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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 06.05.2003
Aktenzeichen: 2 M 39/02
Rechtsgebiete: LSA-KAG, BauGB, LSA-BauO, BGB


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 I
LSA-KAG § 6 VIII
BauGB § 131 I 1
LSA-BauO § 4 I (F 2001)
BGB § 917
1. Das Hinterlieger-Grundstück hat bei Eigentümer-Verschiedenheit im Verhältnis zum Vorderlieger nur dann einen Vorteil von der Straße, wenn die Zuwegung auf Dauer gesichert ist. Erforderlich ist, dass der Hinterlieger die Zufahrt von seinem Grundstück zur Straße ständig aus eigenem Willensentschluss benutzen kann.

2. Dies verlangt eine dingliche Sicherung des Zugangsrechts. Unerheblich ist, ob der Vorderlieger dem Hinterlieger zum "Stichtag" (Entstehen der sachlichen Beitragspflicht) die Überfahrt nur duldet oder nur ohne Sicherung gestattet.

3. Offen bleibt, ob es ausreicht, dass der Hinterlieger den Zugang über ein "Notwegerecht" nach § 917 BGB verlangen kann.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 2 M 39/02

Datum: 06.05.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO und auf §§ 13 Abs. 2; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.12.2001 (BGBl I 3638 [3639]).

Zu Recht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin für den Ausbau der Goethestraße nicht zu Vorausleistungen auf den Straßenausbaubeitrag herangezogen werden kann.

Nach § 6 Abs. 1 KAG-LSA können Beitragspflichtige i. S. v. § 6 Abs. 8 KAG-LSA von einer Gemeinde zu Straßenausbaubeiträgen veranlagt werden, wenn ihnen durch die In-Anspruch-Nahme oder die Möglichkeit der In-Anspruch-Nahme einer Verkehrsanlage (§ 6 Abs.1 KAG-LSA) ein Vorteil entsteht.

Die Möglichkeit zur In-Anspruch-Nahme der Verkehrsanlage und die damit einhergehenden Vorteile müssen dauerhaft vom Grundstück her bestehen.

Für die straßenausbaubeitragsrechtliche Bevorteilung reicht es aus, dass das Grundstück an irgendeiner Stelle an die ausgebaute Verkehrsanlage angrenzt, also die Verkehrsanlage von irgendeiner Stelle des Grundstücks aus betreten oder befahren werden kann.

Ob bei Grundstücken, die nicht unmittelbar an eine Verkehrsanlage angrenzen, eine vorteilsrelevante In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit besteht, bedarf dagegen einer differenzierenden Betrachtung:

Besteht bei einem hinterliegenden und einem anliegenden Grundstück Eigentümeridentität und werden die Grundstücke auch einheitlich genutzt, ist im Grundsatz die vorteilsrelevante In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit zu bejahen; denn der Grundstückseigentümer kann sich den Zugang oder die Zufahrt jederzeit aus eigenem Willensentschluss verschaffen (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. § 35 RdNr.17).

Wird das Hinterliegergrundstück von der abzurechnenden Anbaustraße durch ein im fremden Eigentum stehendes Anliegergrundstück getrennt (Eigentümerverschiedenheit), ist das Merkmal der vorteilsrelevanten In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit erfüllt, wenn das Hinterliegergrundstück eine dauerhafte Möglichkeit zur In-Anspruch-Nahme der ausgebauten Straße besitzt (so auch NdsOVG [zu einer insoweit vergleichbaren Rechtslage], Beschl. v. 13.06.2000 - 9 M 1349/00 -, NST-N 2000, 242; Driehaus, a. a. O., § 35 RdNr. 17).

Auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verlangt für das Erschließungsbeitragsrecht bei dem Begriff des "Erschlossen-Seins" i. S. v. § 131 Abs. 1 S. 1 BauGB, dass ein Hinterliegergrundstück nur dann bei der Beitragsverteilung zu berücksichtigen ist, wenn die Zuwegung über ein unmittelbar an der Straße gelegenes Grundstück voraussichtlich auf Dauer besteht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.08.2000 - BVerwG 11 B 48.00 -, Buchholz 406.11 [BauGB] § 123 Nr. 42).

