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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 09.08.2006
Aktenzeichen: 4 L 255/06
Rechtsgebiete: KAG LSA, BauGB


Vorschriften:

KAG LSA § 6b I 1
BauGB § 9 I Nr. 15
BauGB § 9 I Nr. 20
BauGB § 123 II
1. Grundsätzlich wird zur Ermittlung der beitragsfähigen Grundstücksfläche im Anschlussbeitragsrecht die gesamte vom Bebauungsplan erfasste Grundstücksfläche als bevorteilt und damit berücksichtigungsfähig angesehen.

2. Baulinien, Baugrenzen, Abstandsflächen und Vorschriften über Anbauverbote, die lediglich auf den Standort der erlaubten baulichen Anlagen Einfluss nehmen, haben keine Auswirkungen.

3. Durch die Festlegungen in einem Bebauungsplan können aber die Gesamtfläche oder auch eine Teilfläche des Grundstücks in einer solchen Weise jeder abwasserrechtlich relevanten Nutzbarkeit entzogen werden, dass für diese Flächen(teile) keine Beitragsfähigkeit mehr gegeben ist. Dies gilt z.B. für die Festlegung einer "öffentlichen Grünfläche" i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB oder für die Grundflächen von anderen Erschließungsanlagen, denen durch eine Festsetzung im Bebauungsplan eine Bebaubarkeit deshalb entzogen ist, weil sie selbst der Erschließung i.S.d. §§ 30 ff. BauGB dienen.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 L 255/06

Datum: 09.08.2006

Gründe:

Der statthafte Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.

Es bestehen an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht die vom Beklagten mit seiner Antragsbegründung ausdrücklich allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Die erhobenen Einwendungen des Beklagten gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Reduzierung der als beitragsfähig anzusehenden Fläche des streitbefangenen Grundstücks von 107.138 m2 auf 28.756 m2 sind nicht durchgreifend.

Gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 der Abwasserbeitragssatzung des Beklagten vom 16. Mai 2002 gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, die insgesamt oder teilweise im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes und mit der Restfläche innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegen, - sofern sie nicht unter Nr. 5 oder Nr. 6 fallen - die Gesamtfläche des Grundstücks, wenn es baulich oder gewerblich nutzbar ist; mit der Restfläche im Außenbereich liegen, - sofern sie nicht unter Nr. 5 oder Nr. 6 fallen - die Fläche im Bereich des Bebauungsplanes, wenn für diese darin eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist.

Aus diesen satzungsrechtlichen Regelungen folgt, dass der Umfang der baulichen oder abgabenrechtlich vergleichbaren Nutzbarkeit des Grundstücks und damit die Bemessung der beitragsfähigen Grundstücksfläche durch den Bebauungsplan bestimmt werden. Es wird daher grundsätzlich - was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist - die gesamte vom Bebauungsplan erfasste Grundstücksfläche als bevorteilt und damit berücksichtigungsfähig angesehen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 10. November 1999 - B 3 S 29/98 -; Driehaus, Kommunalabgabenrecht Bd. III, § 8 Rdnr. 1029; vgl. auch OVG LSA, Urt. v. 23. August 2001 - 1 L 134/01 -). Baulinien, Baugrenzen, Abstandsflächen und Vorschriften über Anbauverbote, die lediglich auf den Standort der erlaubten baulichen Anlagen Einfluss nehmen, haben - was ebenfalls nicht streitig sein dürfte - keine Auswirkungen (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 14. Mai 2002 - 1 M 298/01 -; OVG Niedersachsen, Beschl. v. 9. März 2002 - 9 LA 120/02 -; VGH Bayern, Beschl. v. 20. Juli 2005 - 23 ZB 05.484 -; vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 1. September 2004 - 9 C 15.03 - KStZ 2005, 14, 15). Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten ist aber ebenfalls anerkannt, dass durch die Festlegungen in einem Bebauungsplan die Gesamtfläche oder auch eine Teilfläche des Grundstücks in einer solchen Weise jeder abwasserrechtlich relevanten Nutzbarkeit entzogen werden kann, dass für diese Flächen(teile) keine Beitragsfähigkeit mehr gegeben ist. Dies gilt z.B. für die Festlegung einer "öffentlichen Grünfläche" i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB. Denn selbst wenn die davon nicht betroffene Restfläche des Grundstücks baulich oder in vergleichbarer Weise nutzbar ist, besteht gerade keine einheitliche Nutzbarkeit mit der als "öffentliche Grünfläche" ausgewiesenen Teilfläche (vgl. Driehaus a.a.O. Bd. III § 8 Rdnr. 1029a; Rdnr. 1459; vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urt. v. 29. November 1994 - 8 B 171/94 -, NVwZ 1995, 1215 f.). Entsprechendes gilt für die Grundflächen von anderen Erschließungsanlagen, denen durch eine Festsetzung im Bebauungsplan eine Bebaubarkeit deshalb entzogen ist, weil sie selbst der Erschließung i.S.d. §§ 30 ff. BauGB dienen (vgl. Driehaus, a.a.O. Bd. III, § 8 Rdnr. 1029a; Rdnr. 1459; vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht BVerwG, Urteile v. 23. Oktober 1996 - 8 C 40.95 -, BVerwGE 102, 159, 161 und v. 11. Dezember 1987 - 8 C 85.86 -, BVerwGE 78, 321, 326). Es ist sogar nicht ausgeschlossen, dass durch eine Festsetzung im Bebauungsplan für eine Teilfläche des Grundstücks das Grundstück insgesamt nicht mehr in abwasserrechtlich relevanter Weise genutzt werden kann.

