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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 31.07.2007
Aktenzeichen: 3 M 223/07
Rechtsgebiete: LSA-SchulG


Vorschriften:

LSA-SchulG § 41 Abs. 1
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA sind nicht mit denen einer Abweichung von der Schulorganisation gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 SchulG LSA identisch. Das folgt sowohl aus der unterschiedlichen Wortwahl ("Ausnahme" statt "besonderer Grund") als auch aus dem Zweck der jeweiligen schulorganisatorischen Maßnahme selbst.

Während das Gesetz für den Grundschul- und Sekundarschulbereich die Festlegung von Schulbezirken zur Pflicht macht, liegt es für andere allgemeinbildende Schulen nach § 41 Abs. 2 SchulG LSA lediglich im Ermessen des Schulträgers, Schuleinzugsbereiche zu bestimmen. Wird demnach im Fall der Grund- und Sekundarbereichsschulen für den Regelfall unterstellt, dass aus organisatorischen Gründen zur Auslastung der einzelnen Schulen deren "Zuständigkeit" feststehen muss, so gilt diese Vermutung bei der zweiten Gruppe nicht, sondern ist Ergebnis einer schulorganisatorischen Abwägungsentscheidung.

Haben die schulorganisatorischen Gründe im Grund- und Sekundarbereich für den Regelfall den Vorrang, dann ist die Ausnahme des § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA für den Fall vorgesehen, dass im Einzelfall Gründe bestehen, die auch angesichts der Überlegungen für den Regelfall als unzumutbar gelten müssen, mithin für die Betroffenen als "Härte" zu gelten haben. Bloße "Unbequemlichkeiten" hingegen oder Schwierigkeiten, die eine größere Zahl von schulpflichtigen Kindern und ihre Eltern in gleicher oder ähnlicher Weise betreffen oder die in dem Umstand liegen, dass ein Schulbezirk festgelegt worden ist, stellen keine "Härte" im vorgenannten Sinne dar. Das gilt erst recht für alle Gesichtspunkte reiner Zweckmäßigkeit im Tagesablauf der Antragsteller bzw. dem ihres Kindes.

Es ist zwar allgemein anerkannt, dass ein Schulweg nicht nur wegen einer möglichen Gefährdung von Schülern durch den Straßenverkehr, sondern auch wegen sonstiger denkbarer Schadensereignisse, die mit der Benutzung eines Schulweges verbunden sein können, wie z.B. kriminellen Übergriffen, als besonders gefährlich angesehen werden kann. Die Frage der besonderen Gefährlichkeit eines Schulweges ist aber - wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 71 Abs. 2 Satz 1 SchulG LSA ("zumutbare Bedingungen") ergibt - in erster Linie gegenüber dem zuständigen Träger der Schülerbeförderung vorzutragen.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Überprüfung der mit der Beschwerde dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt, dass das Verwaltungsgericht den Antragsgegner zu Unrecht verpflichtet hat, den Antragstellern eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, wonach deren Tochter J. vorläufig bis zu einer Entscheidung im Klagevefahren 3 A 55/07 HAL in die Grundschule in B-Stadt im Schuljahr 2007/2008 einzuschulen ist.

Die Antragsteller haben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts den für die begehrte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO erforderlichen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 ff. ZPO nicht glaubhaft gemacht. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 924 ZPO glaubhaft zu machen. Da mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, welche die Beschulung in einer Grundschule betrifft, aufgrund des mit der Entscheidung im Klageverfahren verbundenen Zeitablaufes die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen wird, kann eine Regelung nur ergehen, wenn das Begehren der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und sie schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wären, wenn sie auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müssten. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. Beschlüsse des Senates vom 14.11.2003 - 3 M 309/03 - und vom 16.12.2004 - 3 M 384/04).

In Anlegung der aufgezeigten Maßstäbe sind die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben.

Der Senat lässt es hierbei zunächst offen, ob der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA auch von den Erziehungsberechtigten eines Schülers oder nur vom Schüler selbst, vertreten durch die Eltern geltend, gemacht werden kann.

Jedenfalls ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Tochter der Antragsteller einen Anspruch auf die Aufnahme in die Grundschule B-Stadt hat. Der Antragsgegner hat nach der nur gebotenen summarischen Prüfung den Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gemäß § 41 Abs. 1 Satz 3 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - SchulG LSA - i. d. F. d. Bek. v. 11.08.2005 (GVBl. LSA, S. 520), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.02.2006 (GVBl. LSA S. 44) - rechtsfehlerfrei abgelehnt, da die Voraussetzungen für eine solche Ausnahmegenehmigung durch die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht worden sind.

