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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 31.08.2007
Aktenzeichen: 3 M 224/07
Rechtsgebiete: LSA-SchulG, VwGO


Vorschriften:

LSA-SchulG § 41 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 1
VwGO § 123 Abs. 3
1. Zum Vorliegen eines "Härtefalles" als Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahme vom Schulbezirkssystem im Grundschul- und Sekundarschulbereich gem. § 41 Abs. 1 SchulG LSA.

2. Umstellungsschwierigkeiten und vorhandene soziale Kontakte des Kindes sowie zusätzliche Belastungen und Schwierigkeiten im privaten und beruflichen Alltag der Eltern rechtfertigen nicht schon die Annahme eines "Härtefalles".


Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg.

Von den Antragstellern ist der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. 123 Abs. 1 VwGO erforderliche Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden.

Gem. § 41 Abs. 1 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - SchulG LSA - in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 2005 (GVBl. S. 520), zuletzt geändert durch § 8 des Gesetzes vom 17. Februar 2006 (GVBl. S. 44) legt der Schulträger - vorliegend die Stadt A-Stadt - mit Zustimmung der Schulbehörde - hier der Antragsgegner - für Grundschulen die Schulbezirke fest. Schülerinnen und Schüler haben zur Erfüllung ihrer Schulpflicht die Schule zu besuchen, in deren Schulbezirke sie wohnen. Über Ausnahmen entscheidet die Schulbehörde.

Da das Gesetz für den Grundschul- und Sekundarschulbereich die Festlegung von Schulbezirken zur Pflicht macht, ist an dem insoweit vorgesehenen Schulbezirkssystem als Ordnungsprinzip zur Sicherung einer gleichmäßigen Schulauslastung grundsätzlich festzuhalten. Soweit in § 41 Abs. 1 Satz 3 SchulG die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vorgesehen ist, ist - worauf das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend hingewiesen hat - darauf zu achten, dass von dem insoweit eingeräumten (pflichtgemäßen) Ermessen nicht in der Weise Gebrauch gemacht wird, dass die vom Schulträger vorgesehene Einteilung der Schulbezirke praktisch leer läuft. Daher kommt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach Satz 3 a.a.O. nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall Gründe bestehen, die auch angesichts der Überlegungen des Gesetzgebers für den Regelfall für die Betroffenen ein Festhalten an dem vorgegebenen Schulbezirkssystem unzumutbar erscheinen lassen; d. h. es müssen insoweit für die Erteilung einer Ausnahme besondere Umstände hinzutreten, welche die Annahme eines "Härtefalles" rechtfertigen (in diesem Sinne bereits: OVG LSA, Beschl. v. 3.8.1999 - B 2 315/99 -; Beschl. v. 8.8.2001 - 2 M 225/01 -).

Wann ein "Härtefall" im vorgenannten Sinne anzunehmen ist, entzieht sich einer generellen Aussage, sondern ist von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Gleichwohl bleibt festzustellen, dass bei der Frage nach dem Vorliegen besonderer Umstände, welche die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtfertigen, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen ist, aber auch Gründe in der Person der Eltern, welche als Erziehungsberechtigte durch die Verfassung geschützt werden (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 3.8.1999 - B 2 315/99 -; Beschl. v. 8.8.2001 - 2 M 225/01 - m. w. Nachw.). Bloße "Unbequemlichkeiten" oder Schwierigkeiten, von denen eine Vielzahl von Kindern und Eltern aufgrund des Umstandes, dass ein Schulbezirk festgelegt worden ist, in gleicher oder ähnlicher Weise betroffen sind, sind indessen nicht ausreichend. Auch ein gegebenenfalls erhöhter Betreuungsaufwand und sonstige Erschwernisse im privaten und beruflichen Alltag, die durch ein Festhaltens am Schulbezirksystem bedingt sind, vermögen grundsätzlich einen Ausnahmefall nicht zu begründen; derartige Nachteile sind vielmehr regelmäßig hinzunehmen.

In Anlegung dieser Maßstäbe vermag der Senat im Hinblick auf die geltend gemachten Gründe der Antragsteller das Vorliegen eines Härtefalles, der die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung rechtfertigt, nicht festzustellen, und zwar auch nicht - wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - in der Gesamtschau der geltend gemachten Gründe.

Soweit es das Kind - die Antragstellerin zu 1. - selbst betrifft, sind Gründe, welche die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung geboten erscheinen lassen, nicht glaubhaft gemacht. Dass erhebliche Nachteile für die persönliche Entwicklung der Antragstellerin zu 1. zu befürchten sind, wenn sie in die Schule "Am Heiderand" in A-Stadt-Neustadt eingeschult wird, ist - entgegen den Behauptungen der Antragsteller zu 1. und 2. - nicht ersichtlich. Eine solche Annahme rechtfertigt sich nicht schon im Hinblick darauf, dass es der Antragstellerin zu 1. "nur sehr schwer fällt, auf Unbekannte zuzugehen" und dass sie sich "an vertraute Personen klammert" bzw. "bei Fremden in Tränen ausbricht, schreit und sich praktisch nicht beruhigen lässt". Dafür, dass es sich hierbei nicht lediglich um Umstellungsschwierigkeiten handelt, sondern etwa um eine gravierende Verhaltensstörung (mit Krankheitswert), fehlt es an der - etwa durch Vorlage eines ärztlichen Attestes - erforderlichen Glaubhaftmachung gem. §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2 ZPO.

