Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 14.04.2009
Aktenzeichen: 2 O 26/09
Rechtsgebiete: LSA-SOG, PKH-VV, ZPO


Vorschriften:

LSA-SOG § 55
PKH-VV § 2 Abs. 2
ZPO § 114
ZPO § 117 Abs. 2
1. § 2 Abs. 2 PKH-VV ist sinngemäß auch auf Beteiligte anzuwenden, die Leistungen nach dem SGB II beziehen (wie ThürLAG, Beschl. v. 11.01.2008 - 3 Ta 74/07 -, Juris; a. A.: OVG LSA, 3. Senat, Beschl. v. 27.06.2007 - 3 O 172/07 -, Juris).

2. Einer Partei, die vor Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichend nachgewiesener Bedürftigkeit rechnen musste. Das ist der Fall, wenn dem Antrag innerhalb der Frist eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Anlagen nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO beigefügt war.

3. Für eine hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 ZPO genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs, zumindest soweit diese über eine bloß entfernte Erfolgschance hinausreicht.

4. Zur Heranziehung eines (nicht leistungsfähigen) Miteigentümers zu den Kosten einer Ersatzvornahme.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Auf Grund der Angaben des Klägers in der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 17.06.2008 und den beigefügten Belegen ist von seiner Bedürftigkeit auszugehen. Die Erklärung genügt den Anforderungen, die sich aus § 117 Abs. 2 und 4 ZPO i. V. m. den Bestimmungen der auf der Grundlage des § 117 Abs. 3 ZPO erlassenen Prozesskostenhilfevordruckverordnung (PKH-VV) ergeben. Das Verwaltungsgericht durfte die Prozesskostenhilfe nicht unter Hinweis darauf versagen, dass der Kläger in Abschnitt G der Erklärung keine Angaben zu vorhandenem Grundvermögen gemacht hat.

Nach § 2 Abs. 2 PKH-VV muss eine Partei, die nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) laufende Leistungen zum Lebensunterhalt bezieht, die Abschnitte E bis J des Vordrucks zunächst nicht ausfüllen, wenn sie der Erklärung den letzten Bewilligungsbescheid des Sozialamtes beifügt. Zwar erhält der Kläger keine Leistungen nach dem SGB XII. Die Formerleichterung des § 2 Abs. 2 PKH-VV ist aber sinngemäß auch auf Parteien anzuwenden, die Leistungen nach dem SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende) beziehen (ThürLAG, Beschl. v. 11.01.2008 - 3 Ta 74/07 -, Juris). Der allein auf den Wortlaut des § 2 Abs. 2 PKH-VV gestützten gegenteiligen Auffassung des 3. Senats des OVG LSA (vgl. Beschl. v. 27.06.2007 - 3 O 172/07 -, Juris, sowie Beschl. v. 16.09.2005 - 3 O 289/05 -) vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Mit der Reform des Arbeitslosen- und Sozialhilferechts regelt seit dem 01.01.2005 das SGB II weitgehend die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt für erwerbsfähige Hilfebedürftige. Aus diesem Grund bringt der Gesetzgeber in seiner Gesetzesbegründung zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt zum Ausdruck, dass Empfänger von Leistungen nach dem SGB II hinsichtlich der Verpflichtung zum Ausfüllen des PKH-Vordrucks den Empfängern von Leistungen nach dem SGB XII gleichzustellen sind (BT-Drucks 15/1516 S. 85). Zu Art. 53 (PKH-VV) heißt es: "Folgeänderung zur Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende mit dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch: Zu Regelungen über die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz treten die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ergänzend hinzu." Durch Art. 53 des am 01.01.2005 in Kraft getretenen Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954 [2997]) sowie durch Art. 36 Nr. 2 des ebenfalls am 01.01.2005 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022 [3064]) wurde die entsprechende Änderung der Anlage zur PKH-VV bzw. des Formulars zur Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmt. Der amtliche Vordruck - auch der vom Kläger verwendete - wurde bereits in seinem Wortlaut angepasst. Darin heißt es ausdrücklich, dass Angaben zu E bis J (auch) entbehrlich sind, wenn der Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht und den letzten hierüber enthaltenen Bescheid beifügt, sofern das Gericht nicht etwas anderes anordnet. Die bislang unterbliebene Anpassung von § 2 Abs. 2 PKH-VV, insbesondere durch Art 36 Nr. 1 des Gesetzes vom 27.12.2003 (a. a. O.), stellt ein redaktionelles Versehen dar (vgl. zum Ganzen: ThürLAG, a. a. O.).

Der Kläger erhält nach seinen Angaben in der Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Leistungen nach dem SGB II. Auch hat er dies durch Vorlage des Bescheids der ARGE vom 30.05.2008 belegt. Ist er aber nicht verpflichtet gewesen, überhaupt Angaben in den Abschnitten E bis J des PKH-Vordrucks zu machen, kann es ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er diese Abschnitte lückenhaft ausgefüllt hat. Das Verwaltungsgericht hat eine Benutzung des Vordrucks nach § 2 Abs. 3 PKH-VV auch nicht angeordnet. Soweit es speziell Angaben zu Grundvermögen des Klägers für erforderlich gehalten haben sollte, hätte es diese und ggfs. Belege hierzu vom Kläger nachfordern müssen.

Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung hat auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Dem steht - anders als das Verwaltungsgericht es angenommen hat - zunächst nicht entgegen, dass er innerhalb der Monatsfrist des § 74 Abs. 1 VwGO keine Klage erhoben, sondern am letzten Tag der Frist (04.07.2008) lediglich einen Prozesskostenhilfeantrag sowie einen Klageentwurf eingereicht hat. Dem Kläger wird voraussichtlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren sein. Einer Partei, die vor Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen nicht hinreichend nachgewiesener Bedürftigkeit rechnen musste. Das ist der Fall, wenn dem Antrag innerhalb der Frist eine vollständig ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst den erforderlichen Anlagen nach § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO beigefügt war (vgl. BGH, Beschl. v. 13.02.2008 - XII ZB 151/07 -, Juris; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 60 RdNr. 15, m. w. Nachw.; BVerwG, Beschl. v. 21.01.1999 - 1 B 3.99, 1 PKH 1.99 -, Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 38). Der Kläger hat hier - wie oben bereits dargelegt - innerhalb der Klagefrist ein den Anforderungen des § 117 Abs. 2 ZPO genügendes Gesuch eingereicht.

Auch in der Sache bestehen hinreichende Erfolgsaussichten. Die Anforderungen hierfür dürfen nicht überspannt werden; es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs, zumindest soweit diese über eine bloß entfernte Erfolgschance hinausreicht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 166 RdNr. 8 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Nicht zulässig ist es, wenn schwierige Rechtsfragen, die in vertretbarer Weise auch anders beantwortet werden können, in Vorwegnahme des Hauptsacheverfahrens abschließend im Verfahren der Prozesskostenhilfe erörtert werden und damit der Zugang zu den Gerichten versagt wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.06.2006 - 2 BvR 656/06 - NVwZ 2006, 1156).

Bei Anlegung dieses Maßstabs ist hier die begehrte Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Es bestehen Zweifel, ob der angefochtene Bescheid über die Erstattung der Kosten einer Ersatzvornahme in Höhe von 28.915,84 € rechtmäßig ist.

Die Rechtmäßigkeit eines solchen Bescheids hängt wesentlich davon ab, ob die Ersatzvornahme (§ 55 SOG LSA) gegenüber dem Kostenschuldner rechtmäßig durchgeführt wurde (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.04.1984 - 4 C 31.81 -, NJW 1984, 2591). Es lagen hier zwar vollziehbare Abbruchverfügungen gegenüber zwei Zustandsverantwortlichen nach § 8 Abs. 2 SOG LSA, nämlich zwei Mitgliedern der Erbengemeinschaft vor, in denen gemäß § 59 SOG LSA die Ersatzvornahme angedroht wurde. Auch dürfte der Beklagte bei der Entscheidung über die Heranziehung zu den Kosten der Ersatzvornahme (auf der Sekundärebene) nicht darauf beschränkt gewesen sein, nur diese Verantwortlichen als Kostenschuldner in Anspruch zu nehmen. Die weiteren Mitglieder der Erbengemeinschaft - und damit auch der Kläger - kommen ungeachtet des Umstands, dass ihnen gegenüber keine Abbruchverfügung ergangen war, als weitere Kostenschuldner in Betracht (vgl. hierzu Denninger in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., S. 251 ff, sowie Sailer, a. a. O., S. 1062, m. w. Nachw.; OVG Bremen, Urt. v. 30.11.2004 - 1 A 333/03 -, NordÖR 2005, 119).

Fraglich ist allerdings ist, ob der Beklagte vor Anwendung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme gegenüber den auf der Primärebene nicht in Anspruch genommenen Miteigentümern eine Duldungsverfügung hätte erlassen müssen. Das Miteigentum an einem Grundstück kann ein Hindernis für den Vollzug einer Beseitigungsanordnung gegenüber dem nicht in Anspruch genommenen Verantwortlichen darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.1972 - IV C 42.69 -, BVerwGE 40, 101). Die Verwaltungsvollstreckung gegen einen Zustandsstörer setzt zwar nicht in jedem Fall voraus, dass Duldungsverfügungen gegen andere Miteigentümer des betroffenen Grundstücks ergangen sein müssen. Dies ist aber jedenfalls dann erforderlich, wenn diese mit den angeordneten Maßnahmen nicht einverstanden sind (vgl. BVerwG vom 25.01.2000, Beschl. v. 25.01.2000- 3 B 1.00 -, Buchholz 451.221, § 36 KrW/AbfG Nr. 2). Ob ein Einverständnis des Klägers und ggfs. auch der übrigen auf der Primärebene nicht in Anspruch genommenen Miteigentümer mit der angeordneten Maßnahme angenommen werden darf, sich möglicherweise aus den Umständen des Falles ergibt, bedarf der näheren Prüfung.

Zweifelhaft ist ferner, ob der Beklagte auf der "Sekundärebene" sein Auswahlermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat. Die Behörde dürfte auch bei der Frage der Heranziehung zu den Kosten gehalten sein, bei mehreren in Betracht kommenden Verantwortlichen ihr Auswahlermessen im Einzelfall sachgerecht auszuüben und hierbei die Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 31.07.2006 - 19 E 371/05 -, Juris; vgl. auch BayVGH, Urt. v. 01.07.1998 - 22 B 98.198 -, BayVBl 1999, 180). Nach der Begründung der Abbruchverfügungen berücksichtigte der Beklagte bei der Auswahl der Verantwortlichen auf der "Primärebene", dass der Kläger im Rahmen der Anhörung glaubhaft erklärt habe, die Abbruchmaßnahme auf Grund seines Gesundheitszustands und auch aus finanziellen Gründen nicht durchführen zu können. Dem gegenüber enthalten weder der angegriffene Kostenbescheid noch der Widerspruchsbescheid Erwägungen zur finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers, der bereits in seinem Schreiben vom 25.03.2007 sowie im Widerspruchsverfahren erklärt hatte, dass er von Arbeitslosengeld II lebe.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 1 des GKG sowie aus § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück