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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 04.12.2003
Aktenzeichen: 2 M 547/03
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, GG, AuslG


Vorschriften:

VwGO § 56 I
VwGO § 56 II
VwGO § 67 III 3
VwGO § 82 I 1
VwGO § 82 II
VwGO § 123 I
ZPO § 130 Nr. 1
GG Art. 6 I
GG Art. 19 IV
AuslG § 55 II
1. Dem Ausländer fehlt für ein Rechtsschutzverfahren gegen seine Abschiebung nicht deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil er untergetaucht ist.

2. Sein Antrag kann nicht deshalb als unzulässig abgelehnt werden, weil er keine ladungsfähige Anschrift angegeben hat; insoweit ist - bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten - eine gerichtliche Nachbesserungsverfügung zu erlassen.

3. Art. 6 Abs. 1 GG verhindert die Abschiebung nur dann, wenn der ausländische Ehegatte des Ausländers ein auf Dauer gesichertes Aufenthaltsrecht besitzt.

4. Eine erst beabsichtigte Ehe muss unmittelbar bevorstehen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 2 M 547/03

Datum: 04.12.2003

Gründe:

Der Beschluss beruht auf § 146 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung i. d. F. d. Bek. v. 19.03.1991 (BGBl I 686) - VwGO -, in der Fassung des Gesetzes vom 20.12.2001 (BGBl I 3987) - VwGO 02 -, sowie auf § 154 Abs. 2 VwGO <Kosten> und auf §§ 13 Abs. 1 S. 1; 20 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes i. d. F. d. Bek. v. 15.12.1975 (BGBl I 3047) - GKG -, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl I 345 [349]) <Streitwert>.

1. Das Verwaltungsgericht hat den erneuten Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller eine Duldung bis mindestens zum 07.11.2003 zu erteilen, hilfsweise zu verpflichten, eine Abschiebung des Antragstellers vor der Eheschließung des Antragstellers mit Frau ... zu unterlassen, abgelehnt. Der Entscheidung liegt folgende Rechtsauffassung zugrunde: Dem Antragsteller fehle das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag, weil er seit dem für den 31.07.2003 angekündigten Abschiebetermin untergetaucht sei und sich verborgen halte. Nach § 82 Abs. 1 S. 1 VwGO müsse ein Kläger dem Gericht seine ladungsfähige Anschrift mitteilen. Die Nichteinhaltung dieser Pflicht lasse, wenn sie nicht schon zur Unzulässigkeit führe, jedenfalls die Rechtsverfolgung als rechtsmissbräuchlich erscheinen.

2. Gegen diese Auffassung wendet sich die Beschwerde zu Recht (2.1.); in der Sache bleibt sie gleichwohl ohne Erfolg (2.2.).

2.1. Allerdings geht das Verwaltungsgericht richtigerweise davon aus, dass der Antragsteller seine ladungsfähige Anschrift anzugeben hat.

Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AuslG, der im Antragsverfahren entsprechend anzuwenden ist, muss die Klage den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagbegehrens bezeichnen (notwendiger Inhalt der Klageschrift). Zur - hier allein streitigen - Bezeichnung des Klägers gehört außer der Angabe des Namens grundsätzlich auch die Benennung einer ladungsfähigen Wohnungsanschrift und ihrer eventuellen Änderung (vgl. § 173 VwGO i. V. m. § 130 Nr. 1 ZPO). Als Wohnung ist ohne Rücksicht auf den Wohnsitz im Rechtssinn jeder Raum anzusehen, den die betreffende Person tatsächlich für bestimmte Zeit bewohnt. Sie muss nach Ort, Straße, Hausnummer und ggf. weiteren Identifikationsmerkmalen eindeutig konkretisiert sein. Zusammengenommen ergibt sich dann die Anschrift, unter der ein Kläger tatsächlich zu erreichen ist.

