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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 12.11.2008
Aktenzeichen: 3 M 503/08
Rechtsgebiete: FeV


Vorschriften:

FeV § 11 Abs. 8
FeV § 13
1. § 13 Nr. 2 a, 2. Alt. FeV ist ein Auffangtatbestand. Mit ihm soll sichergestellt werden, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei Fällen eines greifbaren Gefahrenverdachts nicht "sehenden Auges" untätig bleiben muss, bis noch weitere Verdachtsmomente hinzutreten, die einen unmittelbaren Verkehrsbezug aufweisen. Aus diesem Grund vermag auch eine außerhalb des Straßenverkehrs aufgetretene Alkoholauffälligkeit eine Begutachtung jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn sie in einer Weise zutage getreten ist, die zu der begründeten Annahme Anlass gibt, der Betreffende werde angesichts der bei ihm erkennbar gewordenen Alkoholgewohnheiten voraussichtlich schon in überschaubarer Zukunft auch nach dem Genuss von Alkohol ein Kraftfahrzeug führen und so zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden.

2. Zur Relevanz des Ethylglucuronid-Wertes als Alkoholmarker.


Gründe:

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Nach dem Wortlaut von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Beschwerdegericht in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zwar nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe. Im Hinblick auf die dem Gericht obliegende Verpflichtung, durch eine in der Sache richtige Entscheidung effizienten Rechtsschutz zu gewährleisten (Art. 19 Abs. 4 GG), sind aber auch andere entscheidungserhebliche Gründe zu berücksichtigen, wenn diese Gesichtspunkte "im Ansatz" bereits in das Verfahren eingeführt sind und sie ohne weiteres zu ersehen sind ("offenkundig") sowie deren Berücksichtigung zu keiner Verfahrensverzögerung und zu keinem neuen Streitstand führt (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 15.04.2008 - 5 BS 239/07 - juris; BayVGH, Beschl. v. 10.07.2006 - 1 CS 06.407 -). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung (noch) gerecht.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV, § 48 Abs. 9 FeV, § 11 Abs. 8 FeV (jeweils in der hier noch maßgeblichen Fassung vom 09.08.2004, BGBl. I S. 2092) wird sich nach der im vorläufigen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtswidrig erweisen. Der Antragsteller legt in der Beschwerdebegründung hinreichend dar, dass die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 14. August 2007 nicht rechtmäßig, insbesondere auch nicht verhältnismäßig war und die sich allein auf die Nichtbeibringung des Gutachtens gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Erlaubnis zur Fahrgastbeförderung daher in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtswidrig erweisen wird.

Werden Tatsachen bekannt, die lediglich Bedenken an der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen, so finden gemäß §§ 46 Abs. 3, 48 Abs. 9 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechende Anwendung. Das bedeutet im Fall von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik, wie sie hier auf Grund des Vorfalles vom 22. März 2007 im Streit steht, dass die Fahrerlaubnisbehörde dem Betreffenden gemäß § 13 FeV aufgeben kann, entweder ein ärztliches Gutachten zur Klärung der Frage einer bei ihm etwa bestehenden Alkoholabhängigkeit oder aber ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Klärung eines bei ihm etwa bestehenden Alkoholmissbrauchs beizubringen. Weigert sich der Betreffende, sich einer derartigen Untersuchung zu unterziehen oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf die Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 FeV den - regelmäßig dann auch gebotenen - Schluss ziehen, dass dieser angesichts der aufgetretenen und nicht ausgeräumten Bedenken tatsächlich zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Voraussetzung in diesem Fall ist aber stets, dass die vorangegangene Anordnung ihrerseits rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2005 - 3 C 21.04 - NJW 2005, 3440). Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der hier unter dem 14. August 2007 angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung, die auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit bzw. einen Alkoholmissbrauch zielt, nach summarischer Prüfung nicht vor.

