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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.02.2006
Aktenzeichen: 2 M 217/05
Rechtsgebiete: VwVfG, AsylVfG, VwGO, AufenthG


Vorschriften:

VwVfG LSA § 1
VwVfG § 3 I
AsylVfG § 71
VwGO § 123
AufenthG § 25 IV
AufenthG § 25 V
1. Zur örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörde bei "illegaler" Wiedereinreise eines vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers nach freiwilliger Ausreise.

2. Eine körperliche oder psychische Erkrankung, die als rechtliches Abschiebungshindernis (Reiseunfähigkeit) bewertet werden muss, kann, wenn weitere Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entweder nach § 25 Abs. 4 S. 1 oder nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG begründen.

3. Zu den Anforderungen an den Nachweis einer krankhaften "Suizidalität" als rechtliches Abschiebungshindernis.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 217/05

Datum: 21.02.2006

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. der Novellierung v. 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, diese in der jeweils gültigen Fassung, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 47 Abs. 1; 52 Abs. 1; 53 Abs. 3 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. des Art. 1 des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes v. 05.05.2004 (BGBl I 718) - GKG - <Streitwert>.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Die in der Frist des § 146 Abs. 4 S. 1 VwGO vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen nicht die Abänderung des Ergebnisses der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Der Antragsteller kann nicht im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO durchsetzen, dass ihm der Antragsgegner eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 und 5 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - vom 30.07.2004 (BGBl I 1950) erteilt. Dies gilt selbst für den Fall, dass der Antragsgegner tatsächlich - dies stellt er nunmehr allerdings in Abrede - im Zeitpunkt der Antragstellung am 24.11.2005 die zuständige Ausländerbehörde gewesen ist.

Nach Auffassung des Senats dürfte der Antragsgegner zuständige Ausländerbehörde sein, da er mit Datum vom 30.01.2003 die letzte räumliche Beschränkung vor der Ausreise des Antragstellers nach Serbien-Montenegro angeordnet hat. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Die örtliche Zuständigkeit ist nicht im AufenthG geregelt. § 71 AufenthG bezeichnet die zuständige Stelle für ausländer- und passrechtliche Maßnahmen nach dem AufenthG und anderen Gesetzen als Ausländerbehörde. In Satz 2 des § 71 Abs. 1 AufenthG wird den Ländern die Befugnis eingeräumt, für einzelne Aufgaben nur eine oder mehrere bestimmte Ausländerbehörden für speziell zuständig zu erklären.

Davon hat Sachsen-Anhalt offenbar bisher noch keinen Gebrauch gemacht. Im Landesrecht gilt daher die allgemeine Regelung über die die örtliche Zuständigkeit in § 1 Abs. 1 VwVfG LSA vom 18.11.2005 (GVBl. LSA 2005,698) i. V. m. § 3 Abs.1 Nr. 3 a VwVfG. Das Landesrecht stellt hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden daher auf den gewöhnlichen Aufenthalt als Tatbestandsmerkmal ab. Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltsorts maßgebend ist, wo jemand sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt (BVerwG Urt. v. 04.06.1997 - EZAR 601 Nr. 8 - ). Die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt sich nicht nach dem inneren Willen der Betroffenen, sondern setzt eine aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse zu treffende Prognose voraus. Der melderechtliche Wohnungsbegriff ist nicht identisch mit dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts. Nach § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I hat jemand dort den gewöhnlichen Aufenthalt, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

Fehlt es an einem gewöhnlichen Aufenthalt, ist nach § 3 Abs.1 Nr. 4 VwVfG die Behörde zuständig, in deren Bereich der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Das dürfte die Ausländerbehörde sein, in deren Bezirk die Ausländerin oder der Ausländer erstmals aufgegriffen wird bzw. sich meldet.

