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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: 2 M 146/08
Rechtsgebiete: BImSchG, UmwRG, UVPG, VwGO


Vorschriften:

BImSchG § 15 Abs. 2 Satz 2
UmwRG § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
UmwRG § 4
UVPG § 3b
UVPG § 3e Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
1. Zum Erfordernis einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder allgemeinen Vorprüfung bei Erteilung einer Baugenehmigung zur Neuerrichtung von Teilen einer Schweinemastanlage.

2. Ist ein immissionsschutzrechtliches (Änderungs-)Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt worden, weil die Immissionsschutzbehörde dem Bauherrn nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG mitgeteilt hat, dass die Änderung keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfe, bedeutet dies - auch wenn es sich bei der Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG um einen (feststellenden) Verwaltungsakt handelt - nicht, dass damit in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren die Durchführung einer an sich gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung oder allgemeinen Vorprüfung entbehrlich geworden wäre.

3. Die Vorschriften in § 4 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 UmwRG räumen u. a. Individualklägern - abweichend von der bisherigen Rechtslage (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 - 4 C 9.06 -, BVerwGE 130, 83) - ein subjektives Recht auf Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. auf Vorprüfung oder Nachholung der Prüfung ein mit der Folge, dass ein Verfahrensfehler als beachtlich einzustufen ist.

4. Auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann sich der Antragsteller auf die bislang unterbliebene Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung berufen und die Anordnung der aufschiebende Wirkung seiner Klage erreichen, auch wenn diese Verfahrensschritte im Laufe des Hauptsacheverfahrens noch nachgeholt werden können.


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung u. a. zur Errichtung von Mastställen und eines Güllebehälters auf dem Gelände einer bereits zu DDR-Zeiten betriebenen Schweinemastanlage

Der VEG Tierzucht M. zeigte dem Staatlichen Amt für Umweltschutz Halle am 30.05.1991 gemäß § 67 a BlmSchG den weiteren Betrieb der in der Gemarkung S., Flur A, Flurstück 47/88 betriebenen Schweinemastanlage an, die sich östlich der Ortslage S. befindet. Nach den Angaben in den ergänzenden Unterlagen vom 03.04.1992 konnte die Anlage einen Bestand von 4.000 bis 4.700 Tieren aufnehmen. Mit Bescheid vom 11.12.1998 erteilte das Regierungspräsidium Halle der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, der (...) Jungschweine GbR, eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 16 BImSchG zur wesentlichen Änderung der Mastanlage, die u. a. darin bestehen sollte, dass die Kapazität von 672 Sauen, 460 Jungsauen, 800 Ferkeln und 1.400 Mastschweinen auf 652 Sauen, 580 Jungsauen und 1.200 Läufern bei einer Auslastung von 80 % verringert werden sollte. Der Bescheid enthielt die Nebenbestimmung, dass die Änderungsgenehmigung erlösche, wenn nicht innerhalb von einem Jahr nach Bestandskraft des Bescheids mit der wesentlichen Änderung der Anlage begonnen oder die geänderte Anlage nicht innerhalb von zwei Jahren nach Bestandskraft in Betrieb genommen werde. Die (...) Jungschweine GbR stellte ihre Betriebstätigkeit aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen am 09.12.1999 zum 31.12.1999 ein. Mit Kaufvertrag vom 11.02.2000 erwarb die Beigeladene die Mastanlage aus der Insolvenzmasse.

Am 01.03.2004 zeigte die Beigeladene "gemäß § 15 BImSchG" eine Änderung der Mastanlage an, die dergestalt erfolgen sollte, dass ein neues Stallgebäude, bestehend aus zwei Hallen; errichtet, sieben alte Stallgebäude abgerissen und die übrigen Stallgebäude sowie das Futterhaus stillgelegt und ein neuer Güllebehälter gebaut wird. Ergänzend führte sie aus, die Änderungsgenehmigung vom 11.12.1998 sei unwirksam, weil die darin festgelegte Realisierungsfrist verstrichen sei. Die Aufnahmekapazität betrage unverändert 4.700 Mastschweineplätze.

