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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 31.01.2006
Aktenzeichen: 2 M 208/05
Rechtsgebiete: AufenthG


Vorschriften:

AufenthG § 33
Die erleichterte Aufenthaltserlaubnis darf für ein im Bundesgebiet geborenes Kind entgegen § 33 AufenthG nicht allein deshalb versagt werden, weil lediglich der Vater, nicht aber die Mutter einen Aufenthaltstitel besitzt (Auswirkung des Beschlusses des BVerfG's vom 25.10.2005 - 2 BvR 524/01).
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 208/05

Datum: 31.01.2006

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 VwGO sowie auf §§ 154 Abs. 1 u. 2, 155 VwGO <Kosten> und auf §§ 47, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG - <Streitwert>.

Die Beschwerde des Antragstellers zu 2) hat in vollem Umfang Erfolg (-1. -). Die Beschwerde der Antragstellerin zu 1) ist mit dem Hauptantrag unbegründet (-2. -) und mit dem Hilfsantrag begründet (-3. -). Soweit die Beschwerde begründet ist, führen die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, zur Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

1. Die Beschwerde des Antragstellers zu 2) ist begründet. Die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 05.10.2005, mit dem ihm die Antragsgegnerin die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis versagte und seine Abschiebung nach Aserbaidschan androhte, ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu 2) überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse. Die Erfolgsaussichten seines Widerspruchs sind zumindest offen. Die Antragsgegnerin hätte die für den Antragsteller zu 2) beantragte Aufenthaltserlaubnis nicht ablehnen dürfen, sondern hätte stattdessen die Entscheidung hierüber aussetzen müssen. Dies folgt - wie der Antragsteller zu 2) zu Recht vorträgt - aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.10.2005 (Az.: 2 BvR 524/01 - BGBl I 2005, 3620; FamRZ 2006, 21), wonach die für die Ablehnung entscheidungserhebliche Vorschrift des § 33 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) vom 30.07.2004 (BGBl. I 1950), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.06.2005 (BGBl. I 1818), - AufenthG - gegen das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 GG verstößt und deshalb bis zu einer Korrektur durch den Gesetzgeber nicht angewendet werden darf.

Nach § 33 Satz 1 AufenthG, dessen Wortlaut dem vormaligen § 21 Abs. 1 Satz 1 AuslG entspricht, ist einem Kind, das im Bundesgebiet geboren wird, abweichend von den §§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und 29 Abs. 1 Nr. 2 von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn die Mutter eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Niederlassungserlaubnis besitzt. Diese Vorschrift ist nach dem genannten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar, soweit danach ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Anknüpfung an den Vater ausgeschlossen ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, den Gleichheitsverstoß bis zum 31.12.2006 zu beheben; bis dahin sind Entscheidungen über Anträge, die an das Aufenthaltsrecht des Vaters anknüpfen, auszusetzen (BVerfG, Beschl. vom 25.10.2005 - 2 BvR 524/01 - a.a.O.). Eine derartige an das Aufenthaltsrecht des Vaters anknüpfende Entscheidung steht hinsichtlich des Antragstellers zu 2) in Streit, weil die Aufenthaltserlaubnis seiner Mutter, der Antragstellerin zu 1), erloschen ist, sein (mit der Antragstellerin zu 1] verheirateter) Vater jedoch über eine (unbefristete) Aufenthaltserlaubnis verfügt.

2. Der Hauptantrag der Antragstellerin zu 1) ist nicht begründet. Die insoweit dargelegten Beschwerdegründe sind nicht geeignet, die Unrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung aufzuzeigen. Das Verwaltungsgericht hat die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 25.08.2005 sinngemäß mit der Begründung abgelehnt, das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zu 1) überwiege nicht das öffentliche Vollzugsinteresse, weil der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei. In ihrer Beschwerde legt die Antragstellerin zu 1) demgegenüber dar, dass die "Ausweisungsverfügung" der Antragsgegnerin rechtswidrig sei, weil sie einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe, dem insbesondere nicht eine fehlende Sicherung des Lebensunterhalts entgegenstehe.