Soweit es sich bei der von der Ausländerbehörde zu treffenden Maßnahme um eine Aufgabe der Gefahrenabwehr handelt, was jedenfalls für die Ausweisung straffällig gewordener Ausländerinnen und Ausländer zutrifft, findet vorrangig die spezielle Regelung des § 88 SOG LSA Anwendung. Nach § 88 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit danach, wo die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Insoweit besteht eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen den nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 a, § 3 Abs. 1 Nr. 4 oder § 3 Abs. 2 VwVfG und § 88 Abs. 1 SOG LSA zuständigen Ausländerbehörden.

Bei Gefahr im Verzuge gilt die Notzuständigkeit auf der Grundlage des § 3 Abs. 4 VwVfG. Unaufschiebbare Maßnahmen müssen danach durch die örtliche Behörde getroffen werden, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortritt. Allerdings gibt diese Regelung grundsätzlich nur die Kompetenz zu vorläufigen Maßnahmen. Die Zuständigkeit endet dort, wo die eigentlich zuständige Behörde wieder handlungsfähig ist.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtpunkte dürfte der Antragsteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Antragstellung am 24.11.2005 in H.-Stadt innegehabt haben. Ausweislich der Anlagen zum Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vom 24.11.2005 begab sich der Antragsteller am 24.08.2005 zum "Sozialpsychiatrischen Dienst" der Stadt H. und erklärte dort, dass er aus dem Kosovo zurückgekehrt sei und sich seit einem Monat in H. aufhalte. Er möchte sich aber in M. bei seinen Kindern aufhalten, die dort mit seiner geschiedenen Ehefrau zusammenlebten. Auch die Tatsache, dass der Antragsteller am 13.12.2005 durch den Rettungsdienst der Stadt H. in das psychiatrische Krankenhaus der Stadt H. verbracht worden ist, spricht dafür, dass der Antragsteller sich seit seiner unrechtmäßigen Wiedereineinreise in H. aufgehalten hat. Selbst man unter diesen Umständen einen " gewöhnlichen Aufenthalt" i. S. v. § 3 Abs. 1 Nr. 3 a VwVfG verneinen würde, läge ein Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG vor. Danach wäre im Fall der unerlaubten Wiedereinreise eines Asylbewerbers grundsätzlich die Behörde zuständig, bei der jemand sich meldet bzw. in deren Bezirk er aufgegriffen wird. Gemeldet hat der Antragsteller sich hier beim Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt H..

Der Senat neigt aber dazu, die Zuständigkeit des Antragsgegners nach der Ausnahmeregelung des § 71 Abs. 5, 6 und 7 AsylVfG anzunehmen. Für abgelehnte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die nach einer Ausreise oder Abschiebung unerlaubt wieder eingereist sind und einen Asylfolgeantrag gestellt haben, gilt nämlich die räumliche Beschränkung aus dem letzten Asylverfahren fort, solange keine andere Entscheidung ergeht (§ 71 Abs. 7 AsylVfG). Dem kann der Antragsgegner nicht entgegenhalten, mit der Ausreise des Antragstellers seien die im früheren Verfahren erlassenen räumlichen Beschränkungen und Auflagen gemäß § 51 Abs. 6 AufenthG erloschen. Dem stehen die Regelungen des § 71 Abs. 5, 6 und 7 AsylVfG als Sonderregelungen und lex specialis entgegen. Nach § 71 Abs. 5, 6 AsylVfG scheidet ein Erlöschen oder ein Verbrauch einer asylverfahrensrechtlichen Abschiebungsandrohung durch ein Verlassen des Bundesgebiets von vornherein aus. Bei der Ausreise kann nämlich noch nicht übersehen werden, ob nach einer späteren Wiedereinreise ein Folgeantrag gestellt und die frühere Abschiebungsandrohung - der Regelung in § 71 Abs. 5 S. 1 AsylVfG entsprechend - noch für die Aufenthaltsbeendigung des potenziellen Folgeantragsstellers benötigt werden wird (vgl. auch OVG NRW Beschl. v. 16.06.2005 - 18 B 862/05 - NWVBl. 2005, 439). Eine bestandskräftige Entscheidung über den Asylfolgeantrag des Antragstellers lag im Zeitpunkt der Antragstellung am 24.11.2005 noch nicht vor.