Mit Bescheid vom 06.04.2004 stellte der Antragsgegner fest, dass für die geplante Änderung eine Genehmigungspflicht nach lmmissionsschutzrecht nicht bestehe, weil nachteilige Auswirkungen auf die Schutzgüter nicht hervorgerufen werden könnten. Durch den Ersatzneubau und den zusätzlichen Güllebehälter werde vielmehr der Abstand vom Emissionsschwerpunkt der Anlage zur nächsten Wohnbebauung um 65 m erhöht. Mit weiterem Bescheid vom 22.11.2005 stellte der Antragsgegner fest, dass auch der von der Beigeladenen angezeigte Abbruch von 17 Schweineställen nicht nach dem BlmSchG genehmigungspflichtig sei, weil nachteilige Auswirkungen auf die maßgeblichen Schutzgüter nicht hervorgerufen werden könnten.

Den Antrag der Beigeladenen vom 12.12.2005 auf Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Stallgebäuden für 4.700 Mastschweine auf dem westlichen Teil des Betriebsgeländes, eines Sozialteils, eines Futterhauses und -lagers, eines Güllebehälters sowie eines Regenrückhaltebeckens lehnte der Landkreis M. mit Bescheid vom 30.06.2006 ab. Auf den hiergegen von der Beigeladenen erhobenen Widerspruch hob der Antragsgegner zunächst den Ablehnungsbescheid auf und erteilte mit Bescheid vom 12.12.2007 die beantragte Baugenehmigung.

Am 14.01.2008 hat der Antragsteller, der Eigentümer eines im Osten an das Betriebsgelände angrenzenden, mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks ist und dort ein Gestüt betreibt, gegen die Baugenehmigung Klage erhoben (2 A 11/08 HAL), über die noch nicht entschieden ist. Den am 06.03.2008 gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 03.06.2008 abgelehnt und zur Begründung u. a. ausgeführt: Ob die Baugenehmigung dem Schutz des Antragstellers dienende öffentlich-rechtliche Vorschriften verletze, lasse sich nach gegenwärtigem Sachstand nicht abschließend beurteilen. Unabhängig davon, ob das Vorhaben der Beigeladenen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung und nicht nur einer Baugenehmigung bedürfe, stehe bei summarischer Prüfung nicht fest, ob von dem Vorhaben für den Antragsteller unzumutbare schädliche Umwelteinwirkungen ausgingen. Der Antragsteller könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Baugenehmigung unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 und Abs. 3 UmwRG ergangen sei. Danach könne zwar die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden sei. Der Antragsteller könne aber unabhängig davon, ob das UVPG für das Vorhaben der Beigeladenen die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreibe, nicht die Aufhebung der angefochtenen Genehmigung verlangen, weil eine solche Prüfung noch nachgeholt werden könne. Bei der danach erforderlichen Abwägung der wechselseitigen Interessen messe die Kammer dem Interesse der Beigeladenen an der Verwirklichung des Vorhabens gegenüber dem Interesse des Antragstellers höheres Gewicht bei.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers zu Unrecht abgelehnt. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung muss vielmehr zu dessen Gunsten ausfallen, weil seine Klage nach gegenwärtigem Sach- und Streitstand Erfolg haben wird.

Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 4 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 3 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG vom 07.12.2006 (BGBI I 2816) - UmwRG -, das nach dessen § 5 Halbsatz 1 für Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 gilt, die nach dem 25.06.2005 eingeleitet worden sind oder hätten eingeleitet werden müssen. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist. Nach § 4 Abs. 3 UmwRG gilt dies entsprechend für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO. Diese Regelungen räumen u. a. Individualklägern - abweichend von der bisherigen Rechtslage (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 13.12.2007 - 4 C 9.06 -, BVerwGE 130, 83) - ein subjektives Recht auf Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. auf Vorprüfung oder Nachholung der Prüfung ein mit der Folge, dass ein Verfahrensfehler per definitionem als beachtlich einzustufen ist (vgl. VG Neustadt, Urt. v. 13.12.2007 - 4 K 1219/06.NW -, Juris, m. w. Nachw.).

Bei dem Vorhaben der Beigeladenen, das nach dem Stichtag des § 5 UVPG beantragt und genehmigt wurde, handelt es sich um ein Vorhaben nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG, weil für dieses nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.06.2005 (BGBl I 1757) - UVPG - eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann.