Hinsichtlich der Feststellung einer Alkoholabhängigkeit im Sinne von § 13 FeV orientieren sich die Begutachtungsleitlinien für die Kraftfahrereignung in Ziffer 3.11.2 an der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10-Code, auszugsweise abgedruckt bei Bode/Winkler, Fahrerlaubnis, Anhang). Hiernach kann die Diagnose "Alkoholabhängigkeit" in der Regel nur gestellt werden, wenn während eines zurückliegenden Jahres drei oder mehr der nachfolgenden Kriterien gleichzeitig erfüllt sind: Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, Alkohol zu konsumieren; verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums; ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums; Nachweis einer Toleranz; fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums; erhöhter Zeitaufwand, um den Alkohol zu konsumieren oder sich von den Folgen des Konsums zu erholen; anhaltender Alkoholkonsum trotz Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen wie z.B. Leberschädigung durch exzessives Trinken. Ein chronischer Alkoholkonsum in schädigendem Ausmaße oder ein "Alkoholproblem" mag dabei Anlass zu weiteren Ermittlungen geben, kann jedoch nicht ohne weiteres mit einer Alkoholabhängigkeit gleichgesetzt werden. Vielmehr bedarf es insoweit grundsätzlich an den fachlichen Standards orientierter Feststellungen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.03.2008 - 12 ME 377/07 - juris). Eine Alkoholabhängigkeit im vorbenannten Sinne ist beim Antragsteller nach den vorgelegten Verfahrensakten auch in der Vergangenheit nicht festgestellt worden.

Die Frage, was unter Alkoholmissbrauch zu verstehen ist, hat der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber selbst nicht näher definiert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass unter Missbrauch in diesem Zusammenhang entsprechend der Definition in Ziffer 3.11.1. Abs. 2 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung und im Sinne des Zusatzes zu Ziffer 8.1 der Anlage 4 zur FeV das nicht hinreichend sichere Trennenkönnen des Führens eines Kraftfahrzeuges und eines die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsums zu verstehen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.05.2008 - 3 C 32.07 - NJW 2008, 2601). Das bedeutet indessen entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht zwingend, dass eine aufgetretene Alkoholauffälligkeit nur dann die Annahme von Alkoholmissbrauch begründet und somit Anlass für eine Anordnung nach § 13 Nr. 2 a, 2. Alt. FeV geben kann, wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht. Dies folgt daraus, dass § 13 Nr. 2 a, 2. Alt. FeV ersichtlich - wie ein Vergleich zu den Regelungen der Nr. 2 b, c und d dieser Bestimmung zeigt, die den Bereich des Alkoholmissbrauchs in Verbindung mit der Teilnahme am Straßenverkehr abdecken, - ein Auffangtatbestand ist. Mit ihm soll sichergestellt werden, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei Fällen eines greifbaren Gefahrenverdachts nicht "sehenden Auges" untätig bleiben muss, bis noch weitere Verdachtsmomente hinzutreten, die einen unmittelbaren Verkehrsbezug aufweisen. Von daher vermag auch eine außerhalb des Straßenverkehrs aufgetretene Alkoholauffälligkeit eine solche Begutachtung jedenfalls dann zu rechtfertigen, wenn sie in einer Weise zutage getreten ist, die zu der begründeten Annahme Anlass gibt, der Betreffende werde angesichts der bei ihm erkennbar gewordenen Alkoholgewohnheiten voraussichtlich schon in überschaubarer Zukunft auch nach dem Genuss von Alkohol ein Kraftfahrzeug führen und so zu einer konkreten Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer werden. Das kann der Fall sein bei einem Berufskraftfahrer, der in einen Dauerkonflikt gerät zwischen der Neigung, häufig und in großen Mengen Alkohol zu konsumieren, und seiner Verpflichtung, seinen Beruf in fahrtüchtigem Zustand auszuüben (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.03.2008 - a. a. O. und v. 29.01.2007 - 12 ME 416/06 - DAR 2007, 227). § 13 Nr. 2 Buchst. a 2. Alt. FeV erfasst damit entsprechend ihrer Auffangfunktion nicht nur ein alkoholkonsumbedingtes Fehlverhalten im Straßenverkehr, sondern gestattet grundsätzlich auch die Berücksichtigung nicht straßenverkehrsbezogener Alkoholauffälligkeiten, sofern deutliche Indizien für eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung des Betroffenen vorliegen und außerdem weitere tatsächliche Umstände festzustellen sind, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entschieden, dass sich die Anforderung eines Gutachtens nur auf solche Mängel beziehen kann, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht umsichtig verhalten werde, was es auf der anderen Seite ausschließt, jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines Gutachtens anzusehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.06.1993 - 1 BvR 689/92 - BVerfGE 89, 69); mithin müssen einer Aufforderung tatsächliche Feststellungen zugrunde gelegt werden, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen. In der Rechtsprechung sind als solche besondere Umstände anerkannt worden, die neben einer nicht straßenverkehrsbezogenen Alkoholauffälligkeit die Annahme eines Alkoholmissbrauchs rechtfertigen: Angaben von nahen Verwandten und des Arbeitgebers über regelmäßigen - hohen - Alkoholkonsum und eine weit überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung bei einem Taxifahrer (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.01.2007, a. a. O.) sowie die Begehung von Gewalttaten im häuslichen Bereich unter hochgradiger Alkoholisierung bei einem Berufskraftfahrer, dem wegen einer Trunkenheitsfahrt bereits einmal die Fahrerlaubnis entzogen worden war (VGH Mannheim, Beschl. v. 29.07.2002 - 10 S 1164/02 - NZV 2002, 582 und v. 24.06.2002 - 10 S 985/02 - NZV 2002, 580). Diesen Fallkonstellationen ist jeweils gemein, dass ein Fahrerlaubnisinhaber betroffen ist, der wie z. B. ein Berufskraftfahrer in besonderer Weise auf das regelmäßige Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr angewiesen ist und es von daher mit Rücksicht auf die Häufigkeit und Intensität eines (unkontrollierten) Alkoholkonsums nur eine Frage der Zeit ist, dass er sich mit einer Situation konfrontiert sieht, am Straßenverkehr teilnehmen zu "müssen", obwohl er alkoholbedingt fahruntüchtig ist (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 05.06.2007 - 10 A 10062/07 - juris).

