Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 31.03.2006
Aktenzeichen: 2 M 156/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 5
1. Eine Auflage, mit der im Voraus bestimmte Äußerungen bei einer Demonstration verboten werden sollen, ist nur dann mit Art. 5 Abs.1 S.1 GG vereinbar, wenn sie so gefasst ist, dass sie nicht auch solche Äußerungen verbietet, die nach ihrer konkreten Darstellungsweise die Schwelle der Strafbarkeit möglicherweise nicht überschreiten.

2. Der Einsatz von Ordnern gemäß §§ 8,9 VersG dient der vorbeugenden Gefahrenabwehr. Bei größeren Versammlungen bedarf es dazu keiner besonderen Gefahrenprognose.

3. Zur Rechtmäßigkeit einer Auflage, die die Momentanlautstärke beim Lautsprechereinsatz im Abstand von 5 Metern neben einer Versammlung auf 85 d (B)A begrenzt.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 156/06

Datum: 31.03.2006

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 1; 53 Abs. 3 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG - <Streitwert>.

Die Beschwerde, über die der Senat wegen der unmittelbar bevorstehende Versammlung vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist entscheidet, hat soweit Satz 2 der Auflage 10 betroffen ist Erfolg, im übrigen ist sie erfolglos. Die vom Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen eine abweichende Entscheidung nur im Hinblick auf die Auflage 10. soweit darin geregelt ist, "Schriftliche oder mündliche Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, sind verboten".

Die in Satz 2 der Auflage 10 enthaltene Anordnung, "schriftliche oder mündliche Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden, sind verboten", ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig, weil sie so, wie sie formuliert ist, mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht vereinbar sein dürfte. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - NJW 1994, 2943). Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Meinungsfreiheit sowohl im Interesse der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen, mit der sie eng verbunden ist, als auch im Interesse des demokratischen Prozesses, für den sie konstitutive Bedeutung hat (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - a.a.O.). Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit allerdings seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, weshalb beispielsweise beleidigende oder verleumderische Äußerungen, die nach den §§ 185 ff. StGB strafbar sind, nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Die Feststellung, ob eine Äußerung den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießt und ob sie die Tatbestandsmerkmale eines der Art 5 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Gesetze erfüllt, sowie die dann erforderliche Abwägung setzen allerdings voraus, dass die Äußerung in ihrem Sinngehalt zutreffend erfasst worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - a.a.O.). Dazu gehört es auch, dass Rechtsbegriffe, die im öffentlichen Meinungskampf verwendet werden, nicht ohne weiteres im fachlich-technischen Sinne verstanden werden dürfen, sondern den Umständen entnommen werden muss, ob eine alltagssprachliche oder technische Begriffsverwendung vorliegt. Einer entsprechenden Auslegung bedürfen demnach auch Begriffe wie "Mörder", "Mord" oder "morden", bei denen im jeweiligen Einzelfall anhand der getätigten Äußerung und unter Berücksichtigung der konkreten Äußerungsweise- und der konkreten Äußerungsumstände im nachhinein zu prüfen ist, ob sie beispielsweise technisch im Sinne des § 211 StGB oder anders zu verstehen sind, wobei sich je nachdem eine unterschiedliche strafrechtliche Beurteilung derartiger Äußerungen ergeben kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.08.1994 - 1 BvR 1423/92 - a.a.O.). Ist aber eine derartige Beurteilung erst im nachhinein möglich, ist es mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar, Äußerungen, deren Strafbarkeit sich erst im nachhinein aufgrund der konkreten Art und Weise und den konkreten Umständen der Äußerung beurteilen lässt, bereits im Vorfeld, d.h. bevor sie getätigt sind, zu verbieten; denn dann bestünde die Gefahr, dass auch solche Äußerungen, die die Schwelle der Strafbarkeit noch nicht überschreiten und damit von der Meinungsfreiheit umfasst sind, von vornherein untersagt werden.

In Anwendung dieser Grundsätze ist die in der Auflage 10 Satz 2 geregelte Anordnung deshalb mit Art 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar, weil sie zu allgemein gefasst ist und damit auch solche Äußerungen nicht zulässt, die nach ihrer konkreten Darstellungsweise die Schwelle der Strafbarkeit möglicherweise nicht überschreiten. "Behauptungen, Oury Jalloh sei ermordet oder vorsätzlich getötet worden" können in ihrer konkreten Formulierung und/oder Darstellung auf Transparanten in sehr verschiedener Gestalt auftreten und auf verschiedene Weise abgemildert, modifiziert, unter Verwendung von Symbolen in ihrem Aussagegehalt abgeschwächt oder sonst wie verändert sein. All dies kann aber (strafrechtlich) nicht im Vorhinein, sondern nur dann beurteilt werden, wenn die Äußerungen konkret vorliegen. Bis dahin obliegt es der Meinungsfreiheit des Einzelnen, aber auch seinem Risiko, derartige Äußerungen in einer Art und Weise zu tätigen, dass er sich damit nicht strafbar macht.