Gemäß § 3b Abs. 1 UVPG i. V. m. Nr. 7.7.1 der Anlage 1 dieses Gesetzes besteht eine Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Intensivhaltung oder -aufzucht von Mastschweinen (Schweine von 30 kg Lebendgewicht) mit 3.000 oder mehr Plätzen. Wird der maßgebende Größen- oder Leistungswert durch die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden bisher nicht UVP-pflichtigen Vorhabens erstmals erreicht oder überschritten, ist gemäß § 3b Abs. 3 Satz 1 UVPG für die Änderung oder Erweiterung eine Umweltverträglichkeitsprüfung unter Berücksichtigung der Umweltauswirkungen des bestehenden, bisher nicht UVP-pflichtigen Vorhabens durchzuführen. Gemäß § 3e Abs. 1 UVPG besteht die Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch für die Änderung oder Erweiterung eines Vorhabens, für das als solches bereits eine UVP-Pflicht besteht, wenn - 1. - in der Anlage 1 für Vorhaben der Spalte 1 angegebene Größen- oder Leistungswerte durch die Änderung oder Erweiterung selbst erreicht oder überschritten werden oder - 2. - eine Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 3c Satz 1 und 3 UVPG ergibt, dass die Änderung oder Erweiterung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann; in die Vorprüfung sind auch frühere Änderungen oder Erweiterungen des UVP-pflichtigen Vorhabens einzubeziehen, für die nach der jeweils geltenden Fassung dieses Gesetzes keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist.

Während § 3b Abs. 3 UVPG den Fall regelt, dass die maßgebenden Größen- oder Leistungswerte durch die Erweiterung eines bestehenden Vorhabens erstmals erreicht oder überschritten werden (sog. "Hineinwachsen in die UVP-Pflicht"), erfasst § 3e Abs. 1 UVPG derartige Fälle nicht, sondern setzt voraus, dass bereits ein UVP-pflichtiges Vorhaben vorliegt, das geändert oder erweitert werden soll. UVP-pflichtige Vorhaben in diesem Sinne sind auch Vorhaben, für die noch keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, die aber gleichwohl die Voraussetzungen für die UVP-Pflichtigkeit nach den §§ 3a bis 3f in Verbindung mit der Anlage 1 erfüllen. In derartigen Fällen ist erstmals für die Änderung oder Erweiterung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. Hiervon sind insbesondere Änderungen oder Erweiterungen solcher Vorhaben betroffen, die bereits vor Inkrafttreten des UVP-Gesetzes a. F. ohne Umweltverträglichkeitsprüfung zugelassen worden sind. Nach § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG ist, sofern die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG nicht erfüllt sind, eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 3c Abs. 1 Satz 1 UVPG durchzuführen (vgl. zum Ganzen: Gesetzentwurf zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz [Artikelgesetz], BT-Drucks. 14/4599, S. 97 f.). Eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls ist auch dann durchzuführen, wenn nur kleinere, unterhalb der Prüfwerte für ein entsprechendes "A-Vorhaben" nach der Anlage 1 liegende Änderungen oder Erweiterungen vorgenommen werden sollen. § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG sieht für Änderungen oder Erweiterungen weder eine standortbezogene Einzelfallprüfung noch "Bagetellschwellen" vor, die die Vorprüfungspflicht "nach unten" begrenzen (vgl. Sagenstedt in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band 3, § 3e UVPG RdNr. 22, m. w. Nachw.). Es kommt im Rahmen des § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG für das Bestehen einer allgemeinen Vorprüfungspflicht - entgegen der Annahme der Beigeladenen - nicht darauf an, ob sich aus § 3c UVPG i. V. m. der Anlage 1 eine allgemeine Vorprüfungspflicht ergibt. § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVGP beinhaltet keine Rechtsgrund-, sondern eine Rechtsfolgenverweisung. Die Notwendigkeit, auch bei "kleineren" Änderungen oder Erweiterungen eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls vorzunehmen, ergibt sich daraus, dass hier bereits ein UVP-pflichtiges Grundvorhaben, d. h. ein Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen vorliegt. Es genügt, dass durch eine Änderung oder Erweiterung diese gewichtigen Umwelteffekte noch verstärkt werden können (vgl. Sagenstedt, a. a. O.).

