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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 02.06.2009
Aktenzeichen: 4 L 231/07
Rechtsgebiete: LSA-GO


Vorschriften:

LSA-GO § 25 Abs. 2 S. 5
Die gesetzliche Ausschlussfrist des § 25 Abs. 2 Satz 5 GO LSA greift nicht nur ein, wenn sich ein Bürgerbehren ausdrücklich auf einen Gemeinderatsbeschluss bezieht, sondern bereits dann, wenn es seinem Inhalt nach auf die Korrektur eines Gemeinderatsbeschlusses gerichtet ist bzw. auf die Änderung eines Ratsbeschlusses in wesentlichen Punkten zielt.
Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

1. Entgegen der Auffassung der Kläger bestehen an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das am 10. August und 11. September 2006 eingereichte Bürgerbegehren zu der Frage, "Soll die Stadt W. aus der Gebietsänderungsvereinbarung zur neuen gemeinsamen Stadt A-Stadt austreten, damit die Stadt W. selbständig bleibt?" unzulässig ist, weil das Bürgerbegehren erst nach Ablauf der sechswöchigen Ausschlussfrist des § 25 Abs. 2 Satz 5 GO LSA nach der öffentlichen Bekanntmachung des Gemeinderatsbeschlusses der Beklagten vom 28. September 2005 am 14. bzw. 17. Oktober 2005 eingereicht wurde.

Ohne Erfolg wenden die Kläger dagegen ein, aus der Begründung des Bürgerbegehrens, "die Stadt W. könne sich in selbständiger Eigenverantwortung ihren Zukunftsaufgaben besser stellen", ergebe sich, dass das Bürgerbegehren nicht auf eine Änderung der Beschlüsse des Stadtrates der Beklagten gerichtet sei, sondern auf den Austritt aus dem abgeschlossenen Gebietsänderungsvertrag vom 29. September 2005; denn - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - greift die Ausschlussfrist nicht nur dann ein, wenn sich ein Bürgerbehren ausdrücklich auf einen Gemeinderatsbeschluss bezieht, sondern bereits dann, wenn es seinem Inhalt nach auf die Korrektur eines Gemeinderatsbeschlusses gerichtet ist (VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.06.1990 - 1 F 657/90 -, VBlBW 1990, 460 f.) bzw. auf die Änderung eines Ratsbeschlusses in wesentlichen Punkten zielt (OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 10.10.2003 - 7 B 11392/03 -, zit. nach juris). Dabei kommt es entgegen der Auffassung der Kläger weder auf die Wertung und Begründung des Bürgerbegehrens einerseits und die Motive des Stadtrates andererseits an, sondern auf die mit dem Bürgerbehren verfolgten Ziele; denn nicht anders als vergleichbare Fristbestimmungen für Bürgerbegehren nach den Gemeindeordnungen anderer Bundesländer (etwa § 21 Abs. 3 GO Baden-Württemberg, § 8b Abs. 3 Satz 1 GO Hessen, § 26 Abs. 3 GO Nordrhein-Westfalen) soll die gesetzliche Ausschlussfrist des § 25 Abs. 2 Satz 5 GO LSA im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit vermeiden, dass die Ausführung von Gemeinderatsbeschlüssen in wichtigen Gemeindeangelegenheiten längere Zeit nicht in Angriff genommen werden kann oder - wie hier - gar mit besonderem Aufwand rückgängig gemacht werden muss. Die Regelung dient damit der Effektivität und Sparsamkeit der Gemeindeverwaltung und ist zugleich Ausdruck eines Vorrangs der Entscheidungsbefugnis des Gemeinderats im System der repräsentativen Demokratie (vgl. VGH Baden Württemberg, Urt. v. 14.11.1983 - 1 S 1204/83 -, NVwZ 1985, 288, 289; VGH Hessen, Urt. v. 02.04.2004 - 8 UE 2529/03 -; beide zitiert nach juris).

