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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 13.02.2002
Aktenzeichen: 2 L 376/95
Rechtsgebiete: VwGO, AsylVfG, AuslG, GG


Vorschriften:

VwGO § 124 II
VwGO § 124a
AsylVfG § 6
AsylVfG § 77 II
AsylVfG § 78 III
AuslG § 53
GG Art. 1 I
GG Art. 2 II
1. Die Asylantragstellung in Deutschland führt bei einer Rückkehr nach Angola nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu staatlichen Repressionen.

2. Auch die Zugehörigkeit zur Kongo-Ethnie macht staatliche Maßnahmen nicht beachtlich wahrscheinlich.

3. Im Raum Luanda besteht für Rückkehrer nicht generell eine Gefahrensituation, welche in Ansehung der Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 2 GG Abschiebungshindernisse entsprechend § 53 Abs. 6 AuslG begründet. Die Anerkennung eines Abschiebungsschutzes setzt eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls voraus.


Tatbestand:

Der am ... 1965 in ... (Uíge) geborene Kläger gehört der Kongo-Ethnie in Angola an. Er kam am ... 1995 per Schiff nach Deutschland und begehrte seine Anerkennung als Asylberechtigter; dazu machte er geltend: Anfang April sei er, obwohl er körperbehindert sei, zwangsweise dem Wehrdienst zugeführt worden. Aus dem Militärlager ... sei er noch am selben Abend in Militärkleidung unter dem Zaun hindurch geflohen und habe zwei Tage später die Grenze ... überschritten. Seine Verletzungen seien auf die Ereignisse des 22.01.1993 in Luanda zurückzuführen, bei denen er durch einen Schuss in den Daumen und einen Messerstich in den Kopf verwundet worden sei; bei diesen Massakern seien sein Vater und seine Frau getötet worden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 12.05.1995 Bezug genommen.

Das Bundesamt der Beklagten lehnte den Asylantrag durch Bescheid vom 20.06.1995 ab, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, verneinte Abschiebungshindernisse und drohte die Abschiebung nach Angola an.

Das Verwaltungsgericht Magdeburg stellte durch Urteil vom 05.10.1995 - 2 A 273/95 - fest, dass der Kläger nicht nach Angola abgeschoben werden dürfe, weil die Voraussetzungen des § 53 AuslG erfüllt seien, und wies die Klage im Übrigen ab. Das Abschiebungshindernis beruhe auf der Bürgerkriegssituation, die am Maßstab der Art. 1, 2 GG mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für den Kläger konkret gefährlich sei.

Auf Antrag des Bundesbeauftragten hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (Beschluss vom 20.02.1996).

Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten begehrt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger erwidert, ihm drohten auch nach dem Waffenstillstand als Einzelnem ohne Familienbindung weiterhin Gefahren für Leib und Leben wegen der allgemeinen Situation in Angola. Das folge insbesondere aus den Stellungnahmen des UNHCR und des Instituts für Afrika-Kunde.

Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf die in der mit der Ladung versandte "Erkenntnismittelliste" Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (1.) und begründet (2.).

1. Dem rechtzeitig gestellten Zulassungsantrag hat der Senat durch Beschluss vom 20.02.1996 entsprochen. Dass die seinerzeit angenommene "grundsätzliche Bedeutung" der Rechtsfrage, ob extreme Bürgerkriegslagen in Ansehung des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 2 GG) in entsprechender Anwendung des Absatzes 4 oder des Absatzes 6 des § 53 des Ausländergesetzes - AuslG - (= Art. 1 des Gesetzes vom 09.07.1990 [BGBl I 1354], geändert durch Gesetz vom 30.06.1993 [BGBl I 1062], zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 [BGBl I 361 <368>]) zu beurteilen sind, nicht mehr besteht - das Bundesverwaltungsgericht hat § 53 Abs. 6 AuslG für einschlägig gehalten und die Voraussetzungen der Art. 1, 2 GG einschränkend interpretiert (vgl. vor allem: BVerwG, Urt. v. 19.11.1996 - BVerwG 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249 ff; Urt. v. 12.07.2001 - BVerwG 1 C 2.01 -, BVerwGE 114, 379 ff) -, berührt die Wirksamkeit des unter anderen Voraussetzungen gefassten Zulassungsbeschlusses nicht, zumal das angefochtene Urteil nach heutigem Erkenntnisstand von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.

