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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 03.04.2007
Aktenzeichen: 4 L 230/06
Rechtsgebiete: LSA-KAG


Vorschriften:

LSA-KAG § 6 Abs. 1
Der Gesichtspunkt der Eigentümeridentität ist bei Hinterliegergrunstücken, die an eine eigene Ausbaustraße angrenzen, nicht ohne weiteres ausreichend, sie durch die ausgebaute Verkehrsanlage als bevorteilt anzusehen (Abweichung von der Rechtsprechung des 2. Senats).
OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT URTEIL

Aktenz.: 4 L 230/06

Datum: 03.04.2007

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung eines Straßenausbaubeitrags für den Ausbau der in der Stadt Bernburg gelegenen C-Straße im Bereich D-Platz bis E-Platz.

Nach Eingang der letzten Unternehmerrechnung am 26. April 2002 setzte die Beklagte mit an den (seinerzeitigen) Eigentümer, ..., gerichtetem Bescheid vom 6. Oktober 2003 für das Grundstück F-Straße 7 (Gemarkung Bernburg, Flur .., Flurstück ..) einen Straßenausbaubeitrag in Höhe von 7.558,38 € fest. Mit Beschluss des Amtsgerichts Bernburg vom 26. Juni 2000 (8 L 4/00) war für dieses Grundstück die Zwangsverwaltung angeordnet und der Kläger zum Zwangsverwalter bestellt worden. Die Zwangsversteigerung erfolgte im Frühjahr 2006.

Das veranlagte Grundstück liegt an der F-Straße. Rückwärtig grenzt es an ein ebenfalls im (seinerzeitigen) Eigentum von ... stehendes, unmittelbar an der C-Straße gelegenes Grundstück (Flur .., Flurstück ..) an, das mit einem Hotel bebaut ist. Das Grundstück F-Straße 7 ist gemeinsam mit dem Nachbargrundstück F-Straße 5 (Flur .., Flurstück ..) mit einer Tiefgarage unterbaut, die der Öffentlichkeit und den Gästen des Hotels zur Verfügung steht. Die Zufahrt zur Tiefgarage erfolgt von der F-Straße aus. Von der Tiefgarage führt über einen Treppenschacht und Gitterrost eine Tür zu den Räumlichkeiten des Hotels. Diese Verbindung dient als Fluchtweg und wird auch von Hotelgästen nicht benutzt.

Gegen den Beitragsbescheid legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, dass das Grundstück F-Straße 7 über die C-Straße nicht erschlossen werde. Es sei auch nicht möglich, das Grundstück F-Straße 7 über die C-Straße zu begehen.

Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2004, der sowohl an den Grundstückseigentümer als auch an den Kläger gerichtet ist, wies die Beklagte den Widerspruch zurück und setzte den Straßenausbaubeitrag nunmehr auf 11.203,16 € fest: Eine Beitragspflicht entstehe bereits dann, wenn die Möglichkeit der Inanspruchnahme der ausgebauten Verkehrsanlage bestehe. Eine Beitragspflicht des Hinterliegergrundstücks F-Straße 7 sei schon deshalb zu bejahen, weil das an die C-Straße unmittelbar angrenzende Hotelgrundstück im selben Eigentum stehe. Im Rahmen einer Vor-Ort-Besichtigung sei die Begehbarkeit des Grundstücks F-Straße 7 von der C-Straße aus und umgekehrt über die Tiefgarage festgestellt worden. Dass eine tatsächliche Begehbarkeit nicht erfolge, sei rechtlich unerheblich. Im Beitragsrecht reiche allein die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten C-Straße über das - im selben Eigentum stehende - Hotelgrundstück aus, um einen beitragsrechtlichen Vorteil anzunehmen. Die Beitragserhöhung ergebe sich durch die Korrektur eines Berechnungsfehlers bei der Verteilungsfläche.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er nicht Adressat des Ausgangsbescheides, sondern lediglich des Widerspruchsbescheides sei. Bei dem Grundstück F-Straße 7 handele es sich im Übrigen nicht um ein bevorteiltes Hinterliegergrundstück. Da das Grundstück an der C-Straße in dem Bereich, wo es an das Grundstück F-Straße 7 angrenze, vollständig überbaut sei, müssten die Mieter die Hotelräumlichkeiten betreten, um zur C-Straße zu gelangen. Zwar gebe es vom Hotel aus einen Durchgang zur Tiefgarage auf dem Grundstück F-Straße 7. Dabei handele es sich allerdings um einen Fluchtweg, der aus brandschutzrechtlichen Gründen geschaffen worden sei. Die Hotelgäste könnten die Tiefgarage nur über die F-Straße betreten.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 aufzuheben.

Die Beklagte hat auf die beitragsrechtlich schon erhebliche Eigentümeridentität von Anlieger- und Hinterliegergrundstück verwiesen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch Urteil vom 31. März 2006 hat das Verwaltungsgericht Dessau die Klage abgewiesen: Die fehlerhafte Bekanntgabe des Beitragsbescheides, der trotz der Anordnung der Zwangsverwaltung an den Grundstückseigentümer gerichtet worden sei, sei durch die Zustellung des Widerspruchsbescheides an den Kläger in seiner Eigenschaft geheilt worden. Die in Rede stehende Veranlagung sei im Übrigen nicht zu beanstanden. Das unter der Zwangsverwaltung des Klägers stehende Grundstück F-Straße 7 sei über das ebenfalls im Eigentum des Vollstreckungsschuldners stehende und an die ausgebaute C-Straße angrenzende Hotelgrundstück als Hinterliegergrundstück von der C-Straße erschlossen. Im Falle einer Eigentümeridentität werde den Hinterliegergrundstücken der Vorteil der Inanspruchnahmemöglichkeit regelmäßig geboten und zwar unabhängig davon, ob eine Zuwegung über das Anliegergrundstück tatsächlich bereits angelegt worden sei oder nicht und ob das Anlieger- und das Hinterliegergrundstück einheitlich genutzt würden oder nicht.