In Anwendung dieser Grundsätze hätte entweder nach § 3b Abs. 1 Satz 1 UVPG eine Umweltverträglichkeitsprüfung oder zumindest eine allgemeine Vorprüfung "im Sinne" des § 3c Abs. 1 Satz 1 UVPG stattfinden müssen. Sofern man die Errichtung der baulichen Anlagen, die Gegenstand der angefochtenen Baugenehmigung sind, als Vorhaben qualifiziert, das die (Neu-)Errichtung und den (Neu-)Betrieb einer technischen Anlage im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 a) UVPG oder den (Neu-)Bau sonstiger Anlagen im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 b) UVPG zum Gegenstand hat, ergibt sich eine UVP-Pflicht daraus, dass die Stallgebäude mit den geplanten 4.700 Mastplätzen den in Nr. 7.7.1 der Anlage 1 zum UVPG genannten Größenwert von 3.000 Mastplätzen überschreiten. Sofern es sich um kein Vorhaben im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 1 UVPG handeln sollte, wären die streitigen Baumaßnahmen jedenfalls als Vorhaben im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 2 a) oder b) UVPG zu betrachten, nämlich als Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer technischen Anlage bzw. als Änderung der Lage oder Beschaffenheit einer sonstigen Anlage. Dann aber wäre gemäß § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG eine allgemeine Vorprüfung erforderlich gewesen. Die Schweinemastanlage, für deren erstmalige Zulassung nach früher geltendem Recht keine Umweltverträglichkeitsprüfung stattfand, überschreitet in ihrem angezeigten Umfang von 4.000 bis 4.700 Mastplätzen den heute geltenden Größenwert. Die Änderungsgenehmigung des Regierungspräsidiums Halle vom 11.12.1998 dürfte für den maßgeblichen Größenwert rechtlich ohne Bedeutung sein, da nach den nicht bestrittenen Angaben der Beigeladenen von dieser Genehmigung nicht innerhalb der darin festgelegten Fristen Gebrauch gemacht wurde (vgl. hierzu Czajka in: Feldhaus, BImSchG, Bd. I, § 16 RdNr. 103; Sellner in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. I § 16 BImSchG RdNr. 148).

Dem Erfordernis der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung oder einer allgemeinen Vorprüfung steht nicht entgegen, dass der Antragsgegner mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 06.04.2004 festgestellt hat, dass für die geplante Änderung eine Genehmigungspflicht nach lmmissionsschutzrecht nicht bestehe, weil nachteilige Auswirkungen auf die maßgeblichen Schutzgüter nicht hervorgerufen werden könnten. Zwar stellt das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren bei Anlagen der hier in Rede stehenden Art regelmäßig das für eine Umweltverträglichkeitsprüfung zur Verfügung stehende Trägerverfahren dar (vgl. den bereits genannten Gesetzentwurf, BT-Drucks. 14/4599, S. 66 f.). Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 der 9. BImSchV ist, wenn für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist (UVP-pflichtige Anlage), die Umweltverträglichkeitsprüfung jeweils unselbständiger Teil der in Absatz 1 genannten (immissionsschutzrechtlichen) Verfahren. Ferner bestimmt § 1 Abs. 3 Satz 1 der 9. BImSchV, dass im Verfahren zur Erteilung einer Änderungsgenehmigung einer Anlage nach Anlage 1 des UVPG eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach Absatz 2 durchzuführen ist, wenn die für eine UVP-pflichtige Anlage in der Anlage 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung angegebenen Größen- oder Leistungswerte durch eine Änderung oder Erweiterung selbst erreicht oder überschritten werden oder wenn die Änderung oder Erweiterung erhebliche nachteilige Auswirkungen auf in § 1a genannte Schutzgüter haben kann. Ist jedoch - wie hier - ein solches immissionsschutzrechtliches (Änderungs-)Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt worden, weil die Immissionsschutzbehörde dem Bauherrn nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG mitgeteilt hat, dass die Änderung keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung bedürfe, bedeutet dies - auch wenn es sich bei der Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG um einen (feststellenden) Verwaltungsakt handelt - nicht, dass damit die Durchführung einer an sich gebotenen Umweltverträglichkeitsprüfung oder allgemeinen Vorprüfung in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren entbehrlich geworden wäre. Über die UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens wird durch eine Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG keine Aussage getroffen. Das Gesetz knüpft die UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens nicht (mehr) an das formelle Kriterium eines bestimmten Zulassungsverfahrens, sondern an sachbezogene Merkmale, die das UVPG vorgibt (vgl. nochmals die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks 14/4599, S. 94, 106). Besteht eine nach § 15 Abs. 1 BImSchG angezeigte Änderung in einer baurechtlich relevanten Maßnahme, muss in einem durchzuführenden Baugenehmigungsverfahren die Einhaltung der anderen das Vorhaben betreffenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften geprüft werden (vgl. Hansmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. I, § 15 BImSchG, RdNr. 51). Dazu gehören dann auch die Vorschriften über die Umweltverträglichkeitsprüfung. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UVPG ist die Umweltverträglichkeitsprüfung ein unselbstständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen.

