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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 30.04.2004
Aktenzeichen: 3 M 76/03
Rechtsgebiete: VwGO, VwVfG


Vorschriften:

VwGO § 43 I
VwGO § 113 I 4
VwVfG § 35
Zur Klageart und zu den Anforderungen an das (besondere) Feststellungsinteresse nach der Erledigung einer Leistungklage während des gerichtlichen Verfahrens.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 M 76/03

Datum: 30.04.2004

Gründe:

Die statthafte Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Prozesskostenhilfe ist gem. § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Erfolgsaussichten bietet. Dies ist nach der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht der Fall.

Gegenstand der Überprüfung durch den Senat ist dabei nicht mehr das ursprüngliche Klagebegehren der Klägerin, das dahin ging, die Beklagte zu verpflichten, den Sohn der Klägerin, S. J., in der Horteinrichtung der Grundschule "Am S." zu betreuen. Dieses in der Klageschrift vom 26. Februar 2002 zum Ausdruck gebrachte Begehren hat sich durch Zeitablauf erledigt. Denn die Beklagte hält Horteinrichtungen nur für Schüler bis zur vierten Grundschulklasse vor; der Sohn der Klägerin hat jedoch die vierte Klasse bereits zum 01. August 2002 beendet und besucht seither eine Schule in Halle/Saale. Die Erledigung ihres Begehrens hat die Klägerin deshalb zum Anlass genommen, ihren ursprünglichen Klageantrag mit am 03. Januar 2003 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz umzustellen. Sie begehrt nunmehr die Feststellung, dass "der Bescheid der Beklagten vom 29. November 2001 und der Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2002 rechtswidrig waren" und "die Beklagte verpflichtet war, den Sohn der Klägerin, S. J., in der Horteinrichtung der Grundschule "Am S." zu betreuen."

Die damit von der Klägerin beabsichtigte - und für die gerichtliche Prüfung ihres Prozesskostenhilfebegehrens nunmehr allein maßgebliche - Rechtsverfolgung im Klageverfahren im Wege einer (Fortsetzungs-) Feststellungsklage hat jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Zwar ist davon auszugehen, dass die Umstellung der Klage zulässig und daher entweder eine sog. Fortsetzungsfeststellungsklage (entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) oder eine einfache Feststellungsklage (§ 43 VwGO) statthaft ist; es fehlt jedoch in jedem Fall am Vorliegen eines (besonderen) Feststellungsinteresses und damit an einer für die Zulässigkeit der Klage erforderlichen Sachurteilsvoraussetzung.

Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei dem von der Klägerin ursprünglich verfolgten Klagebegehren der Sache nach nicht um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, sondern um eine allgemeine Leistungsklage handelte. Denn zum einen stellt sich die von der Klägerin angegriffene Maßnahme der Beklagten, d. h. hier der die Kündigung der Vereinbarung über die Hortbetreuung enthaltende "Bescheid" der Beklagten vom 29. November 2001, nicht als Verwaltungsakt (§ 35 VwVfG) dar. Die Kündigung eines öffentlich-rechtlichen Vertrages ist nämlich nicht als eine die Merkmale eines Verwaltungsakts erfüllende Maßnahme, sondern schlicht als die Geltendmachung eines einseitigen Gestaltungsrechts durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung anzusehen (dies entspricht allgemeiner Rechtsmeinung, vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Auflage 2003, § 60 Rn. 15 m. w. N.). Handelte es sich demnach weder bei der von der Beklagten unter dem 29. November 2001 schriftlich erklärten Kündigung noch bei der schriftlichen Erklärung der Beklagten vom 17. Januar 2002, an der Kündigung festzuhalten, um Verwaltungsakte, so kam hiergegen eine Anfechtungsklage als statthafte Klageart nicht in Betracht. Auch für das von der Klägerin in erster Linie verfolgte Begehren, ihren Sohn wieder in der genannten Horteinrichtung betreuen zu lassen, ist nicht die Verpflichtungsklage einschlägig gewesen. Weil die begehrte Maßnahme, d. h. das Unterbringen bzw. Betreuen in der Einrichtung, nicht die Rechtsqualität eines Verwaltungsakts, sondern eines schlichten Verwaltungshandelns aufweist, wäre dieses Begehren im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen gewesen.