Die Berufung ist auch nicht deshalb unzulässig, weil sie nicht begründet worden ist und es an einem Berufungsantrag fehlt; denn die Regelungen des § 124a Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO 97 -, geändert durch Gesetz vom 01.11.1996 (BGBl I 1626) und zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.07.2001 (BGBl I 1543), bzw. jetzt des § 124a Abs. 6 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO 02 -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987), galten zum Zeitpunkt der Berufungszulassung noch nicht, und das spezielle Zulassungsrecht des § 78 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG - i. d. F. d. Bek. v. 27.07.1993 (BGBl I 1361), geändert durch Gesetz vom 02.08.1993 (BGBl I 1442), zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 (BGBl I 361 [371]), sah im Jahr 1996 keine dem § 124a VwGO 97/02 entsprechende Begründungspflicht vor.

Dass es an einem förmlichen Antrag fehlt, ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum im Jahr 1996 geltenden § 124 Abs. 2 VwGO (BVerwG, Urt. v. 21.09.1979 - BVerwG 7 C 7.78 -, BVerwGE 58, 299 [300 f]; Beschl. v. 05.02.1998 - BVerwG 6 B 75.95 - [juris]) unschädlich; denn das Rechtsmittelziel ergibt sich aus dem vorangegangenen Zulassungsverfahren.

Der Bundesbeauftragte kann das Verfahren schließlich weiter betreiben, weil seine Rechtsstellung auf der Grundlage des § 6 AsylVfG unberührt geblieben ist, nachdem das Zuwanderungsrecht (Gesetz vom 20.06.2002 [BGBl I 1946 ff]) nicht in Kraft getreten ist (BVerfG, Urt. v. 18.12.2002 - 1 BvF 1/02 - [Bek. v. 16.01.2003 - BGBl I 126]); deshalb ist ohne Belang, dass die Befugnis aus § 6 AsylVfG, Klage zu erheben und Rechtsmittel zu führen, auch nach dem Zuwanderungsrecht weiter bestanden hätte (vgl. insoweit Art. 3 Nrn. 6, 46 des Gesetzes vom 20.06.2002).

2. Die Berufung ist auch begründet; sie betrifft entsprechend der formellen Beschwer des Bundesbeauftragten nur die Frage, ob sich der Kläger auf Abschiebungshindernisse i. S. des § 53 AuslG berufen kann. Das ist nicht der Fall.

2.1. Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 AuslG liegen nicht vor. Die Todesstrafe ist in Angola abgeschafft, was zwar sog. "extralegale" Vorgehensweisen bei der Polizei und beim Militär nicht ausschließt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 26.06.2002 [Abschn. III Nr. 2); es gibt aber keinerlei besondere Anhaltspunkte beim Kläger dafür, dass dieser mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit konkret gefährdet wäre.

2.2. Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger bei dessen Rückkehr die Gefahr von Folterungen droht (§ 53 Abs. 1 AuslG; § 53 Abs. 4 AuslG i. V. m. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 - EMRK - [BGBl 1952 II 686, 953; 1968 II 1116, 1120; 1989 II 547]).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gewährt § 53 AuslG insgesamt und damit auch Absatz 4 keinen allgemeinen Vollstreckungsschutz, sondern enthält nur zielstaatsbezogene Hindernisse, die landesweit bestehen müssen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.04.1997 - BVerwG 9 C 38.96 -, BVerwGE 104, 265 [277 f]; Urt. v. 11.11.1997 - BVerwG 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322 ff; Urt. v. 25.11.1997 - BVerwG 9 C 58.96 -, BVerwGE 105, 383 ff). Das Bundesverwaltungsgericht hat seinen Ansatz, Art. 3 EMRK beziehe sich nur auf staatliche oder dem Staat zurechenbare Eingriffe und dürfe nicht auf Maßnahmen Dritter ausgeweitet werden, gerade in Ansehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verteidigt (BVerwG, Urt. v. 23.08.1996 - BVerwG 9 C 144.95 - [juris], BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwG 9 C 15.95 - BVerwGE 99, 331 [334]; BVerwGE 104, 265 [268 ff]). Da es sich um eine gefestigte Rechtsprechung handelt und da dem Senat neue, noch nicht erörterte Gesichtspunkte nicht zur Verfügung stehen, folgt er der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (so schon OVG LSA, Urt. v. 20.05.1998 - 2 L 10/94 -; vgl. zuletzt: Urt. v. 19.04.2002 - A 2 S 203/98 - und Urt. v. 26.06.2002 - 2 L 313/00 -).

