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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 21.05.2008
Aktenzeichen: 3 M 286/07
Rechtsgebiete: VwGO, KiFöG LSA


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 1
KiFöG LSA § 11 Abs. 5
Bei der Geltendmachung von Kostenerstattungsansprüchen im Sinne des § 11 Abs. 5 KiFöG LSA handelt es sich nicht um die Erhebung einer Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss die Feststellung getroffen, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. August 2007 gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung hat, weil es sich bei diesem Bescheid, mit dem die Antragstellerin zur Erstattung von Kosten der Betreuung auswärtiger Kinder nach § 11 Abs. 5 des Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege des Landes Sachsen-Anhalt (Kinderförderungsgesetz - KiFöG -) vom 5. März 2003 (GVBl. LSA S. 2003, geändert durch Gesetz vom 12.11.2004, GVBl. LSA S. 774) herangezogen wurde, nicht um die Anforderung einer öffentlichen Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO handelt.

Die Einwände der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass.

Der Senat lässt es dabei zunächst offen, ob der vom Antragsgegner geltend gemachte Erstattungsanspruch überhaupt durch Leistungsbescheid geltend gemacht werden kann. Auch wenn in § 11 Abs. 5 Satz 3 KiFöG der Begriff "festsetzen" verwandt wird, bedarf es auch im Verhältnis öffentlicher Träger zueinander einer (ausdrücklichen) gesetzlichen Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten. Eine herangezogene Rechtsgrundlage ist daraufhin auszulegen, ob sie auch die Regelungsbefugnis zum Erlass von Anordnungen gegenüber einer spezifisch als Verwaltungsträger angesprochenen juristischen Person des öffentlichen Rechts enthält (vgl. BayVGH, Urt. v. 25.01.2007 - 4 BV 04.3156 - DÖV 2007, 347 m. w. N.). Ob die Bestimmung des § 11 Abs. 5 KiFöG eine solche Regelungsbefugnis beinhaltet, kann für die hier nur maßgebliche Frage, ob es sich bei dem geltend gemachten Erstattungsbetrag um eine öffentliche Abgabe handelt, im Ergebnis jedoch dahin stehen.

Die Antragsgegnerin geht zwar zunächst im Ansatz zutreffend davon aus, dass öffentliche Abgaben i. S. v. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht nur Steuern, Gebühren und Beiträge sind, sondern alle hoheitlich geltend gemachten öffentlich-rechtlichen Geldforderungen, die aufgrund eines normativ bestimmten Tatbestands erhoben werden und zur Deckung des Finanzbedarfs eines Hoheitsträgers zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen. Rechtlich ohne Bedeutung ist es, ob mit der Abgabe außer dieser Finanzierungsfunktion auch andere Ziele, etwa Lenkungs-, Antriebs-, Zwangs- oder Strafzwecke, verfolgt werden (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 15.03.2006 - 4 M 307/05 - juris m. w. N.). Keine Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Geldforderung allerdings dann, wenn sie nicht der Deckung des Finanzbedarfs eines Gemeinwesens, sondern primär anderen Zielen, z. B. der Wirtschaftslenkung dient (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 80 Rdnr. 61 m. w. N.).

Der Auffassung der Antragsgegnerin, dem geltend gemachten Anspruch auf Defizitausgleich i. S. v. § 11 Abs. 5 KiFöG sei in diesem Sinne eine alleinige Finanzierungsfunktion zuzusprechen, vermag sich der Senat mit Rücksicht auf den Zweck der Vorschrift nicht anzuschließen. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dient der Sicherheit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Im Interesse der Allgemeinheit und der öffentlichen Haushaltsführung soll eine stetig fortlaufende Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs sichergestellt sein, damit die Finanzierung und Durchführung notwendiger öffentlicher Aufgaben nicht gefährdet wird. Nach dieser Zweckbestimmung des Gesetzes ist der Wegfall der aufschiebenden Wirkung nicht auf die klassischen Abgabenarten beschränkt, sondern er erstreckt sich auf alle sonstigen Abgaben, die - wie Steuern, Gebühren und Beiträge - dazu bestimmt sind, bereits entstandene oder bevorstehende, gesetzlich oder sonst festgelegte Aufwendungen der öffentlichen Hand abzudecken und bei denen der Abgabengläubiger deshalb auf die regelmäßige und pünktliche Erfüllung der Zahlungspflichten der Abgabenschuldner angewiesen ist, um seine öffentlichen Aufgaben erfüllen zu können (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 15.03.2006, a. a. O.).

