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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 29.07.2009
Aktenzeichen: 4 L 345/08 (1)
Rechtsgebiete: KAG LSA


Vorschriften:

KAG LSA § 6c Abs. 2
KAG LSA § 6c Abs. 2 S. 1
Der Regelungsgehalt des Merkmals "tatsächliche Nutzung" in § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 besteht darin, dass eine Abgrenzung zu dem Begriff der "zulässigen Nutzung" erreicht wird und daher geprüft werden muss, ob die tatsächliche Nutzung mit der bau(planungs)rechtlichen Einordnung des Grundstücks bzw. der darauf errichteten Gebäude übereinstimmt. Für den Vergleich zwischen zur Wohnnutzung dienenden Flächen und den zu einer anderen Nutzung dienenden Flächen eines Grundstücks sollen also nur Flächen einbezogen werden, auf denen eine Nutzung auch verwirklicht worden ist, d.h. Flächen, die für eine konkrete Nutzung bestimmt und geeignet sind. Brachliegende Flächen, die (noch) keiner Nutzung zugeführt sind (z.B. Gebäude im Rohbau) oder nicht (mehr) nutzbare Flächen (z.B. unbewohnbare Räume) sind nicht zu berücksichtigen. (Änderung der bisherigen Rechtsprechung des 1. Senats).

Im Anschluss an die Ermittlung der zur Wohnnutzung dienenden Flächen und der zu einer anderen Nutzung dienenden Flächen eines Grundstücks ist anhand einer wertenden Betrachtung festzustellen, welcher Nutzung das Grundstück vorwiegend dient.

Ohne dass dies abschließend geklärt werden muss, spricht Überwiegendes dafür, dass das Tatbestandsmerkmal "dienen werden" in § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 mangels hinreichender Bestimmtheit unanwendbar und die Regelung damit insoweit (teil)nichtig ist (vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. A., § 39 Rdnr. 16).


Tatbestand:

Die Klägerin ist Miteigentümerin eines 5.980 m2 großen Grundstücks in C-Stadt. Nach dem Protokoll eines durch Mitarbeiter des Beklagten am 28. Juli 2006 durchgeführten Ortstermins befanden sich darauf ein Hauptgebäude mit einem als unfertigem Rohbau beschriebenen Anbau, ein altes Kirchengebäude, die ehemalige Toilettenanlage für die Kirche sowie ein Trafohäuschen und ein Schuppen. Hauptgebäude und Anbau umfassten jeweils 200 m2 Grundfläche und bestanden aus zwei Vollgeschossen sowie einem Dachgeschoss. Nur das Obergeschoss des Hauptgebäudes wurde bewohnt. Das Erdgeschoss des Hauptgebäudes bestand aus einem ehemaligen Gastraum und einer alten Toilettenanlage. Das Kirchengebäude mit ca. 250 m2 Grundfläche und die ehemalige Toilettenanlage wurden als Lagerräume von Futtermittel für private Kleintierhaltung auf dem Grundstück genutzt. Mit Bescheid vom 4. August 2006 setzte der Beklagte nach Anhörung der Klägerin für das Grundstück einen Beitrag für die Herstellung der zentralen öffentlichen Schmutzwasseranlage in Höhe von 22.963,20 € fest, wobei er die gesamte Fläche des Grundstücks als beitragspflichtige Fläche zugrunde legte. Nach Ablehnung ihres Widerspruchs durch Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 5. Oktober 2006 hat die Klägerin fristgerecht beim Verwaltungsgericht Halle die Beitragsfestsetzung angefochten, soweit sie einen Betrag von 10.722,82 € übersteigt, und vorgetragen, es hätte die Billigkeitsregelung für übergroße Wohngrundstücke angewendet werden müssen.

Das Verwaltungsgericht Halle hat der Klage mit Urteil vom 15. Juli 2008 stattgegeben. Das Grundstück diene i.S.d. § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA nach der tatsächlichen Nutzung vorwiegend Wohnzwecken. Da eine Wohnnutzung typischerweise in Gebäuden stattfinde, sei insoweit zunächst auf die jeweils vorhandenen Gebäudeflächen abzuheben und zu prüfen, ob diese mehrheitlich Wohnzwecken oder anderen Zwecken dienten. Soweit die Gebäudeflächen teilweise zu Wohnzwecken genutzt würden und teilweise leer stünden, komme es nicht darauf an, ob die leer stehenden Flächen größer seien als die zu Wohnzwecken genutzten. Vielmehr komme es nach dem Wortlaut der Regelung darauf an, welche tatsächliche Nutzung überwiege. Als tatsächliche Nutzung in diesem Sinne komme beispielsweise eine Nutzung zu Wohnzwecken oder eine gewerbliche Nutzung in Betracht, nicht aber eine "Nichtnutzung" durch Leerstand. Zwar treffe es zu, dass ein Grundstück dann nicht überwiegend zu Wohnzwecken genutzt werde, wenn es nur mit leer stehenden Wohngebäuden bebaut sei. Davon sei aber der hier gegebene Fall abzugrenzen. Wenn ein überwiegend leer stehendes Gebäude zum Teil bewohnt werde, überwiege die Wohnnutzung, denn eine andere Nutzung sei nicht zu verzeichnen. Werde ein Teil der Gebäudefläche tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt und sei auf der übrigen Gebäudefläche nur Leerstand zu verzeichnen, stelle diese "Nichtnutzung" die Prägung der Grundstücksnutzung durch Wohnen nicht in Frage.