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA sind nicht mit denen einer Abweichung von der Schulorganisation gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 SchulG LSA identisch. Das folgt sowohl aus der unterschiedlichen Wortwahl ("Ausnahme" statt "besonderer Grund") als auch aus dem Zweck der jeweiligen schulorganisatorischen Maßnahme selbst. Während das Gesetz für den Grundschul- und Sekundarschulbereich die Festlegung von Schulbezirken zur Pflicht macht, liegt es für andere allgemeinbildende Schulen nach § 41 Abs. 2 SchulG LSA lediglich im Ermessen des Schulträgers, Schuleinzugsbereiche zu bestimmen. Wird demnach im Fall der Grund- und Sekundarbereichsschulen für den Regelfall unterstellt, dass aus organisatorischen Gründen zur Auslastung der einzelnen Schulen deren "Zuständigkeit" feststehen muss, so gilt diese Vermutung bei der zweiten Gruppe nicht, sondern ist Ergebnis einer schulorganisatorischen Abwägungsentscheidung.

Haben die schulorganisatorischen Gründe im Grund- und Sekundarbereich für den Regelfall den Vorrang, dann ist die Ausnahme des § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA für den Fall vorgesehen, dass im Einzelfall Gründe bestehen, die auch angesichts der Überlegungen für den Regelfall als unzumutbar gelten müssen, mithin für die Betroffenen als "Härte" zu gelten haben (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 08.08.2001 - 2 M 225/01 -). Bloße "Unbequemlichkeiten" hingegen oder Schwierigkeiten, die eine größere Zahl von schulpflichtigen Kindern und ihre Eltern in gleicher oder ähnlicher Weise betreffen oder die in dem Umstand liegen, dass ein Schulbezirk festgelegt worden ist, stellen keine "Härte" im vorgenannten Sinne dar. Das gilt erst recht für alle Gesichtspunkte reiner Zweckmäßigkeit im Tagesablauf der Antragsteller bzw. dem ihres Kindes.

Die von den Antragstellern vorgetragenen Umstände in Bezug auf ein nach ihrer Auffassung unzureichendes Betreuungsangebot in der Grundschule in H-Stadt, die Gefahren des Schulweges in B-Stadt und die individuelle Unzumutbarkeit der Beschulung in H-Stadt aufgrund des individuellen Entwicklungsstandes ihrer Tochter J. sind nicht in erster Linie im Rahmen der Frage der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung i. S. d. § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG zu würdigen, sondern aufgrund anderweitiger gesetzgeberischer Leitentscheidungen primär am Maßstab anderer gesetzlicher Regelungen zu würdigen.

Dies gilt zunächst hinsichtlich der von den Antragstellern geltend gemachten Gefahren, welchen ihre Tochter aufgrund der Wartezeit an der Bushaltestelle in B-Stadt und dem Weg vom Elternhaus zur Bushaltestelle ausgesetzt sein soll. Es ist zwar allgemein anerkannt (vgl. BayVGH, Beschl. v. 29.03.2007 - 7 ZB 06.1874- juris, OVG Lüneburg, Urteil vom 19.06.1996 - 13 L 5072/94 - NdsRpfl. 1997, 57), dass ein Schulweg nicht nur wegen einer möglichen Gefährdung von Schülern durch den motorisierten Straßenverkehr, sondern auch wegen sonstiger denkbarer Schadensereignisse, die mit der Benutzung eines Schulweges verbunden sein können, wie z.B. krimineller Übergriffe von Sexualstraftätern oder sonstiger Gewalttäter, als besonders gefährlich angesehen werden kann. Eine die besondere Gefährlichkeit begründende gesteigerte Wahrscheinlichkeit, dass Schulkinder Opfer von Gewalttaten werden, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der betreffende Schüler (z.B. aufgrund seines Alters und/oder seines Geschlechts) zu einem risikobelasteten Personenkreis gehört und wenn er sich darüber hinaus auf seinem Schulweg in einer schutzlosen Situation befindet, insbesondere weil nach den örtlichen Verhältnissen eine rechtzeitige Hilfestellung durch Dritte nicht gewährleistet ist (vgl. BayVGH a. a. O.). Die Frage der besonderen Gefährlichkeit eines Schulweges ist aber - wie sich bereits aus dem Wortlaut von § 71 Abs. 2 Satz 1 SchulG ("zumutbare Bedingungen") ergibt - in erster Linie gegenüber dem zuständigen Träger der Schülerbeförderung (hier: Landkreis Saalekreis) zur Prüfung der Frage vorzutragen, ob ggf. ein Anspruch auf eine abweichend vom Regelfall ausgestaltete Schülerbeförderung besteht. Im Übrigen haben die Antragsteller nicht hinreichend dargelegt, dass ihre Tochter in der Gemeinde B-Stadt gerade auf dem üblichen Weg zur Bushaltestelle einer solchen besonderen Gefährdungssituation im vorgenannten Sinne ausgesetzt wäre.

