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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 25.10.2003
Aktenzeichen: 2 M 450/03
Rechtsgebiete: LSA-KAG, LSA-GO


Vorschriften:

LSA-KAG § 2 I 2
LSA-KAG § 2 II 4
LSA-KAG § 6 V
LSA-GO § 136
1. § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA (sog. "Schlechterstellungsverbot") wird nicht verletzt, wenn die neue (gültige) Satzung mit Rückwirkung eine frühere nichtige Satzung ersetzt. Die Gesamtheit der Abgabepflichtigen wird durch die neue gültige Satzung deshalb nicht mehr belastet, weil das Aufkommen nach der alten nichtigen Satzung mit Null anzusetzen ist.

2. Dabei kommt es auf den Nichtigkeitsgrund der früheren Satzung nicht an. Gleichgültig ist deshalb, ob die Satzung sogar gegen den "Mindestinhalt" (§ 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA) verstoßen hat oder "nur" gegen die Vorgaben für die Vorteilsbemessung (§ 6 Abs. 5 KAG LSA).


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 450/03

Datum: 25.10.2003

Gründe:

Die "Straßenausbaubeitragssatzung der Gemeinde Kreypau" vom 18.05.1999, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, enthält in ihrem § 4 ("Vorteilsbemessung") im Abs. 2 die Regelung, der Anteil der Beitragspflichtigen am Aufwand betrage

1. bei Verkehrsanlagen, die überwiegend dem Anliegerverkehr dienen, sowie bei verkehrsberuhigten Wohnstraßen 50 %

2.bei Verkehrsanlagen mit starkem innerörtlichen Verkehr

a) für Fahrbahnen, Trenn-, Seiten, Rand und Sicherungsstreifen 30 %

b) für Randsteine, Schrammborde, für Rad- und Gehwege - auch als kombinierte Anlage - sowie für Grünanlagen als Bestandteil der Verkehrsanlage 40 %

c) für Rinnen und andere Einrichtungen der Oberflächenentwässerung 40 %

d) für niveaugleiche Mischflächen 40 %

3. bei Verkehrsanlagen, die überwiegend dem Durchgangsverkehr dienen

a) für Fahrbahnen, Trenn- Seiten-, Rand- und Sicherheitsstreifen 25 %

b) für Randsteine, Schrammborde, für Rad- und Gehwege - auch als kombinierte Anlage - sowie für Grünanlagen als Bestandteil der Verkehrsanlage 30 %

c) für Rinnen und andere Einrichtungen der Oberflächenentwässerung 30 %

Mit Verfügung vom 17.07.2003 beanstandete der Antragsgegner die Satzung wegen rechtlicher Mängel des § 4 bei der Vorteilsbemessung nach Absatz 2, gab der Antragstellerin auf, § 4 Abs. 2 innerhalb von zwei Monaten zu ändern (Nrn. 1 und 2 der Verfügung), verlangte (Nr. 2 Satz 2 der Verfügung), die Änderungssatzung rückwirkend zum 16.12.1999 in Kraft zu setzen, und drohte für den Fall der Nicht-Befolgung die Ersatzvornahme an (Nr. 3 der Verfügung). Die mit der Anordnung sofortiger Vollziehung versehene Verfügung wurde im Wesentlichen damit begründet, die Anliegeranteile blieben weit unter denen der Mustersatzung des Städte- und Gemeindebundes sowie den von der Rechtsprechung sachsen-anhaltischer Verwaltungsgerichte für zulässig gehaltenen Werten. Deshalb habe die Satzung nicht den erforderlichen Mindestinhalt einer Abgabenordnung. Dies habe nicht die Nichtigkeit der Satzung insgesamt zur Folge; ausreichend sei, wenn die Vorteilsregelung nachgebessert werde.

Dagegen richtet sich der Widerspruch der Antragstellerin vom 30.07.2003.

Diese hat außerdem am 15.08.2003 eingeschränkt um vorläufigen Rechtsschutz gebeten und beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Juli 2003 gegen Nr. 2 Satz 2 der Verfügung vom 17. Juli 2003 wiederherzustellen.