Der Defizitausgleich nach § 11 Abs. 5 KiFöG stellt bei Anwendung dieser Grundsätze keine Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar.

Nach § 11 Abs. 5 KiFöG erstattet die Wohnsitzgemeinde der aufnehmenden leistungsverpflichteten Gemeinde die Kosten der Betreuung, wenn ein Kind in einer Tageseinrichtung außerhalb des Zuständigkeitsbereiches der Leistungsverpflichteten mit Zustimmung des aufnehmenden Leistungsverpflichteten betreut wird (Satz 1). Der Leistungsverpflichtete des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes hat der Betreuung im Zuständigkeitsbereich einer anderen Leistungsverpflichteten zuzustimmen, wenn ein freier Platz in einer Tageseinrichtung oder eine freie Tagespflegestelle gemäß § 3 Abs. 4 Satz 2 KiFöG nicht vorhanden ist oder die Betreuung in Ausübung des Wahlrechtes nach § 3 b KiFöG erfolgen soll (Satz 2). Die Kosten der Betreuung sind getrennt nach Abrechnungsmonaten und pro Kind festzusetzen (Satz 3). Dazu sind die im Kalenderjahr der Betreuung in der jeweiligen Betreuungsart nach § 4 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 KiFöG entstandenen Kosten auf die Anzahl der im jeweiligen Abrechnungsmonat betreuten Kinder aufzuteilen (Satz 4). Von diesen im Abrechnungsmonat pro Kind entstandenen Kosten ist der monatlich geleistete Elternbeitrag abzuziehen (Satz 5). Das gilt auch dann, wenn das Jugendamt oder andere diesen Beitrag gezahlt haben (Satz 6). Außerdem sind die nach Absatz 2 Satz 1 und Absatz 7 Satz 2 im Kalenderjahr der Betreuung erhaltenen öffentlichen Zuschüsse auf Abrechnungsmonat und in diesem Jahr betreutes Kind umzurechnen und in Abzug zu bringen (Satz 7). Die von der Antragsgegnerin vertretene Auffassung, der gesetzlich geregelte Erstattungsanspruch nach § 11 Abs. 5 KiFöG sei einer Gebühr für die Inanspruchnahme einer gemeindlichen Einrichtung ähnlich, da die Wohnsitzgemeinde auf Kosten der aufnehmenden Gemeinde ihre Kinder dort betreuen lasse, was auch die Finanzierungsfunktion der Geldleistungspflicht in den Vordergrund treten lasse, so dass man von einer öffentlich-rechtlichen Abgabe sprechen müsse, überzeugt nicht. Eine mehr oder weniger bedeutsame Finanzierungsfunktion kommt im Grunde jeder öffentlich-rechtlichen Geldleistung zu. Letztlich kommen alle in öffentliche Kassen fließenden Einnahmen als Finanzierungsmittel in Betracht. Da der Gesetzgeber aber in § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht allgemein von öffentlich-rechtlichen Geldleistungen spricht, sondern den engeren Begriff der öffentlichen Abgaben verwendet, können nur solche Zahlungen gemeint sein, auf deren unverzüglichen Eingang die Abgabengläubiger in gesteigertem Maße angewiesen sind, weil sie nach materiellem Recht fest mit ihrem Eingang rechnen und daher für die Aufgabenerfüllung einplanen. Der Sinn und Zweck des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO besteht darin, zur Sicherung einer geordneten Haushaltsführung und effektiven Erfüllung der öffentlichen Aufgaben die Stetigkeit des Mittelflusses zu gewährleisten (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 15.03.2006, a. a. O.). Es soll verhindert werden, dass durch die Einlegung von Rechtsbehelfen die Finanzierung und Durchführung öffentlicher Aufgaben gefährdet wird. § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO will zur effektiven Erfüllung der öffentlichen Aufgaben die Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs gewährleisten. Dies ist letztlich der Grund dafür, weshalb der Gesetzgeber in einer vorweggenommenen Interessenabwägung in Ausnahme von der Grundregel des § 80 Abs. 1 VwGO dem öffentlichen Interesse am Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage den Vorrang gegeben hat. Auch das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 17.12.1992 - 4 C 30.90 -, NVwZ 1993, 1112) geht davon aus, dass es dem Sinn der mit § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bezweckten Angleichung an das Steuerrecht entspreche, in die Sofortvollzugsregelung alle Abgaben einzubeziehen, durch die, Steuern vergleichbar, die Befriedigung des öffentlichen Finanzbedarfs sichergestellt wird.