Der Antragsteller hat im Wege einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO keinen Anspruch darauf, dass ihm der Antragsgegner eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 und 5 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - vom 30.07.2004 (BGBl I 1950) erteilt.

Die einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO darf die Grenzen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht überschreiten, die Entscheidung in der Hauptsache darf daher nicht vorweggenommen werden.

Für die Regelungsanordnung, die nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO der Regelung eines "vorläufigen Zustands" dient, ergibt sich diese Begrenzung aus dem Gesetz.

Für die Sicherungsanordnung ergibt sich dies aus dem Wesen der einstweiligen Anordnung, da das Verhältnis zum Hauptsacheverfahren auf Vorläufigkeit gerichtet ist.

Diesem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht daher nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheprozess erreichen könnte.

Eine Ausnahme von dem genannten Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist aus dem Zweck der Rechtsschutzgarantie und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allerdings dann zu machen, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für einen Antragsteller unzumutbar wären, insbesondere wenn durch den Zeitablauf vollendete Tatsachen zu Lasten des Antragstellers geschaffen werden, die später nicht mehr rückgängig zu machen sind, weil die Entscheidung in der Hauptsache höchstwahrscheinlich zu spät kommen würde.

Dass dem Antragsteller gerade dadurch irreparablen Nachteile drohen, wenn ihm eine Aufenthaltserlaubnis durch den Antragsgegner nicht sofort erteilt wird, legt die Beschwerdeschrift schon nicht dar.

Darüber hinaus vermag der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 AufenthG aus humanitären Gründen geltend zu machen.

Der Antragsteller beruft sich in der Beschwerdeschrift auf eine psychische Erkrankung, die als Reiseunfähigkeit zu bewerten sei.

Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine bestehende (körperliche oder psychische) Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis (wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG bzw. § 60 a Abs. 2 AufenthG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG) in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und so lange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des "Reisens" (der Ortsveränderung vom inländischen Abreiseort zum Ankunftsort im Zielstaat) wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie - außerhalb des eigentlichen Transportvorganges - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert ,Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne (vgl. Beschl. v. 15.09.2004 - 2 M 312/04 - m. w. N.).

Eine körperliche oder psychische Erkrankung kann, wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 S. 1 oder nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG begründen. Die Voraussetzungen weder für den einen noch den anderen Aufenthaltsanspruch liegen indes hier vor.

Der Senat lässt es dabei offen, ob § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG auch auf vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer (wie der Antragsteller) von vorneherein keine Anwendung findet, weil vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer abschließend von dem spezielleren § 25 Abs. 5 AufenthG erfasst werden (so die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum AufenthG vom 22.12.2004 Ziffer 25.4.1.1.). Gegen ein solches Verständnis könnte immerhin sprechen, dass § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG keine dahingehende Einschränkung enthält, obwohl dies noch im Vermittlungsausschuss beantragt worden ist (so Nds. OVG, Beschl. v. 27.06.2005 - 11 ME 96/05 - m. w. N. zum Meinungsstand).

Nach § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG kann einem Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. § 25 Abs. 4 S. 1 AufenthG setzt voraus, dass es sich um einen zeitlich begrenzten, vorübergehenden Aufenthalt im Bundesgebiet handelt. Dass lediglich ein temporärer Aufenthalt für einen vorübergehenden Zweck von § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfasst werden soll, zeigen die denkbaren Fallkonstellationen, die in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/420, S. 79 f.) angeführt sind. Darin werden beispielhaft die Durchführung einer Operation, die im Herkunftsland nicht gewährleistet ist, die vorübergehende Betreuung eines schwerkranken Familienangehörigen oder der Abschluss einer Schul- oder Berufsausbildung genannt. Wird dagegen ein Daueraufenthalt bzw. ein zeitlich nicht absehbarer Aufenthalt im Bundesgebiet angestrebt, kann eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AufenthG nicht beansprucht werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 06.04.2005, a. a. O.).

