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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 07.10.2004
Aktenzeichen: 3 O 136/03
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BSHG


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
BSHG § 11
BSHG § 76
BSHG § 77
BSHG § 88
1. Zur Begriffsbestimmung und zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Sinne des BSHG.

2. Wird einem Hilfeempfänger ein unverzinstes Darlehen zurückgezahlt, so sind die einzelnen Rückzahlungsbeträge dann kein Einkommen im Sinne von §§ 11, 76 Abs. 1 BSHG, wenn der Hilfeempfänger den hingegebenen Darlehensbetrag angespart und dieser somit bereits zu seinem Vermögen gehört hatte. In diesem Falle hat sich dieser Vermögensbestandteil durch die Hingabe als Darlehen lediglich in eine Darlehensforderung gegen den Darlehensnehmer umgewandelt, so dass sich die Rückzahlung des Darlehens als bloßes Surrogat dieses Vermögenspostens darstellt.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 3 O 136/03

Datum: 07.10.2004

Gründe:

Die statthafte Beschwerde hat Erfolg.

Mit der Beschwerde ist davon auszugehen, dass die Rechtsverfolgung, welche die Kläger mit der von ihnen bei dem Verwaltungsgericht erhobenen Klage beabsichtigen, hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO bietet. Den Klägern wird daher unter Aufhebung des gegenläufigen verwaltungsgerichtlichen Beschlusses Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt. Zudem wird ihnen gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 und 3 ZPO der zu ihrer Vertretung bereite Rechtsanwalt beigeordnet, da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt in dem Klageverfahren erforderlich erscheint.

Gegenstand der Klage ist der angefochtene Einstellungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 14. März 2002 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2002. Hiermit hat der Beklagte seine gegenüber den Klägern erlassenen Bescheide über die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG ab dem 01. November 2001 aufgehoben und zugleich die Rückerstattung von Leistungen, die er den Klägern in dem Zeitraum vom 01. November 2001 bis zum 31. März 2002 gewährt hat, in Höhe von insgesamt 1.697,37 DM angeordnet. Die in dem Bescheid vorgenommene Neuberechnung und Kürzung der den Klägern für den genannten Zeitraum zustehenden Leistungen nach BSHG und den daraus sich ergebenden Rückforderungsanspruch hat der Beklagte darauf gestützt, dass den Klägern - was sich nunmehr herausgestellt habe und ursprünglich nicht berücksichtigt worden sei - in diesem Zeitraum monatlich 320,- DM (= 163,10 €) von ihrem Sohn überwiesen worden sind. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei diesem Betrag um eine Rate zur Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 2.000,- DM handelte, das die Kläger ihrem Sohn im Oktober 2001 zur Verfügung gestellt hatten und das dieser ab November 2001 in monatlichen Raten zurückzahlte. Die Kläger haben dazu bereits im Verwaltungsverfahren wie auch im Klageverfahren vorgetragen, dass der Darlehensbetrag in Höhe von 2.000,- DM noch aus Mitteln der pauschalen Eingliederungshilfe nach § 9 Abs. 2 BVFG stamme, die sie als Spätaussiedler aus der ehemaligen UdSSR im Mai 2000 in Höhe von 6.000,- DM ausbezahlt bekamen.

Der von den Klägern erhobenen Klage sind hinreichende Erfolgsaussichten beizumessen; denn nach der im vorliegenden Verfahren allein gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat der Beklagte - und ihm folgend das Verwaltungsgericht - die streitbefangene Neuberechnung und Rückzahlung von Sozialhilfeleistungen im Ergebnis zu Unrecht darauf gestützt, dass der Betrag in Höhe von 320,- DM (163,10 €), den die Kläger in dem strittigen Zeitraum monatlich von ihrem Sohn erhielten, Einkommen im Sinne von §§ 11 Abs. 1, 76 Abs. 1 BSHG darstellt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich insoweit um (zurückfließendes) Vermögen der Kläger handelte, das nicht von § 76 Abs. 1 BSHG erfasst wird.

Für die Abgrenzung der Begriffe des Einkommens einerseits und des Vermögens andererseits ist zu beachten, dass als Einkommen in § 76 Abs. 1 BSHG grundsätzlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert bezeichnet werden. Im Gegensatz zum Vermögen (§ 88 BSHG), das sich als Inbegriff all dessen darstellt, was einem Rechtsträger schon zusteht, was er bereits hat, ist Einkommen demnach dasjenige, was er (erst/gerade) erhält, was sein Geld oder seine geldwerten Mittel vermehrt. Einkommen ist alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat (BVerwG, Urt. v. 18.2.1999 - 5 C 14.98 -, NJW 1999, 3137 f.; Urt. v. 18.2.1999 - 5 C 16.98 -, NJW 1999, 3210 f.). Mittel, die der Hilfesuchende (erst) in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluss in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die der Hilfesuchende früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der nun aktuellen Bedarfszeit (noch, ggf. auch wieder) vorhanden sind, Vermögen. Dabei ist Bedarfszeit die Zeit, in der der Bedarf besteht und (grundsätzlich rechtzeitig) zu decken ist. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ist in der Regel auf den jeweiligen Kalendermonat als der für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen maßgeblichen Bedarfszeit abzustellen (vgl. ferner zur "Zuflusstheorie": BVerwG, Urteil vom 18.2.1999 - 5 C 35.97 -, BVerwGE 108, 296 = NJW 1999, 3649; Urteil vom 22.4.2004 - 5 C 68.03 -, juris; VGH BW, Urt. v. 1.9.2004 - 12 S 844/04 -, juris).

