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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 30.11.2006
Aktenzeichen: 4 L 320/06
Rechtsgebiete: KAG LSA, BGB


Vorschriften:

KAG LSA § 5 Abs. 3 S. 1
KAG LSA § 5 Abs. 3 S. 2
KAG LSA § 5 Abs. 3 S. 5
BGB § 139
Die Grundgebührenbemessung steht zu dem Maß der Inanspruchnahme der Vorhalteleistungen in einem offensichtlichen Missverhältnis i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 2 HS 2 KAG LSA, wenn der Steigerung der Höchstlastkapazität des Wasserzählers eine Steigerung der Grundgebührenbelastung gegenüber steht, mit der die Belastung im Verhältnis zur Steigerung des (möglichen) Wasserdurchflusses überproportional um mehr als das Doppelte anwächst.

Die Ungültigkeit eines Teiles einer kommunalen Satzungsbestimmung führt dann nicht zu ihrer Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Teile auch ohne den ungültigen Teil sinnvoll bleiben (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wären (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers).

Eine Vermutung, dass es regelmäßig dem Willen des Satzungsgebers entspricht, dass für den Fall der Unwirksamkeit eines Teils der Satzung die übrige Satzung Geltung behält, besteht nicht, auch nicht im Abwassergebührenrecht.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 L 320/06

Datum: 30.11.2006

Gründe:

Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist teilweise begründet.

1. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, soweit die Klage hinsichtlich der Erhebung von Abwassergebühren für den Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2003 Erfolg hatte.

Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, der für den Zeitraum 1. Oktober bis 31. Dezember 2003 geltende personengebundene Grundgebührenmaßstab sei unwirksam, weil § 3 Abs. 2 der Abwassergebührensatzung des Beklagten vom 4. September 2003 - AGS 2003 - auf die tatsächlichen Verhältnisse vor dem Erhebungszeitraum abstelle, begegnet Bedenken. Nach § 5 Abs. 3 KAG LSA erfolgt die Bemessung der Gebühren unter Berücksichtigung von Art und Umfang der Inanspruchnahme der Einrichtung (Satz 1). Sie kann nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab erfolgen; seine Anwendung darf nicht dazu führen, dass die Gebühr in einem offensichtlichen Missverhältnis zu der damit abgegoltenen Leistung steht (Satz 2). Es ist aber fraglich, ob die vom Beklagten mit § 3 Abs. 2 AGS 2003 angenommene Wahrscheinlichkeit, dass die Anzahl der "zum 30.06. des Vorjahres auf diesem Grundstück/Wohnung mit Wohnsitz gemeldeten Personen" der Anzahl der gemeldeten Personen im Erhebungszeitraum entsprechen werde, so fernliegend ist, dass damit § 5 Abs. 3 Satz 2 KAG LSA verletzt ist. So ist in Literatur und Rechtsprechung jedenfalls hinsichtlich der Erhebung von an den Frischwasserverbrauch gekoppelten verbrauchsabhängigen Leistungsgebühren anerkannt, dass der Verbrauch aus dem Vorjahr, möglicherweise sogar aus dem Vorvorjahr, zugrunde gelegt werden darf und mögliche dadurch entstehende Benachteiligungen - auf die das Verwaltungsgericht ebenfalls verwiesen hat - über die Anwendung der einschlägigen Billigkeitsregelungen ausgeglichen werden könnten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 19. Januar 1970 - II A 1218/68 -, ZMR 1970, 342, 343; OVG Niedersachsen, Urt. v. 11. Mai 1999 - 9 L 3634/98 -, Nds. Rpfl. 1999, 372, 373; Driehaus, Kommunalabgabenrecht Bd. 1, § 6 Rdnr. 372; Bd. 2, § 6 Rdnr. 757 jeweils m.w.N.; vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 15. Januar 2003 - 1 M 480/02 -, NVwZ-RR 2003, 525).

Soweit das Verwaltungsgericht offen gelassen hat, welche Auswirkungen eine (Teil)Rechtswidrigkeit des § 2 Abs. 2 AGS 2003 (vgl. dazu auch OVG LSA, Beschl. v. 8. September 2006 - 4 L 346/06 -) sowie eine mögliche Unbestimmtheit des § 3 Abs. 2 AGS 2003 haben könnten, ist dem im Berufungsverfahren nachzugehen. Entsprechendes gilt für die Frage, ob die Heranziehung des Verbrauchs im Erhebungszeitraum für die Mengengebühr gem. § 4 Abs. 2 AGS 2003 zu einer abweichenden Einschätzung hinsichtlich des für die Grundgebühr angewandten Maßstabes führt.

2. Soweit der Klage hinsichtlich der Erhebung von Abwassergebühren für den Zeitraum 1. Januar bis 30. September 2003 stattgegeben wurde, bestehen entgegen der Auffassung des Beklagten an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

a) Zu Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass den Anforderungen des § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 KAG LSA, die auch für die Bemessung von verbrauchsunabhängigen Grundgebühren i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 5 KAG LSA gelten (OVG LSA, Urt. v. 1. April 2004 - 1 K 93/03 -), die im Verhältnis zur Steigerung der Durchflussmenge überproportional ansteigenden Grundgebührensätze (vgl. dazu OVG LSA, Urt. v. 19. Mai 2005 - 1 L 264/03 -; OVG Thüringen, Urt. v. 12. Dezember 2001 - 4 N 595/94 -, zit. nach JURIS; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 25. Oktober 2001 - 9 BN 4/01 -, NVwZ-RR 2003, 300) in der Abwassergebührensatzung des Beklagten vom 12. Februar 1998 - AGS 1998 - nicht gerecht wurden.