Nach § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG kann abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Ausreise des Ausländers aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. In Bezug auf eine körperliche oder psychische Erkrankung, die als rechtliches Abschiebungshindernis angesehen werden muss, unterscheidet sich § 25 Abs. 4 S. 1 von § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG demnach nur im temporären Moment.

Indes kann nach dem Vorbringen im Beschwerdeverfahren eine Reiseunfähigkeit des Antragstellers hier weder i. S. v. § 25 Abs. 4 S. 1 noch von § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG angenommen werden. Eine solche Erkrankung ist hier nämlich nicht hineichend glaubhaft gemacht. Bei Suizidalität, wenn sie das Stadium einer Krankheit erreicht, handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Anders als im rein somatisch-medizinischen Bereich, wo äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen im Mittelpunkt stehen, geht es dabei um einen innerpsychischen Vorgang, der sich einer Erhebung äußerlich-objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht (vgl. z.B.: Prof. Dr. Woltersdorf, Notfall & Rettungsmedizin, 2002, S. 97). Schon deshalb kommt es entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebens und der zu Grunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an. Wegen der Eigenart dieses Krankheitsbildes bestehen aber auch entsprechende Anforderungen an das ärztliche Vorgehen, die ärztliche Diagnostik und die ärztliche Therapie. Gerichte dürfen deshalb sachverständige Äußerungen bei der Geltendmachung einer solchen Krankheit nicht einfach für ihre Entscheidungen übernehmen, sondern müssen die Feststellungen und Schlussfolgerungen des fachärztlichen Gutachtens im Rahmen ihrer tatrichterlichen Würdigung unter Berücksichtigung aller Umstände, der eigenen Sachkunde und der allgemeinen Lebenserfahrung selbstverantwortlich auf deren Schlüssigkeit überprüfen und nachvollziehen (vgl. OVG LSA, Beschl. des Sen. v. 15.09.2004 a. a. O., zur Posttraumatischen Belastungsstörung).

Zur Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis hat der Senat im zitierten Beschluss Folgendes ausgeführt:

"Ein ärztliches Gutachten muss in jedem Fall die medizinischen Untersuchungsmethoden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand darlegen und einen nachvollziehbaren, logisch begründeten Befund enthalten. Bei ärztlichen Bescheinigungen (Attesten), die auf die Bitte des Patienten erstellt werden (auch sog. "Privatgutachten"), sind derart strenge Anforderungen zwar grundsätzlich nicht zu stellen. Auch solche ärztlichen Atteste müssen aber jedenfalls die Mindestanforderungen an eine fachliche Beurteilung erfüllen. Sie müssen zumindest nachvollziehbar die tatsachlichen Umstände angeben, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist (Befundtatsachen), und gegebenenfalls müssen sie die Methode der Tatsachenerhebung benennen. Ferner ist die fachliche medizinische Beurteilung des Krankheitsbilds (Diagnose) nachvollziehbar ebenso darzulegen wie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben (prognostische Diagnose). Der Umfang und die Genauigkeit der erforderlichen Darlegungen richten sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (insbesondere: Komplexität des Krankheitsbildes, Gewichtigkeit und Konsequenzen der Diagnose) und entziehen sich einer generellen Beurteilung.

Andererseits kann beispielsweise auch eine nur kurze ärztliche Bescheinigung (z. B. über eine akute und eindeutig diagnostizierbare Erkrankung oder einen Unfall) zur hinreichenden Glaubhaftmachung einer Reiseunfähigkeit ausreichen. Insgesamt ist dabei zu beachten, dass jedes (Fach-)Gutachten und auch jedes ärztliche Attest nur als sachverständige Hilfe bei der selbständigen rechtlichen Beurteilung der streitigen Folgen durch das Gericht oder die Behörde dienen kann. Daher ist es einem Gutachter und auch dem Arzt, der ein (privates) Attest ausstellt, untersagt, etwa rechtliche Folgen seiner fachlich begründeten Feststellungen und Folgerungen darzulegen oder sich mit Rechtsfrage auseinander zu setzen".