Die Zwecke des Wohnanschriftsgebots bestehen darin, den Kläger zu individualisieren, Zustellungen, Ladungen und den Zugang anderer gerichtlicher Mitteilungen zu erleichtern, dem Gericht darüber hinaus die sinnvolle Unterrichtung über die Erreichbarkeit des Klägers zu ermöglichen und die prozessualen Kostenforderungen des Gerichts und des Prozessgegners zu sichern An diesen Zwecken haben sich die Anforderungen im Einzelfall auszurichten.

Die Wohnungsanschrift ist nur anzugeben, wenn sie sich nicht bereits aus den Akten ergibt, sonst bekannt ist oder sich auf andere Weise ohne Schwierigkeiten ermitteln lässt. Erforderlichenfalls muss das Gericht dem Kläger einen Hinweis geben.

Die Pflicht zur Angabe dieser Wohnungsanschrift entfällt nicht, obwohl Zustellungen ohnehin an die Prozessbevollmächtigten erfolgen müssen (vgl. §§ 56 Abs. 1 und 2; 67 Abs. 3 Satz 3 VwGO), allein deswegen, weil ein Kläger anwaltlich vertreten ist.

§ 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist unter Berücksichtigung des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auszulegen (BVerfG, Beschl. v. 02.02.1996 - 1 BvR 2211/94 -, NJW 1996, 1272). Daraus folgt, dass die Pflicht zur Angabe der Anschrift entfällt, wenn ihre Erfüllung ausnahmsweise unmöglich oder unzumutbar ist. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa gegeben, wenn der Angabe der Anschrift unüberwindliche oder nur schwer zu beseitigende Schwierigkeiten oder schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen (BGH, Urt. v. 09.12.1987 - IVb ZR 4/87 -, BGHZ 102, 332 [336]). Ebenso ist das Fehlen der ladungsfähigen Anschrift dann unschädlich, wenn der Kläger glaubhaft über eine solche Anschrift nicht verfügt. In diesen Ausnahmefällen müssen dem Gericht aber die insoweit maßgebenden Gründe unterbreitet werden, damit es prüfen kann, ob ausnahmsweise auf die Mitteilung der ladungsfähigen Anschrift des Klägers verzichtet werden kann (BGH, Urt. v. 09.12.1987, a. a. O.). Wird die Angabe dagegen ohne zureichenden Grund verweigert, liegt keine ordnungsgemäße Klage vor.

Entspricht die Klage den in § 82 Abs. 1 VwGO genannten Voraussetzungen nicht, so führt dies aber nicht ohne Weiteres zur Unzulässigkeit der Klage. Vielmehr hat in diesem Fall der Vorsitzende oder der Berichterstatter den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern (§ 82 Abs. 2 VwGO). Hieraus ergibt sich, dass nicht sämtliche in § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO genannten Angaben schon in der Klageschrift enthalten sein müssen. Sie können vielmehr im Laufe des Verfahrens nachgereicht werden. Sie müssen aber, soweit sie echte Sachurteilsvoraussetzungen sind, dem Gericht spätestens im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegen (BVerwG, Beschl. v. 05.05.1982 - BVerwG 7 B 201.81 -, Buchholz 310 [VwGO] § 82 VwGO Nr. 10 = DÖV 1982, 827; Urt. v. 24.05.1984 - BVerwG 3 C 48.83 -, Buchholz 310 § 117 VwGO Nr. 23 <S. 11>). Insbesondere für die fristwahrende Wirkung der Klage ist es hingegen ausreichend, wenn sich aus den Umständen entnehmen lässt, wer die Klage erhebt und gegen wen sie sich richtet.

Die Aufforderung gemäß § 82 Abs. 2 VwGO muss eindeutig sein. Erst wenn ihr der Kläger innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkommt, so ist seine Klage unzulässig. Dasselbe gilt, wenn sich die Anschrift während des Verfahrens ändert und er sich ohne triftigen Grund weigert, einer gerichtlichen Aufforderung nachzukommen und seine neue Anschrift zu nennen. Hierzu ist der Kläger schon aufgrund seiner Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO) verpflichtet. (vgl. zu all dem ausführlich BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - BVerwG 1 C 24.97 -, DVBl 1999, 989 = VBlBW 1999, 420, unter Hinweis auf BVerfG, [Kammer-]Beschl. v. 02.02.1996 - 1 BvR 2211/94 -, NJW 1996, 1272, m. w. N.).