a) Es besteht keine durch sachverständige Stellen belegbare beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger wegen seiner Volkszugehörigkeit zur Kongo-Ethnie (Volk der Bakongo) in Luanda staatliche oder dem Staat zurechenbare Repressionen zu fürchten hätte. Das Auswärtige Amt - AA - hat eine Verfolgung der Kongo-Ethnie schon in der Vergangenheit wiederholt und auch gegenwärtig in Abrede gestellt (AA, Lageberichte vom 26.06.2002 und vom 18.12.2001 [jeweils Abschn. II Nr. 1 lit. c)] sowie Lagebericht vom 11.06.2001 [Abschn. II Nr. 1 lit. b)]; Auskunft vom 09.03.2001 an VG Hannover [Nr. 5]). Das Institut für Afrika-Kunde - IAK - , das eine grundsätzliche Feindschaft beider führender Gruppen in Angola zur Kongo-Ethnie konstatiert (Auskunft vom 15.08.2002 an OVG LSA [unter Abschn. III]; vgl. auch Auskunft vom 12.02.2001 an VG Hannover [S. 2]), sieht indessen allenfalls bei einer Mitgliedschaft in einer der separatistischen Gruppen eine Gefährdung, vermutet sie aber für Anhänger der MAKO (Movimento para a Autodeterminação do Kongo) deshalb nicht, weil diese Organisation in Angola selbst zu wenig verankert und eher als Exilgruppe tätig ist (a. a. O., S. 9).

Auch amnesty international - ai - hat keine Erkenntnisse über eine systematische Verfolgung von Angehörigen der Kongo-Ethnie (Auskunft vom 05.07.2001 an VG Neustadt/W [Frage 1]).

Mit diesem Ergebnis befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer oberer Landesgerichte (vgl. etwa: VGH BW, Urt. v. 01.02.2002 - A 13 S 1730/97 - [juris]; NdsOVG, Urt. v. 01.03.2001 - 1 A 593/00 - [juris]).

b) Eine Gefährdung wegen der Asylantragstellung im Ausland ist gleichfalls nicht beachtlich wahrscheinlich. Es lässt sich nicht erhärten, dass die Einreisekontrollen für Rückkehrer aus Europa staatliche Repressionen zur Folge haben (AA, Lageberichte vom 26.06.2002 und vom 18.12.2002 [jeweils unter Abschn. IV Nr. 2).

Dieses Ergebnis wird schon für die Zeit vor dem Waffenstillstand vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen geteilt (OVG NW, Urt. v. 21.09.2000 - 1 A 5615/96.A -).

c) Schließlich ist nach dem Waffenstillstand vom 04.04.2002 und wegen des "Vierten Amnestiegesetzes" vom 02.04.2002, das den Prozess nationaler Versöhnung fördern soll (AA, Auskunft vom 21.08.2002 an VG München [Nr. 8], Lagebericht vom 26.06.2002 [Abschn. I, Abschn. II Nr. 1) auch nicht zu befürchten, dass der Kläger wegen einer früheren Verwicklung in den Bürgerkrieg mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätte. Das Institut für Afrika-Kunde (Auskunft vom 15.08.2002 an OVG LSA [Abschn. I, S. 3]) hält zwar noch für unklar, ob der Prozess nationaler Versöhnung durchgehalten wird, widerlegt aber andererseits die Darstellung des Auswärtigen Amts (Lagebericht vom 26.06.2002 [Abschn. II Nr. 1 lit. a)]) nicht, das Amnestiegesetz werden angewendet. Die anderen vom Senat bemühten Stellen (UNHCR, amnesty international) haben zur Amnestiefrage keine Stellungnahme abgegeben.

2.3. Angesichts des vom Bundesverwaltungsgericht vorgegebenen strengen Maßstabs ist auch kein Abschiebungshindernis entsprechend § 53 Abs. 6 AuslG anzuerkennen; denn zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als letzter Tatsacheninstanz (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, 1. Alternative) besteht in Angola keine Tatsachenlage, welche es aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 2 des Grundgesetzes - GG -) rechtfertigte, über die gesetzlichen Regeln des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG hinaus ein Abschiebungshindernis wegen einer extremen Gefahrenlage anzuerkennen.

Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG wird von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat - in erster Linie seinen Herkunftsstaat - nur abgesehen, wenn ihm dort eine erhebliche Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Die Vorschrift stellt dabei allein auf eine konkrete "individuelle" Gefahr ab, die zwar nicht notwendig vom Staat ausgehen oder diesem zurechenbar sein muss, die aber nicht nur ganz allgemein auf der Situation im Zielstaat beruhen und alle dort Lebenden gleichermaßen treffen darf (BVerwG, Urt. v. 29.03.1996 - BVerwG 9 C 116.95 -, Buchholz 402.240 [AuslG 1990] § 53 Nr. 3; BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - BVerwG 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324 [328]). Solche nur allgemeinen Gefahren führen lediglich zu einer politischen Entscheidung über einen generellen Abschiebungsschutz auf der Grundlage der §§ 53 Abs. 6 Satz 2; 54 AuslG; das politische Ermessen wird durch das vorgehende Verfassungsrecht nur dann verdichtet, wenn die allgemeine Gefahrenlage so extrem ist, dass angenommen werden muss, jeder einzelne Rückkehrer werde "sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen" ausgeliefert sein, ohne dass andere gesetzliche Bestimmungen Schutz gewährten (BVerwG, Urt. v. 23.08. 1996 - BVerwG 9 C 144.95 -, S. 8 f; vgl. ferner: BVerwGE 99, 324 [328]; 102, 249 [258]; BVerwG, Urt. v. 08.12.1998 - BVerwG 9 C 4.98 -, BVerwGE 108, 77 [80 ff]; vgl. zuletzt: VGH BW, Urt. v. 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - [zur Demokratischen Republik Kongo]). Dafür ist auf die Gesamtgefährdungslage abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 23.03.1999 - BVerwG 9 B 866.98 -, Buchholz 402.240 § 53 Nr. 17: vgl. auch: BVerwGE 102, 249 [259]; 114, 379 ff; BVerwG, Beschl. v. 08.04.2002 - BVerwG 1 B 71.02 - [juris]). Auch eine solche Extrem-Gefahr, welche den verfassungsrechtlichen Schutz auslöst, muss "landesweit" bestehen; gibt es tatsächlich gefahrfreie Landesteile, so greift der Schutz nur, wenn der Rückkehrer sie ohne Gefährdung nicht erreichen kann (BVerwGE 99, 324 [328]; 102, 249 [259]; BVerwG, Urt. v. 02.09.1997 - BVerwG 9 C 40.96 -, BVerwGE 105, 187 [194]).

Eine Extrem-Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht jedenfalls nicht landesweit; für diese Beurteilung ist nicht von dem allgemeinen Maßstab "beachtlicher" Wahrscheinlichkeit, sondern - weil es sich um einen Ausnahmetatbestand handelt - von einem erhöhten Maßstab auszugehen (BVerwGE 102, 249 [259]; VGH BW, Urt. v. 13.11.2002 - A 6 S 967/01 -).

Unter dieser Voraussetzung ist zunächst in Bezug auf die Sicherheitslage jedenfalls für das Gebiet um Luanda keine "Extrem-Gefahr" anzunehmen.

Nach Ansicht des Auswärtigen Amts ist eine Rückkehr in diese Region "zumutbar" (Auskunft vom 12.09.2002 an OVG LSA) bzw. "akzeptabel" (Lagebericht vom 26.06. 2002 [Abschn. II Nr. 4]). Dieser Einschätzung stehen die Darstellungen der übrigen befragten Stellen bei Anwendung des rechtlich zu Grunde zu legenden erhöhten Maßstabs letztlich nicht substanziell entgegen.

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen - UNHCR - hält zwar nach wie vor, aber in erster Linie aus humanitären Gründen (Auskunft vom 28.11.2002 an OVG LSA) Zwangsabschiebungen nicht für angebracht, räumt indessen ein, dass der Waffenstillstand bislang nicht verletzt worden und der Demobilisierungsprozess relativ reibungslos verlaufen ist (a. a. O., S. 2). Auch das Institut für Afrika-Kunde verweist ganz allgemein für Angola insgesamt auf die Sicherheitsrisiken durch Gewalt- und Bandenkriminalität und die Minengefahr, welche ganz massiv die Wiederbelebung der Agrarproduktion sowie humanitäre Hilfe beeinträchtige (Auskunft vom 15.08.2002 an OVG LSA, S. 2, 3), ohne die Situation in Luanda als besonders kritisch zu bezeichnen. Nach amnesty international - ai - (Auskunft vom 31.07.2003 an OVG LSA) hat sich die politische Rahmensituation infolge der Lageänderung deutlich verbessert.