Mit seiner dagegen vom Senat zugelassenen Berufung vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Dessau - 3. Kammer - vom 31. März 2006 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 aufzuheben.

Die Beklagte tritt dem Begehren entgegen und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2004 ist rechtswidrig und verletzt den - in Übereinstimmung mit den vorinstanzlichen Ausführungen als Abgabenpflichtigen in Anspruch genommenen - Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG-LSA erheben die Gemeinden zur Deckung ihres Aufwandes für die erforderliche Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Verbesserung und Erneuerung ihrer Verkehrsanlagen von den Beitragspflichtigen im Sinne des Absatzes 8, denen durch die Inanspruchnahme oder die Möglichkeit der Inanspruchnahme ein Vorteil entsteht, Beiträge, soweit der Aufwand nicht durch Gebühren gedeckt ist und soweit nicht ein privatrechtliches Entgelt gefordert wird.

In Anwendung dieser Bestimmung und auf der Grundlage der Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 12. Februar 1998 hat die Vorinstanz - unter Hinweis u. a. auf die Rechtsprechung des 2. Senats des erkennenden Gerichts (Beschl. v. 29.10.2003 - 2 L 31/02 -) - für das hier veranlagte Hinterliegergrundstück F-Straße 7 eine beitragsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten C-Straße bejaht, weil im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht sowohl das an die abzurechnende C-Straße unmittelbar angrenzende Hotelgrundstück (Flur .., Flurstück ..) als auch das Hinterliegergrundstück im Eigentum des Vollstreckungs- und Beitragsschuldners ... gestanden haben.

Der 2. Senat hat in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten, dass den Hinterliegergrundstücken der Vorteil der Inanspruchnahmemöglichkeit bei Eigentümeridentität regelmäßig geboten wird, und zwar unabhängig davon, ob eine Zuwegung über das Anliegergrundstück tatsächlich bereits angelegt worden ist oder nicht und ob das Anlieger- und das Hinterliegergrundstück einheitlich genutzt werden oder nicht.

Nach Auffassung des inzwischen für das Beitragsrecht zuständigen 4. Senats ist der Gesichtspunkt der Eigentümeridentität jedoch bei Hinterliegergrundstücken, die an eine eigene Anbaustraße (hier: F-Straße) angrenzen, nicht ohne weiteres ausreichend, sie durch die ausgebaute Verkehrsanlage (hier: C-Straße) als bevorteilt anzusehen.

Das Straßenausbaubeitragsrecht ist ausgerichtet auf einen Vorteilsausgleich; Grundstücke sollen sich an diesem Vorteilsausgleich beteiligen, wenn und soweit ihnen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Verkehrsanlage ein nennenswerter Vorteil zuwächst. Das Ausmaß des einem Grundstück vermittelten Vorteils richtet sich nach dem Ausmaß der von ihm aus zu erwartenden (wahrscheinlichen) Inanspruchnahme der ausgebauten Anlage. Je weniger diese Anlage von einem Grundstück erfahrungsgemäß in Anspruch genommen werden wird, desto weniger wertvoll ist für dieses Grundstück die ihm gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Anlage. Ist die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit für ein (Hinterlieger-)Grundstück objektiv wertlos, weil nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, dass von diesem Grundstück aus die ausgebaute Verkehrsanlage in einem relevanten Umfang in Anspruch genommen werden wird, hat dieses Grundstück aus der gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit keinen nennenswerten Vorteil und scheidet deshalb aus dem Kreis der bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigenden Grundstücke aus (Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 401 a; 401i ff.; Stand März 2007).

Hiernach ist vorliegend nicht hinreichend wahrscheinlich, dass eine nennenswerte Inanspruchnahme der abzurechnenden C-Straße über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus erfolgt. Vielmehr ist das (Hinterlieger-)Grundstück eindeutig auf die unmittelbar angrenzende F-Straße ausgerichtet. Eine begehbare Zugangsmöglichkeit zwischen dem Grundstück F-Straße 7, das im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht vorwiegend zu Wohnzwecken genutzt wurde, und dem an die ausgebaute C-Straße angrenzenden, gewerblich als Hotel genutzten Grundstück beschränkt sich auf eine Tür in der Tiefgarage des (unterbauten) Hinterliegergrundstücks, durch die man über einen Treppenschacht und einen (außen gelegenen) Gitterrost zu einer in das Hotelinnere führenden Tür gelangt. Diese - allein über die Hotelräumlichkeiten führende - Verbindung zur C-Straße wird (naturgemäß) weder von den Mietern des Wohngebäudes F-Straße 7 noch von den Nutzern der - auch der Öffentlichkeit zugänglichen - Tiefgarage in Anspruch genommen. Die nach dem Verwaltungsvorgang als Fluchtweg ausgestaltete Verbindung zwischen dem Anlieger- und Hinterliegergrundstück wird im Übrigen auch von den Hotelgästen, die vielmehr über die F-Straße zur Tiefgarage gelangen, nicht genutzt. Eine Zufahrt über das Anliegergrundstück zum Hinterliegergrundstück besteht nicht.

Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen rechtfertigt nach alledem eine Würdigung dieser konkreten Grundstückssituation die Annahme, dass das Grundstück F-Straße 7 durch den Ausbau der C-Straße nicht in einem beitragsrechtlich erheblichen Umfang bevorteilt ist mit der Folge, dass es nicht der Beitragspflicht unterliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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