Die Grundgebühr, die nach dem Nenndurchfluss des Wasserzählers gestaffelt war, betrug gem. § 4 Abs. 2 AGS 1998 je nach Durchflussmenge bei Qn 2,5 im Monat 20,- DM (Buchst. a), bei Qn 6 im Monat 80,- DM (Buchst. b) und bei mehr als Qn 6 im Monat 120,- DM. Nach den vom Beklagten im Antragsverfahren vorgelegten Unterlagen stand einer möglichen Dauerbelastung von 5 m³/h bei einem Wasserzähler mit einer Nenngröße von 2,5 Qn eine Höchstlastkapazität von 12 m³/h bei einem Wasserzähler von 6 Qn gegenüber. Die Leistungssteigerung betrug also zwischen diesen beiden Gruppen 140 %, während die Gebührensteigerung 300 % betrug. Die Grundgebührenbemessung stand damit zu dem Maß der Inanspruchnahme der Vorhalteleistungen in einem offensichtlichen Missverhältnis i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 2 HS 2 KAG LSA, weil der Steigerung der Höchstlastkapazität des Wasserzählers eine Steigerung der Grundgebührenbelastung gegenüber stand, mit der die Belastung im Verhältnis zur Steigerung des (möglichen) Wasserdurchflusses überproportional um mehr als das Doppelte anwuchs. Dieses Missverhältnis war - wenigstens für diese beiden Gruppen von Wasserzählern - entgegen der Darlegung des Beklagten sogar noch größer als in der Fallgestaltung, die der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Mai 2005 zugrunde lag.

Der Einwand des Beklagten, es könnten "zwischenzeitlich auch Mehrfamilienhäuser, in denen 20 und mehr Personen wohnen, mit einem Wasserzähler Qn 2,5 ausgestattet werden" und aus Gründen der Kostenminimierung seien "zwischenzeitlich in rund 98 % der Fälle Wasserzähler mit der Größe Qn 2,5 eingebaut", ist nicht durchgreifend. Soweit er dazu weiter geltend macht, es könne "nicht unbedingt von der Größe des Wasserzählers auf den Wasserverbrauch und damit auf den Abwasserverbrauch geschlossen werden", lässt er außer Betracht, dass es im Rahmen der Erhebung der verbrauchsunabhängigen Grundgebühr auf die abrufbare Arbeitsleistung als Anhalt für die vorzuhaltende Höchstlastkapazität ankommt und nicht auf den tatsächlichen Abwasseranfall. Auch sein Vortrag, es dürfte sich durch den vermehrten Einsatz von Wasserzählern der Größe Qn 2,5 "faktisch eine Verschiebung der durchschnittlichen Höchstbelastungswerte ergeben", hat danach keinen Erfolg. Wie oben dargelegt ist Ansatzpunkt jeweils der Höchstbelastungswert des Zählers und nicht ein Durchschnittswert.

b) Die Unwirksamkeit des Grundgebührenmaßstabes führt mit dem Verwaltungsgericht auch zur Nichtigkeit des die Mengengebühr (verbrauchsabhängige Leistungsgebühr) betreffenden Teils der Gebührensatzung.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 1. August 2001 - 4 B 23.01 -, zit. nach JURIS m.w.N.) führt die Ungültigkeit eines Teiles einer kommunalen Satzungsbestimmung dann nicht zu ihrer Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Teile auch ohne den ungültigen Teil sinnvoll bleiben (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wären (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers). Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, warum ein solcher hypothetischer Wille des Beklagten hinsichtlich der Grundgebührenregelung nicht anzunehmen sei, sondern dass dieser von einem in sich geschlossenen Satzungsgefüge aus Grund- und Leistungsgebühr ausgegangen sei.

Auf die vom Verwaltungsgericht genannten Anhaltspunkte zu dessen (hypothetischen) Willen geht der Beklagte schon nicht ein, sondern beschränkt sich auf die Feststellung, dass es regelmäßig dem Willen des Satzungsgebers entspreche, dass für den Fall der Unwirksamkeit eines Teils der Satzung die übrige Satzung Geltung behalte. Eine solche Regelvermutung besteht jedoch gerade nicht, auch nicht im Abwassergebührenrecht (vgl. dazu OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 15. März 2006 - 2 LB 9/05 - und Entsch. v. 24. November 1999 - 2 K 19/97 - jeweils zit. nach JURIS; OVG Thüringen, Beschl. v. 26. September 2005 - 4 EO 817/03 -, zit. nach JURIS und Urt. v. 12. Dezember 2001, a.a.O.; Driehaus, Kommunalabgabenrecht Bd. 1, § 6 Rdnr. 265; Bd. 2, § 6 Rdnr. 755c a.E.). Dass der Beklagte bei Annahme einer Teilnichtigkeit befugt wäre, den nichtigen Teil der Satzung rückwirkend zu heilen, ist für die Auslegung seines (hypothetischen) Willens ohne Bedeutung. Soweit der Beklagte auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. Mai 2005 verweist, ist festzuhalten, dass diese Entscheidung nur die (isolierte) Aufhebung der Grundgebühr durch die Vorinstanz betraf und damit die Leistungsgebühr im Berufungsverfahren nicht mehr streitbefangen war. Zudem betraf das Urteil die Satzungsregelung eines anderen Verbandes. Dies gilt auch für die vom Beklagten weiter benannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Halle, die sich darüber hinaus nicht ausdrücklich zu der Problematik der Teil/Gesamtnichtigkeit äußern.

Die vorläufige Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 2 Satz 1, 63 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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