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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 14.11.2006
Aktenzeichen: 2 L 504/02
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO, BauO LSA


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 4
BauNVO § 6
BauNVO § 11 Abs. 3
BauO LSA § 13 Abs. 2 S. 1
BauO LSA § 13 Abs. 2 S. 2
BauO LSA § 13 Abs. 5 S. 1
1. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Umgebung eines (Bau-)Grundstücks in einem nicht beplanten Baugebiet einem der Baugebiete der §§ 2 ff. BauNVO entspricht, ist in erster Linie ist auf die nach den Bestimmungen der BauNVO in den verschiedenen Baugebieten allgemein zulässigen Nutzungen abzustellen; Nutzungen die in einem Baugebiet nach der BauNVO nur ausnahmsweise zulässig sind, stehen der Einordnung in ein solches Baugebiet entgegen, wenn sie sich nicht auf Ausnahmefälle beschränken und eine prägende Wirkung auf die Umgebung ausüben. Unzulässig ist es hingegen, eine vorhandene Bebauung in Zielrichtung auf eine scharfe Trennung von Gebietscharakter und zulässiger Bebauung geradezu gewaltsam in ein Baugebiet der in den §§ 2 bis 11 BauNVO bezeichneten Art zu pressen; dies schließt allerdings nicht aus, dass bestimmte Arten von Nutzungen außer Betracht bleiben, weil sie entweder nicht wesentlich sind oder so genannte Fremdkörper darstellen.

2. Ein Lebensmittel-Discounter kann grundsätzlich nicht mehr als "Nachbarschaftsladen" zur wohnungsnahen Versorgung eingeordnet werden, wenn er "großflächig" im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO ist.

3. Auch wenn die Schwelle der Großflächigkeit nicht überschritten wird, kann ein der Versorgung des Gebiets dienender Laden nicht gegeben sein, wenn der Lebensmittelmarkt verkehrsgünstig in der Nähe einer Straße mit bedeutender innerörtlicher Verkehrsfunktion errichtet wird und dadurch Kunden außerhalb des Gebiets eine gute Erreichbarkeit mit dem PKW gewährleistet.

4. Zur Frage der Verunstaltung durch eine Werbeanlage.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 2 L 504/02

Datum: 14.11.2006

Tatbestand:

Am 23.02.2000 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Baugenehmigung zur Errichtung einer 3,90 m x 2,90 großen beleuchteten Werbeanlage auf dem Grundstück der Gemarkung A. , Flur 10, Flurstück 18/2 (Regensburger Straße 19/Alfred-Reinhard-Straße). Die Anlage soll an dem auf dem Eckgrundstück vorhandenen zweigeschossigen Gebäude an der zur Alfred-Reinhard-Straße zeigenden Fassade angebracht werden.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.05.2000 mit der Begründung ab, der vorgesehene Standort der Werbeanlage befinde sich in einem allgemeinen Wohngebiet, wo Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig seien. Dies treffe auf die Anlage nicht zu, da sie ausschließlich der Fremdwerbung diene. Darüber hinaus wirke die Anlage verunstaltend, weil sie in keinem ausgewogenen proportionalen Verhältnis zu dem zweigeschossigen Gebäude stehe.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium Halle mit Bescheid vom 11.07.2000 zurück und führte zur Begründung ergänzend aus, die ca. 5 Meter lange und ca. 7 Meter hohe Gebäudewand, an der die Werbeanlage angebracht werden solle, werde durch einen etwa 0,85 Meter hohen Spritzwassersockel und das daran sich anschließende zum Teil mit Glattputz und im Obergeschoss mit Klinkern versehene Mauerwerk gegliedert. Die Werbeanlage würde die bewusst gestaltete Fassade großflächig verdecken.