Der Beklagte hat fristgerecht die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung erhoben und macht geltend, das Urteil weiche von der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts ab. Danach sei hinsichtlich der bestehenden Gebäudeflächen auch der Leerstand in die Gesamtbilanz der Flächennutzung mit einzubeziehen. Leer stehende Wohnungen dienten aber nach der tatsächlichen Nutzung nicht zu Wohnzwecken, sondern es handele sich insoweit um eine sonstige Nutzung im Sinne des Gesetzes. Auch sei die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Differenzierung für den Fall, dass ein Gebäude insgesamt leer stehe, nicht nachvollziehbar und mit Art. 3 GG nicht zu vereinbaren. Es sei konsequent, bei der Gesamtbetrachtung der überwiegenden Nutzung eines Gebäudes auch die leer stehenden Wohnungen mit in Betracht zu ziehen. Die bestehende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts entspreche der Gesetzessystematik. Der Wortlaut des Gesetzes stehe dem nicht entgegen. Es sei nach der tatsächlichen Nutzung eben von einer aktuellen "Nichtnutzung" auszugehen. Auch sei zu beachten, dass es sich bei der Billigkeitsvorschrift des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA nach der Rechtsprechung um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift handele. Das frühere Kirchengebäude, das leer stehe, sei von ihm bei der Bewertung, ob das Grundstück überwiegend zu Wohnzwecken genutzt werde, mit berücksichtigt worden.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 4. Kammer - vom 15. Juli 2008 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, maßgeblich sei insbesondere der Wille des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber habe mit § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA Eigentümer von übergroßen Grundstücken, welche tatsächlich vorwiegend zu Wohnzwecken und nicht zu gewerblichen oder landwirtschaftlichen Zwecken genutzt würden, vor ungerechtfertigt hohen Belastungen schützen wollen. Dieser Intention könne nur dadurch Rechnung getragen werden, dass tatsächlich leer stehende Gebäudeflächen bei der Beurteilung, ob ein Gebäude überwiegend zu Wohnzwecken genutzt werde, nicht berücksichtigt würden. Auch aus der Sicht der Gemeinschaft der Beitragszahler führe die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung zu gerechten Ergebnissen. Derjenige, der sein übergroßes Grundstück tatsächlich überwiegend nur zu Wohnzwecken nutze, solle im Verhältnis aller nicht für die oft zufällige Größe seines Grundstücks bestraft werden, wenn er daraus keinen wirtschaftlichen Nutzen ziehe. Auch im Verhältnis zu anderen Grundstückseigentümern, für welche die Regelung zur Geltung komme, sei die hier begehrte Auslegung gerecht. Es bleibe jedem Grundstückseigentümer unbenommen, zukünftig sein Grundstück anderweitig zu nutzen. Der Anbau am Hauptgebäude solle nach Fertigstellung zu Wohnzwecken genutzt werden und stehe derzeit leer.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.

Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der Bescheid des Beklagten vom 4. August 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 2006 ist - soweit er angefochten worden ist - rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten handelte es sich bei dem streitbefangenen Grundstück zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21. Juli 2008 - 4 M 255/07 -; Beschl. v. 23. November 2007 - 4 L 273/07 -; Urt. v. 23. März 2006 - 4 L 281/05 -, jeweils zit. nach JURIS m.w.N.) um ein übergroßes Wohngrundstück i.S.d. § 6c Abs. 2 Satz 1 i.d.F. des Gesetzes vom 18. November 2005 - KAG LSA 2005 - i.V.m. § 11 Abs. 1 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung des Beklagten vom 21. Mai 2001 i.d.F. der 2. Änderungssatzung vom 15. Juni 2005 - ABS 2001 -.