Das Verwaltungsgericht Halle hat den Antrag durch den angefochtenen Beschluss vom 03.09.2003 - 1 B 68/93 HAL - im Wesentlichen mit folgender Begründung abgelehnt:

Die geforderte Rückwirkung verstoße nicht gegen das "Schlechterstellungsverbot" des § 2 Abs. 2 Satz 4 des Kommunalabgabengesetzes - KAG LSA -; denn dieser Gesetzesbefehl greife nicht ein, wenn die Satzung mangels der zu verlangenden Mindestanforderungen nichtig sei, so dass das Gesamtaufkommen aus ihr mit Null anzusetzen sei. Durch die Setzung erstmalig rechtmäßigen Satzungsrechts verschaffe sich die Gemeinde dann keine "Mehr-Einnahmen".

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die ihren eingeschränkt gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz weiter verfolgt. Sie macht geltend:

Wenn der Gemeindeanteil gesenkt und der Anliegeranteil erhöht werde, scheitere dies an dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA; außerdem führten nicht nur die grammatische, sondern auch die historische Auslegung zum selben Ergebnis. Die Rechtsprechung zum niedersächsischen Recht sei schon deshalb nicht einschlägig, weil der Anliegeranteil nicht zum Mindestinhalt einer Satzung gehöre, sondern nur eine Berechnungskomponente zur Ermittlung des Beitragssatzes darstelle; im Übrigen setze sich das Nieders. Oberverwaltungsgericht über den dort geltenden eindeutigen Wortlaut hinweg.

Die Antragstellerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Juli 2003 gegen Nr. 2 Satz 2 der Verfügung vom 17. Juli 2003 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen, und entgegnet: § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA verbiete der Gemeinde nur, sich durch rückwirkende Satzungen nachträglich mehr Einnahmen zu verschaffen. Die Satzung der Antragstellerin sei nichtig, weil sie nicht den Mindestinhalt aufweise. Nur durch eine wirksame Verteilungsregelung könne die Beitragspflicht entstehen. Durch die geforderte Satzungsänderung solle erstmalig die Möglichkeit für Einnahmen geschaffen werden.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist trotz des weiter reichenden Widerspruchs nur die Frage, ob der Antragsgegner im Rahmen der Kommunalaufsicht auch verlangen konnte, das geforderte Änderungssatzungsrecht mit Rückwirkung zu versehen.

Das ist zu bejahen; denn § 2 Abs. 2 Satz 4 des Kommunalabgabengesetzes - KAG-LSA - i. d. F. d. Bek. v. 13.12.1996 (LSA-GVBl., S. 405), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.07.2003 (LSA-GVBl., S. 158 [158 <Art. 3>]), steht diesem Verlangen nicht entgegen.

Nach der neben der reinen Wortlaut-Interpretation gleichwertig zu beachtenden Auslegung nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist diese einschränkend dahin zu verstehen, dass der Gesetzesbefehl nur gilt, wenn die frühere Satzung, welche ersetzt oder geändert werden soll, gültig war.

Wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, steht bei § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA nicht der Schutz der Beitragspflichtigen im Vordergrund, sondern die Gemeinde soll lediglich gehindert werden, sich durch nachträgliche Satzungsänderungen über eine rückwirkende Anordnung mehr Einnahmen zu verschaffen, als ihr nach der bisherigen Satzung zustehen würden (Haack, in: Kirchmer/Schmidt/Haack, KAG LSA, 2. Aufl., § 2 Anm. 5.2., unter Hinweis auf den Regierungsentwurf zum KAG LSA [LdTg-Drs 1/304 v. 21.03.1991, Einzelbegründung Nr. 4 zu § 2, S. 26]). Dieser Zweck kommt im Wortlaut des Gesetzes hinreichend deutlich zum Ausdruck, weil § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA nicht etwa eine Mehr-Belastung für den Einzelnen verbietet, sondern nur untersagt, dass "die Gesamtheit der Abgabepflichtigen nicht ungünstiger gestellt werden darf".

Zu solchen verbotenen Mehr-Einnahmen gegenüber einem früheren Zustand kann es aber nicht kommen, wenn die frühere Satzung nichtig war und deshalb keine Grundlage bilden konnte, um Abgaben zu erheben. Soweit § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA die Erhebung von Abgaben an eine Satzung bindet, ist damit nach allgemeinen Grundsätzen eine gültige Satzung gemeint. Deshalb ist der Auffassung des Nieders. Oberverwaltungsgerichts zum dortigen rechtsähnlichen Abgabenrecht auch für Sachsen-Anhalt zu folgen, das eine Anwendbarkeit des "Schlechterstellungsverbots" für den Fall verneint, dass die frühere Satzung nichtig war (NdsOVG, Urt. v. 24.02. 1997 - 3 L 2662/95 -, NdsVBl. 1997, 278). Bedenken gegen dieses Ergebnis wegen des auch durch eine nichtige Satzung verursachten Rechtsscheins (so Haack, a. a. O., S. 81) teilt der Senat nicht.

Das entgegengesetzte Auslegungsergebnis rechtfertigt sich nicht daraus, dass § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA nicht ausdrücklich zwischen gültigen und nichtigen Satzungen unterscheidet; auch ist ohne Bedeutung, dass § 2 Abs. 2 Satz 2 KAG LSA es zulässt, eine Satzung rückwirkend gerade "ohne Rücksicht auf deren Wirksamkeit" zu ersetzen. Dies hat lediglich eine sonst bei Rückwirkungssatzungen nicht erforderliche besondere Rechtfertigung zur Folge, dass die ersetzte Satzung nichtig war und deshalb keine Einnahmen ermöglichen konnte.

Dem Ergebnis lässt sich schließlich nicht mit Erfolg entgegen setzen, § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA habe keinen Regelungsgehalt mehr, wenn man - mit dem Nieders. Oberverwaltungsgericht - die Fälle des "Mindestinhalts" von Satzungen oder sogar - wie das Verwaltungsgericht - jeden Fall nichtiger Satzung aus dem Geltungsbereich heraus nehme; denn bei der vom Senat vorgenommenen Auslegung reduziert sich der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA auf das eigentlich Gewollte, nämlich ein Verbot, sich durch rückwirkende Ersetzung einer früher gleichfalls gültigen Satzung Einnahmevorteile zu verschaffen.

Bei dieser Rechtslage muss nicht entschieden werden, ob - worum die Beteiligten gleichfalls weiter streiten - die Verteilungsregelung des § 6 Abs. 5 KAG LSA zum "Mindestinhalt" einer Abgabensatzung i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA gehört; denn gleichgültig, ob eine Satzungsregelung (sogar) gegen § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG LSA verstößt oder (nur) gegen § 6 Abs. 5 KAG LSA, bewirkt allein der Verstoß gegen höher rangiges Gesetzesrecht in beiden Fällen, dass die Satzungsbestimmung nichtig ist.

Mit Recht hat der Antragsgegner für die hier allein wichtige Frage evtl. "Mehr-Einnahmen" darauf abgestellt, dass auch der Verstoß gegen § 6 Abs. 5 KAG LSA zur Folge hat, dass die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen kann, weil dies gerade gültiges Satzungsrecht voraussetzt, welches die Verteilung des Aufwands ermöglicht (st. Rspr. des Senats; vgl. etwa: OVG LSA, Urt. v. 16.12.1999 - A 2 S 335/98 -; Beschl. v. 12.04.2002 - 2 L 153/01 -; Urt. v. 17.10.2002 - 2 L 119/01 -).

Die Satzungsbestimmungen, welche der Antragsgegner (mit Rückwirkung) zu ersetzen verlangt, sind wegen Verstoßes gegen § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA nichtig, weil die Antragstellerin bei der Gewichtung der Vorteile einerseits der Gemeinde und andererseits der Abgabenpflichtigen ihren ortsgesetzlichen Gestaltungsspielraum unter Verletzung höher rangigen Rechts ausgeübt hat.

Das hat das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt; gegen diese Ableitung wendet sich die Beschwerde nicht (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

Soweit die Antragstellerin anhand von drei Beispielsgruppen geltend macht, das Gesamtergebnis könne mit dem Gesetzeszweck nicht übereinstimmen, weil es logisch mit dem Wortlaut nicht zu vereinbaren sei, vermag sie damit ihre Auffassung nicht mit Erfolg zu belegen, es komme allein darauf an, dass der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA auf die Fälle gültiger wie nichtiger Satzungen anwendbar sei; denn der von der Antragstellerin auch gesehene Unterschied in der Sache ist gerade, dass die Gemeinde von ihrem Satzungsermessen entweder ohne Rechtsverstoß Gebrauch gemacht hat und dann auch im Rahmen des § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA an dieses Gestaltungsergebnis gebunden ist, während sie im Fall der Rechtsverstöße später gleichsam erstmals gestaltet, so dass das Verbot des § 2 Abs. 2 Satz 4 KAG LSA sie nicht treffen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1; 20 Abs. 3 GKG i. V. m. Abschn. II Nr. 19.5. des "Streitwertkatalogs".

Ende der Entscheidung

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