Eine solche Fallkonstellation ist nach den vorgelegten Unterlagen nicht gegeben. Der Antragsteller hatte zwar bereits am 17. März 2002 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,06 Promille ein Fahrzeug im Straßenverkehr geführt, woraufhin ihm die Fahrerlaubnis entzogen worden war. Nach einer für den Antragsteller positiven medizinisch-psychologischen Untersuchung ist ihm am 5. Juni 2003 die Fahrerlaubnis der Klassen A, BE, C1E, C, CE, M, L, T und S sowie am 18. Juli 2006 die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung erteilt worden. Der Antragsteller ist bis zu dem Vorfall am 22. März 2007 nach den vorliegenden Unterlagen nach dem Entzug der Fahrerlaubnis im Jahr 2002 nicht mehr straßenverkehrsrechtlich negativ in Erscheinung getreten. Nach den auch von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellten eigenen Angaben des Antragstellers hat er am 22. März 2007 einen ehemaligen Arbeitskollegen getroffen und zwischen 19 Uhr und 23.30 Uhr allein ca. fünf bis sieben Flaschen (0,5 Liter) Bier, zu zweit eine große Flasche Apfelkorn und in einer Gaststätte allein noch zwei bis drei Bacardi-Cola getrunken. Dies hat zu der später gemessenen Blutalkoholkonzentration von 2,22 Promille geführt. Von der Gaststätte sei er zu Fuß nach Hause gegangen. Auf dem Heimweg habe er eine Glastür eingetreten. An den Vorfall könne er sich nicht mehr erinnern. Nach den Angaben der Polizeibeamten habe der Antragsteller bei ihrem Eintreffen Suizidabsichten geäußert und stark schwankende Gemütszustände, bis hin zum Weinen, aufgewiesen. Der gerufene Notarzt habe eine stationäre Aufnahme nach dem PsychKG LSA veranlasst. Der Antragsteller hat hierzu ausgeführt, dass er hinsichtlich des Zeitraumes vom Verlassen der Gaststätte bis zur Einweisung in das Krankenhaus Erinnerungslücken mit "Erinnerungsinseln" habe. Während seines nächtlichen Aufenthaltes im Krankenhaus sei er an seinem Bett fixiert worden. Am Morgen sei die Fixierung beendet worden und er habe das Krankenhaus verlassen können. Das Strafverfahren wegen des Vorwurfes der Sachbeschädigung sei mittlerweile gemäß § 153 a Abs. 1 StPO eingestellt worden, nachdem er den entstandenen Schaden in Höhe von 219,44 € beglichen habe. Aus dem Inhalt der Verfahrensakte ist nicht erkennbar, dass dieser Vorfall irgendeine "Verkehrsberührung" aufweist. Die Antragsgegnerin legt in den angefochtenen Bescheiden auch nicht dar, dass die begangene Sachbeschädigung einen derartigen Kontrollverlust indiziert, welche einen Schluss auf eine möglicherweise nicht mehr gegebene Kraftfahreignung zuließe. Auch der Verweis des Verwaltungsgerichts in der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 1988 (nicht 5. Juli 1988) ist als Beleg für die dort vertretene Auffassung nicht geeignet, da sich das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung ausdrücklich nur mit Eignungszweifeln bei einer Trunkenheitsfahrt mit hoher Blutalkoholkonzentration und mit dem damit verbundenen Schluss auf eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung sowie der damit im Zusammenhang stehenden Trennungsproblematik befasst (Az.: 7 C 46.87, BVerwGE 80, 43). Werden bei Gelegenheiten ohne "Verkehrsberührung" hohe Alkoholkonzentrationen erreicht, lässt sich mangels gefestigter wissenschaftlicher Nachweise in diesen Fällen derzeit nicht der zwingende Schluss auf eine mögliche Gefahr von Fahrten unter Alkoholeinfluss belegen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 17.06.2008 - 16 E 515/08 - juris; OVG Koblenz, Beschl. v. 05.06.2007, a. a. O.).

In diesem Zusammenhang begegnet auch bereits die Anforderung der Beibringung des fachärztlichen Gutachtens im Sinne von § 13 Nr. 1 FeV vom 18. April 2007 rechtlichen Bedenken, als dort als Begutachtungsanlass genannt wird: "Ist davon auszugehen, dass bei dem Untersuchten ein erneuter Missbrauch bzw. Alkoholabhängigkeit besteht?". Nach § 13 Nr. 1 FeV fällt bei einer bestehenden Alkoholproblematik allein die Feststellung, ob bei der zu begutachtenden Person Alkoholabhängigkeit vorliegt, in die Zuständigkeit ärztlicher Sachverständiger im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV. Zum Zwecke der Klärung der Frage, ob ein Alkoholmissbrauch im oben beschriebenen Sinne besteht, schreibt § 13 Nr. 2 FeV demgegenüber ausdrücklich die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vor, das gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 FeV nicht von einem Arzt im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV, sondern von einer anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zu erstellen ist. Diese normative Aufgabenzuweisung findet ihre sachliche Berechtigung darin, dass die Beantwortung der Frage, ob mit einem Alkoholmissbrauch im Sinne der Definition in Ziffer 8.1 der Anlage 4 zur FeV gerechnet werden muss, ein prognostisches Urteil über das künftige Verhalten des Betroffenen voraussetzt, das eine wertende Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Probanden erfordert, während sich die Abklärung, ob (weiterhin) Alkoholabhängigkeit vorliegt, in der Feststellung aktueller Gegebenheiten erschöpft. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass die Erarbeitung einer Prognose der vorgenannten Art sachgerecht nur im Zusammenwirken einschlägig geschulten ärztlichen und psychologischen Sachverstandes erstellt werden kann und eine Gewähr für ihre Richtigkeit nur besteht, wenn die hiermit betraute Einrichtung über die nach der Anlage 14 zur FeV erforderliche personelle und sachliche Ausstattung verfügt und ihre Zuverlässigkeit durch einen staatlichen Anerkennungsakt bestätigt wurde (vgl. BayVGH, Beschl. v. 25.08.2005 - 11 CS 05.1139 - juris).