Soweit UNHCR in der Vergangenheit die europäischen Staaten gebeten hatte, nicht nach Angola abzuschieben (Positionspapier vom September 1999, Ergänzung vom 04.07.2000), dürfte dies gerade auch vor dem Hintergrund der auch vom Auswärtigen Amt anerkannten Verschärfungen gesehen werden müssen (Lageberichte vom 18.12. 2001 und vom 11.06.2001 [jeweils unter Abschn. I], Lagebericht vom 04.06.1999 [Nrn. 1, 4, 5]; vgl. auch Auskunft vom 05.07.1999 an VG Aachen), die auf das Wieder-Ausbrechen des Bürgerkriegs nach dem Dezember 1998 zurückzuführen waren. Im Übrigen standen auch bei den Positionierungen 1999/2000 die humanitären Fragen im Vordergrund.

Das aus der Verfassung hergeleitete besondere Abschiebungshindernis wird indessen auch durch die unstreitig schwierige Versorgungslage nicht gerechtfertigt, weil die notwendige "extreme" Gefahr für Leben und Gesundheit bei Anwendung eines über die "beachtliche Wahrscheinlichkeit" hinausgehenden Maßstabs nicht bejaht werden kann.

Dieses Ergebnis ist auch in Ansehung der Stellungnahme des Hohen Flüchtlingskommissars gerechtfertigt, der bereits im September 1999 einen dringlichen Appell an die europäischen Länder gerichtet hatte, von Zwangsrückführungen abzusehen, und die Lage gegenwärtig noch nicht als so gesichert ansieht, dass er die zusätzliche Belastung der Luanda-Region mit weiteren Zureisenden für verträglich hält (vgl. UNHCR, Auskunft vom 28.11.2002 an OVG LSA [bes. S. 1, 2]); das Positionspapier vom September 1999 sowie dessen Ergänzung vom 04.07.2000 gehen dabei davon aus, dass diese Situation vor allem durch eine große Zahl von Binnenflüchtlingen geprägt ist, die angesichts der Kriegszerstörungen in ihren Heimatregionen nur begrenzt dorthin zurückkehren können. Die kritische Lage in der Hauptstadt wird durch die Erkenntnisse des Instituts für Afrika-Kunde bestätigt (Auskunft vom 15.08.2002 an OVG LSA [Abschn. II]), wonach aus Anlass des Bürgerkriegs inzwischen etwa ein Drittel der Bevölkerung Angolas in Luanda lebt, die überwiegend unter ärmlichen, bisweilen sogar lebensbedrohlichen Umständen in Slums untergebracht sei; deshalb sei jeder Hinzukommende eigentlich ein Bedürftiger zu viel (a. a. O., S. 6). Das Auswärtige Amt (Auskunft vom 12.09.2002 an OVG LSA) hält die Lage im Landesinnern zwar für nach wie vor sehr kritisch, im Raum Luanda indessen eine das Existenzminimum gewährleistende Versorgung für "weitestgehend gegeben". Die schlechte Versorgungslage wird durch das Interview mit Ralf Syring von der Welthungerhilfe (Beilage vom April 2002 [Rundbrief] zur ai-Auskunft vom 31.07.2002 an OVG LSA) als "chronische Katastrophe" bezeichnet, indessen nicht als monokausales Ereignis beschrieben, aus dem Schlüsse für das ganze Land und für jeden dort Lebenden gezogen werden können, sondern als "komplexe Notlage". Zwar kämpft nach dieser Ansicht auch in Luanda die große Mehrheit der Menschen täglich um das Überleben, und der Kampf fordert täglich seine Opfer; auch diese Darstellung liefert aber nicht die für den erhöhten Wahrscheinlichkeitsmaßstab notwendigen Anhaltspunkte, jeder Rückkehrer werde in der Luanda-Region dem sicheren Tod ausgesetzt sein.

Die extreme, nur nach Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 2 GG zu berücksichtigende Notsituation muss auch verneint werden, wenn es zwar nicht möglich erscheint, aus eigener Kraft Einkommen zu erzielen, wenn aber die Hilfe ausländischer Institutionen ein Überleben ermöglicht (OVG LSA; Urt. v. 19.04.2002 - A 2 S 203/98 - [Eritrea]; Urt. v. 26.06.2002 - 2 L 313/00 - [Sierra Leone]). Die in Luanda tätigen Hilfsorganisationen können zwar keine "organisierte Versorgung" durch Hilfsprogramme für alle dort lebenden Menschen garantieren; aber jedenfalls Gesunde mit Improvisations- und Durchsetzungsvermögen werden für fähig gehalten, in Luanda zu überleben (IAK, a. a. O., S. 6).