Nach dieser Entscheidung steht dem Erfordernis der Dauerhaftigkeit nicht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum sog. Stichtagsprinzip entgegen. Danach komme es maßgebend auf die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten an; eine spätere Änderung dieser Verhältnisse habe selbst dann keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines ergangenen Erschließungsbeitragsbescheids, wenn mit ihr schon im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten zu rechnen war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13. 03.1995 - BVerwG 8 B 5.95 -, Buchholz 406.11 § 134 Nr. 7, m. w. N.). Von einer vorteilsrelevanten In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit kann indes nicht gesprochen werden, wenn die Verkehrsanlage nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, am Tag des Entstehens der Beitragspflicht, tatsächlich und rechtlich (vom Eigentümer geduldet) zugänglich ist. Wenn es auch im Straßenbaubeitragsrecht nicht in erster Linie auf die Bebaubarkeit des Grundstücks ankommt, setzt doch eine am Vorteilsbegriff orientierte Betrachtung gleichfalls voraus, dass - nach den Umständen zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht - eine in Bezug auf die In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit feste Verbindung zum öffentlichen Wegenetz auf Dauer prognostiziert werden kann.

Bei der Frage, wann eine dauerhafte Verbindung zum öffentlichen Wegenetz besteht, ist nach Auffassung des Senats ebenso wie bei der Identität des Eigentümers des hinterliegenden und des angrenzenden Grundstücks darauf abzustellen, ob der Eigentümer des hinterliegenden die Zuwegung über das anliegende Grundstück aus eigenem Willensentschluss jederzeit ermöglichen kann.

Nur so wäre im Übrigen das Grundstück, wenn es über keine Zweit-Erschließung verfügen würde, auch nur als bebaubar anzusehen. § 4 Abs. 1 BauO LSA verlangt in der geänderten Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Baurechts in Sachsen-Anhalt vom 15.02.2000 - BauO n. F. - (LSA-GVBl., S. 723), dass Gebäude nur errichtet werden dürfen, wenn das Grundstück in angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt oder wenn das Grundstück eine befahrbare, rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche hat. Bis zum 09.02.2001, dem In-Kraft-Treten des Vereinfachungsgesetzes, verlangte § 4 BauO-LSA a. F. darüber hinaus, dass die Zufahrt öffentlich-rechtlich gesichert war.

Wenn auch durch die Gesetzesänderung nunmehr eine privatrechtliche Sicherung als ausreichend angesehen wird, ändert dies nichts daran, dass unter Berücksichtigung der teleologischen Auslegung des § 4 Abs. 1 BauO-LSA n. F. für die Bebaubarkeit eines Grundstücks eine gewisse dingliche Verfestigung des Zufahrtsrechts notwendig ist. Dies ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien zum Vereinfachungsgesetz (Gesetzentwurf der Landesregierung vom 14.06.2000 [LdTg-Drs 3/3276] zu § 4 [S. 103]). Danach soll "durch die neue Regelung neben der bisherigen Baulasteintragung künftig zur Sicherung einer Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrfläche auch eine privat-rechtliche Sicherung, z. B. durch Eintragung einer Grunddienstbarkeit möglich" sein.

Die hier in diesem Verfahren vorliegende mündliche, schuldrechtliche Gestattung genügt den Anforderungen des § 4 Abs. 1 BauO-LSA auch in seiner geänderten Fassung demnach nicht.

Im Falle der Eigentümerverschiedenheit bei angrenzenden Grundstücken sowie einer Zufahrtsmöglichkeit vermittelt eine bloße schuldrechtliche Gestattung, jedenfalls dann, wenn das Hinterliegergrundstück - wie hier - anderweitig erschlossen ist, keine vorteilsrelevante In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit (anderer Auffassung wohl: Driehaus, a. a. O. § 35 RdNr. 18).

Würde man keine dauerhafte In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit für das Auslösen der Straßenausbaubeitragspflicht verlangen, müsste jedes Grundstück zu Straßenausbaubeiträgen veranlagt werden, das im Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht eine tatsächliche Zufahrts- oder Zugangsmöglichkeit über ein fremdes Grundstück auf die Verkehrsanlage besitzt. Ließe man eine schuldrechtliche Zusicherung der Zugangsmöglichkeit im Straßenausbaubeitragsrecht ausreichen, so wäre einem Grundstückseigentümer auch schwerlich zu vermitteln, weshalb eine solche Zugangsmöglichkeit zu seinem Grundstück, die eine Straßenausbaubeitragspflicht auszulösen vermag, ihm gleichwohl, sollte er nur auf diese Erschließung angewiesen sein, nicht die notwendige baurechtliche Erschließung seines Grundstücks verschaffen kann.

Ob ein Notwegerecht nach § 917 BGB eine ausreichende dauerhafte die In-Anspruch-Nahme-Möglichkeit darstellt oder nicht, bedarf hier keiner Entscheidung, weil die Voraussetzungen für ein solches nur im Falle der alleinigen Erschließung über das angrenzende Grundstück in Betracht kommen kann. Wie dargelegt, wird das Grundstück der Antragstellerin hier mehrfach erschlossen.



Ende der Entscheidung

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