Jedenfalls enthält das unter dem 2. Juli 2007 erstellte fachärztliche Gutachten des TÜV Nord keine Hinweise, welche hinreichende Zweifel an der Kraftfahreignung aufgrund eines möglichen Alkoholmissbrauchs des Antragstellers begründen und welche die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens rechtfertigen könnten. In diesem von dem Facharzt für Rechtsmedizin Dr. B. erstellten Gutachten (Bl. 72 f. der Verwaltungsakte) heißt es: "Körperliche Zeichen, die für einen gewohnheitsmäßigen Alkoholmissbrauch oder alkoholbedingte Auswirkungen eines Langzeitkonsums sprechen könnten, waren nicht nachweisbar. Die Ergebnisse der Leberfunktionsproben lagen im Referenzbereich. Aus dem ärztlichen Gespräch und der körperlichen Untersuchung konnten keine Hinweise für eine Alkoholkrankheit festgestellt werden. Für einen fortgesetzten Alkoholmissbrauch fanden sich ebenfalls keine Hinweise. Aus dem Vorfall vom 22.03.2007 ist kein für die Fahrtauglichkeit relevanter Alkoholmissbrauch abzuleiten." In der Zusammenfassung des Gutachtens heißt es: "Allein aus dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung lässt sich eine Alkoholabhängigkeit oder ein erneuter Alkoholmissbrauch bei Herrn A. nicht ableiten." Lediglich in einer Anmerkung, welche von der gutachterlichen Beurteilung allerdings getrennt ist, heißt es: "Grundsätzlich ist bei ärztlichen Begutachtungen nach § 11 FeV bzw. § 13 FeV zu betonen, dass die Feststellung der Abhängigkeit bzw. der Einnahme eine ärztliche Feststellung ist, während bei der Frage, ob Abhängigkeit nicht mehr besteht oder Einnahme nicht mehr erfolgt (im Sinne einer Verhaltensprognose) für eine positive Gesamtbeurteilung entscheidend ist, ob ein stabiler Einstellungswandel eingetreten ist, was jedoch lediglich über eine medizinisch-psychologische Begutachtung zu beantworten wäre (vgl. entsprechende Kommentierung im Verkehrsblatt 2000, Heft 20, S. 1071)." In der Anforderung des medizinisch-psychologischen Gutachtens der Antragsgegnerin vom 14. August 2007 wird diese Anmerkung aus dem ärztlichen Gutachten dann jedoch nur verkürzt wiedergegeben, als es dort nur heißt: "Laut Gutachten ist aber für eine positive Gesamtbeurteilung eine psychologische Fahreignungsbegutachtung erforderlich, um den vorliegenden Sachverhalt (Vorfall vom 22.03.2007) klären zu können. Bei der psychologischen Begutachtung soll geklärt werden, ob bei Ihnen stabiler Einstellungswandel eingetreten ist, da sich dies nur aus der ärztlichen Untersuchung nicht ableiten lässt." Die vom Gutachter ausdrücklich angeführte Bedingung für die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens, nämlich "ob Abhängigkeit nicht mehr besteht oder Einnahme nicht mehr erfolgt", wird nicht mehr wiedergegeben, obwohl auch aus Sicht der Behörde die Einnahme von Betäubungsmitteln zu keinem Zeitpunkt im Streit stand und bei dem Antragsteller auch in der ersten Begutachtung des TÜV Nord vom 2. Juni 2003 keine Alkoholabhängigkeit festgestellt, sondern allenfalls von einem Alkoholmissbrauch vor dem Entzug der Fahrerlaubnis ausgegangen wurde. Da sich aus dem ärztlichen Gutachten vom 2. Juli 2007 allein gerade keine Hinweise für einen Alkoholmissbrauch ergeben, hätte die Antragsgegnerin konkret darlegen müssen, welche Tatsachen (und nicht lediglich Vermutungen) die Annahme begründen könnten, dass beim Antragsteller ein sicheres Trennenkönnen des Führens eines Kraftfahrzeuges und eines die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsums nicht (mehr) gegeben ist. Allein der auch aus Sicht des Senates nicht zu bagatellisierende Umstand, dass der Antragsteller am 22. März 2007 in erheblichem Umfang Alkohol konsumiert hat, in deren Folge er eine Sachbeschädigung begangen hat und damit die von ihm am 2. Juni 2003 angekündigte alkoholabstinente Lebensweise nicht konsequent durchgehalten hat, rechtfertigt vor dem Hintergrund, dass dieser Alkoholkonsum nach den vorliegenden Akten nicht im zeitlichen Zusammenhang mit dem Führen eines Fahrzeuges im Straßenverkehr stand, ohne das Hinzutreten hier nicht ersichtlicher weiterer Umstände nicht den Schluss, dass beim Antragsteller ein Alkoholmissbrauch im vorbenannten Sinne gegeben sein könnte. Insoweit setzen sich weder die Antragsgegnerin und die Widerspruchsbehörde noch das Verwaltungsgericht in der Begründung ihrer Entscheidungen in ausreichender Weise mit den Feststellungen des vorgelegten fachärztlichen Gutachtens vom 2. Juli 2007 näher auseinander. Insbesondere verhalten sich weder die angefochtenen Bescheide noch die erstinstanzliche Entscheidung näher zu der entscheidungserheblichen Frage, ob aus ihrer Sicht beim Antragsteller eine Alkoholabhängigkeit vorliegt oder vielmehr die Gefahr eines Alkoholmissbrauchs besteht.