Da eine auf Geld oder Geldeswert gerichtete (noch nicht erfüllte) Forderung einen wirtschaftlichen Wert darstellt, gehört sie, wenn sie dem Inhaber bereits zusteht, zu seinem Vermögen. Das gilt etwa für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherungen. Denn anderenfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend gilt § 76 BSHG auch nicht für die Auszahlung solcher Forderungen, die als fällige und liquide Forderungen bewusst nicht geltend gemacht, sondern angespart wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.2.1999 - 5 C 35.97 -, a.a.O.).

Nach Maßgabe des Vorstehenden sind auch Zuflüsse an Geld, die im Austausch an die Stelle eines Vermögens oder Vermögensteils treten, kein Einkommen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 1.9.2004, a.a.O.). Sie haben ebenso als Vermögen zu gelten wie dasjenige, dessen Gegenwert sie darstellen (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, BSHG, Stand: 2003, § 76 RdNr. 9). Zum Vermögen im Sinne des § 88 BSHG - und nicht zum Einkommen - gehören nach der neueren obergerichtlichen demnach etwa der Rückkaufswert einer Lebensversicherung (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1997 - 5 C 7.96 -, BVerwGE 106, 105), Leistungen auf Schadensersatz- oder Bereicherungsansprüche, sofern hierdurch lediglich die frühere Vermögenslage wiederhergestellt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 14.98 -, NJW 1999, 3137; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.09.1990 - 6 S 3410/88 -, FEVS 41, 275) sowie Ratenzahlungen, die der geschiedene Ehemann aufgrund gerichtlichen Vergleichs zur Abfindung der Ansprüche auf Zugewinnausgleich nach §§ 1372 ff. BGB vornimmt (vgl. W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl., § 88 RdNr. 19 m.w.N.).

Nichts anderes gilt für den hier interessierenden Fall der Rückerstattung eines einem Dritten zur Verfügung gestellten Darlehens; denn dabei handelt es sich ebenfalls um einen Zufluss an Geld, das im Austausch an die Stelle eines (schon vorher vorhandenen) Vermögensteils tritt, und daher nicht Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG, sondern Vermögen darstellt (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 1.9.2004, a.a.O. unter Hinweis auf Oestreicher/Schelter/Kunz/Decker, a.a.O. § 76 RdNr. 4; Brühl, in: LPK-BSHG, Kommentar, 6. Aufl., § 76 RdNr. 21).

Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die den Klägern im streitbefangenen Zeitraum monatlich zufließenden Darlehensraten in Höhe von 320,- DM (163,10 €) ihrem Vermögen zuzurechnen waren und daher nicht als Einkommen bei der Berechnung der Sozialhilfe berücksichtigt werden durften. Der Wert in Höhe von 2.000,- DM war nämlich bereits Gegenstand ihres Vermögens. Dieser Vermögensbestandteil hat sich durch die Hingabe als Darlehen lediglich in eine Darlehensforderung gegen den Darlehensnehmer umgewandelt, so dass sich die Rückzahlung des Darlehens als bloßes Surrogat dieses Vermögenspostens darstellt. Der Sache nach handelt es sich bei den Darlehensraten um den schlichten Rückfluss bereits vorhandener und deshalb zum Vermögen gehörender Mittel. Der Rückfluss bewirkt wie der Ersatz für etwas, was jemand bereits hatte, keinen Zufluss von Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG, sondern ist - wie das Ersetzte - wiederum unmittelbar Vermögen (vgl. BVerwG, Urt. v. 18.2.1999 - 5 C 14.98 -, a.a.O.).

Das gilt im Hinblick auf die Rückzahlung von Darlehen jedenfalls, soweit es - wie hier allein in Rede stehendend - um den Rückfluss der Darlehenssumme geht. Zwar könnte sich anderes im Hinblick auf etwaige Zinsforderungen und deren Begleichung ergeben. Denn bei privatrechtlichen Forderungen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nur das Recht selbst Vermögen darstellt, während der Ertrag (Zinsen, Dividenden, Ausschüttungen), der mit dem Vermögen erwirtschaftet wird und (erstmals) dem Berechtigten zufließt, als Einkommen zu behandeln ist (vgl. Brühl, in: LPK-BSHG, a.a.O., § 88 RdNr. 9; W.Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, a.a.O., § 88 RdNr. 22). Auf diese Frage kommt es hier jedoch nicht, da es bei den Ratenzahlungen, welche die Kläger erhalten haben, um die bloße Rückzahlung der Darlehenssumme ging und nicht erkennbar ist, dass eine Verzinsung stattgefunden hätte.

