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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.02.2009
Aktenzeichen: 2 M 276/08
Rechtsgebiete: AufenthG, GG, VwGO


Vorschriften:

AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG § 10 Abs. 3
AufenthG § 25 Abs. 5 S. 1
AufenthG § 27 Abs. 3 S. 2
AufenthG § 55 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG § 60a Abs. 2
GG Art. 6
VwGO § 146 Abs. 4 S. 3
1. Der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) kommt nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu. Hat ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst und ist demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus.

2. Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist dann geboten, wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumverfahrens zu unterbrechen. Eine vorübergehende Trennung des Ausländers von seiner Ehefrau und seiner im Haushalt lebenden 13-jährigen Stieftochter zur Nachholung des Visumverfahrens ist allerdings auch im Lichte von Art. 6 GG zumutbar.

3. Es bleibt offen, ob eine Aussetzung der Abschiebung auch dann in Betracht kommt, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis offensichtlich besteht.

4. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG setzt einen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Anspruch voraus; ein Anspruch auf Grund einer Ermessensreduzierung auf Null genügt nicht.

5. Zum Vorliegen eines Ausweisungsgrunds nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.

6. Die familiären Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und die Wertentscheidung des Art. 6 GG sind in den Fällen des Familiennachzugs nicht auf der Ebene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Einordnung als Regel- oder Ausnahmefall, sondern allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen (wie NdsOVG, Urt. v. 27.04.2006 - 5 LC 110/05 -, NVwZ-RR 2007, 62, m. w. Nachw.)

7. Zur rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG.


Gründe:

I.

Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger und reiste eigenen Angaben zufolge im Februar 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen am 02.03.2005 gestellten Asylantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 10.03.2005 ab.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Magdeburg vom 13.02.2006 wurde gegen den Antragsteller wegen Diebstahls in zwei Fällen eine Gesamtgeldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen festgesetzt; die Einzelstrafen betrugen jeweils 15 Tagessätze. Nach den darin getroffenen Feststellungen entwendete der Antragsteller am 16.07.2005 in einer Parfümerie ein Eau de toilette sowie ein Duschbad zum Gesamtpreis von 78,50 € und anschließend in einem Bekleidungsgeschäft 3 Jacken zum Gesamtpreis von 177,00 €. Der Strafbefehl wurde am 21.03.2006 rechtskräftig. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 23.09.2008 wurde gegen den Antragsteller wegen des Aufenthalts im Bundesgebiet entgegen § 3 Abs. 1 i. V. m. § 48 Abs. 2 AufenthG (Verstoß gegen die Passpflicht) eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen verhängt.

Am 21.02.2008 heiratete der Antragsteller vor dem Standesamt A-Stadt eine deutsche Staatsangehörige. Den vom Antragsteller am 03.04.2008 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 27.10.2008 ab und gab zur Begründung an: Dem Antragsteller dürfe als abgelehntem Asylbewerber vor der Ausreise kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Er habe keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis, weil ein Ausweisungsgrund vorliege. Der Antragsteller sei mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. So sei er nicht nur wegen Diebstahls zu der Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt worden; ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls habe die Staatsanwaltschaft Halberstadt gemäß § 153a StPO eingestellt. In einem Verfahren wegen Verstoßes gegen das AufenthG sei von der weiteren Verfolgung der Straftat abgesehen worden, da man davon ausgegangen sei, dass die Unannehmlichkeiten des Ermittlungsverfahrens den Antragsteller eindrucksvoll vor Wiederholungen gewarnt hätten. Hinzu komme der Strafbefehl wegen illegalen Aufenthalts vom 23.09.2008. Über den hiergegen vom Antragsteller erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Am 05.11.2008 hat der Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 27.10.2008 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag abzulehnen

und zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Bescheids verwiesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 12.11.2008 hat das Verwaltungsgericht den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs sei unzulässig, weil mit der ablehnenden Entscheidung nicht zugleich der Verlust eines gesetzlichen Aufenthaltsrechts (§ 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), einer Fortgeltungsfiktion (§ 81 Abs. 4 AufenthG) oder einer gesetzlichen Aussetzung (§ 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) verbunden sei. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis habe insbesondere keine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausgelöst. Auch wenn man das Begehren des Antragstellers dahingehend auffassen wollte, dass die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet werden solle, seine Abschiebung vorübergehend auszusetzen, bliebe der Antrag ohne Erfolg. Es fehle an dem erforderlichen Anordnungsanspruch, weil der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihm ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG oder auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zustehe. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stehe gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zunächst entgegen, dass der Antragsteller im Jahr 2005 nicht mit dem erforderlichen Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Ein Absehen von der Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. AufenthG komme nicht in Betracht, weil ein gesetzlicher Rechtsanspruch nicht gegeben sei. Es liege der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor, da gegen den Antragsteller nicht nur rechtskräftig eine Geldstrafe wegen Diebstahls verhängt worden sei, sondern auch ein Strafbefehl wegen eines Verstoßes gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen gegen ihn ergangen sei. Damit habe der Antragsteller nicht nur einen vereinzelten Rechtsverstoß begangen. Zumindest das Diebstahlsdelikt sei darüber hinaus auch nicht als Rechtsverstoß von geringem Gewicht zu beurteilen. Für ein Abweichen von der Regelvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestehe keine Veranlassung. Die eheliche Lebensgemeinschaft als solche vermöge auch im Lichte der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG einen Ausnahmefall nicht zu begründen. Eine zeitweilige Trennung des Antragstellers und seiner deutschen Ehefrau sei hinnehmbar. Besondere Umstände, die die ununterbrochene Anwesenheit des Antragstellers bei seiner Ehefrau als unabweisbar erscheinen ließen, seien weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Der Antragsteller habe damit auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG.

II.

Die dagegen gerichtete Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

1. Sie ist zwar zulässig, insbesondere genügt der darin gestellte Antrag (noch) den Bestimmtheitsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Aus der Beschwerdeschrift und der Beschwerdebegründung wird hinreichend deutlich, dass der Antragsteller (weiterhin) begehrt, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Ablehnungsbescheid der Antragsgegnerin vom 27.10.2008 anzuordnen, und - nur - hilfsweise beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm bis zur Hauptsacheentscheidung eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen. In der Beschwerdeschrift vom 20.11.2008 hat der Antragsteller beantragt, dem in der Vorinstanz gestellten Antrag "stattzugeben", mit dem er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs beantragt hat. In der Beschwerdebegründung hat er zusätzlich den genannten Hilfsantrag gestellt.

2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht.

2.1. Ob der Hauptantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig ist, entzieht sich der Prüfungsbefugnis des Senats, weil sich der Antragsteller mit den diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts nicht auseinandergesetzt hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Damit kann allein der hilfsweise gestellte Antrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm bis zur Hauptsacheentscheidung eine Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu erteilen, Prüfungsgegenstand sein.

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dieser Hilfsantrag zulässig ist, da er - jedenfalls ausdrücklich - erst im Beschwerdeverfahren gestellt worden ist (vgl. hierzu OVG Berlin, Beschl. v. 26.11.2003 - 6 S 343.03 -, Juris; OVG NW, Beschl. v. 06.01.2005 - 18 B 2801/04 -, Juris). Auch nach der Rechtsprechung des Senats ist eine Antragsänderung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich unzulässig (vgl. Beschl. v. 26.09.2008 - 2 M 188/08, - Juris, m. w. Nachw.). Aber auch wenn es sich hier um keine Antragsänderung (im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO), sondern nur um Klarstellung des Inhalts handeln sollte, dass der im erstinstanzlichen Verfahren gestellte Antrag bereits einen solchen Hilfsantrag beinhaltet hat, bliebe dieser jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. 2.2. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller derzeit keinen Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung hat.