Gemäß § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005, auf den § 11 Abs. 1 ABS 2001 Bezug nimmt, sind übergroße Wohngrundstücke, die nach der tatsächlichen Nutzung vorwiegend Wohnzwecken dienen oder dienen werden, nur begrenzt zu veranlagen oder heranzuziehen.

Die Regelung enthält damit - wie sich aus § 6c Abs. 2 Satz 2 und 3 KAG LSA 2005 und auch der Vorgängervorschrift des § 6c Abs. 1 Satz 2 KAG LSA i.d.F. der Bekanntmachung vom 13. Dezember 1996 ergibt - eine Definition der Wohngrundstücke i.S.d. § 6c Abs. 2 KAG LSA 2005. Darunter fallen alle Grundstücke, die nach der tatsächlichen Nutzung vorwiegend Wohnzwecken dienen oder dienen werden.

Aus dem Begriff "vorwiegend" ergibt sich zunächst, dass die Nutzung zu Wohnzwecken überwiegen muss (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23. März 2006 - 4 L 281/05 -, zit. nach JURIS; vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. A., § 39 Rdnr. 15). Weiterhin ist im Rahmen des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 zur Abgrenzung des Wohnens ("Wohnzwecken") von anderen Nutzungsformen auf das Bau(planungs)recht abzustellen; u. a. sind die einschlägigen Regelungen der Baunutzungsverordnung heranzuziehen (OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23. März 2006, a.a.O.; vgl. hierzu auch BVerwG, Beschl. v. 28. März 2007 - 10 B 43/06 -, zit. nach JURIS).

Soweit in der Norm weiterhin auf die "tatsächliche Nutzung" abgestellt wird, bezieht sich dieser Begriff nicht nur auf zu Wohnzwecken dienende Flächen und führt im Gegensatz zur Rechtsprechung des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (vgl. Urt. v. 25. Mai 2005 - 1 L 21/03 -, zit. nach JURIS; Urt. v. 27. Februar 2004 - 1 L 3/03 -; vgl. auch Beschl. v. 6. September 2002 - 1 M 44/02 -; Beschl. v. 20. Dezember 2004 - 1 L 131/03 -, zit. nach JURIS; vgl. weiter Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. A., § 39 Rdnr. 14, 15; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 1068b) nicht dazu, dass leer stehende Wohnflächen wie zu anderen Zwecken genutzte Flächen behandelt werden. Dieser Auslegung steht schon entgegen, dass nach dem Wortlaut des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 Anknüpfungspunkt für den Begriff "tatsächliche Nutzung" das gesamte Grundstück ist und die Norm ein Überwiegen der Wohnnutzung gegenüber anderen Nutzungsformen verlangt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass leer stehende Wohnflächen nach der tatsächlichen Nutzung nicht zu Wohnzwecken dienen, dienen sie jedenfalls auch nicht zu anderen Zwecken. Eine solche Nichtnutzung wäre - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist - das Gegenteil von Nutzung und hätte daher außer Betracht zu bleiben (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 12. Juni 2003 - 3 C 19/02 -, VIZ 2004, 26 f. zu Art. 22 Abs. 4 Satz 1 EV i.V.m. § 1 a Abs. 4 Satz 2 VZOG).

