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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 11.09.2007
Aktenzeichen: 2 L 328/06
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 119
VwGO § 124a Abs. 4
VwGO § 58 Abs. 2
VwGO § 60 Abs. 1
1. Ein Berichtigungsverfahren hat auf den Ablauf einer Rechtsmittelfrist grundsätzlich keinen Einfluss. Anders liegt es nur dann, wenn erst durch die Berichtigung klargestellt wird, dass eine Beschwer vorliegt, insbesondere wenn das zunächst zugestellte Urteil insgesamt nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Parteien und für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden, oder wenn der Beteiligte bei Rückforderung der Urteilsausfertigung zwecks Berichtigung nicht erkennen konnte, in welchem Umfang eine Berichtigung vorgenommen werden würde.

2. Ein Rechtsmittel kann nicht als unzulässig, weil verspätet begründet, verworfen werden, wenn eine Urteilsausfertigung vom Gericht innerhalb der Rechtsmittelfrist zwecks Berichtigung zurückerbeten wird; in diesem Fall beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung zu laufen. Diese Rechtsfolge tritt aber nicht ein, wenn die Rechtsmittelfrist im Zeitpunkt der Rückforderung bereits abgelaufen war.

3. Belehrt das verwaltungsgerichtliche Urteil über das zweistufig aufgebaute Berufungszulassungsverfahren nach § 124a Abs. 4 VwGO hinsichtlich des zweiten Teils unrichtig - VG statt OVG als Adressat der Begründung -, löst die Unrichtigkeit insoweit die Rechtsfolge des § 58 Abs. 2 VwGO nicht auch schon für die Antragstellung aus; für die Stellung des Zulassungsantrags gilt vielmehr die Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO (wie VGH BW, Beschl. v. 12.03.2007 - 5 S 2405/06 -, NJW 2007, 2347).

4. Ein Rechtsirrtum oder Rechtsunkenntnis kann eine Fristversäumung grundsätzlich nicht entschuldigen. Ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter, zuverlässiger Weise juristischen Rat holen. Irrt ein Rechtsunkundiger über den Beginn einer Rechtsmittelfrist und das Rechtsschutzinteresse für einen Antrag auf Zulassung der Berufung und verzichtet er auf die Einholung fachkundigen Rates, ist eine dadurch bedingte Versäumung der Rechtsmittelfrist nicht unverschuldet.


Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zu verwerfen; denn die Klägerin hat den Antrag nicht fristgerecht gestellt. Nach § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Zulassung der Berufung, wenn sie - wie hier - nicht durch das Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Die Monatsfrist ist hier gegenüber der Klägerin durch die Zustellung des Urteils am 21.07.2006 wirksam in Lauf gesetzt worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Frist auf Grund des sich anschließenden Berichtigungsverfahrens und der Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigungen am 20.09.2006 und 11.10.2006 nicht erneut zu laufen begonnen.

Ein Berichtigungsverfahren hat auf den Ablauf einer Rechtsmittelfrist grundsätzlich keinen Einfluss; anders liegt es nur dann, wenn erst durch die Berichtigung klargestellt wird, dass eine Beschwer vorliegt, insbesondere wenn das zunächst zugestellte Urteil insgesamt nicht klar genug war, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Parteien und für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden, oder wenn der Beteiligte bei Rückforderung der Urteilsausfertigung zwecks Berichtigung nicht erkennen konnte, in welchem Umfang eine Berichtigung vorgenommen werden würde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.1996 - 3 B 55.96 -, Buchholz 310 § 133 (n. F.) VwGO Nr. 23, m. w. Nachw.; BGH, Beschl. v. 12.02.2004 - V ZR 125/03 -, FamRZ 2004, 1021; Beschl. v. 27.06.1995 - VI ZB 8/97 -, VersR 1996, 214, m. w. Nachw.). Einer dieser Ausnahmefälle ist hier nicht gegeben.

Das Verwaltungsgericht hat im Berichtigungsbeschluss vom 18.09.2006 lediglich den Tatbestand dergestalt berichtigt, dass es die Bezeichnung der das Grundstück der Beigeladenen erschließenden Straße "P-weg" durch die Bezeichnung "P-gang" ersetzt hat. Im Übrigen hat es den Berichtigungsantrag der Klägerin abgelehnt. Es liegt auf der Hand, dass durch diese Berichtigung eine Beschwer der Klägerin nicht erst erkennbar wurde. Es sind auch keine Umstände dargetan oder sonst erkennbar, weshalb das zunächst zugestellte Urteil insgesamt nicht klar genug gewesen sein könnte, um die Grundlage für die Entschließungen und das weitere Handeln der Klägerin und für die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu bilden.

