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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 13.05.2003
Aktenzeichen: 2 M 285/02
Rechtsgebiete: BImSchG, 9. BImSchV


Vorschriften:

BImSchG § 4 I 1
BImSchG § 6
BImSchG § 10 II 2
BImSchG § 10 III
BImSchG § 10 V
9. BImSchV § 11
1. Im Verfahren auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Schweinemast-Anlage ist die Gemeinde nicht als Trägerin öffentlicher Belange i. S. des § 10 Abs. 5 BImSchG zu beteiligen. Sie ist vielmehr "Dritte" i. S. des § 10 Abs. 2 Satz 2 BImSchG.

2. Gegen die erteilte Genehmigung kann sich die Gemeinde deshalb nicht mit dem Einwand wehren, sie sei im Verfahren nicht angehört worden.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 285/02

Datum: 13.05.2003

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.2001 (BGBl I 3987), sowie auf § 154 Abs. 2; 3 VwGO und hinsichtlich des Streitwerts auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]), i. V. m. 16.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605 ff.), dessen Wert wegen des hier anhängigen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens zu halbieren ist.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen ist unbegründet; denn das Verwaltungsgericht hat dem vorläufigen Rechtsschutzantrag des Antragstellers gemäß § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 1 VwGO zu Recht stattgegeben und die sofortige Vollziehung der ihm erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Schweinemastanlage ... vom 08.12.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2001 angeordnet, weil die Klage der Beigeladenen vom 25.05.2001 (Az: 3 A 139/01 HAL) gegen diese Genehmigung voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung erweist sich nämlich bei summarischer Prüfung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens als offensichtlich rechtmäßig und verletzt die Beigeladene nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist § 4 Abs. 1 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes - BImSchG - in der hier anwendbaren Fassung der Bekanntmachung vom 14.05.1990 (BGBl I 880), zuletzt geändert durch Artikel 49 der Verordnung vom 29.10.2001 (BGBl I 2785). Nach dieser Vorschrift bedürfen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen, die auf Grund ihrer Beschaffenheit oder ihres Betriebs in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Umwelteinwirkungen hervorzurufen oder in anderer Weise die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zu gefährden, erheblich zu benachteiligen oder erheblich zu belästigen, einer Genehmigung. Unstreitig erfüllt das Vorhaben des Antragstellers diese Genehmigungsvoraussetzungen, da die Schweinemastanlage jedenfalls 2.000 und mehr Tierplätze vorsieht.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Antragsgegner ordnungsgemäß das nach § 10 BImSchG i. V. m. der Neunten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung über das Genehmigungsverfahren - 9. BImSchV -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 29.05.1992 (BGBl I 1001), zuletzt geändert Artikel 7 der Verordnung vom 10.12.2001 (BGBl I 3379), vorgeschriebene Verfahren durchgeführt hat; insbesondere war er nicht verpflichtet, die Beigeladene im Genehmigungsverfahren als Trägerin öffentlicher Belange nach § 10 Abs. 5 BImSchG i. V. m. § 11 der 9. BImSchV zu beteiligen.

§ 10 Abs. 5 BImSchG schreibt vor, dass die Genehmigungsbehörde die Stellungnahme der Behörden einholt, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Das sind alle Behörden, die für ein Teilproblem rechtlich zuständig sind, das sich im Rahmen der Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen nach § 6 BImSchG stellt, also z. B. Bauaufsichts-, Abfall-, Wasser-, Straßenbaubehörden oder Berg- und Umweltämter (Ule/Laubinger, Bundesimmissionsschutzgesetz, Stand: Februar 2003, § 10 RdNr. E1). Diese Bedingung erfüllt eine Nachbargemeinde, die sich wie hier ausschließlich auf eine Verletzung ihrer Planungshoheit beruft, nicht; sie tritt nicht als Fachbehörde auf, die der Genehmigungsbehörde für ihre Entscheidungsfindung eine fachliche Zuarbeit leistet, sondern als Dritte im Sinne von § 10 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, die geltend macht, von den Auswirkungen der Anlage betroffen zu sein. Insoweit ist die Beigeladene - wie jeder andere potentiell Betroffene auch - darauf verwiesen, fristgerecht Einwendungen gemäß § 10 Abs. 3 BImSchG zu erheben (Feldhaus/Vallendar, Bundes-Immissionsschutzrecht, 2.9, Anm. 4 zu § 11 der 9. BImSchV).