Die Überlebenschancen hängen danach insbesondere vom Alter des Betroffenen, von seiner gesellschaftlichen Einbindung in einen Familienverband und von seinem Gesundheitszustand ab (IAK, a. a. O., S. 6; UNHCR, a. a. O., S. 4).

Aus den aktuellen Presseberichten folgt nichts Anderes.

Zwar wird beklagt, dass sich die Lage in Angola noch nicht sichtbar geändert habe (Frankfurter Allgemeine Zeitung - FAZ - vom 20.12.2002), dass die Versorgungslage auch in den Camps nicht hinreiche, die Zahl der Bedürftigen eher ansteige (deutsche presse-agentur - dpa - vom 09.09.2002; Frankfurter Rundschau - fr - vom 01.07. 2002 und vom 12.08.2002; die tageszeitung - taz - vom 13.06.2002), die Kindersterblichkeit besonders hoch sei (dpa vom 05. und vom 08.08.2002); die Berichte beziehen sich aber auf das Land insgesamt und berücksichtigen vor allem die Lage außerhalb der Hauptstadt (vgl. etwa die dpa-Meldung vom 16.05.2002 über Nothilfeprogramme in bestimmten Provinzen. Soweit sie speziell auf die Lage in Luanda bezogen sind (vgl. etwa: Süddeutsche Zeitung - SZ - vom 22.06.2002; Nürnberger Nachrichten vom 06.08.2002), bestätigen sie die oben mitgeteilten Ergebnisse der in diesem Verfahren befragten Auskunftsstellen.

Mit diesem Ergebnis befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der Auffassung anderer oberer Landesgerichte, deren Entscheidungen sogar bereits vor Verkündung des Waffenstillstands ergangen sind (vgl. etwa: VGH BW, Urt. v. 01.02.2002 - A 13 S 1730/97 -; HessVGH, Urt. v. 26.03.2001 - 3 UE 3555/00.A -, AuAS 2001, 211 ff [Alleinstehender]; NdsOVG, Urt. v. 01.03.2001 - 1 L 649/00 und 1 L 761/00 [gesunde Kleinkinder im Familienverband], 1 L 762/00 [Alleinstehender] -; OVG NW, Urt. v. 28.06.2000 - 1 A 5488/97.A -).

Im Übrigen ist der Senat ist mit dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW, Urt. v. 13.11.2002 - A 6 S 967/01 - [dort entschieden zu den Verhältnissen in der Demokratischen Republik Kongo]) der Auffassung, dass nicht schon das Vorhanden-Sein einzelner Gefährdungsfaktoren ausreicht, um eine Extrem-Gefahr bejahen zu können, sondern dass es einer Würdigung für den Einzelfall bedarf; wie der Verwaltungsgerichtshof geht auch der Senat davon aus, dass der jeweils für maßgeblich gehaltene Gefährdungsfaktor dem deutschen Staat im Rahmen des Art. 1 Abs. 1; 2 Abs. 2 GG zurechenbar sein muss, was bedeutet, das er durch die von ihm betriebenen Abschiebung verursacht wird und nicht nur ganz allgemein im Zielland besteht, so dass nur die Gefährdungsfaktoren berücksichtigt werden können, die - bei der Abschiebung erkennbar ("sehenden Auges") - mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schwersten Beeinträchtigungen führen müssen.

Bei diesem Hintergrund ist die "extreme" Gefahr, welche von Verfassungs wegen allein das Ermessen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Einzelfall zu binden vermag, im Fall des Klägers nicht zu bejahen.

Er ist noch nicht vierzig Jahre alt und gesund. Seine Angaben über den Tod des Vaters und seiner Ehefrau bereits im Jahr 1993 schließen nicht aus, dass er noch Familienbindungen in Angola hat; denn jedenfalls über seine Mutter und evtl. weitere Verwandte hat sich der Kläger nicht geäußert. Im Übrigen würde der Faktor "Alleinstehender" ganz isoliert nicht dazu führen, eine Extrem-Gefahr für den Kläger anzunehmen, wie sich aus der oben zitierten Rechtsprechung ergibt, welcher sich der Senat anschließt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG; die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit und über die Abwendungsbefugnis ergeben sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11; 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision nicht zu, weil aus Anlass dieses Falls keine weitere Klärung grundsätzlicher Fragen des Bundesrechts oder des Verwaltungsverfahrensrechts zu erwarten ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der Senat von keiner Entscheidung im Instanzenzug abweicht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und Verfahrensfehler nicht ersichtlich sind (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Ende der Entscheidung

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