Dennoch ist es auch unter diesen Umständen statthaft, dass die Klägerin den ursprünglichen Klageantrag in einen Feststellungsantrag umgestellt hat. Dabei bedarf es hier keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob nunmehr die allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) oder aber die Fortsetzungsfeststellungsklage (entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) als statthafte Klageart anzusehen ist. Welche dieser Klagearten in einer Konstellation wie der Vorliegenden einschlägig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Ganz überwiegend anerkannt ist noch, dass § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf erledigte Verpflichtungsbegehren entsprechend anzuwenden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27. März 1998 - 4 C 14.96 -, BVerwGE 106, 295 [296]; OVG LSA, Urteil vom 06. Februar 2004 - 2 L 5/00). Nach einer verbreiteten Ansicht ist die Vorschrift aber auch dann entsprechend heranzuziehen, wenn sich das Begehren, das mit einer allgemeinen Leistungsklage verfolgt wird, während des Klageverfahrens erledigt (BayVGH, Urteil vom 14. Januar 1991 - 2 B 90.1756 -, NVwZ-RR 1991, 519; Redeker/v.Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 113 Rn. 36; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 2003, § 113 Rn. 108; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 113 Rn. 106). Demgegenüber ist nach der Gegenansicht im letzteren Fall auf die Feststellungsklage nach § 43 VwGO abzustellen (vgl. etwa BayVGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 4 B 85A.916 -, NVwZ 1988, 84; Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn. 116 m. w. N.; wohl auch BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 -, NJW 1997, 2534). Als (gemeinsamer) tragender Gedanke dafür, dass nach einer Erledigung des Klagebegehrens nach Rechtshängigkeit die bisherige Klage in eine der genannten Feststellungsklagen umgestellt werden darf, ist jeweils der (prozessökonomische) Zweck anzusehen, dem Kläger eines verwaltungsgerichtlichen Prozesses nicht die Früchte des bisherigen Verfahrens zu nehmen, ihn also davor zu schützen, dass sein bisheriger Aufwand bei dem Erledigungseintritt vertan ist (vgl. Schmidt, in: Eyermann, a. a. O., § 113 Rn. 106).

Unabhängig davon, ob das von der Klägerin nunmehr verfolgte Begehren als Fortsetzungsfeststellungsklage oder als (allgemeine) Feststellungsklage als statthaft anzusehen ist, fehlt der Klage jedoch das sog. (Fortsetzungs-) Feststellungsinteresse. Dieses Erfordernis greift als Sachentscheidungsvoraussetzung in gleicher Weise wie im Falle der Umstellung einer Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage nicht nur dann ein, wenn man das Umstellen einer ursprünglichen Leistungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage zulässt (BayVGH, Urteil vom 14. Januar 1991 - 2 B 90.1756 -, NVwZ-RR 1991; Schmidt, in: Eyermann, a. a. O., § 113 Rn. 106), sondern auch dann, wenn man in dieser Konstellation der allgemeinen Feststellungsklage den Vorzug gibt. Denn wenn sich das ursprüngliche Klagebegehren während des anhängigen Verfahrens erledigt und auf eine Feststellungsklage umgestellt wird, unterscheiden sich die Sachurteilsvoraussetzungen nach § 43 VwGO und § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in entsprechender Anwendung nicht; dies gilt namentlich für die Anforderungen an das (besondere) Feststellungsinteresse (BVerwG, Urteil vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 -, NJW 1997, 2534). Ein solches schutzwürdiges Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn eine (konkrete) Wiederholungsgefahr besteht oder ein sog. Rehabilitierungsinteresse vorliegt oder wenn beabsichtigt wird, den durch eine rechtswidrige Maßnahme entstandenen materiellen Schaden im Wege eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses geltend zu machen (vgl. etwa OVG LSA, Beschluss vom 31. März 2004 - 3 L 481/01 -; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 113 Rn. 85 ff. m. w. N.).