Auch der Umstand, dass das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 28.08.2006 zwecks Berichtigung und später nochmals mit Schreiben vom 28.09.2006 und 12.10.2006 zum Zwecke der Übersendung einer neuen (vollständigen) Urteilsausfertigung die bisher übersandten Ausfertigungen zurückgefordert hat, führt nicht dazu, dass die Rechtsmittelfrist erneut in Lauf gesetzt worden wäre. Zwar kann ein Rechtsmittel nicht als unzulässig, weil verspätet begründet, verworfen werden, wenn eine Urteilsausfertigung vom Gericht innerhalb der Rechtsmittelfrist zwecks Berichtigung zurückerbeten wird; in diesem Fall beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung der berichtigten Urteilsausfertigung zu laufen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.03.1991 - 7 B 30.01 -, NVwZ 1991, 681; Beschl. v. 04.09.1992 - 5 B 78.92 -, Buchholz 310 § 133 VwGO (n.F.) Nr. 5; BSG, Beschl. v. 28.01.2004 - B 6 KA 95/03 B -, NZS 2005, 51; OVG Hamburg, Beschl. v. 13.09.1995 - Bf III 10/95 -, Juris). Diese Grundsätze gelten für die Berichtigung nach § 118 VwGO wie nach § 119 VwGO gleichermaßen (vgl. BGH, Beschl. v. 12.02.2004, a. a. O.; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 118 RdNr. 7, § 119 Rdnr. 7). Sie lassen sich mit der Erwägung rechtfertigen, dass für den Betroffenen im Zeitpunkt, in dem die Ausfertigung zurückerbeten wird, in der Regel nicht erkennbar ist, wie wesentlich die Berichtigungen sein und welchen Einfluss sie auf die Begründung des von ihm etwa beabsichtigten Rechtsmittels haben können; unter diesen Umständen darf der Betroffene den Eingang der berichtigten Ausfertigung abwarten und von diesem Zeitpunkt an die Frist zur Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels voll ausschöpfen, da die Rechtsmittelfrist auch eine Überlegungsfrist ist, ob und mit welcher Begründung ein zulässiges Rechtsmittel eingelegt werden soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.03.1991, a. a. O.).

Der konkrete Fall liegt aber anders. Die Ausfertigungen wurden erst zurückgefordert, nachdem die Rechtsmittelfrist - am 21.08.2006 - bereits abgelaufen war. Das Zurückfordern der Ausfertigung des - rechtskräftigen - Urteils mag zwar bei einem Beteiligten nachträglich Zweifel begründen, ob ein Rechtsmittel möglicherweise nicht doch Erfolg versprechend gewesen wäre; ist aber die Rechtsmittelfrist bereits abgelaufen, besteht kein Raum mehr für die Überlegung, ob und mit welcher Begründung ein - noch mögliches - Rechtsmittel eingelegt werden soll. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses verdeutlicht der Vergleich mit der Rechtslage bei der - den Urteilsinhalt in der Regel stärker verändernden - Urteilsergänzung nach § 120 VwGO. Gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 518 ZPO (n. F.) beginnt bei einer Urteilsergänzung die Rechtsmittelfrist gegen das zuerst ergangene Urteil nur dann mit der Zustellung des ergänzten Urteils von neuem zu laufen, wenn die Ergänzung innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgt (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 13.01.1989 - 4 CB 24.88 -, NVwZ-RR 1989, 519). Das Ergebnis steht schließlich auch in Einklang mit dem Grundsatz, dass eine bereits abgelaufene Rechtsmittelfrist durch eine erneute Zustellung nicht von neuem zu laufen beginnt (vgl. BAG, Beschl. v. 06.08.1997 - 2 AZB 17/97 -, NJW 1998, 774).

Der bloße Berichtigungsantrag lässt die Rechtsmittelfrist in der Hauptsache hingegen unberührt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 118 RdNr. 11, m. w. Nachw.). Andernfalls könnte der (spätere) Rechtsmittelführer die Rechtsmittelfrist allein mit der Stellung eines Berichtigungsantrags verlängern. Das Verwaltungsgericht war auch nicht - wie die Klägerin meint - auf Grund einer "Ehren- und Fürsorgepflicht" - gehalten, über den am Freitag, dem 04.08.2006 eingegangenen Berichtigungsantrag noch innerhalb der Rechtsmittelfrist zu entscheiden. Vor einer Berichtigungsentscheidung muss den (übrigen) Verfahrensbeteiligten regelmäßig rechtliches Gehör gewährt werden, es sei denn, die Berichtigung betrifft eine bloße Formalie oder greift nicht in Rechte der Beteiligten ein (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.07.1972 - 2 BvR 872/71 -, BVerfGE 34, 1). Angesichts des Umfangs des Berichtigungsantrags von 13 Seiten war es hier sachgerecht, den übrigen Verfahrensbeteiligten eine angemessene Frist zur Stellungnahme einzuräumen. Die hier vom Verwaltungsgericht mit Verfügung vom 07.08.2006 gesetzte Frist zur Stellungnahme von zwei Wochen ist nicht zu beanstanden. Bei Einhaltung dieser Äußerungsfrist konnte vor Ablauf der Antragsfrist am 21.08.2006 keine Entscheidung über den Berichtigungsantrag mehr getroffen werden. Selbst wenn man eine kürzere Frist für ausreichend halten sollte, konnte die Klägerin gerade auch angesichts des Umfangs ihres Berichtigungsantrags nicht erwarten, dass noch innerhalb der Monatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO eine Entscheidung hierüber ergehen würde.