Auch die von den Antragstellern vorgetragenen Probleme bei der vorschulischen bzw. nachschulischen Betreuung ihrer Tochter, welche nach ihrer Auffassung bei einer Beschulung in H-Stadt auftreten würden, sind nach der gesetzgeberischen Wertung nicht vorrangig bei der Prüfung im Rahmen nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG LSA, sondern im Rahmen der Möglichkeiten der Umsetzung des Anspruches auf Kinderbetreuung i. S. d. § 3 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege vom 5. März 2003 (KiFöG, GVBl. LSA S. 48) und dort namentlich bei der Prüfung des den Erziehungsberechtigten nach § 3 b KiFöG gegenüber der Wohnortgemeinde bzw. der ggf. zuständigen Verwaltungsgemeinschaft eingeräumten Wunsch- und Wahlrechtes zu würdigen. Gleiches gilt auch für die von den Antragstellern vorgetragene finanzielle Belastung durch den Anfall von Hortbeiträgen bei einer Beschulung in H-Stadt. Insoweit kann - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - auf die Möglichkeit des Erlasses der Beiträge gemäß § 90 Abs. 3 SGB VIII verwiesen werden.

Soweit die Antragsteller in der Beschwerdeerwiderung auf den Entwicklungsstand ihrer Tochter verweisen und hierbei einen Vorfall im Zusammenhang mit dem versehentlichen Inbetriebsetzen von Kochfeldern schildern, begründet dies ebenfalls keine abweichende Beurteilung. Zur Schulreife i. S. d. § 37 Abs. 3 SchulG zählt auch die für die Bewältigung der durchschnittlichen Anforderungen eines Schulweges erforderliche körperliche und geistige Reife eines Schulanfängers. Fehlt diese, was aber von den Antragstellern nicht vorgetragen wird, kann im Einzelfall eine Zurückstellung des Kindes erfolgen. Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass seitens der Landkreise bzw. kreisfreien Städte als zuständige Träger der Schülerbeförderung gerade an Schulanfänger bei der Bewältigung ihres Schulweges vergleichsweise hohe Anforderungen gestellt werden. So bestimmt exemplarisch die aktuell geltende Satzung über die Schülerbeförderung der Landeshauptstadt Magdeburg, welche im Wesentlichen den Regelungen der anderen Landkreise und kreisfreien Städte entspricht, dass eine Beförderungspflicht auch für Schüler der ersten Klasse grundsätzlich erst einsetzt, wenn der kürzeste sichere Fußweg zwischen dem Wohngrundstück und dem Schulgrundstück eine Entfernung von zwei Kilometern überschreitet, wobei als maximale Schulwegzeit (Geh- und Fahrzeit) ein Zeitraum von 90 Minuten pro Weg angesetzt wird. Aufgrund der demografischen Entwicklung in Sachsen-Anhalt und der damit verbundenen Schulschließungen werden damit auch Schulanfängern im innerstädtischen Bereich von Magdeburg durchaus längere Fußwege zu ihrer Schule auferlegt, welche an viel befahrenen Straßen verlaufen und welche von den Schulanfängern regelmäßig ohne elterliche Begleitung zurückgelegt werden müssen. Auch wenn an besonderen Gefahrenpunkten Unterstützung z. B. durch Schülerlotsen erfolgt, bleibt es in erster Linie Aufgabe der Erziehungsberechtigten (in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Schulträger und dem Träger der Schülerbeförderung), ihre Kinder in dem erforderlichen Umfang mit den Gefahren des Schulweges vertraut zu machen. Gründe, warum Kinder, die in einem eher ländlichen Umfeld aufwachsen, gegenüber "Stadtkindern" insofern zu privilegieren sind, sind für den Senat nicht ersichtlich und auch von den Antragstellern nicht vorgetragen worden.

Die Antragsteller haben damit auch unter Berücksichtigung der vorgenannten gesetzgeberischen Wertungen und dem Kindeswohl keine Härtesituation dargelegt, welche das Ermessen des Antragsgegners hinsichtlich der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG in einer Weise reduziert, dass allein die Beschulung der Tochter der Antragsteller in B-Stadt ermessensgerecht wäre.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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