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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 04.02.2009
Aktenzeichen: 2 M 2/09
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
1. Eine nach Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht eingereichte Begründung wahrt die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht, wenn sie nicht innerhalb der Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.

2. Ein Gericht, das bereits mit dem Verfahren befasst war, hat die bei ihm fehlerhaft eingereichten fristgebundenen Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzureichen. Geht ein solcher Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. Beschl. v. 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99).

3. Eine Weiterleitung per Telefax gehört grundsätzlich nicht mehr zum "ordentlichen Geschäftsgang".


Gründe:

Die - fristgerecht eingelegte - Beschwerde ist unzulässig geworden und daher gemäß § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO zu verwerfen, weil die Beschwerdebegründung nicht fristgerecht beim Oberverwaltungsgericht eingegangen ist.

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Der angefochtene Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers laut Empfangsbekenntnis am 11.12.2008 zugestellt. Die Beschwerdebegründungsfrist, auf die in der dem angefochtenen Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung hingewiesen worden ist, ist daher gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am Montag, dem 12.01.2009 abgelaufen. Die an das Verwaltungsgericht adressierte Beschwerdebegründung ist dort zwar am 12.01.2009 eingegangen. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO ist jedoch die Begründung, sofern sie - wie hier - nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Auch über dieses Erfordernis ist im erstinstanzlichen Beschluss zutreffend belehrt worden. Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerde zwar noch am Tag des Eingangs an das Oberverwaltungsgericht weitergeleitet. Dort ist sie aber erst einen Tag später, am 13.01.2009 und damit nach Fristablauf eingegangen. Eine nach Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht eingereichte Begründung wahrt die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht, wenn sie nicht innerhalb der Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 146 RdNr. 39, m. w. Nachw.).

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist liegen nicht vor, da der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers, dessen Verhalten sich der Antragsteller zurechnen lassen muss, nicht ohne Verschulden verhindert gewesen ist, diese Frist einzuhalten (§ 60 Abs. 1 VwGO).

Er kann sich nicht darauf berufen, es sei ihm nicht möglich gewesen, die Beschwerdebegründung unmittelbar beim Oberverwaltungsgericht einzureichen, weil ihm die Eingangsbestätigung des Oberverwaltungsgerichts vom 13.01.2009 erst am 22.01.2009 und damit erst einen Monat nach Einlegung der Beschwerde beim Verwaltungsgericht zugegangen sei. In Anbetracht des klaren Hinweises in der Rechtsmittelbelehrung auf das Gericht, bei dem die Beschwerdebegründung einzureichen ist, ist nicht nachvollziehbar, weshalb eine noch fehlende Bestätigung des Eingangs der Beschwerde den Prozessbevollmächtigten davon hat abhalten können, die Beschwerdebegründung an das Oberverwaltungsgericht zu adressieren. Auch der Umstand, dass ihm das Aktenzeichen des Oberverwaltungsgerichts noch nicht bekannt gewesen ist, stellt keinen vernünftigen Hinderungsgrund dar. Die Beschwerdebegründung hätte - wie es in vielen Beschwerdeverfahren üblich ist - ohne weiteres auch unter dem erstinstanzlichen Aktenzeichen oder mit dem Hinweis "Aktenzeichen noch unbekannt" beim Oberverwaltungsgericht eingereicht werden können. Die Angabe des vom Oberverwaltungsgericht für das Beschwerdeverfahren vergebenen Aktenzeichens ist für die Einreichung einer formgerechten Beschwerdebegründung nicht erforderlich (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Dies musste auch dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bekannt sein.

Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers bleibt auch nicht deshalb ohne Folgen, weil der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts eine Mitverantwortung für die Fristversäumnis anzulasten wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99) hat zwar ein Gericht, das bereits mit dem Verfahren befasst war, die bei ihm fehlerhaft eingereichten fristgebundenen Schriftsätze für das Rechtsmittelverfahren im Zuge des ordentlichen Geschäftsgangs an das Rechtsmittelgericht weiterzureichen. Geht ein solcher Schriftsatz so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei nicht nur darauf vertrauen, dass der Schriftsatz überhaupt weitergeleitet wird, sondern auch darauf, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verpflichtung aus einer aus dem Gebot eines fairen Verfahrens resultierenden, über die Zeit der Anhängigkeit hinaus nachwirkenden Fürsorgepflicht des Gerichts hergeleitet.

Die Beschwerdebegründung des Antragstellers ist jedoch nicht so zeitig beim Verwaltungsgericht eingegangen, dass bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang die Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO noch gewahrt werden konnte. Die Beschwerdebegründung ist am Tag des Fristablaufs (12.01.2009) beim Verwaltungsgericht eingegangen. Dieses hat den Schriftsatz noch am selben Tag und damit im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs zur Post gegeben.

Eine Weiterleitung per Telefax gehört hingegen grundsätzlich nicht mehr zum "ordentlichen Geschäftsgang"; da der Schriftverkehr zwischen den Gerichten im Regelfall auf dem normalen Postweg abgewickelt wird (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 09.08.2007 - 11 ME 290/07 -, NJW 2007, 3225; OVG NW, Beschl. v. 09.01.2004 - 6 A 2026/02 -, Juris; BFH, Beschl. v. 11.08.2005 - VIII B 291/04 -, BFH/NV 2006, 80; Beschl. v. 24.10.2004 - XI B 130/02 -, BFH/NV 2005, 563, m. w. Nachw.). Unter "ordentlichem Geschäftsgang" ist lediglich eine Verfahrensweise zu verstehen, die einerseits zwar jede unnötige Verzögerung vermeidet, andererseits aber auch auf außergewöhnliche Beschleunigungsmittel wie Eilvermerke, Telefax oder Anrufe beim Rechtsmittelführer verzichtet (NdsOVG, Beschl. v. 30.06.2008 - 5 LA 372/07 -, Juris; Bay. VGH, Beschl. v. 23.01.2003 - 20 ZB 02.1325 -, DÖV 2003, 383). Von Verfassungs wegen besteht für ein im vorausgegangenen Rechtszug mit der Sache befasst gewesenes Gericht auch keine Verpflichtung, die Partei oder ihre Prozessbevollmächtigten innerhalb der Frist durch Telefonat oder Telefax von der Einreichung beim unzuständigen Gericht zu unterrichten; andernfalls würde den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien vollständig abgenommen und die Anforderungen an die richterliche Fürsorgepflicht überspannt (BVerfG, Beschl. v. 03.01.2001 - 1 BvR 2147/00 -, NJW 2001, 1343).

Zwar sind Ausnahmen vorstellbar, die eine Pflicht zur Weiterleitung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Fax begründen können, etwa wenn das Verwaltungsgericht selbst durch eine verfahrensordnungswidrige Information im Bestätigungsschreiben für den Rechtsmitteleingang dazu beigetragen hat, dass es zu einer Fehladressierung gekommen ist (vgl. hierzu OVG NW, Beschl. v. 15.04.2003 - 14 B 639/03 -, NVwZ-RR 2003, 688). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Ohne Erfolg rügt der Antragsteller, eine Pflicht zur Weiterleitung per Telefax an das Oberverwaltungsgericht ergebe sich hier aus den Verzögerungen bei der Übermittlung der Eingangsbestätigung. Auch in diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, weshalb allein das Fehlen der Eingangsbestätigung beim Prozessbevollmächtigten des Antragstellers den Eindruck erweckt haben könnte, die Beschwerdebegründung könne - entgegen der Rechtsmittelbelehrung - (auch) beim Verwaltungsgericht eingereicht werden. Wie bereits oben dargelegt, konnte die Beschwerdebegründung auch ohne Angabe des für das Beschwerdeverfahren vergebenen Aktenzeichens beim Oberverwaltungsgericht eingereicht werden.

Keiner Entscheidung bedarf schließlich, ob eine Weiterleitung per Telefax dann geboten sein kann, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit aus dem fehlgeleiteten Schriftsatz selbst ohne weiteres ersichtlich ist. Auch dies ist hier nicht anzunehmen. Die vom 09.01.2009 datierende Beschwerdebegründung enthielt weder einen Hinweis auf den Tag des Fristablaufs noch einen sonstigen Eilvermerk. Sie wurde dem Verwaltungsgericht mit normaler Post und nicht - wie die Beschwerdeschrift vom 22.12.2008 - (vorab) per Telefax übermittelt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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