Ein derartiges Feststellungsinteresse ergibt sich für die Klägerin zunächst nicht aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung. Ihr Vortrag, ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit sei insoweit zu bejahen, als es für die seelische Entwicklung ihres Sohnes S. notwendig sei, dass er in der Annahme bestätigt werde, dass das Verhalten der Beklagten rechtswidrig gewesen sei, vermag nicht zu überzeugen. Einen Bezug oder eine Auswirkung eines etwaigen verwaltungsgerichtlichen Feststellungsurteils für die Entwicklung des Kindes vermag der Senat nicht zu erkennen. Es sprechen auch keine sonstigen Gründe dafür, warum die Kündigung bzw. der Wechsel des Hortplatzes, was vornehmlich aus erzieherischen Gründen erfolgte, in der Weise zu einer Diskriminierung des Kindes geführt haben sollte, dass dies ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse rechtfertigen könnte. Ein Rehabilitierungsinteresse setzt nämlich voraus, dass die erledigte Maßnahme eine über ihre etwaige Rechtswidrigkeit hinausgehende zusätzliche belastende Wirkung entfaltet, also etwa einen diskriminierenden, ehrenrührigen Inhalt aufweist, der dem Ansehen des Betroffenen abträglich ist und ein Interesse an einer Rehabilitierung bzw. an der Beseitigung der Rufminderung begründet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 09. August 1990 - 1 B 94.90 -, NVwZ 1991, 270; Schmidt, in: Eyermann, a. a. O., § 113 Rn. 92 m. w. N.). Weder sind hier derartige Nachwirkungen noch ist ein berechtigtes Schutzbedürfnis gegenüber ihnen erkennbar.

Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse lässt sich ferner auch nicht mit einer von der Klägerin behaupteten Wiederholungsgefahr begründen. Die Annahme einer Wiederholungsgefahr setzt nämlich die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (BVerwG, Beschluss vom 16. Oktober 1989, NVwZ 1990, 360). Diese Annahme liegt hier fern. Soweit die Klägerin insoweit darauf abstellen will, dass auch ihr zweites Kind, V. J., dessen Einschulung für September 2003 vorgesehen gewesen sei, von einer vergleichbaren Maßnahme - also der Kündigung des Hortplatzes - betroffen sein könnte, vermag dies eine Wiederholungsgefahr im oben genannten Sinne nicht zu begründen. Zum einen bestehen keine auch nur annähernd genügenden Hinweise dafür, dass für die Tochter der Klägerin die ernstliche Gefahr besteht, einer Kündigungsmaßnahme der Beklagten ausgesetzt zu sein. Zudem anderen läge selbst bei einer "Kündigungsgefahr" für die Tochter keine Wiederholungsgefahr im oben genannten Sinne vor, weil dann von der Maßnahme nicht mehr das ursprünglich belastete, sondern ein anderes Kind betroffen wäre. Von unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen könnte daher nicht die Rede sein.

Ein besonderes Feststellungsinteresse der Klägerin lässt sich schließlich auch nicht aus ihrem Vortrag herleiten, ihr sei durch die Kündigung des Hortvertrages ihres Sohnes S. ein Schaden entstanden, da sie für ihr zweites Kind, V., einen höheren Hortbeitrag zu zahlen hätte, als sie hätte zahlen müssen, wenn auch ihr Sohn S. noch in der Horteinrichtung betreut würde. Zum einen genügt für die damit in Rede stehende Fallgruppe der Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses nicht allein der Umstand, dass möglicherweise ein Schaden entstanden ist. Vielmehr liegt ein schutzwürdiges Interesse, aus diesem Grunde die Rechtswidrigkeit einer erledigten Maßnahme festzustellen, nur vor, wenn auch die ernsthafte Absicht besteht, einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung bei den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (vgl. Kuntze, in: Bader u. a., VwGO, 2. Aufl. 2001, § 113 Rn. 68). Dies hat die Klägerin weder vorgetragen noch ergibt sich dies allein aus dem Umstand, dass sie meint, ihr sei ein materieller Schaden entstanden. Zum anderen wären auch weder das Entstehen eines Schadens noch die damit verbundenen Erfolgsaussichten eines etwaigen Amtshaftungsprozesses plausibel dargelegt. Denn weil der Sohn der Klägerin die vierte Klasse bereits zum 01. August 2002 beendet hatte, die Tochter aber erst ein Jahr später eingeschult werden sollte, hätte es, da die Beklagte Horteinrichtungen nur bis zum Abschluss der vierten Klasse anbietet, zu einer gemeinsamen Hortbetreuung der beiden Kinder in Einrichtungen der Beklagten schon gar nicht kommen können.

Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, weil gem. § 188 Satz 2 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben werden und außergerichtliche Kosten gem. § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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