2.2.1. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, kommt der Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nicht die Funktion eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu (vgl. Beschlüsse d. Senats v. 11.10.2006 - 2 M 294/06 -, Juris, u. v. 25.08.2006 - 2 M 228/06 -, Juris; sowie zu § 55 Abs. 2 AuslG: BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - 1 C 3.97 -, BVerwGE 105, 35 [43]). Die Frage, ob gegebenenfalls auch eine längerfristige Trennung von Ehegatten im Hinblick auf Art. 6 GG zulässig ist, ist grundsätzlich im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nachzugehen, das wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Regel nicht vom Inland aus betrieben werden kann (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, II § 60a RdNr. 87). Hat ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels - wie es das Verwaltungsgericht hier angenommen hat - ein Bleiberecht in Form einer Fiktion nicht ausgelöst und ist demzufolge ein nach Antragsablehnung gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, scheidet aus gesetzessystematischen Gründen darüber hinaus auch die Erteilung einer Duldung für die Dauer des Erteilungsverfahrens grundsätzlich aus; denn die Erteilung einer Duldung widerspräche der in den genannten Vorschriften zum Ausdruck gekommenen gesetzlichen Wertung, für die Dauer eines Aufenthaltsgenehmigungsverfahrens nur unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht zu gewähren (vgl. OVG NW, Beschl. v. 11.01.2006 - 18 B 44.06 - AuAS 2006, 144; Beschl. v. 07.06.2004 - 18 B 596/04 - Juris; OVG Berlin, Beschl. v. 26.11.2003, a. a. O.).

2.2.2. Eine grundsätzlich andere Sichtweise ist zwar dann geboten, wenn es dem Ausländer im Hinblick auf Art. 6 GG nicht zugemutet werden kann und darf, seine in der Bundesrepublik gelebten familiären Beziehungen auch nur vorübergehend für die Dauer eines vom Ausland zu betreibenden Visumverfahrens zu unterbrechen, etwa wenn ein Kleinkind von einem Elternteil getrennt würde (vgl. Beschl. d. Senats v. 25.08.2006 - 2 M 228/06 -, a. a. O., m. w. Nachw.). Bei einem sehr kleinen Kind kann auch eine verhältnismäßig kurze Trennungszeit im Lichte von Art. 6 Abs. 2 GG schon unzumutbar lang sein, weil ein solches Kind den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.08.1999 - 2 BvR 1523/99 -, NVwZ 2000, 59; Beschl. v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Grundsätzlich ist es aber mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, den Ausländer auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.12.2007 - 2 BvR 2341/06 -, InfAuslR 2008, 239). Nicht einmal die Existenz eines ehelichen Kindes aus einer mit einer deutschen Staatsangehörigen geführten Ehe kann den ausländischen Elternteil stets vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bewahren (vgl. zu einem 15 Jahre alten Kind: BVerfG, Beschl. v. 12.04.2000 - 2 BvR 440/00 -, Juris). Vor diesem Hintergrund kann der Antragsteller nicht mit dem Einwand durchdringen, eine auch nur vorübergehende Trennung würde eine psychische Belastung für seine Ehefrau und ihre im Haushalt lebende 13-jährige Tochter, zu der er ein gutes Verhältnis aufgebaut habe, darstellen.

2.2.3. Ob eine Aussetzung der Abschiebung auch dann in Betracht kommt, wenn ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis offensichtlich besteht, bedarf keiner Entscheidung. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG darf einem Ausländer, dessen Asylantrag unanfechtbar abgelehnt worden ist, vor der Ausreise ein Aufenthaltstitel nur nach Maßgabe des Abschnitts 5 (§§ 22 bis 26 AufenthG) erteilt werden. Den vom Antragsteller am 02.03.2005 gestellten Asylantrag hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 10.03.2005 abgelehnt. Diese Vorschrift findet zwar gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Nach der herrschenden Meinung (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 26.07.2007 - 12 ME 252/07 -, EZAR-NF 28 Nr. 10; VGH BW, Urt. v. 26.07.2006 - 11 S 2523/05 -, VBlBW 2007, 30; OVG BBg, Beschl. v. 09.03.2006 - 11 N 77.05 - , Juris; SaarlOVG, Beschl. v. 30.04.2008 - 2 B 207/08 -, Juris; Discher in: GK-AufenthG, Bd. 1 II - § 10 RdNrn. 171 ff.; Renner, AuslR, 8. Aufl., § 10 RdNr. 10; a. A.: Hailbronner, a. a. O., § 10 RdNr. 16) setzt § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG aber einen sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Anspruch voraus; ein Anspruch auf Grund einer Ermessensreduzierung auf Null genügt nicht.

