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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 10.06.2004
Aktenzeichen: 2 M 278/04
Rechtsgebiete: LSA-BauO, LSA-SOG


Vorschriften:

LSA-BauO § 64 II
LSA-SOG § 8 II
Fordert ein gesetzwidriger Zustand sofortige Gegenmaßnahmen und lässt sich nicht sogleich mit letzter Sicherheit der Verantwortliche unter mehreren in Betracht kommenden Störern feststellen, kann die Behörde einen der möglicherweise Pflichtigen in Anspruch nehmen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 278/04

Datum: 10.06.2004

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686), in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und hinsichtlich des Streitwerts auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) i. V. m. I. Nr. 7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff.).

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Der Senat sieht - anders als das Verwaltungsgericht - keine Veranlassung, dem zulässigen Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO stattzugeben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 04.02.2004 unter Nrn. 1 und 2 aufgegebenen Sicherungsmaßnahmen wiederherzustellen; denn die Ordnungsverfügung ist bei der hier nur möglichen summarischen Prüfung und unter Würdigung des Beschwerdevorbringens offensichtlich rechtmäßig.

Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die für sofort vollziehbar erklärte Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 18.11.2003 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 04.02.2004, mit dem der Antragstellerin auf der Grundlage des § 64 Abs. 2 Satz 2 der Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt - BauO LSA - i. d. F. des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 09.02.2001 [LSA-GVBl., S. 50]), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158 [161 <Art. 5>]), aufgegeben wurde, unverzüglich, spätestens bis zum 15.03.2004, die Dacheindeckung des an der nördlichen Grundstücksgrenze leer stehenden Wohnhauses an seiner nördlichen Traufseite (Nr. 1) und die auf der nördlichen Traufseite des an der nördlichen Grundstücksgrenze leer stehenden Wohnhauses befindlichen Schornsteine (Nr. 2) so abzusichern, dass keine Dachteile (Ziegel, Mörtel o. ä.) oder Schornsteinteile auf die darunter liegende öffentliche Verkehrsfläche bzw. auf das angrenzende Grundstück ... stürzen können. Zur Begründung wurde ausgeführt, von der Dacheindeckung und insbesondere den Schornsteinen gehe aufgrund ihres desolaten baulichen Zustands eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie eine Gefahr für Leben und Gesundheit der Benutzer und Eigentümer des angrenzenden Grundstücks und der angrenzenden Verkehrsfläche aus. Die Antragstellerin sei als Mitglied der Erbengemeinschaft des Grundstücks nach pflichtgemäßem Ermessen ausgewählt worden. Das hiergegen durchgeführte Widerspruchsverfahren der Antragstellerin blieb erfolglos (vgl. Widerspruchsbescheid des Landesverwaltungsamts vom 14.05.2004).

Bereits am 08.03.2004 hat die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht Dessau um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und die Auswahlentscheidung des Antragsgegners unter Hinweis auf etliche weitere Miteigentümer, die in unmittelbarer Nähe des fraglichen Objekts oder sogar in demselben Ort wohnen sollen, beanstandet. Auch sei der Miterbe Z. im Besitz des vermutlich einzigen Schlüssels, so dass sie gar nicht in der Lage sei, den Handwerkern Zugang zu dem Objekt zu gewähren. Mit Beschluss vom 30.03.2004 (1 B 88/04 DE) hat das Verwaltungsgericht dem vorläufigen Rechtsschutzantrag der Antragstellerin stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, zwar gingen von dem streitbefangenen Wohnhaus Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus, da sich die Dacheindeckung in einem schadhaften Zustand befände und die Schornsteine einsturzgefährdet seien. Allerdings sei die In-Anspruch-Nahme der Antragstellerin ermessensfehlerhaft, da der Antragsgegner seine Auswahlentscheidung allein auf die ihm bis zum Erlass der Ordnungsverfügung vom 18.11.2003 bekannte Eigentümerin des Grundstücks beschränkt habe. Die Antragstellerin habe jedoch mit ihrem Widerspruch vom 09.12.2003 darauf hingewiesen, dass es neben den vom Antragsgegner in die Störerauswahl einbezogenen Miteigentümern weitere Miteigentümer gebe, die darüber hinaus in unmittelbarer Nähe des strittigen Grundstücks lebten und daher besser zur Abwehr der Gefahren in der Lage seien als sie, die ca. 450 km entfernt wohne. Dem Antragsgegner hätte es daher oblegen, vor Erlass der angefochtenen Verfügung vom 04.02.2004 die Eigentümerstellung der von der Antragstellerin benannten Personen zu klären und im Falle der positiven Feststellung diese in die Entscheidung einzubeziehen.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde vom 19.04.2004 und trägt zur Begründung vor, er habe noch vor Erlass der Ordnungsverfügung vom 18.11. 2003 die In-Anspruch-Nahme weiterer Nacherben durch Nachfrage beim Grundbuchamt und Nachlassgericht geprüft und festgestellt, dass Herr ... Z. nicht als Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks im Grundbuch verzeichnet sei und das Auffinden weiterer Erben eine nicht zu vertretene Verzögerung der dringend notwendigen Sicherungsmaßnahmen bedeuten würde.