Zur Begründung ihrer am 17.07.2000 beim Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, der Standort der Werbeanlage befinde sich in einem Mischgebiet, wo Werbeanlagen auch für Fremdwerbung zulässig seien. In der näheren Umgebung befinde sich eine Vielzahl von Gewerbebetrieben. Eine verunstaltende Wirkung gehe von der Anlage nicht aus. Sie werde auf Höhe der Fenster so angebracht, dass sie sich harmonisch in die Fassadengestaltung einfüge und mit den Kanten der Fenster abschließe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Halle vom 11.07.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Baugenehmigung zur Errichtung einer beleuchteten Werbeanlage gemäß ihrem Antrag vom 23.02.2000 zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass die Werbeanlage gegen das bauordnungsrechtliche Verunstaltungsverbot verstoße und der geplante Standort in einem allgemeinen Wohngebiet liege.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.10.2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Baugrundstück liege in einem allgemeinen Wohngebiet. Die Grundstücke in der näheren Umgebung würden vorwiegend zu Wohnzwecken genutzt. Die vorhandenen Gewerbebetriebe seien entweder als der Versorgung des Gebiets dienende Betriebe oder als sonstige nicht störende Gewerbebetriebe einzustufen. Bei der in der Nähe befindlichen Autowerkstatt handele es sich um einen "Ausreißer", der sich auf den Gebietscharakter nicht prägend auswirke. Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung trägt die Klägerin vor: Angesichts der Anzahl der vorhandenen Gewerbebetriebe in der näheren Umgebung des Standorts sei die Einstufung als allgemeines Wohngebiet nicht nachvollziehbar. Insbesondere die Kfz-Reparaturwerkstätte gehöre zu den Handwerksbetrieben, die als störend anzusehen seien. Der Lebensmittelmarkt mit über 200 Stellplätzen und einer Verkaufsfläche von mindestens 1.500 m² weise eine Größe auf, die nicht mehr nur auf eine Versorgung der örtlichen Umgebung abziele, sondern darüber hinaus Kunden in erheblicher Anzahl aus umliegenden Gebieten anziehe. Die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 09.05.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Halle vom 11.07.2000 zu verpflichten, ihr eine Baugenehmigung zur Errichtung einer beleuchteten Werbeanlage gemäß ihrem Antrag vom 23.02.2000 zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Bei der Bestimmung der maßgeblichen näheren Umgebung seien nicht nur die unmittelbar benachbarten Grundstücke einzubeziehen, sondern auch die Bebauung der weiteren Umgebung insoweit, als auch diese sich prägend auf das Baugrundstück auswirke. Neben der Art der Bau- und Nutzungsstruktur seien auch die Auswirkungen des beabsichtigten Vorhabens auf die Umgebung und umgekehrt zu berücksichtigen. Bei der hier geplanten Werbeanlage ergäben sich diese Auswirkungen in erster Linie aus visueller Sicht. So sei die Anlage lediglich im Einmündungsbereich der Alfred-Reinhard-Straße in die Regensburger Straße sowie aus westlicher (Fahrt-)Richtung von der Regensburger Straße her sichtbar. Ferner sei die Umgebung vorwiegend durch 1 1/2 bis 2-geschossige Wohnbebauung geprägt, daneben befänden sich dort auch Gaststätten, Büros und Läden und nicht störende Gewerbebetriebe, die in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig seien. Die Autowerkstätte habe das Verwaltungsgericht zutreffend als "Ausreißer" gewertet. Der Lebensmittelmarkt, der ausweislich der Bauunterlagen über eine Verkaufsfläche von nur 944,95 m² verfüge, diene der Versorgung des Gebiets. Die Flächen für den Bäcker und Fleischer seien zudem auszuklammern. Unabhängig halte sie die Werbeanlage an dieser Stelle weiterhin für verunstaltend.

Der Senat hat den geplanten Aufstellungsort der Werbeanlage und dessen nähere Umgebung in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift vom 14.11.2006 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und den von der Beklagten vorgelegten Behördenvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da die Versagung der beantragten Baugenehmigung rechtswidrig ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung, da ihrem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen stehen (§ 70 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. § 74 Abs. 1 Satz 1 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA -, in der hier noch anwendbaren Fassung des Gesetzes über die Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt und zur Änderung des Ingenieurgesetzes und des Vermessungs- und Katastergesetzes vom 23.06.1994 [LSA-GVBl., S. 723], zuletzt geändert durch Gesetz vom 24.11.1995 [LSA-GVBl., S. 339]).

Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig.

Die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens bestimmt sich nach § 34 BauGB, weil sich das Baugrundstück nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, aber innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils befindet.

Die geplante Werbeanlage fügt sich ihrer Art nach in die nähere Umgebung ein, die einer Gemengelage nach § 34 Abs. 1 BauGB entspricht. Die maßstabsbildende Bebauung der näheren Umgebung entspricht keinem Gebiet der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Gebiete (§ 34 Abs. 2 BauGB), insbesondere keinem allgemeinen Wohngebiet oder Mischgebiet.

Bei der Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 BauGB ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits ein geplantes Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das betreffende Baugrundstück prägend auswirken kann (BVerwG, Urt. v. 26.05.1978 - BVerwG 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369 [380]). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das (für die Bebauung vorgesehene) Grundstück eingebettet ist (BVerwG, Beschl. v. 28.08.2003 - BVerwG 4 B 74.03 - zit. bei Juris). Im konkreten Fall umfasst die nähere Umgebung jedenfalls die gesamte Bebauung im Einmündungsbereich der Alfred-Reinhard-Straße in die Regensburger Straße. Die geplante Werbetafel wirkt sich in diesem Bereich prägend aus, da sie im Wesentlichen dort wahrgenommen wird.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Umgebung eines (Bau-)Grundstücks in einem nicht beplanten Baugebiet einem der Baugebiete der §§ 2 ff. BauNVO entspricht, ist von maßgeblicher Bedeutung, inwieweit die maßgebliche Umgebung bauliche Elemente enthält, die nur einem der Baugebietstypen der BauNVO zuzuordnen sind, wobei nicht erforderlich ist, dass für die Zweckbestimmung nicht wesentliche einzelne Anlagen auch vorhanden sein müssen (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 34 RdNr. 79). Insoweit ist in erster Linie auf die nach den Bestimmungen der BauNVO in den verschiedenen Baugebieten allgemein zulässigen Nutzungen abzustellen; Nutzungen die in einem Baugebiet nach der BauNVO nur ausnahmsweise zulässig sind, stehen der Einordnung in ein solches Baugebiet entgegen, wenn sie sich nicht auf Ausnahmefälle beschränken und eine prägende Wirkung auf die Umgebung ausüben (vgl. VGH BW, Urt. v. 30.08.1994 - 3 S 156/94 -, BWGZ 1995, 152). Unzulässig ist es hingegen, eine vorhandene Bebauung in Zielrichtung auf eine scharfe Trennung von Gebietscharakter und zulässiger Bebauung geradezu gewaltsam in ein Baugebiet der in den §§ 2 bis 11 BauNVO bezeichneten Art zu pressen; dies schließt allerdings nicht aus, dass bestimmte Arten von Nutzungen außer Betracht bleiben, weil sie entweder nicht wesentlich sind oder so genannte Fremdkörper darstellen (vgl. Söfker, a. a. O.).

Hiernach ist der maßgebliche Bereich weder - wie die Beklagte geltend macht - als faktisches allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO noch - wie die Klägerin meint - als faktisches Mischgebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO zu betrachten.

Allgemeine Wohngebiete dienen nach § 4 Abs. 1 BauNVO vorwiegend dem Wohnen. Allgemein zulässig sind nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO unter anderem die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störende Handwerksbetriebe. Sonstige nicht störende Gewerbebetriebe können nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden.

Von den im maßgeblichen Bereich vorhandenen gewerblichen Nutzungen gehört - wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend dargelegt hat - die Kfz-Werkstatt nicht zu den in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässigen "nicht störenden Handwerksbetrieben" im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO oder den ausnahmsweise zulässigen "nicht störenden Gewerbebetrieben". Kraftfahrzeugreparaturwerkstätten können sich insbesondere wegen der von ihnen typischerweise ausgehenden Betriebsgeräusche auf ihre Umgebung auswirken. Dies gilt vor allem für Reparaturen wie Blech- oder Karosseriearbeiten, Motorreparaturen, Bohr- und Schweißarbeiten usw. Dementsprechend werden Kfz-Reparaturwerkstätten nicht ohne weiteres zu den nicht störenden Gewerbebetrieben gerechnet (vgl. Beschl. d. Senats v. 11.01.1996 - 1 M 23/95 -, Juris).

