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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 08.10.2003
Aktenzeichen: 2 L 325/03
Rechtsgebiete: AsylVfG, VwGO, GG


Vorschriften:

AsylVfG § 77 II
AsylVfG § 78 III 3
VwGO § 56 I
VwGO § 67 III 2
VwGO § 138 Nr 3
GG Art. 103 I
1. Wird der bislang nicht anwaltlich vertretene Asylbewerber zur mündlichen Verhandlung unmittelbar geladen, so muss die Ladung gegenüber dem neu hinzutretenden Rechtsanwalt nicht wiederholt werden. Gleiches gilt, wenn der schon bestellte Bevollmächtigte dem Gericht zum Zeitpunkt der Ladung noch nicht bekannt war.

2. Die Urteilsbegründung verstößt nicht gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs, wenn sie nach § 77 Abs. 2 AsylVfG auf den angefochtenen Bundesamtsbescheid verweist, sofern im Klageverfahren nichts substanziell Neues vorgetragen worden ist.

3. Über den Verfahrensfehler des § 138 Nr. 3 VwGO kann nicht beanstandet werden, dass das Gericht Tatsachen unrichtig festgestellt oder gewürdigt hat.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 L 325/03

Datum: 08.10.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf §§ 78 Abs. 3 - 5; 83b des Asylverfahrensgesetzes - Asyl-VfG - i. d. F. d. Bek. v. 27.07.1993 (BGBl I 1361), geändert durch Gesetz vom 02.08.1993 (BGBl I 1442), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 (BGBl I 361 [371]), und auf § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987).

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg; denn der allein geltend gemachte Zulassungsgrund gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO ist nicht gegeben.

1. Insoweit macht die Klägerin zunächst geltend, zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 11.04.2003 nicht ordnungsgemäß geladen worden zu sein. Eine Versagung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch Verstoß gegen die Vorschriften über die Ladung zur mündlichen Verhandlung liegt indes nicht vor.

Die Terminsladung des Verwaltungsgerichts ist der Klägerin ausweislich der vorliegenden Postzustellungsurkunde am 14.03.2003 ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt worden. Einer erneuten Zustellung der Ladung an die spätere Prozessbevollmächtigte der Klägerin gemäß §§ 56 Abs. 1; 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO bedurfte es nicht, weil dem Verwaltungsgericht im Zeitpunkt der Ladung am 10.03.2003 die Bestellung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht bekannt war; diese hatte nämlich erst mit Schreiben vom 10.03.2003, bei Gericht eingegangen am 12.03.2003, ihre Bevollmächtigung angezeigt. Eine Zustellung, die entgegen § 67 Abs. 3 Satz 2 VwGO an den Beteiligten selbst erfolgt, ist nämlich erst dann unwirksam, wenn dem Gericht die Bestellung des Bevollmächtigten unter Vorlage einer Vollmacht mitgeteilt wurde oder jedenfalls bekannt war (VGH BW, Beschl. v. 14.06.1995 - A 14 S 355/95 -, VGHBW-Ls 1995, Beilage 8, B2; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 13. Aufl., § 67 RdNr. 61, m. w. N.).

Im Übrigen könnte sich die Klägerin auch auf einen etwaigen Gehörsverstoß nicht berufen; denn sie hat in ihrer Antragsschrift nicht dargelegt, zunächst selbst alles ihr Mögliche versucht zu haben, um sich Gehör zu verschaffen (Kopp/Schenke, VwGO, 12. Aufl., § 138 RdNr. 19 [m. w. Nachw.]; Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, § 138 RdNr. 48 [m. w. Nachw.]; Berlit, in: GK-AsylVfG § 78 RdNrn. 276 ff [m. w. Nachw.]; Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., AsylVfG § 78 RdNr. 32 [m. w. Nachw]; vgl. auch: OVG LSA, Beschl. v. 16.01.1995 - 2 L 10/95 -; Beschl. v. 04.05.1995 - 2 L 54/95 -). Insoweit hätte es zumindest einer Darlegung bedurft, warum die persönlich zum Termin erschienene Klägerin nicht in der Lage war, der fehlenden Vertretung wegen um Vertagung zu bitten (BVerwG, Beschl. v. 27.07.1984 - 9 CB 446.82 -, [juris]).

2. Die Klägerin vermag mit ihrer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs auch nicht durchzudringen, soweit sie vorträgt, das Verwaltungsgericht habe wesentliches Vorbringen nicht berücksichtigt.