Mit diesem Beschwerdevorbringen, auf dessen Würdigung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, hat der Antragsgegner Erfolg; denn er kann die von der Antragstellerin angefochtenen Sicherungsmaßnahmen auf § 64 Abs. 2 S. 1, 2 BauO LSA stützen. Die in den Akten befindlichen photographischen Aufnahmen bestätigen die Annahme des Antragsgegners, der Zustand des Wohnhauses verstoße gegen die Anforderungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 BauO LSA. Sie belegen insbesondere, dass Gebäudeteile (Dacheindeckung und Schornsteine) Personen und Sachen im Straßenraum vor dem Gebäude der Antragstellerin gefährden. Diesen Umstand bestreitet auch die Antragstellerin nicht.

Auch ist die In-Anspruch-Nahme der Antragstellerin als Miteigentümerin des streitgegenständlichen Grundstücks zur Beseitigung der Gefahrenlage nach Maßgabe des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden.

An wen eine Ordnungsverfügung zu richten ist, regelt die Bauordnung Sachsen-Anhalt nicht, so dass insoweit die allgemeinen Grundsätze des Sicherheitsrechts über die Polizeipflichtigkeit des Verhaltens- (bzw. Handlungs-) und des Zustandsstörers heranzuziehen sind (vgl. Jäde/Dirnberger, Kommentar zum Bauordnungsrecht Sachsen-Anhalt, Stand: Juli 2001, § 81 RdNr. 93, und zur insoweit vergleichbaren Rechtslage: VGH BW, Beschl. v. 27.03.1995 - 8 S 525/95 -, VBlBW 1995, 281; OVG NW, Urt. v. 09.12.1994 - 10 A 1753/91 -, BauR 1995, 677; BayVGH, Urt. v. 19.09. 1977 - Nr. 64 XV 75 -, BayVBl. 1978, 340). Für eine Beseitigungsanordnung kann folglich derjenige in Anspruch genommen werden, den gemäß §§ 7, 8 ff. des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - SOG LSA - i. d. F. d. Bek. v. 23.09.2003 (LSA-GVBl., S. 214), für die vermutete Gefahr die Verantwortung trifft. Das ist neben dem Verantwortlichen für den Zustand von Tieren und Sachen (§ 8 SOG-LSA) derjenige, der durch sein Verhalten die vermutete Gefahr verursacht hat (§ 7 SOG-LSA).

Die Verantwortlichkeit der Antragstellerin als Zustandsstörerin ergibt sich aus § 8 Abs. 2 SOG LSA; denn sie ist unstreitig Miteigentümerin des Grundstücks ... in S. (Flur ..., Flurstück ...) und des darauf befindlichen Gebäudes. Es kann dahingestellt bleiben, ob neben der Antragstellerin andere Pflichtige überhaupt ernsthaft in Betracht zu ziehen waren. Jedenfalls hat der Antragsgegner begründet und im Hinblick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ermessensfehlerfrei von der In-Anspruch-Nahme anderer Personen Abstand genommen; insbesondere hat er sich ausweislich des Verwaltungsvorgangs schon weit vor Erlass der Ordnungsverfügung vom 18.11.2003 bemüht, mögliche andere Ordnungspflichtige ausfindig zu machen. So hat die Anfrage "Amtshilfe; Ermittlung Grundstückseigentümer" vom 16.06.2003 beim Grundbuchamt Bitterfeld ergeben, dass insgesamt elf Grundstückseigentümer im Grundbuch von S. (Blatt ...) verzeichnet sind, von denen sechs allerdings inzwischen verstorben sind. Bei den fünf verbleibenden Grundstückseigentümern handelt es sich um Personen mit Wohnsitz in H., G., B. oder P. Unter Berücksichtigung der Entfernung des Wohnortes hat der Antragsgegner zunächst Herrn ... R. aus P. als Ordnungspflichtigen ausgewählt, der allerdings den Nachweis der 100%igen Schwerbehinderung erbracht hat. Nachdem sich weiter herausgestellt hatte, dass auch die Frage, ob der von der Antragstellerin benannte Miterbe, Herr ... Z. aus Z., sein Erbe nach Frau A. Z. antreten wird, offen ist, hat sich der Antragsgegner zu Recht aus Gründen der Dringlichkeit für die In-Anspruch-Nahme der Antragstellerin als jüngste von den verbleibenden Eigentümerinnen entschieden.

Einer weiteren Klärung, ob auch die von der Antragstellerin im Widerspruchsschreiben vom 09.12.2003 aufgeführten Miterben, Frau D., Frau K., Herr K. und Herr M., als Störer zur Beseitigung der Gefahrenlage in Betracht kommen, bedurfte es entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht. Erfordert nämlich - wie hier - ein gesetzwidriger Zustand sofortige Gegenmaßnahmen und lässt sich nicht sogleich mit letzter Sicherheit der Verantwortliche unter mehreren in Betracht kommenden Störern feststellen, kann die Behörde durch sofort vollziehbaren Bescheid einen der möglicherweise Pflichtigen in Anspruch nehmen. Sie ist angesichts des Gebots sparsamer und wirtschaftlicher Verwendung öffentlicher Mittel insbesondere nicht darauf verwiesen, die erforderlichen Maßnahmen selbst zu veranlassen und mit den notwendigen Kosten zunächst in Vorlage zu treten. Sie muss den Weg über den Erlass einer ggf. für sofortig vollziehbar erklärten Grundverfügung gehen, weil der Sofortvollzug nicht dazu dient, der Behörde zu ermöglichen, die notwendige - endgültige - Klärung des Adressaten einer Ordnungsverfügung in Kenntnis der Gefahrenlage so lange hinauszuschieben, bis ein Zuwarten nicht mehr möglich ist, weil die Gefahrenlage zu eskalieren droht.

Ende der Entscheidung

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