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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 02.11.2006
Aktenzeichen: 3 M 185/06
Rechtsgebiete: VwGO, UhVorschG


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 146 Abs. 4 S. 1
VwGO § 146 Abs. 4 S. 6
UhVorschG § 1 Abs. 1
1. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bezieht sich nur auf die vom Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO darzulegenden Gründe gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Hinsichtlich der Gründe, die für die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sprechen, gilt der Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO.

2. In der Regel besteht kein Anordnungsgrund für Unterhaltsleistungen für die Vergangenheit; Nachzahlungen für die Vergangenheit können im Rahmen des Hauptsacheverfahrens weiterverfolgt werden.

3. Unterhaltsvorschuss ist wie Sozialhilfe keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung mit Versorgungscharakter.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 M 185/06

Datum: 02.11.2006

Gründe:

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Dabei lässt der Senat dahingestellt, ob die am letzten Tag der zweiwöchigen Rechtsmittelfrist gem. § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO (Zustellung des angefochtenen Beschlusses vom 7. September 2006 laut Postzustellungsurkunde am 13. September 2006; Eingang der Beschwerdeschrift vom 26. September 2006 am 27. September 2006) beim Oberverwaltungsgericht eingegangene Beschwerde formgerecht eingelegt wurde, angesichts des Umstandes, dass der per Fax übersandten Rechtsmittelschrift die letzte Seite (Bl. 8) mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten fehlt. Ebenso kann auf sich beruhen, ob die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände gegen die vom Antragsgegner ermittelten Indizien für ein Zusammenleben der Antragstellerin mit dem Vater der Kinder und seine Schlussfolgerungen durchgreifen. Denn die angefochtene Entscheidung erweist sich im Ergebnis als richtig. Dem mit der Beschwerdeschrift gestellten Antrag, den Beschwerdegegner (und Antragsgegner) unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zu verpflichten, der Beschwerdeführerin (und Antragstellerin) für die beiden Kinder S. und W. A. Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ab Juli 2005 zu bewilligen, kann nicht entsprochen werden.

Dabei ist von Folgendem auszugehen:

Die Beschränkung der Sachprüfung des Beschwerdegerichts nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO bezieht sich nur auf die vom Beschwerdeführer innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO darzulegenden Gründe gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Hinsichtlich der Gründe, die für die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung sprechen, gilt hingegen der Untersuchungsgrundsatz nach § 86 Abs. 1 VwGO; das Beschwerdegericht hat daher - unabhängig von entsprechenden Darlegungen des in erster Instanz obsiegenden Beschwerdegegners - stets zu prüfen, ob eine fehlerhaft begründete Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend ist (vgl. VGH Baden-Württ., Beschl. v. 25.11.2004 - 8 S 1870/04 - NVwZ-RR 2006, 75 m. w. N.; OVG LSA, Beschl. v. 7.4.2006 - 3 N 3/06 -). Hieran gemessen, hat die Antragstellerin unter Berücksichtigung der der Senatsentscheidung zugrunde zu legenden Sach- und Rechtslage einen Anordnungsgrund und -anspruch nicht glaubhaft gemacht.

Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis sind gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - nur - zulässig, wenn die begehrte Regelung - um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen - notwendig erscheint. Maßgeblich für die Beurteilung - insbesondere des Anordnungsgrundes - ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der jeweiligen Instanz. Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes durch Erlass einer einstweiligen Anordnung in Fällen der vorliegenden Art ist es, dem Betroffenen lediglich diejenigen Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, d. h. gegenwärtig - noch - bestehender Notlagen notwendig sind. Regelungen über die einstweilige Bewilligung laufender Geldleistungen können daher grundsätzlich nur für die Gegenwart und die Zukunft, nicht aber für zurückliegende Zeiträume getroffen werden, weil in der Regel davon auszugehen ist, dass in der Vergangenheit liegende Notsituationen von dem Betroffenen bereits bewältigt worden sind. Dies gilt nicht nur für die Zeit vor Stellung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Gericht, sondern auch für spätere, im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits abgeschlossene Zeiträume. Dass die sachlichen und prozessualen Voraussetzungen für den begehrten gerichtlichen Ausspruch im Zeitpunkt der Entscheidung des (Beschwerde-)gerichts - noch - gegeben sein müssen, entspricht allgemeinen prozessualen Grundsätzen. Darauf, dass sie im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung oder auch im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens möglicherweise einmal gegeben waren, kommt es nicht an. Der Anspruch der Antragstellerin auf Gewährleistung ausreichenden Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist dadurch nicht in Frage gestellt. Sie hat nicht nur die Möglichkeit, glaubhaft zu machen, dass sie dringend auch auf die Nachzahlung für die Vergangenheit angewiesen ist, sondern kann darüber hinaus Ansprüche für die Vergangenheit im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens weiter verfolgen (so OVG Hamburg, Beschl. v. 4.4.1990 - Bs IV 8/90 - NVwZ 1990, 975 m. w. N.; OVG LSA, Beschl. v. 13.1.2005 - 3 M 412/04 -).

Hieran gemessen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin mittels einer einstweiligen Anordnung auf die Nachzahlung der für die Monate Juli 2005 bis Oktober 2006 begehrten Unterhaltsleistungen angewiesen sein könnte, zumal ausweislich der Bescheide des Antragsgegners vom 9. November 2005 die Unterhaltsleistungen für die beiden Kinder erst mit Wirkung vom 1. November 2005 eingestellt wurden und von der Antragstellerin die Rückzahlung geleisteter Unterhaltsleistungen für die Zeit vom 1. Juli 2005 bis 31. Oktober 2005 gefordert wird. Die Antragstellerin verliert damit nicht ihren (etwaigen) Anspruch; sie wird lediglich darauf verwiesen, ihn im Verfahren zur Hauptsache durchzusetzen.

Für November 2006 ist ein Rechtsschutzbedürfnis für einen gegen den Antragsgegner gerichteten Anordnungsantrag noch nicht ersichtlich. Unterhaltsvorschuss ist wie Sozialhilfe keine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung mit Versorgungscharakter; Unterhaltsvorschuss ist nur zu gewähren, soweit und so lange die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Hieraus ergibt sich, dass die Behörde die für die Leistungsgewährung maßgeblichen Verhältnisse ständig überprüfen muss. Die Einstellung von Leistungen stellt deshalb regelmäßig keinen Eingriff in eine durch Bewilligungsbescheid eingeräumte Rechtsposition dar, sondern die Versagung noch zu bewilligender (künftiger) Leistungen (so OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 3.2.2004 - 2 MB 153/03 -, - 2 O 119/03 - NJW 2005, 523; VGH Baden-Württ., Beschl. v. 29.12.1992 - 6 S 760/91 - juris).

Hieran gemessen ist die Antragstellerin gehalten, einen entsprechenden Bedarf an Unterhaltsvorschuss für November 2006 beim Antragsgegner schriftlich zu beantragen (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 UhVorschG) und dem Antragsgegner die Prüfung der aktuellen Anspruchsvoraussetzungen zu ermöglichen. Dies obliegt vorrangig der Behörde. Das Gericht kann zwar die Rechtskontrolle über das Tätigwerden der Behörde ausüben, nicht aber den Fall selbst weiter unter Kontrolle halten. Ob die Anspruchsvoraussetzungen auf Unterhaltsvorschuss für den Monat November 2006 ganz oder nur teilweise (vgl. § 2 Abs. 1 UhVorschG) vorliegen, kann aufgrund der dem Senat vorliegenden (vergangene Zeiträume betreffende) Angaben im Beschwerdeverfahren zudem nicht überprüft werden.