An einer solchen gerichtlichen Aufforderung hat es in diesem Fall gefehlt.

2.2. Gleichwohl bleibt die Beschwerde des Antragstellers erfolglos.

Nach § 55 Abs. 2 AuslG wird einem Ausländer eine Duldung erteilt, solange seine Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist.

Der Abschiebung des Antragstellers steht Art. 6 GG nicht entgegen.

Bereits im Beschluss vom 04.09.2003 (- 2 M 421/03 -) hat der Senat zwar ausgeführt, dass Art. 6 GG nicht nur die Ehe zwischen Deutschen und Ausländern schützt, sondern auch die Ehe zwischen Ausländern vom Grundrechtschutz umfasst ist. Die Pflicht des Staates, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, gebietet es aber, dem Wunsch eines Ausländers nach ehelichem und familiärem Zusammenleben im Bundesgebiet nur dann zu entsprechen, wenn zumindest sein oder seines Ehegatten Verbleib im Bundesgebiet durch eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung aufenthaltsrechtlich auf Dauer gesichert ist oder ein Anspruch auf Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts besteht (BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 -, BVerfGE 76, 1 <55>; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 09.01.1990 - BVerwG 1 B 134.89 -, Buchholz 402.24 [AuslG] § 7 Nr. 35).

Es kann hier dahinstehen, ob Frau ..., die der Antragsteller zu heiraten beabsichtigt, tatsächlich Inhaberin einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ist.

Grundsätzlich kann einem Ausländer erst nach der Eheschließung, wenn die Ehe im Geltungsbereich des Ausländergesetzes geführt werden soll, der Aufenthalt erlaubt werden (ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit: Beschl. v. 02.10.1984 - BVerwG 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130, m. w. N.). Eine ernsthaft beabsichtigte Eheschließung kann ein einer Ausreiseverpflichtung entgegenstehendes zeitweiliges Bleiberecht eines Ausländers ausnahmsweise für die Dauer seines Eheschließungsverfahrens begründen (BVerfG, Beschl. v. 16.05.1979 - 1 BvR 442/79 -), weil Art. 6 Abs. 1 GG auch das Recht schützt, eine Ehe zu schließen und das Recht aus Art. 6 Abs. 1 GG bei Aufenthaltsentscheidungen mit zu würdigen ist (BVerfG, Beschl. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58). Dieses Bleiberecht hebt die Ausreiseverpflichtung nur für den Zeitraum auf, den üblicherweise das standesamtliche Verfahren bei einer Eheschließung dauert (OVG LSA; Beschl. v. 22.11.1993 - 2 M 50/93 -; im Anschluss an BayVGH, Beschl. v. 11.03.1987 - Nr. 5 B 86.00226 -).

Deshalb darf eine Behörde eine Abschiebung nicht durchsetzen, und dem Antragsteller ist eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen, wenn die Eheschließung sicher erscheint und unmittelbar bevorsteht (ständige Rechtsprechung des Senats seit: Beschl. v. 22.11.1993, a. a. O.).

Dies setzt aber voraus, dass mit einem positiven Abschluss des standesamtlichen Eheschließungsverfahrens zu rechnen ist und der Termin der Eheschließung alsbald bevorsteht (OVG LSA, Beschl. v. 27.07.1995 - 2 M 17/95 -). Diese Grundsätze gelten auch für Eheschließungen unter Ausländern.

Nach wie vor hat der Antragsteller hier aber nicht glaubhaft gemacht, dass eine Eheschließung mit Frau ... - gemessen an den oben dargelegten Anforderungen - unmittelbar bevorsteht. Er kann sich daher nicht auf die Ausnahmesituationen berufen, die den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde gelegen haben. Es ist ihm daher zuzumuten, seine Eheschließungsabsicht vom Ausland aus zu verwirklichen.

Ende der Entscheidung

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