Eine derartige Bedeutung kommt dem Erstattungsanspruch nach § 11 Abs. 5 KiFöG nicht zu. Er stellt insbesondere keine von einem bestimmten Kreis von Abgabenpflichtigen erhobene und damit haushaltsmäßig fest kalkulierbare Abgabe dar, sondern ist eine eher außerordentliche Zahlung, deren Umfang schon vom Wortlaut des § 11 Abs. 5 KiFöG her von nicht vorher näher kalkulierbaren Faktoren abhängt. Dabei geht es entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht um die Festlegung einer bestimmten Höhe, sondern um die Stetigkeit des Mittelflusses, die allein eine geordnete Haushaltsführung und effektive Erfüllung der öffentlichen Aufgaben sicherstellen kann, und die durch den Erstattungsanspruch gerade nicht gewährleistet ist. Darin unterscheidet sich diese Erstattungsanspruch insbesondere auch z. B. von der Kreisumlage im Sinne des § 67 der Landkreisordnung für das Land Sachsen-Anhalt - LKO LSA -, die regelmäßig erhoben wird, weil der Landkreis auf sie zur Finanzierung und Durchführung seiner Aufgaben angewiesen ist und die den Finanzbedarf des Landkreises sicherstellt.

Der Erstattungsanspruch nach § 11 Abs. 5 KiFöG stellt sich vielmehr auch nach dem Willen des Gesetzgebers als eines der Instrumente des interkommunalen (horizontalen) Lastenausgleiches dar ("zwischengemeindlicher Kostenerstattungsanspruch": LT-Drucksache 4/399 S. 28, "Ausgleichsanspruch": LT-Drucksache 4/1682 S. 11), wo sich die erstattungspflichtige und die erstattungsberechtigte Kommune gerade nicht wie ein abgabenpflichtiger Bürger und der Staat in einem Subordinationsverhältnis gegenüber stehen (vgl. zum interkommunalen Lastenausgleich im Rahmen der Gewässerunterhaltungsverbände in Sachsen-Anhalt: BVerwG, Urt. v. 11.07.2007 - 9 C 1.07 u.a. - NVwZ 2008, 314).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß 188 S. 2 Halbs. 1 VwGO nicht erhoben, weil es sich bei dem vorliegenden Streit um den Umfang der finanziellen Förderung einer Kindertageseinrichtung um ein Verfahren auf dem Sachgebiet der Jugendhilfe im Sinne dieser Vorschrift handelt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 188 Rn. 3 m. w. N.). Die Vorschrift des § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO, wonach die Gerichtskostenfreiheit für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern nicht gilt, ist hier nicht einschlägig. Die Voraussetzungen des § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO liegen hier nicht vor, da die Antragsgegnerin weder als Sozialleistungsträger angesehen werden kann noch in einer solchen Funktion oder Eigenschaft tätig geworden ist (vgl. Urt. d. Senates v. 24.11.2004 - 3 L 356/03 -).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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