Im Übrigen könnte sich die Beigeladene auf eine etwaige Verletzung ihres Mitwirkungsrechts aufgrund von § 10 Abs. 5 BImSchG auch nicht berufen, weil der darin geregelten Verpflichtung der Genehmigungsbehörde, die Stellungnahmen derjenigen Behörden einzuholen, deren Aufgabenbereich durch das zu genehmigende Vorhaben berührt wird, kein subjektives Recht der zu beteiligenden Stellen auf Mitwirkung oder gar auf Durchführung eines Genehmigungsverfahrens entspricht (so auch NdsOVG, Urt. v. 16.06.1993 - 7 L 1965/92 -, [juris]; HessVGH, Beschl. v. 09.10.1989 - 8 TH 2582/89 -, NVwZ-RR 1990, 346; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand: September 2002, § 10 RdNr. 52). Diese Behörden werden nicht beteiligt, damit sie in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Interessen zur Geltung zu bringen; vielmehr dienen ihre Stellungnahmen nur der Information der Genehmigungsbehörde. Dies gilt auch, wenn die zu beteiligende Stelle eine Gemeinde ist. Zwar kann die Gemeinde in einer Stellungnahme nach § 10 Abs. 5 BImSchG auch ihre Interessen zur Geltung bringen; dies ist aber nicht der eigentliche Zweck, sondern lediglich ein Reflex jener Vorschrift. Dementsprechend ist die Genehmigungsbehörde auch nicht an das Votum der Gemeinde gebunden (Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 3. Aufl., § 10 RdNr. 35; Ule/Laubinger, a. a. O., § 10 RdNr. E3).

Schließlich ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Beigeladene mit ihren Einwendungen gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 08.12.2000 in vollem Umfang nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG präkludiert ist. Nach dieser Vorschrift sind mit Ablauf der Einwendungsfrist alle Einwendungen gegen die Genehmigung ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Die Vorschrift normiert damit eine materielle Verwirkungspräklusion, die sich nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift auch auf das nachfolgende gerichtliche Verfahren erstreckt, indem sie als zwingendes Recht von Amts wegen zu beachten ist. Auf den Einwendungsausschluss ist - wie dies § 10 Abs. 4 Nr. 2 BImSchG verlangt - in der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens vom 04.01.2001 ordnungsgemäß hingewiesen worden. Die allen Betroffenen mit dem Einwendungsausschluss auferlegte Mitwirkungslast gilt uneingeschränkt auch für eine Gemeinde, d. h. sie muss, wenn sie durch das Vorhaben zugleich in eigenen Rechten betroffen ist und sich die Möglichkeit offen halten will, diese Rechte notfalls im Klagewege geltend zu machen, im Rahmen der Betroffenenbeteiligung frist- und formgerecht Einwendungen erheben. Der Einwendungsausschluss rechtfertigt sich auch hier durch das triftige Interesse der Öffentlichkeit und des Vorhabenträgers, innerhalb einer bestimmten angemessenen Frist Sicherheit über Inhalt und Umfang derjenigen Rechtspositionen zu haben, die den Bestand der Genehmigung gefährden könnten, soweit sie den ausgelegten Unterlagen entspricht (vgl. BVerwG, Gerichtsbescheid vom 27.12.1995 - BVerwG 11 A 24.95 -, NVwZ 1996, 895). Dabei muss eine rechtswahrende Einwendung erkennen lassen, in welcher Hinsicht Bedenken gegen das in Aussicht genommene Vorhaben - aus der Sicht des Einwendenden - bestehen; das Vorbringen muss so konkret sein, dass die Genehmigungsbehörde erkennen kann, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.02.1996 - BVerwG 4 A 38.95 -, NVwZ 1997, 171/172; VGH BW, Urt. v. 10.10.1997 - 5 S 105/97 -, UPR 1998, 197). Erhebt eine Gemeinde Einwendungen, so muss sie erkennen lassen, welche wehrfähige Rechtsposition oder welche Rechtsgüter sie als gefährdet ansieht, und die befürchteten Beeinträchtigungen darlegen.