Die Abwasserbeitragssatzung des Beklagten trägt dieser Wirkung planerischer Festsetzungen dadurch Rechnung, dass ausdrücklich auf die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit des Grundstücks bzw. die Festsetzung einer baulichen oder gewerblichen Nutzung des Grundstücks im Bebauungsplan abgestellt wird. Im Übrigen ist - worauf die Klägerin zu Recht verweist - die Berücksichtigung der Einschränkung der Nutzbarkeit des Grundstücks in einem solchen Ausmaß schon durch das im KAG LSA verankerte Vorteilsprinzip geboten.

Auf den vom Beklagten angeführten Grundsatz der "Typengerechtigkeit" kommt es infolge der vorgenommenen Satzungsgestaltung von vornherein nicht an. Darüber hinaus hat der Beklagte mit seiner Angabe, dass "in etwa 80 % der Gesamtfälle gut vertretbare Beitragsveranlagungen durchgeführt" würden, gerade nicht dargelegt, dass die vom Bundesverwaltungsgericht insoweit aufgestellte 10%-Grenze eingehalten wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19. September 1983 - 8 N 1.83 -, NVwZ 1984, 380 f.). Es kann daher offen bleiben, ob die Berufung auf diesen Grundsatz im Rahmen der Ermittlung der beitragsfähigen Grundstücksfläche überhaupt möglich ist.

Die Behauptung, Folge der vom Verwaltungsgericht vertretenen Argumentation sei eine "Nichthandhabbarkeit des Beitragsrechts insgesamt", hat der Beklagte lediglich mit einem Hinweis auf die nach seiner Ansicht dann erforderliche Berücksichtigung von "Baulinien, Baugrenzen, Abstandsflächen etc." belegt. Insoweit wurde aber schon dargelegt, dass solche Einschränkungen lediglich auf den Standort der erlaubten baulichen Anlagen Einfluss nehmen. Sie sind daher nicht mit den vom Verwaltungsgericht ins Auge gefassten Konstellationen vergleichbar.

Mit der Rüge, dass es einem grundlegenden Strukturprinzip des öffentlichen Beitragsrechts entspreche, dass vom Buchgrundstücksbegriff (vgl. § 6b Abs. 1 Satz 1 KAG LSA) auszugehen sei, hat der Beklagte ebenfalls keinen Erfolg. Denn durch das Abstellen auf das Buchgrundstück wird noch nicht die Frage beantwortet, in welchem Umfang das Buchgrundstück durch die Anschlussmöglichkeit bzw. den tatsächlichen Anschluss wirtschaftlich bevorteilt wird.

Soweit der Beklagte auf die Entscheidung des Senats vom 10. März 2006 (- 4 L 250/05 -) abstellt, so sind die darin genannten Grundsätze zur Behandlung von öffentlich-rechtlichen Baubeschränkungen zwar auch in beplanten Gebieten anwendbar (vgl. Driehaus, a.a.O. Bd. III § 8 Rdnr. 1029c; Rdnr. 880; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 7. Mai 2002 - 2 S 519/02 -; vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Urt. v. 3. Februar 1989 - 8 C 66/87 -). Allerdings ist davon die Fallgestaltungen zu unterscheiden, dass für eine Teilfläche des Grundstücks die Bebaubarkeit schlechthin untersagt wird und auch eine einheitliche Nutzbarkeit mit der Restfläche des Grundstücks nicht mehr möglich ist. Es handelt sich dann nicht mehr um eine bei der Flächenermittlung regelmäßig nicht zu berücksichtigende Baubeschränkung.

Von den oben dargelegten Maßstäben ausgehend, hat das Verwaltungsgericht eine Teilfläche von 2.912 m2 für eine über das Grundstück verlaufende Bundesautobahn als Teil einer Erschließungsanlage i.S.d. §§ 123 Abs. 2, 127 Abs. 2 und 4 BauGB und damit nicht als beitragsfähig angesehen. Selbst wenn man annehmen würde, dass eine Bundesautobahn keine Erschließungsanlage ist, weil sie nicht einer Erschließung von Grundstücken eines örtlichen Gebiets dient, sondern in erster Linie eine überörtliche Verbindungsfunktion hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Dezember 1987, a.a.O. S. 325 f. zu einer Bahnlinie), wäre diese Teilfläche des Grundstücks als öffentliche Verkehrsfläche zu qualifizieren. Diese öffentliche Zweckbestimmung kraft einer entsprechenden Festsetzung im Bebauungsplan oder infolge der Widmung der (Teil)Fläche schließt die Annahme aus, der (Teil)Fläche wachse ein die Beitragserhebung rechtfertigender wirtschaftlicher Vorteil zu (so auch für das Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Urteile v. 11. Dezember 1987, a.a.O. S. 329 und v. 16. September 1998 - 8 C 8.97 -, KStZ 1999, 154 f.; vgl. weiter OVG Thüringen, Beschl. v. 9. Januar 2001 - 4 EO 612/00 -, zit. nach JURIS). Soweit sich aus dem Beschluss des für das Anschlussbeitragsrechts bisher zuständigen 1. Senats vom 16. Juni 2004 (- 1 L 418/02 -) etwas Anderes ergeben sollte, hält der nunmehr zuständige Senat daran jedenfalls nicht mehr fest.

Für eine weitere Teilfläche, die im Bebauungsplan als Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft gem. § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB ausgewiesen ist, hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen ausgeführt, warum diese Teilfläche durch die Festsetzung im Bebauungsplan keine abwasserrechtlich relevante Nutzbarkeit aufweist und deshalb nicht beitragsfähig ist. Gegenüber dieser Einschätzung hat der Beklagte aber keine substanziierten Einwendungen erhoben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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