Einen diesen Anforderungen genügenden Nachweis einer psychischen Erkrankung, die als Reisunfähigkeit angesehen werden könnte, hat der Antragsteller nicht erbracht. Der Antragsteller ist zwar am 13.12.2005 in das psychiatrische Krankenhaus der Stadt H. aufgenommen worden, zwischenzeitlich aber von dort wieder entlassen worden. Wenn der Antragsteller geltend macht, er sei nur deshalb entlassen worden, weil sich kein Kostenträger gefunden habe, tatsächlich sei er aber weiter behandlungsbedürftig, vermag der Senat dem keinen Glauben zu schenken. Denn mit diesem Vorbringen unterstellt der Antragsteller, dass die behandelnden Ärzte aus rein finanziellen Erwägungen gegen ihre ärztliche Behandlungspflichten verstoßen hätten.

Für die behauptete, weiterhin bestehende, eine länger andauernde Behandlung erfordernde Reiseunfähigkeit des Antragstellers sind konkrete Anhaltspunkte nicht erkennbar. Eine Suizidalität ist durch das Schreiben des "Sozialpsychiatrischen Dienstes" der Stadt H. vom 24.08.2005 nicht hinreichend belegt. Das Attest ist schon wegen seines Alters nicht geeignet, Aufschluss über das psychische Befinden des Antragstellers zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt zu geben. Es ist auch durch den Aufenthalt des Antragstellers im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt H. überholt.

Der Anregung des Antragstellers, seinen - der Schweigepflicht unterliegenden - behandelnden Arzt im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt H. zu befragen, folgt der Senat nicht. Es ist Sache des Beschwerdeführers im Verfahren nach § 123 VwGO, die maßgeblichen Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen.

Auf § 25 Abs. 5 S. 2 AufenthG kann der Antragsteller sich nicht berufen. Diese Vorschrift, wonach die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden "soll", wenn die Abschiebung 18 Monate lang ausgesetzt ist, verschafft dem Antragsteller keinen selbständigen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Denn § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG setzt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG voraus (so auch VGH Bad.-Württ. Urt. v. 06.04.2005 - 11 S 2779/04 nach juris). Dies folgt daraus, dass § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG systematisch an den Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG anknüpft und nur die dort vorgesehene Rechtsfolge ("kann") im Sinne eines "soll" modifiziert, sofern das zusätzliche Tatbestandsmerkmal "Aussetzung der Abschiebung seit 18 Monaten" erfüllt ist. Bereits der Tatbestand des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist hier aber nicht erfüllt.

Auch § 25 Abs. 4. S. 2 AufenthG scheidet hier als Rechtsgrundlage für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis schon deshalb aus, weil es an einem rechtmäßigen (Vor-) Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet fehlt. Die Vorschrift regelt die von § 8 Abs. 1 und 2 AufenthG abweichende Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis. Sie setzt daher zwingend voraus, dass der Ausländer bereits über eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis verfügt (vgl. auch den Gesetzentwurf der Bundesregierung BT Drs. 15/420 S. 80: "Satz 2 schafft eine Ausnahmemöglichkeit für Fälle, in denen ein bereits rechtmäßiger Aufenthalt besteht..." und die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums zum AufenthG, Ziffer 25.4.2.1.).

Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 16.02.2006 beantragt hat, dem "Beschwerdegegner auf Grund von Eilzuständigkeit zu verpflichten, dem Beschwerdeführer adäquaten Wohnraum zuzuweisen und die Kostenübernahme für die dringend erforderliche ärztliche Behandlung zu gewährleisten", sind diese Anträge zu verwerfen, weil sie im Beschwerdeverfahren unzulässig sind.

Ende der Entscheidung

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