Gemessen daran ist die Beigeladene in vollem Umfang präkludiert. Sie hat sich innerhalb der Einwendungsfrist (§ 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG) vom 23.03.2000 bis zum Ablauf des 09.05.2000 nur mit Schreiben vom 08.05.2000, bei dem Antragsgegner eingegangen am 09.05.2000, geäußert. Dabei hat sie zwar als Nachbargemeinde eine Beteiligung am Genehmigungsverfahren gemäß § 10 Abs. 5 BImSchG gefordert. Dem Schreiben lässt sich aber nicht entnehmen, dass diese Forderung gerade auch wegen einer eigenen Betroffenheit der Beigeladenen in ihrem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht, insbesondere ihrer Planungshoheit erhoben wird. Selbst wenn die allgemein gehaltene Forderung in Bezug auf den Tourismus sinngemäß dahin zu verstehen sein sollte, dass die Beigeladene sich gegen eine zusätzliche Belästigung ihres Gemeindegebiets wendet, die ihre städtebaulichen Planungsmöglichkeiten einschränkt, würde damit die Beeinträchtigung einer konkreten wehrfähigen Rechtsposition nicht geltend gemacht. Zwar werden vom Schutz der Planungshoheit nicht nur die durch verbindliche Pläne ausgewiesenen kommunalen Planungen, sondern gerade auch planerische Vorstellungen umfasst, soweit sie schon hinreichend bestimmt sind. Es muss aber dargetan werden, dass und in welcher Weise eine bereits hinreichend konkretisierte örtliche Planung durch die Planfeststellung rechtswidrig beeinträchtigt wird. Der allgemeine Hinweis auf die Wahrnehmung des öffentlichen Wohls oder die abstrakte Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Planungshoheit genügen dafür ebenso wenig wie das allgemeine Interesse der Gemeinde, ihr Gebiet vor einem Vorhaben der Fachplanung zu verschonen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.05.1984, a. a. O. 261 f.; Urt. v. 27.03.1992 - BVerwG 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96 [100]; Gerichtsbescheid v. 27.12.1995, a. a. O.; Beschl. v. 17.04.2000 - BVerwG 11 B 19.00 -, NVwZ 2001, 88); denn die gemeindliche Planungshoheit vermittelt eine wehrfähige Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen nur, wenn das Vorhaben nachhaltig eine hinreichend bestimmte Planung der Gemeinde stört oder wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder gemeindliche Einrichtungen erheblich beeinträchtigt. Das kommt beispielsweise in Betracht, wenn eine bereits in Bauleitplänen zum Ausdruck kommende gemeindliche Planung nicht mehr verwirklicht werden könnte oder infolge unterlassener Schutzanlagen nachträglich geändert werden müsste. Dazu ist jedoch von der Gemeinde darzulegen, dass und inwiefern die Fachplanung auf ihre Planungshoheit solchermaßen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art haben kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.05.1984, a. a. O., m. w. Nachw.). Derartige Beeinträchtigungen zeigt das Schreiben vom 08.05.2000 nicht auf.

Mängel des Bekanntmachungs- und Auslegungsverfahrens, welche die Beigeladene dem Ausschluss ihrer Einwendungen entgegenhalten könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch Gründe, die nach § 32 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Sachsen-Anhalt i. d. F. d. Bek. v. 07.01.1999 (LSA-GVBl., S. 3) - VwVfG LSA -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002 (LSA-GVBl., S. 130 [135]), eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einwendungsfrist rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.



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