Es erscheint indes zweifelhaft, ob der Antragsteller einen solchen, sich unmittelbar aus dem Gesetz ergebenden Anspruch hat. Einem ausländischen Ehegatten eines Deutschen ist zwar gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels aber in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Es ist jedenfalls nicht offensichtlich, dass diese allgemeine Erteilungsvoraussetzung vorliegt.

Gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG kann ein Ausländer insbesondere ausgewiesen werden, wenn er einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen hat. Diese Vorschrift ist so zu verstehen, dass ein Rechtsverstoß nur dann unbeachtlich ist, wenn er vereinzelt und geringfügig ist, andererseits aber immer dann beachtlich ist, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig oder geringfügig aber nicht vereinzelt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1996 - 1 C 9.94 -, BVerwGE 102, 63 [66]). Eine vorsätzlich begangene Straftat kann grundsätzlich nicht als geringfügig angesehen werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1996, a. a. O.). Allerdings kann es auch bei vorsätzlich begangenen Straftaten unter engen Voraussetzungen Ausnahmefälle geben, in denen auch ein vorsätzlich begangener Rechtsverstoß als geringfügig zu bewerten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004 - 1 C 23.03 -, InfAuslR 2005, 213 [215]). Das kann trotz der gebotenen ordnungsrechtlichen Beurteilung etwa dann der Fall sein, wenn ein strafrechtliches Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1996, a. a. O.). Soweit der Antragsteller meint, dass es bei einem Einspruch gegen den Strafbefehl vom 13.02.2006 zu einer Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit gekommen wäre, hat diese hypothetische Annahme allerdings außer Betracht zu bleiben, da es tatsächlich nicht zu einer Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit gekommen ist (BVerwG, Urt. v. 18.11.2004, a. a. O.). Eine Ausnahme ist aber nicht nur auf Fälle der Verfahrenseinstellung wegen Geringfügigkeit beschränkt. Sie kommt vielmehr auch im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalls zu der Bewertung führen, dass es sich um einen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften handelt, etwa wenn es sich offenbar um eine erstmalige strafrechtliche Verfehlung handelt, das Strafmaß gering ist und Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr nicht erkennbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.11.2004, a. a. O.) bzw. wenn die Straftat lediglich zu einer Verurteilung bis zu 30 Tagessätzen geführt hat (vgl. Nr. 55.2.2.3.1 der vorläufigen Anwendungshinweise zum AufenthG; Beschl. d. Senats v. 14.02.2007 - 2 M 368/06 -, Juris; BayVGH, Beschl. v. 22.03.2006 - 24 ZB 06.165 -, Juris).

Hiernach sprechen zwar gute Gründe dafür, dass die im Strafbefehl vom 13.02.2006 geahndeten Straftaten des Antragstellers - für sich betrachtet - noch als geringfügig einzustufen sind, auch wenn der Wert der gestohlenen Gegenstände von insgesamt 255,50 € nicht unerheblich ist. Das Strafmaß ist mit einer Gesamtgeldstrafe von 20 Tagessätzen bzw. zwei Einzelgeldstrafen von jeweils 15 Tagessätzen gering und liegt - noch - unter der in den vorläufigen Anwendungshinweisen zum AufenthG genannten Bagatellschwelle. Auch könnten diese in Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) begangenen Straftaten, etwa aufgrund des unmittelbarem zeitlichen Zusammenhangs, noch als "vereinzelt" im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG bewertet werden.