Der Senat hat wiederholt entschieden (vgl. z. B.: OVG LSA, Beschl. v. 01.08.1996 - A 2 S 332/96 -), schon einfaches Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2, 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) verlange nicht, dass sich die Entscheidungsgründe mit jeder Einzelheit des Vorbringens befassten; es genüge die Angabe der Gründe, "die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind". Der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet dem Gericht gleichfalls nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, Beschl. v. 17.11.1992 - 1 BvR 168,1509/89, 638,639/90 -, BVerfGE 87, 363 [392 f]). Art. 103 Abs. 1 GG fordert allein, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 [145]). Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn das Gericht gegen diesen Grundsatz erkennbar verstoßen hat; das Bundesverfassungsgericht geht grundsätzlich davon aus, dass ein Gericht dem Verfassungsgebot entsprochen hat (BVerfGE 86, 133 [146]; 87, 363 [392]). Als Indiz für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst anzusehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Parteivortrags zu einer Frage von zentraler Bedeutung nicht eingegangen ist, sofern das Vorbringen vom Gericht nicht für unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert gehalten wird (BVerfGE 86, 133 [146]; BVerfG, Beschl. v. 16.07.1997 - 2 BvR 570/96 -, NVwZ 1998, 1). Was "wesentlich", "unerheblich", "substantiiert" ist, muss nicht vom Standpunkt der vortragenden Partei aus, sondern nach objektiven Kriterien beurteilt werden.

Diese auch vom Bundesverwaltungsgericht anerkannten Grundsätze (BVerwG, Beschl. v. 27.05.1988 - BVerwG 9 CB 19.88 -, NVwZ 1989, 249) gelten nicht nur für das allgemeine Verfahren, sondern gleichermaßen für das Asylrecht; sie lassen ferner in diesem Rahmen auch die Verwendung sog. Bausteine zu (Marx, AsylVfG, 4. Aufl. § 78 RdNrn. 330 f; Berlit, in: GK-AsylVfG, § 78 RdNrn. 478 ff [489]; OVG Hamburg, Beschl. v. 03.03.1999 - 4 Bf 264/98 -, JURIS [vor allem zur Verwendung "unrichtiger" Bausteine]; HessVGH, Beschl. v. 26.08.1984 - 10 UE 1528/84 -, NJW 1984, 2429 [unter Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 01.02.1982 - BVerwG 9 B 13015.81 -], kritisch hierzu: Schenk, in: Hailbronner, Ausländerrecht, AsylVfG § 78 RdNr. 130). Ob eine solche "schematische" Bescheidung des Vorbringens noch innerhalb der durch den Grundsatz rechtlichen Gehörs gezogenen Grenzen bleibt, ist vom Einzelfall abhängig.

Die Antragsschrift meint, das Verwaltungsgericht habe sich mit dem Vorbringen der Klägerin über ihre Furcht vor Beschneidung nicht auseinander gesetzt, sondern allein auf die für ihren Fall völlig unerhebliche allgemeine politische Lage abgestellt. Dieses Vorbringen vermag die Zulassung wegen Verletzung rechtlichen Gehörs nicht zu rechtfertigen. Das angefochtene Urteil verweist hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin zu ihrer Beschneidungsfurcht mit Hilfe von § 77 Abs. 2 AsylVfG ohne Rechtsverstoß auf die Feststellungen und die Begründung des angefochtenen Bundesamtsbescheids vom 22.03.2002. Eine Erweiterung war nicht geboten, weil sich im Laufe des Klageverfahrens, insbesondere im Termin zur mündlichen Verhandlung, der Vortrag der Klägerin zu ihrem Asylschicksal in seinem Kern nicht verändert hat. Das Bundesamt hat den Vortrag der Klägerin in seinem Bescheid umfassend gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie ihr Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe, weil Zwangsbeschneidungen in der Elfenbeinküste strafrechtlich verfolgt würden und Frauen, die sich der Beschneidung entziehen wollten, Beratung und informelle Unterstützung bekämen (S. 3 und 4 des Bundesamtsbescheids). Unter diesen Umständen bestehe auch keine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 des Ausländergesetzes - AuslG - (= Art. 1 des Gesetzes vom 09.07.1990 [BGBl I 1354], geändert durch Gesetz vom 30.06.1993 [BGBl I 1062], zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 [BGBl I 361 <368>]), hinsichtlich der von ihr behaupteten drohenden Zwangsbeschneidung (S. 7 des Bundesamtsbescheids). Bei dieser Sachlage war das Verwaltungsgericht nicht gehalten, nochmals mit eigenen Worten das Vorbringen der Klägerin zu würdigen.

Dass das Gericht bei dieser Konstellation Sätze benutzt, die im gleichen Wortlaut in mehreren Entscheidungen verwendet werden, liegt in der Natur der Sache. Wenn vernünftige Gründe dafür sprechen, allgemeine rechtliche Ausführungen, die für eine Vielzahl in etwa identischer Fälle die gleichen sind, auch in wörtlich übereinstimmender Weise abzuhandeln, so ist dies nicht zu beanstanden.

Soweit die Antragsschrift die angeblich fehlerhafte Würdigung der Tatsachen durch das Verwaltungsgericht rügt, führt dies nicht zur Zulassung der Berufung; denn die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist insbesondere von vornherein nicht geeignet, eine - vermeintlich - fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhaltes einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn der Richter im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit zur Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zu einer möglicherweise unrichtigen Tatsachenfeststellung gekommen ist (BVerfG, Beschl. v. 19.07.1967 - 2 BvR 639/66 -, BVerfGE 22, 267 [273f]; Beschl. v. 04.04.1991 - 2 BvR 1497/90 -, InfAuslR 1991, 262 [263], ständige Rechtsprechung des Senates, z. B.: A 2 S 54/98).

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