulässig.

Der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass das Bürgerbegehren selbst dann auch materiell unzulässig wäre, wenn es auf eine Entscheidung über das "Ja" oder "Nein" der Errichtung eines Windparks gerichtet wäre; denn nicht die Beklagte ist Trägerin der dem verfolgten Ziel zugrunde liegenden Aufgabe, sondern gemäß § 205 Abs. 1 Satz 2 des Baugesetzbuchs - BauGB 98 - i. d. F. d. Bek. v. 27.08.1997 (BGBl I 2141, ber.: BGBl. 1998 I 137), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.07.2002 (BGBl I 2850 [2852]), der Planungsverband Kläden.

Mit Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass es insoweit nur um Entscheidungen in der Zuständigkeit der Gemeinde über die Einrichtung selbst gehen kann. Das legt der Zusammenhang dieser Bestimmung mit dem allgemeinen Einwohnerrecht aus § 22 Abs. 1 GO LSA nahe, die "Einrichtungen der Gemeinde" zu benutzen. Dass es sich um solche "Grundentscheidungen" über die Einrichtung selbst handeln soll, ergibt sich auch aus § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GO LSA selbst, wonach die "Errichtung", die "wesentliche Erweiterung" und die "Aufhebung" der Einrichtung Tatbestandsmerkmal sind. Diesen Bedeutungsgehalt der Vorschrift kann die Antragsschrift nicht mit ihren Hinweisen auf die Befassungsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte der Gemeinde selbst in Frage stellen. Vielmehr gilt: Soweit sich die Kommune mit dem Gegenstand überhaupt nicht "befassen" darf, ist das Bürgerbegehren bereits nach § 26 Abs. 3 Nr. 7 GO LSA ausgeschlossen. Darf sich die Kommune "befassen", so kann es sich um eine kraft Gesetzes "wichtige" Angelegenheit i. S. des § 26 Abs. 2 Satz 1 GO LSA handeln, sie kann durch örtliches Satzungsrecht auf der Grundlage des § 26 Abs. 2 Satz 2 GO LSA innerhalb der Grenzen des § 26 Abs. 3 GO LSA gleichgestellt werden oder sie kann mangels einer dieser Voraussetzungen eine "einfache" Angelegenheit sein, die dann keiner Bürgermitwirkung unterliegt (vgl. schon OVG LSA, Beschl. v. 07.05.1999 - A 2 S 236/99 -, zu den insoweit gleichlautenden Regelungen in der Landkreisordnung für das Land Sachsen-Anhalt - LKO LSA - vom 05.10.1993 [LSA-GVBl., S. 598]).

Die Antragsschrift legt insoweit allerdings nicht dar, weshalb die bloße "konstitutive Beteiligung" der Gemeinde so gewichtig ist, dass sie dem Fall des § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GO LSA gleich zu achten ist.

2. Diese Gesichtspunkte führen gleichzeitig dazu, dass sich auch die Zulassungsgründe der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), die der Kläger im Übrigen nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 1 Satz 4 VwGO gerecht werdenden Weise darlegt, nicht mit Erfolg begründen lassen.

Ende der Entscheidung

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