Der Antragsteller hat aber offenbar weitere vorsätzliche Straftaten begangen, so dass zumindest zweifelhaft ist, ob die von ihm begangenen Rechtsverstöße insgesamt noch als "vereinzelt" angesehen werden können. Zwar kann dem Antragsteller der ihm im Strafbefehl vom 23.09.2008 zur Last gelegte Verstoß gegen das AufenthG nicht (mehr) entgegengehalten werden; denn das Amtsgericht Dessau-Roßlau hat den Antragsteller auf dessen Einspruch mit rechtskräftigem Urteil vom 07.01.2009 von diesem Vorwurf freigesprochen. Gleiches gilt für die Vorwürfe der mittelbaren Falschbeurkundung und des Betrugs, die Gegenstand des nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellten Verfahrens (291 Js 33389/07) waren. Gegen den Antragsteller waren aber zwei weitere Ermittlungsverfahren anhängig. Im Verfahren wegen Verstoßes gegen das AufenthG (291 Js 31337/07) sah die Staatsanwaltschaft Magdeburg wegen geringer Schuld gemäß § 153 Abs. 1 StPO von der weiteren Strafverfolgung ab (Bl. 343 des Verwaltungsvorgangs). Ein weiteres Verfahren wegen Diebstahls (960 Js 75769/05) wurde laut Mitteilung der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost vom 07.05.2008 (Bl. 348 des Verwaltungsvorgangs) von der Staatsanwaltschaft Halberstadt gemäß § 153a StPO eingestellt. Dass es bei diesen Verfahren nicht zu einer Verurteilung gekommen ist, steht einer Verwertung dieser Vergehen im Rahmen des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht entgegen; erforderlich ist nur, dass sich der Rechtsverstoß aus den getroffenen Feststellungen ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.06.1998 - 1 C 27.96 -, BVerwGE 107, 58).

Ohne Erfolg beruft sich der Antragsteller darauf, dass wegen der familiären Lebensgemeinschaft ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliege. Gegenüber der generellen Norm des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, Spezialnorm (vgl. Marx in: GK-AufenthG, II - § 27 RdNr. 275; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, 5. Aufl., Bd. 1, § 5 RdNr. 7). Wie bei § 17 Abs. 5 AuslG ist nach dieser Regelung beim Vorliegen von Ausweisungsgründen eine Ermessensentscheidung zu treffen (BT-Drucks. 15/420, S. 81). Die familiären Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet und die Wertentscheidung des Art. 6 GG sind daher in den Fällen des Familiennachzugs nicht auf der Ebene des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG durch Einordnung als Regel- oder Ausnahmefall, sondern allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen (NdsOVG, Urt. v. 27.04.2006 - 5 LC 110/05 -, NVwZ-RR 2007, 62, m. w. Nachw.). Für einen die Erteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG aufhebenden Rechtsanspruch im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG würde aber - wie oben dargelegt - selbst eine Ermessenreduzierung auf Null nicht genügen. Ohne Bedeutung ist deshalb, dass die Antragsgegnerin keine solche Ermessensentscheidung getroffen hat.

Der Antragsteller hat voraussichtlich auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Eine (freiwillige) Ausreise ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen. Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, BVerwGE 126, 192). Eine rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich entgegen der Annahme des Antragstellers hier aber nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Wie bereits dargelegt, wird Art. 6 GG nicht verletzt, wenn dem Ehegatten eine nur vorübergehende Trennung von der Ehefrau (und dem Stiefkind) zur Nachholung des Visumverfahrens abverlangt wird (vgl. auch SächsOVG, Beschl. 17.08.2006 - 3 BS 130/06 -, AuAS 2007, 15; NdsOVG, Beschl. v. 27.04.2006, a. a. O).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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