Auch der Lebensmittelmarkt (Netto-Discounter) kann nicht (mehr) als ein der Versorgung des Gebiets dienender "Laden" eingestuft werden. Ein Lebensmittel-Discounter kann grundsätzlich nicht mehr als "Nachbarschaftsladen" zur wohnungsnahen Versorgung eingeordnet werden, wenn er "großflächig" im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO ist (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 30.08.2004 - 1 BS 297/04 -, BauR 2005, 354; NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2001 - 1 MB 1190/01 -, BauR 2001, 1239). Zwar soll nach den zum Teil gegenläufigen Entwicklungen im Einzelhandel (größere Verkaufsflächen auch bei den der ortsnahen Versorgung der Wohnbevölkerung dienen Lebensmitteleinzelhandelsbetrieben einerseits und Discounter mit kleineren Verkaufsflächen andererseits) der Typus des Einzelhandelsbetriebs, der auf die Versorgung eines (auch) dem Wohnen dienenden Gebiets zielt, nicht mehr ohne weiteres allein mit Hilfe des Kriteriums der Großflächigkeit von dem Typus zu unterscheiden sein, der auf einen größeren Einzugsbereich zielt; vielmehr soll dem Gesichtspunkt der Auswirkungen in § 11 Abs. 3 BauNVO erhöhte Bedeutung zukommen (BVerwG, Urt. vom 24.11.2005 - 4 C 10.04 -, NVwZ 2006, 452). Da Discounter - wie der hier in Rede stehende Netto-Markt - jedoch ein auf raschen Umschlag ausgerichtetes (begrenztes) Sortiment von Waren zu niedrig kalkulierten Preisen anbieten und auf Dienstleistungen weitgehend verzichten und nach Auffassung des BVerwG häufig Auswirkungen der in § 11 Abs. 3 BauNVO umschriebenen Art haben, muss zumindest bei diesen Selbstbedienungsläden (nach wie vor) davon ausgegangen werden, dass sie jedenfalls bei Überschreiten der Schwelle der Großflächigkeit grundsätzlich nicht mehr als "Nachbarschaftsladen" angesehen werden können (vgl. auch Fickert/Fieseler, BauNVO, 10. Aufl., § 4 RdNr. 5.3).

Um einen solchen großflächigen Lebensmittel-Discounter handelt es sich bei dem in Rede stehenden Netto-Markt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 24.11.2005 - 4 C 10.04 -, a. a. O.) sind Einzelhandelsbetriebe mit einer Verkaufsfläche von nicht mehr als 800 m² als noch nicht großflächig (im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO) anzusehen. Bei einer baulichen Unterteilung in mehrere selbständig nutzbare Betriebseinheiten bilden diese gleichwohl einen Einzelhandelsbetrieb, wenn die Gesamtfläche durch einen Einzelhandelsbetrieb als Hauptbetrieb geprägt wird und auf den baulich abgetrennten Flächen zu dessen Warenangebot als Nebenleistung als Warenangebot hinzutritt, das in einem inneren Zusammenhang mit der Hauptleistung steht, diese jedoch nur abrundet und von untergeordneter Bedeutung bleibt (BVerwG, Urt. v. 24.11.2005 - 4 C 14.04 -, NVwZ 2006, 455). Insofern sind entgegen der Ansicht der Beklagten bei der Beurteilung der "Großflächigkeit" des Nettomarktes auch die Flächen einzubeziehen, die von dem dort angesiedelten Bäcker und Fleischer genutzt werden. Der hier in Rede stehende Lebensmittelmarkt liegt mit der von der Beklagten angegebenen Verkaufsfläche von insgesamt 944,95 m² oberhalb des genannten Schwellenwerts von 800 m².

