Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 20.05.2009
Aktenzeichen: 2 O 22/09
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 75
VwGO § 91
1. Es bleibt offen, ob ein einklagbarer Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids und ein Rechtsschutzinteresse für eine gegen die Widerspruchsbehörde gerichtete Untätigkeitsklage besteht, wenn der bei der Ausgangsbehörde beantragte Verwaltungsakt eine Ermessensentscheidung beinhaltet.

2. Betrachtet man eine solche Klage als zulässig, erledigt sich diese durch einen zurückweisenden Widerspruchsbescheid. Soweit der Kläger daraufhin den Klageantrag umstellt und nunmehr begehrt, den (neuen) Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids und des Widerspruchsbescheids zu verpflichten, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen, stellt dies eine Klageänderung im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO dar.

3. Der Beklagte hat sich auf die geänderte Klage eingelassen, wenn er sich zu der neuen Klage inhaltlich geäußert hat.

4. Die Entscheidung, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, liegt im Ermessen der darüber entscheidenden Instanz. Das Rechtmittelgericht darf nur prüfen, ob das Vordergericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenze seines Ermessens überschritten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.08.2005 - 4 C 13.04 -. BVerw-GE 124, 132 [136], m. w. Nachw.).


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO), da die Klage nach derzeitigem Sachstand unzulässig (geworden) sein dürfte.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der der Kläger - wie er in der Beschwerdeschrift rügt - einen einklagbaren Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids gehabt hat und ihm deshalb ein Rechtsschutzinteresse an der gegen das Landesverwaltungsamt als Widerspruchsbehörde gerichteten Bescheidungsklage nicht abgesprochen werden konnte. Ein solcher Anspruch kommt dann in Betracht, wenn der bei der Ausgangsbehörde beantragte Verwaltungsakt eine Ermessensentscheidung beinhaltet (vgl. hierzu die Nachweise bei Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Vorb § 68 RdNr. 13, Fußn. 26; Brenner in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 68 RdNr. 20; Dolde/Porsch in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb § 68 RdNr. 15). Eine solche Fallkonstellation dürfte hier vorliegen. Als Anspruchsgrundlagen für die vom Kläger begehrte Aufenthaltserlaubnis kommen § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG und § 25 Abs. 5 AufenthG in Betracht. Nach beiden Regelungen steht die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis im (pflichtgemäßen) Ermessen der Ausländerbehörde.

Betrachtet man die Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheids hiernach als zulässig, hat sich diese allerdings dadurch erledigt, dass das Landesverwaltungsamt mit Bescheid vom 26.05.2008 den Widerspruch des Klägers gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis zurückgewiesen hat.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 04.06.2008 seinen Klageantrag umgestellt hat und nunmehr (sinngemäß) begehrt, den (neuen) Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom 22.05.2007 und des Widerspruchsbescheids des Landesverwaltungsamts zu verpflichten, ihm die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, stellt dies eine Klageänderung im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO dar. Eine Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO liegt vor, wenn nach Rechtshängigkeit der Klage der Streitgegenstand geändert wird. Der Streitgegenstand ist identisch mit dem prozessualen Anspruch, der seinerseits durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, nämlich dem Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist. Der Streitgegenstand wird also durch den prozessualen Anspruch (Klagebegehren) sowie den zugrunde liegenden Sachverhalt (Klagegrund) bestimmt (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 24.10.2006 - 6 B 47.06 -, NVwZ 2007, 104 [105], m. w. Nachw.). Der Übergang von einer Untätigkeitsklage zu einer Verpflichtungsklage ist hiernach zwar in der Regel keine Klageänderung, sondern lediglich eine Erweiterung des Klageantrags (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 91 RdNr. 9; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 91 RdNr. 2). Mit beiden Klagen erstrebt der Kläger regelmäßig den Erlass des beantragten bzw. abgelehnten Verwaltungsakts durch die Ausgangsbehörde aus demselben Lebenssachverhalt. Mit der Umstellung auf eine "normale" Verpflichtungsklage erweitert der Kläger seinen Antrag lediglich dahingehend, dass nunmehr auch der dem Verpflichtungsbegehren entgegenstehende Ablehnungs- bzw. Widerspruchsbescheid aufgehoben werden soll. Anders liegt es aber in den Fällen, in denen der Kläger mit der Untätigkeitsklage zulässigerweise allein die Bescheidung seines Widerspruchs begehrt hat und nach Ergehen des zurückweisenden Widerspruchsbescheids den Erlass des versagten Verwaltungsakts erstreiten will (vgl. BSG, Urt. v. 28.09.2006 - B 3 KR 28/05 R -, BSGE 97, 133 [136], RdNr. 19; LSG BW, Urt. v. 18.10.2007 - L 7 SO 4334/06 - Juris, RdNr. 22). Streitgegenstand der Verpflichtungsklage auf Erlass des Widerspruchsbescheids ist die Rechtsbehauptung des Klägers gewesen, er habe - nach Ablauf einer angemessenen Frist nach § 75 Satz 1 VwGO - einen Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids. Streitgegenstand der nunmehr betriebenen Verpflichtungsklage ist seine Rechtsbehauptung, er habe einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis oder - als minus - zumindest einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Hinzu kommt, dass sich die Klage nunmehr nicht mehr gegen die Widerspruchsbehörde richtet, sondern gemäß § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gegen die Ausgangsbehörde, die den beantragten Verwaltungsakt abgelehnt hat. Ein solcher gewillkürter Parteiwechsel wird regelmäßig als subjektive Klageänderung angesehen (vgl. Kopp/Schenke, a. a. O., RdNr. 7, m. w. Nachw.).

