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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 08.07.2003
Aktenzeichen: 2 M 243/03
Rechtsgebiete: AuslG, GG


Vorschriften:

AuslG § 8 I
AuslG § 30 III
AuslG § 30 IV
AuslG § 32
AuslG § 55 II
GG Art. 3
1. Eine Aufenthaltsbefugnis wird nach § 30 Abs. 3 AuslG nicht erteilt, obwohl die Voraussetzungen für eine Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG vorliegen, wenn einer freiwilligen Ausreise keine Hindernisse entgegen stehen.

2. Ein Hindernis für eine freiwillige Ausreise ist nicht eine unverschuldete finanzielle Notlage. Ein Hindernis ist erst anzunehmen, wenn - rechtlich -sich der Ausländer einem Verlust aussetzen würde, vor dem ihn die deutsche Rechtsordnung schützen soll, oder - tatsächlich - eine Konstellation, in welcher auch der Ausländer selbst gehindert wäre, eine von ihm betriebene Ausreise durchzusetzen (Krankheit, fehlende Ausweispapiere etc.).

3. Solange der Ausländer zumutbare Anforderungen an die Beseitigung des Abschiebungshindernisses nicht beseitigt, scheidet ein Aufenthaltsrecht auch mit Blick auf § 30 Abs. 4 AuslG aus.

4. Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG begründen keinen Rechtsanspruch, sondern binden als Verwaltungsvorschrift nur das Ermessen.

5. Die "Altfall-Regelung" nach dem Erlass vom 28.12.1999 setzt voraus, dass bestimmte Integra-tionsbedingungen am 19.11.1999 vorgelegen haben.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 243/03

Datum: 08.07.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf §§ 154 Abs. 2; 159 VwGO <Kosten> und hinsichtlich des Streitwerts auf §§ 13 Abs. 1 Satz 2; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), i. V. m. II. Nr. 6. 3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff.).

Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass und warum die Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 Abs. 3, 4 des Ausländergesetzes - AuslG - (= Art. 1 des Gesetzes vom 09.07.1990 [BGBl I 1354], geändert durch Gesetz vom 30.06.1993 [BGBl I 1062], zuletzt geändert durch Gesetz vom 09.01.2002 [BGBl I 361 <368>]) haben. Die Antragsteller können den Aufenthaltstitel nicht beanspruchen, weil sie freiwillig ausreisen könnten.

Nach § 30 Abs. 3 AuslG kann einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorliegen, weil seiner freiwilligen Ausreise und seiner Abschiebung Hindernisse entgegenstehen, die er nicht zu vertreten hat. Nach dieser Vorschrift ist der Ausländerbehörde erst dann ein Ermessen eröffnet, wenn der betreffende Ausländer unanfechtbar ausreisepflichtig ist, wenn die spezifischen Voraussetzungen für eine Duldung vorliegen und der freiwilligen Rückkehr des Ausländers von ihm nicht zu vertretende Hindernisse entgegenstehen (OVG LSA, Beschl. v. 30.07.2002 - 2 M 372/02 -; VGH BW, Urt. v. 07.03.1996 - 13 S 1443/95 -, VBlBW 1996, 309 f.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Zwar sind die Antragsteller seit zwei Jahren unanfechtbar ausreisepflichtig. Die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG ist aber auch dann ausgeschlossen, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung zwar vorliegen, einer freiwilligen Ausreise jedoch Hindernisse nicht entgegenstehen, selbst wenn eine Abschiebung mit Mitteln des Verwaltungszwangs nicht vollzogen werden kann; denn der Zweck der Vorschrift geht dahin, wie sich aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 11/6321, S. 66 f.) ergibt, dass bei dem betroffenen Personenkreis der Aufenthalt legalisiert werden darf, der aus rechtlichen oder tatsächlichen von ihm nicht zu vertretenden Gründen auf Dauer nicht beendet werden kann, weil zur Legalisierung eines solchen Aufenthalts die Duldung nicht als geeigneter Aufenthaltstitel angesehen wird. Die gesetzliche Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG ist damit schon dann nicht erfüllt, wenn der Betroffene seine Ausreisepflicht, auch wenn sie mit Mitteln des Verwaltungszwangs wegen rechtlicher oder tatsächlicher Hindernisse nicht durchgesetzt werden könnte, freiwillig erfüllen kann (BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - BVerwG 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 232 ff., m. w. N).