Im Übrigen gibt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu Bedenken keinen Anlass.

Die Auflage 5, mit der dem Antragsteller aufgegeben wird, Ordner einzusetzen, ist nicht zu beanstanden. Soweit der Antragsteller meint, Ordner seien nur zu stellen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu bejahen ist, trifft so nicht zu. Nach § 9 Abs.1 VersG kann sich der Leiter einer Versammlung bei der Erfüllung seiner Rechte aus § 8 VersG der Hilfe einer angemessenen Zahl von Ordnern bedienen. Als Inhaber der vom Veranstalter abgeleiteten Organisationsgewalt steht es dem Leiter frei, sich durch die als Gehilfen agierenden Ordner unterstützen zu lassen (VG München, Beschluss vom 1. Juni 2005 - M 7 S 05.1977). Ordner dienen daher der vorbeugenden Gefahrenabwehr muss und sind bei größeren Versammlungen - wie hier - unverzichtbar, ohne dass der Antragsgegner eine besondere Gefahrenprognose begründen müsste. Nur bei kleinen überschaubaren Versammlungen kann - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - auf den Einsatz von Ordnern verzichtet werden

Soweit der Antragsteller weiter geltend macht, dass Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen in Satz 3 der Auflage 11, wonach die Momentanlautstärke von 85 dB(A) beim Lautsprecherbetrieb im Abstand von 5 Metern neben der Versammlung nicht überschritten werden dürfe, sei rechtlich nicht zu beanstanden, bleibt die Beschwerde erfolglos.

Der Einwand, die Auflage sei zu unbestimmt, trifft nicht zu. In der Sache selbst muss die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei sei. Der Entscheidungsinhalt muss in diesem Sinne für den Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich sein und den Adressaten in die Lage versetzen, zu erkennen, was genau von ihm gefordert wird bzw. was in der ihn betreffenden Sache geregelt oder verbindlich durch den Verwaltungsakt gefordert wird (Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kom. 9. Aufl. § 37 RdNr. 129). Dies ist ersichtlich der Fall.

In Wahrheit rügt die Beschwerde auch nicht die Bestimmtheit der Auflage, sondern meint die von der Antragsgegnerin für angemessen gehaltene Lautstärke von 85 dB(A) sei zu gering, um bei den Versammlungsteilnehmern und Passanten in jedem Fall und zu jeder Zeit gehört zu werden. Dies rechtfertigt ebenfalls nicht, die Auflage Nr. 1! insgesamt außer Vollzug zu setzen oder eine höhere Lautstärke zuzulassen. Im Rahmen der nur möglichen summarischen Prüfung vermag der Senat nicht festzustellen, ab welcher Lautstärke die bei einer Versammlung gehaltenen Redebeiträge bei einem hinreichend großen Zuhörerkreis noch verstanden werden können. Dies hängt von den Bedingungen vor Ort ab, insbesondere davon, welche anderen Geräuschquellen in welcher Entfernung während der Versammlung vorhanden sind.

Die mithin bei offenem Ausgang eines eventuellen Hauptsacheverfahrens vorzunehmende Abwägungsentscheidung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Dabei sind die Folgen, die sich ergeben, wenn vorläufiger Rechtsschutz verweigert wird, die Auflage sich aber später in der Hauptsache als rechtswidrig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet wird, die Auflage später in der Hauptsache aber als rechtmäßig bestätigt wird. Dabei ist zunächst in Rechnung zu stellen, dass dem Antragsteller das Grundanliegen, die angemeldete Demonstration durchzuführen, erlaubt worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.11.2000 - 1 BvQ 33/00 - NVwZ-RR 2001, 282). Eventuelle Störungen dürften das Recht des Antragstellers und der Redner der Versammlung auf Meinungsäußerung nicht unzumutbar beeinträchtigen, da solche Störungen der verbalen Meinungsäußerung nicht während der gesamten Dauer der Versammlung in gleicher Intensität auftreten dürften, insbesondere auch weil sich der Aufzug durch mehrere Straßenzüge bewegt. Der Antragsteller hat ferner die Möglichkeit, seine Meinung auch durch Transparente kundzutun. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller und seine Anhänger ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung - wenn auch möglicherweise eingeschränkt - auch dann werden wahrnehmen können, wenn sich die verbale Meinungsäußerung durch die Gesamtumstände bedingt zeitweilig sich nicht durchsetzen kann, sich die Begrenzung des Lärmpegels damit später als rechtswidrig erweist. Dem steht das schützenswerte Interesse der Wohnbevölkerung, der Passanten und der begleitender Polizeibeamten gegenüber, von einer möglicherweise unzumutbaren Lärmbelästigung verschont zu bleiben.

Ende der Entscheidung

Zurück