Im Übrigen dürfte der Antragstellerin für das im eigenen Namen geführte vorläufige Rechtsschutzverfahren die Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation fehlen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., Vorb. § 40 Rdnrn. 24, 28). Denn Berechtigter eines Anspruches auf Unterhaltsleistung gem. § 1 Abs. 1 UhVorschG und damit Inhaber des geltend gemachten materiellen Rechtsanspruches und glaubhaft zu machenden Anordnungsanspruches ist das minderjährige Kind (das das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet hat), nicht der Elternteil, bei dem das Kind lebt oder sein gesetzlicher Vertreter. Daran dürfte auch die Regelung in § 9 Abs. 1 und Abs. 2 UhVorschG über die Person des Antragstellers im Verwaltungsverfahren und des Ersatzpflichtigen bei zu Unrecht bezogenen Unterhaltsleistungen i. S. des § 5 Abs. 1 UhVorschG nichts ändern und für die Annahme einer gesetzlichen Prozessstandschaft (vgl. Kopp, u. a., a. a. O., Vorb. § 40 Rdnr. 24) für den Leistungsanspruch nicht ausreichen (vgl. hinsichtlich der Unterscheidung der jeweiligen Kläger nach Erstattungspflichtigen und Leistungsberechtigten; Nds. OVG, Beschl. v. 11.11.2003 - 12 LA 400/03 - juris; Hess. VGH, Beschl. v. 14.10.2003 - 10 UZ 1167/01 - juris; Bayr. VGH, Urt. v. 26.5.2003 - 12 B 03.43 - FEVS 55, 171; BVerwG, Urt. v. 7.12.2000 - 5 C 42.99 - FEVS 52, 529; Urt. v. 14.10.1993 - 5 C 10.91 - FEVS 44, 397).

Aus den vorgenannten Gründen kann dem Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. in B-Stadt mangels hinreichender Erfolgsaussicht (§§ 114 ZPO, 166 VwGO) nicht entsprochen werden.

Soweit mit dem Antrag vom 26. September 2006 auch Prozesskostenhilfe für das (vorläufige Rechtsschutz-)Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrt wird, hat das Verwaltungsgericht hierüber im angefochtenen Beschluss vom 7. September 2006 bereits abschlägig entschieden, ohne dass hiergegen Beschwerde eingelegt worden ist. Die Beschwerdeschrift vom 26. September 2006 bezieht sich allein auf die Ablehnung der begehrten einstweiligen Anordnung. Im Übrigen besteht für das erstinstanzliche vorläufige Rechtsschutzverfahren kein rechtlich geschütztes Interesse mehr an der begehrten Bewilligung von Prozesskostenhilfe. § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO stellt auf die beabsichtigte Rechtsverfolgung ab, weshalb die Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt, wenn das Verfahren, für das sie begehrt wird, abgeschlossen ist (std. Rechtspr. d. Senats, vgl. Beschl. v. 17.10.2006 - 3 O 149/06 - m. w. N.). Dies folgt schon aus der Überlegung, dass die Gewährung von Prozesskostenhilfe allein dem Zweck dient, die für die Führung eines Erfolg versprechenden Rechtsstreits erforderlichen Kosten aufzubringen. Hat der Rechtsstreit indes bereits seinen Abschluss gefunden, kann der genannte Zweck der Bewilligung von Prozesskostenhilfe regelmäßig nicht mehr erreicht werden. So verhält es sich auch hier. Mit der Ablehnung des Antrags nach § 123 VwGO durch das Verwaltungsgericht war das erstinstanzliche Verfahren - ungeachtet des Eintritts der Rechtskraft des Beschlusses - abgeschlossen und für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe grundsätzlich kein Raum mehr, zumal mit Blick auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens gem. § 188 Satz 2 VwGO und des Umstandes, dass sich der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin erstmals im Beschwerdeverfahren gemeldet hat, für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe als Voraussetzung für eine anwaltliche Beiordnung gem. §§ 121 Abs. 2 ZPO, 166 VwGO auch insoweit kein Bedarf erkennbar ist.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.

Einer Kostenentscheidung für das Prozesskostenhilfeverfahren bedarf es nicht, weil dieses gerichtskostenfrei ist (§ 188 Satz 2 VwGO) und außergerichtliche Kosten gem. § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO (bzw. § 127 Abs. 4 ZPO) nicht erstattet werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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