Diese Gründe sind von vornherein nicht geeignet, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides in Frage zu stellen; denn diese Rechtmäßigkeit hängt nicht von der Frage ab, ob die Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Der Bescheid trifft nämlich - im Gegensatz zu dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 05.10.2005 - keine Regelung über den nach Aktenlage gestellten Antrag der Antragstellerin zu 1) auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis. Insbesondere enthält er insoweit keine Ablehnung, sondern lediglich die (von der Antragstellerin zu 1] nicht angegriffene) Feststellung, dass die ursprünglich erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen sei. Im Übrigen enthält der Bescheid entgegen der Beschwerdebegründung auch keine Ausweisungsverfügung; denn derartige Ausweisungsverfügungen sind nur Verwaltungsakte im Sinne der §§ 53 f. AufenthG. Hier maßgeblicher Regelungsgegenstand des Bescheides ist vielmehr lediglich die mit einer Aufforderung zum Verlassen des Bundesgebietes verbundene Bestimmung einer Ausreisefrist und die Androhung der Abschiebung. Deren Rechtmäßigkeit hängt aber auf der Grundlage des § 59 AufenthG davon ab, ob eine Ausreisepflicht (vgl. hierzu VGH BW, Urt. v. 29.04.2003 - 11 S 1188/02 - InfAuslR 2003, 341) bzw. - nach anderer Ansicht - eine vollziehbare Ausreisepflicht (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 04.06.1998 - 4 B 140/97 - NVwZ-RR 1999, 146) besteht, nicht aber davon, ob die Antragstellerin zu 1) einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat. Die Frage, ob eine (vollziehbare) Ausreisepflicht besteht, ist aber unabhängig davon zu beurteilen, ob eine hinreichende Sicherung des Lebensunterhaltes als allgemeine Erlassvoraussetzung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt. Abgesehen davon sind die wesentlichen Einwände, die die Antragstellerin zu 1) insoweit vorträgt, als "neues Vorbringen" im Beschwerdeverfahren nicht berücksichtigungsfähig. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass die Beschwerde mit "neuem Vorbringen" insoweit nicht geführt werden kann, als damit eine Änderung der Sach-, Rechts- oder Verfahrenslage dargetan wird (OVG LSA, Beschl. v. 31.07.2003 - 2 M 337/03 -; Beschl. v. 01.08.2003 - 2 M 339/03 -; so auch Bader, in: Bader/Funke-Kaiser/ Kuntze/ von Albedyll, Kommentar zur VwGO, 2. Aufl., § 146 RdNr. 36; a. A. wohl VGH BW, Beschl. v. 12.04.2002 - 7 S 653/02 -, NVwZ 2002, 883 [884]); denn mit "neuem Vortrag" kann nicht belegt werden, dass die angegriffene Entscheidung unrichtig ergangen ist; das ist deshalb vorauszusetzen, weil nur solcher Vortrag zulässigerweise geleistet werden kann, welcher sich mit der Entscheidung auseinander setzt (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), die auf einer früheren Sach-, Rechts- oder Prozesslage ergangen ist. Hingegen sind "neue" Umstände beim vorläufigen Rechtsschutz in Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO beim Gericht der Hauptsache einzubringen. Derartige neue Umstände sind insbesondere der Einwand, die Miete der Antragstellerin zu 1) sei durch einen Dritten übernommen worden und die Arbeitseinkünfte des Ehemanns der Antragstellerin zu 1) seien seit Januar 2006 gestiegen.

3. Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Antrages auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aussetzung der Abschiebung ist die Beschwerde der Antragstellerin zu 1) indes begründet. Ihr steht entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, wenn sie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Ein derartiges rechtliches Abschiebungshindernis ergibt sich hier aus Art. 6 Abs. 1 GG, weil die Abschiebung der Antragstellerin zu 1) zu einer unzumutbaren Trennung einer familiären Lebensgemeinschaft in Form einer Beistandsgemeinschaft führen würde (vgl. hierzu Hailbronner, AuslR, § 55 AuslG RdNr. 16 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Eine derartige Beistandsgemeinschaft ist hier sowohl im Verhältnis der Antragsteller untereinander als auch im Verhältnis zu dem Vater des Antragstellers zu 2) und Ehemann der Antragstellerin zu 1) zu bejahen, der mit den Antragstellern und der Tochter der Antragstellerin zu 1) eine gemeinsame Wohnung bewohnt und für den Unterhalt der Familie sorgt. Dieser verfügt über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Darüber hinaus steht dem im August 2005 geborenen Antragsteller zu 2) - wie dargelegt - möglicherweise auch ein eigener Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zu. Vor diesem Hintergrund wäre weder eine Trennung des Antragstellers zu 2) von seiner Mutter, der Antragstellerin zu 1), noch von seinem Vater zumutbar.

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