Im Rahmen des Baugenehmigungs- und des folgenden Widerspruchsverfahrens fand die hiernach erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung nicht statt mit der Folge, dass nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG die Baugenehmigung nach derzeitigem Sachstand im Hautsacheverfahren aufzuheben wäre.

Der Antragsteller rügt zu Recht, dass er sich auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auf die bislang unterbliebene Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung berufen kann und die aufschiebende Wirkung seiner Klage anzuordnen ist, auch wenn diese Verfahrensschritte im Laufe des Hauptsacheverfahrens noch nachgeholt werden können.

§ 4 UmwRG stellt für die darin aufgezählten Verfahrensfehler eine spezialgesetzliche Vorschrift dar, die § 46 VwVfG vorgeht, soweit ihr Regelungsgehalt reicht (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/2495, S. 14). Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 UmwRG bleiben (nur) § 45 Abs. 2 VwVfG und andere entsprechende Rechtsvorschriften unberührt. Es kann insoweit offen bleiben, ob schon nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht die nach § 45 VwVfG heilbare Fehlerhaftigkeit eines Verwaltungsaktes grundsätzlich die Aussetzung der Vollziehung gebietet (so SaarlOVG, Beschl. v. 15.02.1991 - 2 W 2/91 -, Juris; OVG RP, Beschl. v. 17.01.1979 - 2 B 268/78 -, DÖV 1979, 606; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 80 RdNr. 160, m. w. Nachw.). Im Rahmen des § 4 UmwRG jedenfalls verlangen die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben ein solches Vorgehen. Nach dem Urteil des EuGH vom 07.01.2004 (C-201/02 -, NVwZ 2004, 593) sind die zuständigen Behörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Unterlassen der Umweltverträglichkeitsprüfung eines Projekts im Sinne von Art. 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/337/EWG abzuhelfen. In diesem Rahmen sei es Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit bestehe, eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder auszusetzen, um dieses Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung gemäß den Anforderungen dieser zu unterziehen, oder aber die Möglichkeit für den Einzelnen, wenn er dem zustimme, Ersatz des ihm entstandenen Schadens zu verlangen. Dafür, dass der Betreiber einer Anlage vor einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung von einer ihm gleichwohl erteilten Genehmigung keinen Gebrauch machen soll, spricht auch der sechste Erwägungsgrund der mit dem UmwRG umgesetzten Richtlinie 2003/35/EG. Danach ist es eines der Ziele des Århus-Übereinkommens, das Recht auf Beteiligung der Öffentlichkeit an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten zu gewährleisten und somit dazu beizutragen, dass das Recht des Einzelnen auf ein Leben in einer der Gesundheit und dem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt geschützt wird. Würde es dem Anlagenbetreiber ermöglicht, den Betrieb vor einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung oder Vorprüfung aufzunehmen, wäre dieses Ziel in Frage gestellt. Das Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO bietet die Möglichkeit, die Außervollzugsetzung der Genehmigung auf Antrag wieder aufzuheben, wenn die erforderliche Prüfung stattgefunden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1. und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.).

Ende der Entscheidung

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