Entgegen der Annahme der Klägerin ist auch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich. Hinsichtlich der Stellung des Antrags auf Zulassung der Berufung ist die Klägerin im Sinne von § 58 Abs. 1 VwGO richtig belehrt worden. Gemäß § 124a Abs. 4 Sätze 1 bis 4 VwGO kann beim Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Innerhalb von zwei Monaten nach diesem Zeitpunkt sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Dieser Regelung entsprechend hat eine Rechtsmittelbelehrung, soll sie richtig sein, sowohl über die Stellung des Antrags und deren Modalitäten wie auch über die Notwendigkeit dessen Begründung, die Frist und das zuständige Gericht zu belehren (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.06.1998 9 C 6.98 -, BVerwGE 107, 117). Im konkreten Fall war die dem Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung zwar hinsichtlich des Adressaten für eine nicht sogleich mit dem Antrag erfolgende Begründung unzutreffend. Der Fehler, der den zweiten Teil der zweigliedrigen Belehrung über die Begründung betrifft, führte aber nur dazu, dass für die Vorlage der Begründung die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gegolten hätte. Diese Rechtsfolge tritt hingegen nicht auch für die Antragstellung ein, hinsichtlich derer die Belehrung richtig ist. Der im zweiten Teil der Rechtsmittelbelehrung unterlaufene Fehler bei der Angabe des für die Entgegennahme der Begründung zuständigen Gerichts war auch nicht geeignet, die Antragstellung zu erschweren oder die Klägerin von der rechtzeitigen Stellung des Antrags abzuhalten (so auch VGH BW, Beschl. v. 12.03.2007 - 5 S 2405/06 -, NJW 2007, 2347). Ob wegen der Ankündigung der Klägerin, nach Berichtigung des Tatbestands werde sie ein Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen, ein Vertrauen der anderen Verfahrensbeteiligten in die Rechtskraft des Urteils nicht mehr eintreten konnte, ist unerheblich. Im Übrigen hat die Klägerin erstmals in ihrem Schriftsatz vom 27.09.2006 und damit bereits nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eine solche Absicht bekundet. Der Klägerin ist auch keine Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO zu gewähren; denn sie war nicht ohne Verschulden verhindert, diese Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO). Als juristischer Laie konnte die seinerzeit anwaltlich nicht vertretene Klägerin nicht zuverlässig beurteilen, ob und wie sich das Berichtigungsverfahren auf die Frist zur Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung auswirken würde. Ein Rechtsirrtum oder Rechtsunkenntnis kann die Fristversäumung jedoch grundsätzlich nicht entschuldigen; ein juristisch nicht vorgebildeter Bürger muss sich bei nicht geläufigen juristischen Problemen grundsätzlich in geeigneter, zuverlässiger Weise juristischen Rat holen (Kopp/Schenke, a. a. O., § 60 RdNr. 12, m. w. Nachw.; BVerwG, Beschl. v. 14.09.1998 - 8 B 154.98 -, NVwZ-RR 1999, 538). Berechnet ein Rechtsunkundiger den Ablauf einer Rechtsmittelfrist selbst, so läuft er Gefahr, die Frist zu versäumen, und muss die Folgen einer unrichtigen Berechnung auf sich nehmen; Gleiches gilt für die Frage, wann eine Rechtsmittelfrist zu laufen beginnt (BVerwG, Beschl. v. 14.09.1998 - 8 B 154.98 -, a. a. O.). Verzichtet ein Beteiligter auf die Einholung fachkundigen Rats, weil er sich selbst hinreichend kundig wähnt, ist eine dadurch bedingte Fristversäumung nicht unverschuldet (OLG Naumburg, Beschl. v. 07.09.2001 - 5 W 88.01 -, OLG-NL 2002, 95). Soweit die Klägerin der Auffassung war, auf Grund der aus ihrer Sicht vorliegenden "Vielzahl und Schwere der gerügten Unrichtigkeiten im Urteil" habe ihr das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Zulassung der Berufung gefehlt, wenn dieser auf einen fehlerhaften Tatbestand gestützt werde, hätte sie auch diesen Rechtsirrtum durch Einholung rechtskundigen Rats ausräumen können und müssen. Sonstige Wiedereinsetzungsgründe sind nicht dargetan.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Billigem Ermessen im Sinne des § 162 Abs. 3 VwGO entspricht es, die außergerichtlichen Kosten des am Bauprozess beteiligten, notwendig beigeladenen (§ 65 Abs. 2 VwGO) Privaten unabhängig davon für erstattungsfähig zu erklären, ob dieser sich am Verfahren durch Antragstellung beteiligt hat (st. Rspr. d. Senats, vgl. Beschl. v. 18.08.2006 - 2 M 206/06 -).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 [1328]).

Ende der Entscheidung

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