Zwar mag davon auszugehen sein - und auch verständlich erscheinen -, dass es dem (einzuschulenden) Kind - wie hier der Antragsstellerin zu 1. - schwer fällt, auf bisher bestehende Kontakte zu Kindergartenfreunden und auf das gewohnte Umfeld verzichten zu müssen. Der Gesetzgeber hat aber mit der Festlegung von Schuleinzugsbereichen diesen Gesichtspunkten keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Im Hinblick hierauf kann vorliegend dahin stehen, ob sich die bestehenden Kontakte im Rahmen von Freizeitaktivitäten aufrecht erhalten lassen, so auch die enge Bindung zur Kirchengemeinde in K.. Unabhängig hiervon sind die Antragsteller darauf zu verweisen, dass auch andere Kinder nicht stets den Vorteil genießen, dass Schule und Einrichtungen, welche die außerschulischen Aktivitäten betreffen, sich in räumlicher Nähe zueinander befinden.

Ebenso vermögen die Antragsteller - namentlich die Antragsteller zu 2. und 3. - nicht damit durchzudringen, dass ihrer Meinung nach das pädagogische Ausbildungsprofil an der Grundschule K. das bessere ist; das Ordnungsprinzip des Schulbezirkssystems, wonach die Schule eben nicht frei gewählt werden kann, lässt für derartigen Erwägungen keinen Raum. Die bestehenden Bindungen zur Kirchengemeinde K., wo die Antragstellerin zu 1. nach eigenen Angaben die Christenlehre und den Chor besucht, und der Umstand, dass sie - wovon hier ausgegangen wird - aufgrund ihrer religiösen Einstellung (bzw. der ihrer Eltern) hieran festhalten will, rechtfertigen ebenfalls keine andere Bewertung. Denn die Antragstellerin zu 1. ist, auch wenn zukünftig mit dem Besuch der Christenlehre und des Chors ein erhöhter Aufwand verbunden sein sollte, nicht daran gehindert, ihrem Glauben nachzugehen. Ein Eingriff in die Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG lässt sich insoweit nicht feststellen.

Die von den Antragstellern zu 1. und 2. geltend gemachten zusätzlichen Belastungen und Schwierigkeiten im privaten und beruflichen Alltag, welche durch ein Festhalten am Schulbezirkssystem bedingt sind, rechtfertigen ebenfalls nicht die Annahme eines Härtefalles, welcher im Rahmen des Ermessens allein die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung geboten erscheinen lässt. Die Tatsache, dass beide Elternteile berufstätig sind und zudem aufgrund von Wechselschichtdienst sowie gelegentlichen Spätdiensten beruflich in besonderer Weise in Anspruch genommen werden, vermag eine solche Annahme nicht zu begründen. Zwar soll nicht in Abrede gestellt werden, dass für die Eltern hieraus besondere Belastungen erwachsen, die einen zusätzlichen Betreuungsaufwand und entsprechende Dispositionen im privaten und beruflichen Umfeld erforderlich machen; indessen sind von derartigen Schwierigkeiten in vielen Fällen auch andere Eltern bzw. alleinerziehende Elternteile in gleicher Weise betroffen. Nach allem bedarf es hier keiner weiteren Erörterung, ob und inwieweit zur Bewältigung des zusätzlichen Betreuungsaufwandes auf die Großeltern, Freunde oder aber auf die Tagesmutter, von der in der Antragsschrift die Rede ist und welche die Antragstellerin zu 1.) seit Vollendung des ersten Lebensjahres betreut, zurückgegriffen werden kann. Etwas anderes folgt schließlich auch nicht daraus, dass - wie das Verwaltungsgericht meint - die Antragsteller zu 2. und 3. in Berufen tätig sind, an deren Ausübung "ein besonderes öffentliches Interesse besteht". Eine solche Unterscheidung nach Berufsgruppen erscheint - zumal nicht weniger gewichtige und verantwortungsvolle Aufgaben auch in anderen Berufen (z. B. Ärzte, Ingenieure, Bedienstete in Pflegeberufen etc.) wahrgenommen werden - nicht sachgerecht; eine solche Differenzierung liefe zudem auf eine Privilegierung bestimmter Berufsgruppen hinaus, womit das der Schulbezirkseinteilung zugrunde liegende Ordnungsprinzip in nicht unerheblicher Weise entwertet würde.

Soweit die Antragsteller Einwendungen gegen die Neuordnung der Schuleinzugsbereiche erheben, vermögen sie hiermit schon deshalb nicht durchzudringen, weil der Antragsgegner als Schulbehörde hierfür nicht zuständig ist und die diesbezügliche Entscheidung vom Schulträger - hier der Stadt A-Stadt - getroffen worden ist, gegen den das Anordnungsbegehren nicht gerichtet ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 47, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

Ende der Entscheidung

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