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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: 4 L 191/06
Rechtsgebiete: KAG-LSA, VwVfG, AO


Vorschriften:

KAG-LSA § 6
VwVfG § 44
AO § 125
Eine Nacherhebung ist nicht nur rechtlich zulässig, sondern von Gesetzes wegen und nach dem maßgeblichen Satzungsrecht geboten. Ist ein Beitragspflichtiger zu niedrig veranlagt worden, ist der Zweckverband verpflichtet, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung durch Bescheid auch entsprechende Nachforderungen geltend zu machen, um so den bestehenden Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Insoweit steht selbst die Bestandskraft eines vorhergehenden Beitragsbescheides, der seinem Regelungsgehalt nach einen Beitragsanspruch nicht voll ausschöpft, einer Nacherhebung durch einen weiteren (selbständigen) Bescheid nicht entgegen.
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 L 191/06

Datum: 16.11.2006

Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Entgegen der Auffassung des Klägers bestehen an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Es ist in der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt geklärt, dass die grundsätzlich bestehende Verpflichtung eines Zweckverbandes, Anschlussbeiträge für die erforderliche Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung der öffentlichen leitungsgebundenen Einrichtungen nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG-LSA i. V. m. dem entsprechenden Ortsrecht zu erheben, die Verpflichtung einschließt, einen entsprechenden Beitragsanspruch in vollem Umfang geltend zu machen. Eine Nacherhebung ist nicht nur rechtlich zulässig, sondern von Gesetzes wegen und nach dem maßgeblichen Satzungsrecht geboten. Ist ein Beitragspflichtiger zu niedrig veranlagt worden, ist der Zweckverband verpflichtet, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung durch Bescheid auch entsprechende Nachforderungen geltend zu machen, um so den bestehenden Beitragsanspruch voll auszuschöpfen. Insoweit steht selbst die Bestandskraft eines vorhergehenden Beitragsbescheides, der seinem Regelungsgehalt nach einen Beitragsanspruch nicht voll ausschöpft, einer Nacherhebung durch einen weiteren (selbständigen) Bescheid nicht entgegen (OVG LSA, Beschl. v. 26. September 2006 - 4 L 198/06 -, Beschl. v. 1. Juni 2005 - 1 M 196/05 -, JMBl. LSA 2005, 263 f. und Beschl. v. 18. März 2005 - 4 M 701/04 -, zit. nach juris).

1. Der Einwand des Klägers, ein zum Zeitpunkt der erstmaligen Beitragserhebung nicht existenter Zweckverband könne in Ermangelung eines existenten Rechtssubjekts nur im Sinne des § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG LSA a. F. nichtige Maßnahmen begründen, so dass in jedem Falle die im Jahre 1994 gezahlten Beiträge hätten verzinst und auf den geltend gemachten Nacherhebungsanspruch angerechnet werden müssen, geht schon deswegen fehl, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der von dem Kläger angeführten Regelung des § 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG LSA a. F. nicht vorliegen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, regelt diese Vorschrift ausschließlich die Rechtsfolge einer Verletzung der durch § 3 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG LSA a. F. oder einer dieser Vorschrift entsprechenden Zuständigkeitsregelung in einem anderen Gesetz begründeten örtlichen Zuständigkeit, die sich auf das unbewegliche Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis bezieht. Damit ist die Vorschrift eine Sonderregelung, die entgegen der Auffassung des Klägers über ihren engen Wortlaut hinaus weder unmittelbar noch analog - auch nicht auf der Grundlage eines Erst-Recht-Schlusses - auf den Fall übertragbar ist, dass eine (sachliche, örtliche oder funktionelle) Zuständigkeit einer Behörde gesetzlich gar nicht erst begründet worden ist; insoweit verbleibt es bei der Regelung des § 44 Abs. 1 VwVfG LSA a. F. (= § 125 Abs. 1 AO; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 9. Aufl., § 44 RdNr. 38). Der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift, insbesondere das Merkmal der Offenkundigkeit des Fehlers nicht gegeben sind, ist der Kläger nicht substanziiert entgegen getreten. Ein entsprechender Einwand wäre auch erfolglos geblieben, da der von dem im Jahre 1994 noch nicht wirksam gegründeten Beklagten erlassene Beitragsbescheid zwar rechtswidrig, aber mangels eines offenkundigen Verfahrensmangels nicht nichtig ist. Offenkundigkeit i. S. d. § 44 Abs. 1 VwVfG LSA a. F. bedeutet, dass die schwere Fehlerhaftigkeit für einen unvoreingenommenen, verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist, sich also geradezu aufdrängen muss (Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 44 RdNr. 12 m. w. N.). Nichtigkeit ist daher nur dann anzunehmen, wenn die an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen in so erheblichem Maße verletzt werden, dass von niemandem erwartet werden kann, den Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (BVerwG, Urt. v. 17. Oktober 1997 - BVerwG 8 C 1.96 -, zitiert nach juris). Dies kann bei einer sachlichen Zuständigkeitsverletzung nur dann gegeben sein, wenn ein Fall absoluter Unzuständigkeit vorliegt, das heißt mit anderen Worten, die Behörde unter keinen wie auch immer gearteten Umständen mit der Sache befasst sein kann (BVerwG, Urt. v. 16. April 1971 - BVerwG IV C 36.68 -, DÖV 1972, 173; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 44 RdNr. 164 f.). Ein solcher sich aufdrängender Zuständigkeitsmangel liegt hier nicht vor; denn kennzeichnend für den Beklagen ist, dass er im Rechtsverkehr als Zweckverband aufgetreten ist, als solcher auch tatsächlich die kommunalen Einrichtungen der Abwasserbeseitigung im Verbandsgebiet seiner Mitgliedsgemeinden betrieben und gegenüber den Grundstückseigentümern die Aufgaben der Abwasserbeseitigung in den Formen hoheitlichen Handelns - z. B. durch den Erlass von Satzungen und Beitragsbescheiden - wahrgenommen hat, ohne dass für einen Durchschnittsbetrachter die fehlerhafte Verbandsgründung des Beklagten offenkundig war.