Im Übrigen bestehen - worauf der Antragsteller zutreffend hinweist - gerade vor dem Hintergrund, dass seitens der Antragsgegnerin (lediglich) die Zweifel an einer alkoholabstinenten Lebensweise des Antragstellers in Frage stehen und keine verkehrsbezogene Alkoholauffälligkeit vorliegt, nach der nur gebotenen summarischen Prüfung erhebliche Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der angeordneten medizinisch-psychologischen Untersuchung (vgl. zur Verhältnismäßigkeit einer Untersuchungsanordnung: BVerfG, Beschl. v. 20.06.2002 - 1 BvR 2062/96 - NJW 2002, 2378). In Ge-stalt der Bestimmung des Ethylglucuronid-Wertes ("EtG-Wert") steht nämlich nunmehr ein hochspezifischer Alkoholmarker zur Verfügung, der es nach dem derzeitigen Stand wissenschaftlicher Untersuchungen u. U. erlaubt, eine behauptete Alkoholabstinenz unmittelbar nachzuweisen oder zu widerlegen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 31.07.2008 - 11 CS 08.1103 - juris; Haffner/Dettling, Labordiagnostik bei Alkoholfragestellungen in der Fahreignungsbegutachtung, Blutalkohol 2008, 167; Uhle/Löhr-Schwaab, Abstinenz-Check bei Führerscheinproblemen wegen Alkohol, ZfS 2007, 192). Dieser Stoff wird im Körper als Abbauprodukt von Alkohol gebildet und ist außer im Urin auch im Serum und in den Haaren (vgl. zur Haaranalyse des EtG-Wertes: www.labkrone.de) nachweisbar. Während die Blutwerte für die Leberwerte (Gamma-GT, GOT, GPT, MCV, CDT) einen (indirekten) Langzeitmarker hinsichtlich eines (übermäßigen) Alkoholkonsums darstellen, handelt es sich bei dem EtG-Wert um den Nachweis eines direkten Abbauprodukts von Ethanol, das im Urin für mindestens 36 Stunden und bis zu 80 Stunden, in den Haaren unter Umständen auch mehrere Monate nachweisbar ist. Bei einem regelmäßigen Alkoholkonsum ist eine Kumulation von Ethylglucuronid im Körper nachgewiesen. Das Abbauprodukt lässt sich bereits nach der Einnahme von 10 Gramm Ethanol (entspricht ca. 0,25 Liter Bier) bestimmen. Ab 0,1 mg/L Ethylglucuronid im Urin ist der sichere Nachweis von Alkoholkonsum gegeben. Der Nachweis von EtG eignet sich daher besonders für die Überwachung von Patienten im Alkoholentzug oder für Fragestellungen, bei denen ein Alkoholkonsum Stunden bis wenige Tage vorangegangen war, der aber auf Basis der Blutalkoholmessung nicht mehr erfassbar ist (vgl. Uhle/Löhr-Schwaab, a. a. O.). Findet sich in mehreren unangekündigt und nach kurzfristiger Einbestellung gewonnenen Urinproben, die einen längeren Zeitraum abdecken, kein Ethylglucuronid, geht die gutachterliche Praxis davon aus, dass ein angegebener Alkoholverzicht glaubhaft gemacht wurde (vgl. Uhle/Löhr-Schwaab, a. a. O.). Angesichts der hohen Aussagekraft des EtG-Werts bietet eine genügend häufige, kurzfristig und zu für den Antragsteller unvorhersehbaren Terminen erfolgende Einbestellung zur Abgabe von Urinproben, die auf das Vorhandensein von Ethylglucuronid hin analysiert werden, eine ausreichende Gewähr dafür, dass er während dieser Zeit auf Alkohol verzichtet. Sollte es sich anders verhalten oder der Fahrerlaubnisinhaber seinen diesbezüglichen Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, eröffnet ein unter Sofortvollzug gestelltes Verwaltungshandeln ausreichende Möglichkeiten, um seine weitere motorisierte Verkehrsteilnahme zu unterbinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert war für das Beschwerdeverfahren nach §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG auf 8.750,- € festzusetzen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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