Die Antragsteller sind aber uneingeschränkt ausreisepflichtig und können dieser Pflicht auch nachkommen. Sie bauen gleichsam das Hindernis selbst auf, wenn sie sich unter Hinweis auf ihre unverschuldete finanzielle Notlage, ihren inzwischen 12-jährigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ihre - unbestrittenen - Bemühungen zur Schaffung einer Lebensexistenz, um die aufgenommenen Darlehen zurückzuzahlen, weigern, ihren Möglichkeiten entsprechend auszureisen. § 55 Abs. 2 AuslG, an welchen § 30 Abs. 3 AuslG anknüpft, meint hingegen mit rechtlicher Unmöglichkeit Fälle, in welchen sich der Ausländer auch bei freiwilliger Ausreise einem Verlust aussetzen würde, von dem ihn die deutsche Rechtsordnung schützen soll, und mit tatsächlicher Unmöglichkeit dementsprechend nur Konstellationen, in welchen der Ausländer auch gehindert wäre, eine von ihm selbst betriebene Ausreise durchzusetzen (Krankheit, fehlende Ausweispapiere etc.). Auf den Duldungsgrund faktisch unmöglicher Abschiebung kann sich deshalb nicht berufen, wer - wie hier - in zumutbarer Weise die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise hat (Funke-Kaiser, in: GK-AuslG, § 55 RdNr. 43, m. w. N.).

Liegt damit die Voraussetzung für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis im Sinne von § 30 Abs. 3 AuslG bei den Antragstellern nicht vor, so können sie sich wegen des Bestehens der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise auch nicht auf die Vorschrift des § 30 Abs. 4 AuslG berufen. Diese Regelung betrifft, wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, die Fälle, in denen die Abschiebung entweder aus Gründen unmöglich ist, die der Betroffene zu vertreten hat, oder in denen sie über einen längeren Zeitraum hinweg versucht werden muss, weil der Betroffene ausgewiesen wurde; eine Aufenthaltsbefugnis scheidet aber ebenfalls aus, solange der Betroffene zumutbare Anforderungen zur Beseitigung des Abschiebungshindernisses nicht erfüllt (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 67). Eine Aufenthaltsbefugnis entfällt damit nach dem Zweck des Gesetzes nach § 30 Abs. 4 AuslG jedenfalls dann, wenn der Betroffene die Abschiebung vermeiden kann, weil ihm eine freiwillige Ausreise möglich ist. Auch in einem solchen Falle bedarf der Betroffene zur Legalisierung seines Aufenthalts keiner Aufenthaltsbefugnis (OVG LSA, Beschl. v. 30.07.2002 - 2 M 372/02 -).

Die Beschwerden bleiben auch erfolglos, soweit die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz nach § 123 Abs. 1 VwGO gegen die ihnen drohende Abschiebung begehren, weil ihnen gemäß §§ 30; 32 AuslG i. V. m. der sog. "Altfallregelung" (MI LSA, RdErl. v. 28.12.1999 - 42.21-12231-83.3.6 -, i. d. F. des Erl. v. 26.04.2000) ein Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltsbefugnis zustehe.

Die Antragsteller gehen nämlich zu Unrecht von der Auffassung aus, Anordnungen der obersten Landesbehörde nach § 32 AuslG seien die Ausländerbehörden sowie die Gerichte bindende und für die von ihnen begünstigten Ausländer unmittelbare Rechtsansprüche auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis begründende Rechtssätze und dementsprechend wie Rechtsvorschriften auszulegen. Diese Auffassung trifft indessen nicht zu. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits mit Urteil vom 19.09.2000 - BVerwG 1 C 19.99 - geklärt, dass Anordnungen nach § 32 AuslG keinen solchen Rechtssatzcharakter aufweisen, es sich bei ihnen vielmehr lediglich um Verwaltungsvorschriften handelt, durch die das den Ausländerbehörden gemäß §§ 30, 31 Abs. 1 AuslG zustehende Ermessen bei der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis verwaltungsintern gebunden wird. Es hat hieran anknüpfend ausgeführt, eine Anordnung nach § 32 AuslG sei nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der obersten Landesbehörde unter Berücksichtigung des wirklichen Willens des Erklärenden und ihrer tatsächlichen Handhabung, d. h. der vom Urheber gebilligten oder geduldeten tatsächlichen Verwaltungspraxis auszulegen und anzuwenden; bei Unklarheiten habe die Ausländerbehörde den wirklichen Willen der obersten Landesbehörde zu ermitteln; weiche die Ausländerbehörde von der landeseinheitlichen Handhabung der Anordnung ab, erwachse dem Ausländer aus Art. 3 Abs. 1 GG ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf Gleichbehandlung nach Maßgabe der tatsächlichen Anwendung der Anordnung im Land. Der Senat schließt sich dem an (so auch VGH BW, Beschl. v. 20.04.2002 - 13 S 314/02 -, VBlBW 2002, 534; Beschl. v. 05.01.2001 - 11 S 2034/00 - , VBlBW 2001, 491 f.; OVG MV, Beschl. v. 05.06.2002 -2 M 35/01 - [juris]).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG zum Nachteil der Antragsteller nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen.