Ist mithin von einer Nichtigkeit der Beitragsbescheide aus dem Jahre 1994 nicht auszugehen, bedarf auch die von dem Kläger aufgeworfene Folgefrage, ob die ursprünglichen Zahlungsbeträge auf der Grundlage des § 49a Abs. 3 VwVfG LSA a. F. oder des § 233a AO zu verzinsen sind, keiner Beantwortung. Allerdings weist der Senat darauf hin, dass § 49a Abs. 3 VwVfG LSA a. F. nur Anwendung findet für die Rückforderung von auf Grund eines Verwaltungsakts erbrachten Leistungen gegenüber dem Bürger, aber nicht auf den umgekehrten Fall eines Rückerstattungsanspruchs des Bürgers gegenüber der Verwaltung (vgl. ausdrücklich BT-Dr. 13/1534, S. 6; Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 49a RdNr. 3; Stelkens/Bonk/Sachs, a. a. O., § 49a RdNr. 12). Auch eine Anwendbarkeit des § 233a AO auf den geltend gemachten Verzinsungsanspruch scheidet aus, da diese Vorschrift sich ihrem Wortlaut nach nur auf die Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- oder Gewerbesteuer bezieht. Entgegen der Auffassung des Klägers beinhaltet § 13 Abs. 1 Nr. 5 KAG-LSA auch keine "dynamische Verweisung auf den gesamten 5. Teil des Erhebungsverfahrens in der Abgabenordnung". Vielmehr verweist diese Vorschrift nur auf die Vorschriften der Abgabenordnung, die in § 13 Abs. 1 Nr. 5b) und c) KAG-LSA im Einzelnen aufgeführt sind; hierzu zählt § 233a AO aber nicht.

2. Der vom Kläger erhobene Einwand der Verjährung des Beitragsanspruchs führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung, weil Voraussetzung für den Beginn des Laufs der vierjährigen Verjährungsfrist gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 b KAG-LSA i. V. m. §§ 169, 170 Abs. 1 AO das Entstehen sachlicher Beitragspflichten gemäß § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG-LSA ist. Nach dieser Vorschrift entsteht die Beitragspflicht, wenn ein Beitrag für leitungsgebundene Einrichtungen erhoben wird, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung. In Anwendung dieser Vorschrift hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Beitragspflicht für das klägerische Grundstück frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung des Beklagten am 27. März 2004 entstehen konnte. Für eine Vorverlegung des Entstehenszeitpunkts auf das Gründungsjahr des Beklagten ist angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 6 Abs. 6 Satz 2 KAG-LSA kein Raum.

3. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht schließlich ausgeführt, dass die Nacherhebung nicht verwirkt ist.

Die Verwirkung eines Beitragsanspruchs kann nach den von der Rechtsprechung zur Verwirkung im Abgabenrecht entwickelten Grundsätzen neben anderen Voraussetzungen nur in Betracht kommen, wenn zusätzlich zu einem unangemessenen Zeitablauf die Gemeinde durch ihr Verhalten dem Beitragspflichtigen gegenüber positiv (durch eine Verzichtshandlung oder eine entsprechende Auskunft) zum Ausdruck gebracht hat, dass er den Beitrag nicht (mehr) schulde oder mit einer Heranziehung nicht mehr zu rechnen brauche (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 1. März 2006 - 4 L 275/04 -; Beschl. v. 28. August 2006 - 4 M 179/06 -; Driehaus, NJW-Schriften 42, 2. Aufl., RdNr. 605 mit Nachw. aus der Rspr.). Weiter muss sich der Beitragspflichtige im Vertrauen auf das Verhalten der Gemeinde auf die Nichterhebung des Beitrags eingerichtet und "etwas ins Werk gesetzt haben" (vgl. BVerwG, Urt. v. 18. März 1988 - BVerwG 8 C 92.87 -, BVerwGE 79, 163 ff.). Für das Vorliegen der genannten Voraussetzungen sind aber keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich oder vom Kläger substanziiert geltend gemacht worden. Ohne Erfolg wendet der Kläger ein, der Beitragsanspruch sei deswegen verwirkt, weil der Beklagte erst zehn Jahre nach der bereits erfolgten Zahlung und sieben Jahre nach seiner Heilung einen Nacherhebungsbescheid erlassen habe; denn allein das bloße Nichtgeltendmachen eines Beitragsanspruchs über einen langen Zeitraum ist kein die Verwirkung auslösendes positives Verhalten des Beklagten (vgl. Driehaus, a. a. O, RdNr. 606), wenn der Beklagte - wie hier - während des gesamten beitragsrechtlichen Verfahrens keine Handlung vorgenommen hat, der zu entnehmen gewesen wäre, er nehme von der Geltendmachung seines Beitragsanspruchs Abstand.

4. Soweit der Kläger ernstliche Zweifel an der Frage der richtigen kalkulatorischen Beitragshöhe geltend macht, führt auch dieser Vortrag mangels Substanziierung nicht zu der begehrten Zulassung. Sein Einwand, es sei weder kalkulatorisch nachgewiesen noch plausibel erklärbar, wie es alleine durch Zeitablauf zu einer Verdreifachung der Anschlusskosten habe kommen können, lässt insbesondere nicht erkennen, dass der Beklagte im Rahmen seiner Beitragskalkulation das Aufwandsüberschreitungsverbot nicht beachtet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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