Eine Klageänderung ist indes gemäß § 91 Abs. 1 VwGO nur dann zulässig, wenn die übrigen Beteiligten einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält.

Eine Einwilligung der "übrigen Beteiligten" liegt bislang nicht vor. Entgegen der Annahme des Klägers genügen die Ausführungen des neuen Beklagten im Schriftsatz vom 26.01.2008 nicht. Erforderlich ist, da hier - auch - eine subjektive Klageänderung vorliegt, jedenfalls die Einwilligung des bisherigen Beklagten. Die Einwilligung des neu in das Verfahren einbezogenen neuen Beklagten dürfte im ersten Rechtszug nicht einmal erforderlich sein (vgl. Kopp/Schenke, a.a. O., § 91 RdNr. 16, m. w. Nachw.). Unabhängig davon könnten die genannten Ausführungen auch nicht als ein "Einlassen" auf die geänderte Klage betrachtet und damit gemäß § 91 Abs. 2 VwGO als Einwilligung behandelt werden. Ein Beklagter hat sich dann auf die geänderte Klage eingelassen, wenn er sich zu der neuen Klage inhaltlich geäußert hat (vgl. Ortloff/Riese in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 91 RdNr. 67; Rennert in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 91 RdNr. 28). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Im Schriftsatz vom 26.01.2008 hat der neue Beklagte lediglich auf Nachfrage des Verwaltungsgerichts mitgeteilt, dass der Kläger über eine bis zum 28.02.2009 befristete Duldung verfüge und es bei der Staatsanwaltschaft keinen neuen Sachstand bei den Ermittlungen gegen den Kläger wegen mittelbarer Falschbeurkundung gebe. Mit dem neu gestellten Antrag, den neuen Beklagten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten, hat sich dieser inhaltlich nicht auseinandergesetzt.

Das Verwaltungsgericht hält die Klageänderung auch nicht für sachdienlich. Die Entscheidung, ob eine Klageänderung sachdienlich ist, liegt im Ermessen der darüber entscheidenden Instanz. Das Rechtmittelgericht darf nur prüfen, ob das Vordergericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenze seines Ermessens überschritten hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.08.2005 - 4 C 13.04 -, BVerwGE 124, 132 [136], m. w. Nachw.). Eine Klageänderung ist in der Regel als sachdienlich anzusehen, wenn sie der endgültigen Beilegung des sachlichen Streits zwischen den Beteiligten im laufenden Verfahren dient und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.08.2005, a. a. O., m. w. Nachw.). Gegen die Sachdienlichkeit spricht es allerdings, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden könnte (BVerwG, Beschl. v. 16.08.1989 - 5 B 87.89 -, VBlBW 1990, 56). Von diesen Grundsätzen ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Es hat ausgeführt, dass sich der bisherige Prozessstoff auf die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 75 VwGO beschränkt habe und durch die Klageänderung ein gänzlich neuer Prozessstoff, der die bisherigen Grundlagen des Rechtsstreits ändere, in das Verfahren eingeführt werde. Diese Würdigung hält sich im Rahmen des dem Verwaltungsgericht bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit eingeräumten Ermessens. Lediglich ergänzend hat es ausgeführt, es trete hinzu, dass wegen der Unzulässigkeit der am 30.04.2008 erhobenen Klage der Rechtsstreit ohne Berücksichtigung der Klageänderung bereits entscheidungsreif sei.

Das Verwaltungsgericht musste den Schriftsatz vom 04.06.2008 auch nicht als neue Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auslegen. Dem steht schon entgegen, dass der anwaltlich vertretene Kläger in diesem Schriftsatz mitgeteilt hat, es sei beabsichtigt, das Klageverfahren fortzusetzen, und im Schriftsatz vom 13.06.2008 von einem "geänderten Antrag" gesprochen hat. Der weitere Einwand des Klägers, das Verwaltungsgericht hätte innerhalb der Klagefrist einen rechtlichen Hinweis auf die von ihm angenommene (unzulässige) Klageänderung geben müssen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Er mag für die Frage bedeutsam sein, ob dem Kläger bei einer neuen Klage gegen die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Klagefrist zu gewähren ist, ändert aber nichts daran, dass die ursprüngliche Klage unzulässig geworden und die Klageänderung nach derzeitigem Sachstand unzulässig ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Ende der Entscheidung

Zurück