Im Übrigen kann, selbst wenn die Schwelle der Großflächigkeit nicht überschritten wird, ein der Versorgung des Gebiets dienender Laden nicht gegeben sein, wenn der Lebensmittelmarkt verkehrsgünstig in der Nähe einer Straße mit bedeutender innerörtlicher Verkehrsfunktion errichtet wird und dadurch Kunden außerhalb des Gebiets eine gute Erreichbarkeit mit dem PKW gewährleistet (OVG NW, Beschl. v. 28.11.2000 - 10 B 1428/00 -, BauR 2001, 906). Maßgebend ist, ob der Laden absehbar nur oder zumindest in einem erheblichen Umfang von den Bewohnern des umliegenden Gebiets aufgesucht wird oder ob ein darüber hinausgehender Kundenkreis zu erwarten ist, der zum Verlust des Gebietsbezugs führt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.09.1998 - 4 B 85.98 -, BauR 1999, 29). Deshalb kann auch angesichts der Anzahl von etwa 200 Stellplätzen und der verkehrsgünstigen Lage an einer stark frequentierten innerörtlichen Durchgangsstraße wie der Regensburger Straße nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Discounter im Wesentlichen nur von dem im Gebiet ansässigen Kundenkreis aufgesucht wird.

Auch das Geschäft für Satelliten- und Fernsehanlagen dürfte nicht als ein der Versorgung des Gebiets dienender Laden im Sinne von § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO anzusehen sein. Die in dieser Bestimmung aufgeführten Nutzungen, insbesondere die "Läden" müssen "zur Befriedigung der mit einer normalen Lebensführung zusammenhängenden Bedürfnisse" erforderlich sein; dazu gehören unter anderem Einkäufe zur üblichen Haushaltsführung; es muss sich um mehr oder weniger regelmäßige Tätigkeiten handeln, die im Zusammenhang mit dem Begriffs des Wohnens stehen (vgl. Fickert/Fieseler, a. a. O.; § 4 RdNr. 4.1). Es ist indessen kaum anzunehmen, dass der Kauf von dem in diesem Geschäft vertriebenen Elektrogeräten zu den bei der üblichen Haushaltsführung regelmäßig anfallenden Tätigkeiten gehört.

Sind aber in der näheren Umgebung, die - wie dargelegt - nur einen verhältnismäßig kleinen Bereich um die Einmündung der Alfred-Reinhard-Straße in die Regensburger Straße umfasst, zwei oder drei in einem Wohngebiet unzulässige Nutzungen vorhanden, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Eigenart dieser näheren Umgebung einem faktischen allgemeinen Wohngebiet im Sinne von § 4 BauNVO entspricht.

Die Eigenart der näheren Umgebung ist allerdings auch nicht als Mischgebiet zu qualifizieren. Die Eigenart des Mischgebiets als Baugebietstyp zeichnet sich nach § 6 Abs. 1 BauNVO dadurch aus, dass es sowohl dem Wohnen als auch der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, dienen soll. Beide Hauptnutzungsarten stehen nicht in einem Rangverhältnis zueinander. Sie stehen als gleichwertige Funktionen nebeneinander, wobei das Verhältnis der beiden Nutzungsarten weder nach der Fläche noch nach Anteilen bestimmt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.1972 - 4 C 11.69 -, BVerwGE 40, 94 [100]). Dieses gleichwertige Nebeneinander zweier Nutzungsarten bedeutet, dass keine der Nutzungsarten ein deutliches Übergewicht über die andere gewinnen soll (BVerwG, Urt. v. 25.11.1983 - 4 C 64.79 -, BVerwGE 68, 207). Die Störung des gebotenen quantitativen Mischungsverhältnisses und damit zugleich der Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets kann sich aus einem übermäßig großen Anteil einer Nutzungsart an der Grundfläche des Baugebiets, aber auch aus anderen Umständen, beispielsweise aus einem Missverhältnis der Geschossflächen oder der Zahl der eigenständigen gewerblichen Betriebe im Verhältnis zu den vorhandenen Wohngebäuden, oder auch erst aus mehreren solcher Merkmale zusammengenommen ergeben (BVerwG, Urt. v. 04.05.1988, a. a. O.). Aufgrund des deutlichen Übergewichts der Wohnnutzung in der näheren Umgebung des geplanten Aufstellungsorts der Werbeanlage entspricht die Eigenart der Umgebung auch keinem Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO.