Der Erlass vom 28.12.1999 - 42.21-12231-83.3.6 -, i. d. F. des Erl. v. 26.04.2000 setzt den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) über ein Bleiberecht für Asylbewerber mit langjährigem Aufenthalt (Altfallregelung) vom 18./19.11.1999 um. Nach dem Beschluss der IMK setzt die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis das Vorliegen bestimmter Integrationsbedingungen am 19.11.1999 voraus (vgl. Nr. 2. Satz 2 des Erlasses vom 28.12.1999). Zu den Integrationsbedingungen gehört vorbehaltlich von Ausnahmen für besondere Härtefälle, insbesondere in Sachsen-Anhalt (vgl. Erlass vom 26.04.2000), dass der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert ist (Nr. 2.1). Nach den Hinweisen des Ministeriums des Innern des Landes Sachsen-Anhalt müssen die Integrationsbedingungen am 19.11.1999 vorgelegen haben und kann es - von den wenigen Ausnahmen des Erlasses abgesehen, die hier nicht einschlägig sind - nicht zur Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis führen, wenn die Integrationsvoraussetzungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden. Mithin begegnet es schon nach dem o. g. Erlass keinen Zweifeln, dass nach dem Willen des Innenministeriums der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes bereits an dem Stichtag des 19.11.1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert gewesen sein muss. Eine von dem Stichtag ausgehende bloße Prognose künftiger Verhältnisse genügt insoweit prinzipiell nicht. Anhaltspunkte für eine gegenteilige tatsächliche Handhabung des Erlasses vom 28.12.1999 in der Fassung des Erlasses vom 26.04.2000 werden in der Antragsschrift nicht vorgebracht und sind dem Senat auch sonst nicht bekannt. Wie der Senat im Übrigen bemerkt, kommt es nicht etwa auf die Umsetzung des Beschlusses der IMK in anderen Bundesländern bzw. auf die Praxis anderer Bundesländer an. § 32 AuslG betrifft Anordnungen eines einzelnen Bundeslandes; die Vorschrift setzt keine bundeseinheitliche Regelung voraus (vgl. auch dazu das erwähnte Urteil des BVerwG vom 19.09.2000; siehe ferner den Bericht der Bundesregierung vom 24.05.2000 mit Angaben über Unterschiede bei der Umsetzung des Beschlusses der IMK in den Ländern, BT-Drs. 14/3449).

Im Übrigen haben die Antragsteller durch die Rücknahme ihres Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis am 19.12.2000 der Ausländerbehörde für eine Beurteilung, ob im Sinn des Erlasses vom 28.12.1999 in der Fassung des Erlasses vom 26.04.2000 der Lebensunterhalt der Familie bereits an dem Stichtag des 19.11.1999 durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert war, die Grundlage entzogen. Soweit die Antragsteller am 06.02.2002 ihren Antrag nach der Altfallregelung wiederholt haben, war die Ausländerbehörde nach Ablauf der Bearbeitungsfrist (31.12.2000) nicht gehalten, den Antrag nunmehr zu bescheiden. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausländerbehörde auch nach dem 31.12.2000 regelmäßig Anträge bearbeitet hat, sind weder ersichtlich noch ist dies von den Antragstellern vorgetragen worden.

Ende der Entscheidung

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