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass das streitgegenständliche Bürgerbegehren seinem Inhalt nach auf die Korrektur des Stadtratsbeschlusses vom 28. September 2005 gerichtet ist; denn das dem Bürgerbegehren zugrunde liegende Anliegen, die Selbständigkeit der ehemaligen Stadt W. durch einen Austritt aus der Gebietsänderungsvereinbarung wiederherzustellen, steht dem vom Stadtrat beschlossenen Zusammenschluss der Städte Bitterfeld und W. unzweifelhaft entgegen und zieht zwingend eine Rückgängigmachung der ursprünglich getroffenen Entscheidung nach sich.

2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO haben die Kläger nicht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Berufungsentscheidung erhebliche, klärungsfähige und klärungsbedürftige, insbesondere höchst- oder obergerichtlich nicht (hinreichend) geklärte Frage allgemeiner, fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder ihrer Fortentwicklung der berufungsgerichtlichen Klärung bedarf. Die Frage muss so eindeutig bezeichnet sein, dass bereits im Zulassungsverfahren beurteilt werden kann, ob sie in dem anhängigen Rechtsmittelverfahren klärungsbedürftig und -fähig ist (BVerwG, Beschl. v. 14.02.1984 - BVerwG 1 B 10.84 -, Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 102 [S. 75]). Insbesondere muss dargelegt werden, dass die Frage, so, wie sie formuliert worden ist, für die Entscheidung des Rechtsstreits entscheidungserheblich (gewesen) ist (OVG LSA, Beschl. v. 28.04.2006 - 4 L 38/06 -; Beschl. v. 18.02.1998 - A 1 S 134/97 -; Beschl. v. 07.11.2003 - 2 L 10/03 -; zit. nach juris). Diesen Anforderungen wird die Antragsschrift nicht gerecht. Bei den von den Klägern aufgeworfenen Fragen, ob durch die zwischenzeitliche Umsetzung der Gebietsänderungsvereinbarung vom 29. September 2005 die Feststellung der Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens durch die Berufungsinstanz aufgehoben und ob in Würdigung des Abstimmungsergebnisses mit einer Wahlbeteiligung bei dem Bürgerentscheid von 37,9 % der Bürgerwille nochmals in der Rechtsmittelinstanz überprüft werden könne, handelt es sich bereits nicht um solche Fragen, die sich allgemein beantworten lassen. Im Übrigen ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, inwieweit diese Fragen mit Blick auf die von dem Verwaltungsgericht festgestellte Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens wegen Fristablaufs klärungsbedürftig sein sollen. Dies gilt auch, soweit die Kläger aus einer Entscheidung des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 26. Juli 2007 (Az: 9/06, 10/06, 11/06, 12/06, 13/06 u. a.) und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 79, 124, 153) eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache herzuleiten versuchen; denn etwaige Fragen im Zusammenhang mit der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden besonderen Bedeutung der bürgerschaftlichen Mitwirkung in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind für das streitgegenständliche Verfahren nicht klärungsbedürftig, weil das Verwaltungsgericht diese Bedeutung nicht in Frage gestellt, sondern das Bürgerbehren wegen Nichteinhaltung der in § 25 Abs. 2 Satz 5 GO LSA bestimmten Frist als unzulässig erachtet hat.

3. Schließlich haben die Kläger die von ihnen geltend gemachten entscheidungserheblichen besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ebenfalls nicht entsprechend den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt. Sie haben weder aufgezeigt, weshalb die von ihnen benannten Zweifelsfragen zur Auslegung des § 25 Abs. 2 Satz 5 GO LSA überdurchschnittliche Schwierigkeiten machen, d. h. Probleme aufwerfen, die das Verfahren von den in der verwaltungsgerichtlichen Praxis regelmäßig zu entscheidenden Streitsachen abhebt (st. Rspr.; vgl. nur OVG LSA, Beschl. v. 26.10.2005 - 4 L 183/05 -), noch, dass deren Beantwortung entscheidungserheblich ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich in Anlehnung an die erstinstanzliche Wertbestimmung aus § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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