Damit bestimmt sich die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 BauGB. Die anzunehmende Gemengelage eröffnet einen Rahmen, der von Wohnnutzung bis zur (störenden) gewerblichen Nutzung reicht. Die geplante beleuchtete Werbeanlage hält sich innerhalb dieses Rahmens. Eine Werbeanlage, die - wie hier - Fremdwerbung zum Gegenstand hat, stellt bauplanerisch eine eigenständige Hauptnutzung, und zwar eine - nicht störende - gewerbliche Nutzung dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.12.1992 - 4 C 27.91 -, BVerwGE 91, 234; Fickert/Fieseler, a. a. O. § 4 RdNr. 9.31).

Auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung fügt sich die geplante Werbeanlage in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Großflächige Werbetafeln für wechselnde Plakatwerbung der üblichen Art liegen außer vom Bauvolumen allgemein von der Flächengröße her durchweg in dem Rahmen, der sich aus dem in der Umgebung verwirklichten Maß der baulichen Nutzung ergibt. Sie fügen sich deshalb vom Maß der baulichen Nutzung regelmäßig in die Eigenart der näheren Umgebung ein (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.12.1994 - 4 C 19.93 -, NVwZ 1995, 897). Auch im konkreten Fall hält sich die Werbeanlage innerhalb des von der vorhandenen Bebauung vorgegebenen Rahmens.

Die Werbeanlage ist auch bauordnungsrechtlich zulässig. Sie verstößt insbesondere nicht gegen § 13 Abs. 5 Satz 1 BauO LSA. Danach sind in Kleinsiedlungsgebieten, Dorfgebieten, reinen und allgemeinen Wohngebieten und Wochenendhausgebieten Werbeanlagen nur an der Stätte der Leistung zulässig. Wie bereits dargelegt, handelt es sich bei der näheren Umgebung des Standorts der Werbeanlage um kein allgemeines Wohngebiet.

Die Anlage verstößt auch nicht gegen § 13 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauO LSA. Danach dürfen Werbeanlagen weder bauliche Anlagen noch das Straßenbild, Ortsbild oder Landschaftsbild verunstalten. Sie dürfen nicht die einheitliche Gestaltung und die architektonische Gliederung baulicher Anlagen stören. Die Fassade, an der die Werbetafel angebracht werden soll, weist zwar eine Gliederung auf. Sie ist im Erdgeschoss mit einem etwa 0,85 Meter hohen Sockel und darüber mit einem Glattputz und im Obergeschoss mit einem Klinkermauerwerk versehen. Diese Gliederung wird aber durch die Werbetafel nicht gestört. Sie soll nur an dem mit Glattputz versehenen Teil der Fassade angebracht werden. Die Anbringung einer großflächigen Werbetafel an einer Fassade kann zwar auch dann verunstaltend wirken, wenn sie zu den übrigen Proportionen des Gebäudes in keinem ausgewogenen Verhältnis steht (vgl. VGH BW, Beschl. v. 16.01.1990 - 8 S 3174/89 -, BRS 50 Nr. 143). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass nicht bereits jede Störung der architektonischen Harmonie, also die bloße Unschönheit, sondern nur die Verunstaltung verhindert werden soll, also ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht bloß beeinträchtigender, sondern verletzender Zustand; dabei kann nicht auf den ästhetisch besonders empfindsamen oder geschulten Betrachter abgestellt werden, es muss vielmehr das Empfinden jedes für ästhetische Eindrücke offenen Betrachters maßgebend sein, also des sog. "Durchschnittsbetrachters" (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.06.1955 - III C 146.53 -, BVerwGE 2, 172). Eine solche verletzende Wirkung hat die geplante Werbeanlage, auch was das Verhältnis der Größe der Anlage zur Größe der Fassade anbetrifft, nicht.

Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass die Werbeanlage mit anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht vereinbar wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 709 Satz 1, 708 Nr. 11 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Ende der Entscheidung

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