Wie sich bereits aus den bisherigen Ausführungen ergibt, kommt es auf die in dem angefochtenen Beschluss erörterte Frage, ob und in welcher Höhe die Darlehenssumme von 2.000,- DM aus der Zuwendung in Höhe von 6.000,- DM stammt, welche die Kläger im Mai 2000 als Eingliederungshilfe für Spätaussiedler erhalten haben, nicht an. Zwar handelte es sich bei dem zuletzt genannten Betrag ursprünglich um einen vermögensmehrenden Zufluss und damit um Einkommen. Dabei spricht jedoch Einiges dafür, dass die Eingliederungshilfe für Spätaussiedler bei der Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens (i.S.v. §§ 11 Abs. 1, 76 Abs. 1 BSHG) gemäß § 77 Abs. 1 BSHG nicht hätte in Ansatz gebracht werden dürfen, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Leistung gehandelt haben dürfte, die einem anderen Zweck als die Sozialhilfe zu dienen bestimmt ist (vgl. Brühl, in: LPK-BSHG, a.a.O., § 77 RdNr. 26; siehe zur Zwecksetzung der Eingliederungshilfe nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BVFG, die als "Ausgleich für den erlittenen Gewahrsam" dient, BVerwG, Urt. v. 3.7.2003 - 5 C 11.02 -, BVerwGE 118, 301 ff.).

Allerdings bedarf auch dies keiner abschließenden Klärung. Denn unabhängig von der Frage, ob die Eingliederungshilfe von 6.000,- DM in dem Bedarfszeitraum des Jahres 2000 als Einkommen berücksichtigungsfähig war, haben die Kläger vorgetragen, einen Teil dieser Mittel (ca. 2000,- DM) in dem relevanten Zeitraum nicht verbraucht, sondern angespart zu haben. Damit sind diese Mittel - unabhängig davon, ob sie ursprünglich als Einkommen berücksichtigungsfähig waren oder nicht - nach Ablauf des Bedarfszeitraums dem Vermögen der Kläger zugewachsen. Gleiches gilt, soweit die im Oktober 2001 ausgereichte Darlehenssumme in Höhe von 2.000,- DM teilweise auch aus Mitteln gestammt haben sollte, die den Klägern aus ihrem sonstigen Einkommen (ggf. auch aus Mitteln der Sozialhilfe oder aus Rentenleistungen) aus vorangegangenen Bedarfszeiträumen verblieben sind und die sie damit ebenfalls erspart haben. Denn auch diese Mittel wären jedenfalls im Oktober 2001 bereits dem Vermögen der Kläger zugewachsen. Mittel, die der Hilfesuchende nämlich früher, wenn auch erst in der vorangehenden Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind soweit sie in der nun aktuellen Bedarfszeit (noch, gegebenenfalls auch wieder) vorhanden sind, dem Vermögen zuzurechnen (BVerwG, Urt. v. 18.2.1999 - 5 C 16.98 -, a.a.O.). Gehörten sie jedoch zum Vermögen, so verloren sie diese Eigenschaft nicht durch ihre Hingabe als Darlehen und stellte auch die Rückzahlung des Darlehensbetrages im hier relevanten Bedarfszeitraum vom 01. November 2001 bis zum 31. März 2002 nur den Rückfluss vorhandenen Vermögens dar.

Die nach alledem zu bejahenden hinreichenden Erfolgsaussichten der erhobenen Klage scheitern schließlich nicht an weiteren Voraussetzungen. Die Kläger haben nämlich zudem dargelegt, dass die in Rede stehenden 2000,- DM bzw. der entsprechende Darlehensrückzahlungsanspruch bei der Berechnung des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt auch nicht als verwertbares Vermögen hätte berücksichtigt werden dürfen. Sie haben sich insoweit darauf berufen, dass der Betrag dem sog. Schonvermögen (hier nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG) zuzuordnen sei bzw. ein (Härte-) Fall im Sinne von § 88 Abs. 3 BSHG vorliege. Obgleich sich mit dieser Frage - aufgrund des gegensätzlichen Rechtsstandpunkts - bislang weder der Beklagte noch das Verwaltungsgericht auseinandergesetzt haben, spricht bei summarischer Prüfung nach Aktenlage mehr dafür, dass ein Fall des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG gegeben ist (vgl. die Freibeträge nach der Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG). Die abschließende Klärung dieser Frage und ihre etwaigen Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ist jedoch nicht Aufgabe des Prozesskostenhilfeverfahrens, sondern dem Klageverfahren vorbehalten.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil Gerichtskosten gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben und außergerichtliche Kosten gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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