Nach dem Tatbestandsmerkmal "tatsächliche Nutzung" kommt es aber auch nicht - wovon das Verwaltungsgericht ausgeht - darauf an, welche Nutzungen zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt auf dem Grundstück tatsächlich ausgeübt werden. Während eine solche Auslegung nach dem Gesetzeswortlaut nahe liegt, steht dem Sinn und Zweck der Regelung entgegen. Der Zweck des § 6c Abs. 2 KAG LSA, der im Anschluss- und Ausbaubeitragsrecht gleichermaßen Anwendung findet, besteht darin, der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass das Maß, in dem einem Grundstück ein Vorteil i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsteht, ab einer bestimmten Grundstücksgröße nicht mehr proportional zur Grundstücksfläche zunimmt. Der Landesgesetzgeber beschränkte den Anwendungsbereich in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die der (vorwiegenden) Wohnnutzung dienenden Grundstücke, weil er einerseits der verbreiteten Großflächigkeit solcher Grundstücke, die historisch bedingt ist, Rechnung tragen wollte, und andererseits davon ausging, dass andere Nutzungsarten - insbesondere die Industrie- und Gewerbenutzung - in der Regel stets einen mit der Grundstücksgröße proportional zunehmenden Vorteil erlangen. § 6c Abs. 2 KAG LSA soll daher als Billigkeitsregelung grundsätzlich die Wohnnutzung privilegieren und differenziert in pauschalierender Weise zwischen dieser Nutzung und den anderen Nutzungsarten (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23. März 2006, a.a.O.; Urt. v. 6. Mai 2003 - 1 L 498/02 -, zit. nach JURIS; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 28. März 2007, a.a.O.). Eine Reduzierung des Anwendungsbereiches auf die tatsächlich ausgeübte Nutzung, bei der Wohnnutzung also auf das im eigentlichen Sinn tatsächliche Bewohnen, unterläuft jedoch diese Zweckbestimmung. Es gibt im Rahmen einer solchen für sämtliche Beitragsarten geltenden Billigkeitsregelung, welche die Wohnnutzung privilegiert, keinen durchschlagenden sachlichen Grund, Grundstücke mit Wohnhäusern, die - was aus den verschiedensten Gründen vorkommen kann - leer stehen, gegenüber Grundstücken mit bewohnten Wohnhäusern zu benachteiligen. Denn privilegiert werden soll angesichts der unterschiedlichen Vorteile durch die in Rede stehenden Beitragstatbestände die Wohnnutzung eines Grundstücks in einem weiteren Sinne, d.h. die Ausgestaltung eines Grundstücks als vorwiegend zum Wohnen und nicht zu anderen Zwecken dienend. Anhaltspunkte dafür, dass allein die Ausübung der Wohnnutzung, d.h. das (tatsächliche) Bewohnen eines Grundstücks, Anknüpfungspunkt für diese Billigkeitsregelung sein soll, bestehen nicht. Dagegen spricht auch, dass es dann möglicherweise von Zufälligkeiten abhängt - nämlich dem Ein- oder Auszug von Bewohnern vor oder nach dem Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung -, ob Grundstücke als Wohngrundstücke einzustufen sind. Zudem handelt es sich bei § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA angesichts der Massenerscheinungen im Abgabenrecht um eine typisierende Regelung, die dementsprechend vor allem praktikabel ausgestaltet sein muss.

Der Regelungsgehalt des Merkmals "tatsächliche Nutzung" besteht vielmehr darin, dass eine Abgrenzung zu dem Begriff der "zulässigen Nutzung" erreicht wird und daher geprüft werden muss, ob die tatsächliche Nutzung mit der bau(planungs)rechtlichen Einordnung des Grundstücks bzw. der darauf errichteten Gebäude übereinstimmt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23. März 2006, a.a.O.). Für den Vergleich zwischen zur Wohnnutzung dienenden Flächen und den zu einer anderen Nutzung dienenden Flächen eines Grundstücks sollen also nur Flächen einbezogen werden, auf denen eine Nutzung auch verwirklicht worden ist, d.h. Flächen, die für eine konkrete Nutzung bestimmt und geeignet sind. Brachliegende Flächen, die (noch) keiner Nutzung zugeführt sind (z.B. Gebäude im Rohbau) oder nicht (mehr) nutzbare Flächen (z.B. unbewohnbare Räume) sind nicht zu berücksichtigen. Sollte auf Flächen eine schon einmal verwirklichte Nutzung seit einem längeren Zeitraum nicht mehr ausgeübt werden und daher fraglich sein, ob diese Flächen für diese Nutzung überhaupt noch bestimmt und geeignet sind, sind sie bei dem Vergleich außen vor zu lassen. Danach sind also grundsätzlich sowohl Grundstücke mit einem Mehrfamilienhaus, in dem nur eine von mehreren (bewohnbaren) Wohnungen bewohnt wird, als auch Grundstücke mit einem Mehrfamilienhaus, in dem keine von mehreren (bewohnbaren) Wohnungen bewohnt wird, als Wohngrundstücke i.S.d. § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 anzusehen.

Diese dem Wortlaut des Gesetzes in (noch) hinreichender Weise zu entnehmende Auslegung entspricht auch der Systematik des § 6c KAG LSA 2005. Denn § 6c Abs. 1 KAG LSA 2005 enthält demgegenüber eine Billigkeitsregelung für Grundstücke, die bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen, aber weder bebaut sind noch gewerblich genutzt werden (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. A., § 39 Rdnr. 11).

Legt man diesen Regelungsgehalt des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 zugrunde, diente das klägerische Grundstück im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung am 5. Oktober 2006 nach seiner tatsächlichen Nutzung überwiegend Wohnzwecken. Auszugehen ist von den Verhältnissen, wie sie in dem Protokoll zur Besichtigung des Grundstücks am 28. Juli 2006 beschrieben sind. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass in der etwas über zwei Monate dauernden Zwischenzeit eine Veränderung stattgefunden hat.

Im Anschluss an die Ermittlung der zur Wohnnutzung dienenden Flächen und der zu einer anderen Nutzung dienenden Flächen eines Grundstücks ist anhand einer wertenden Betrachtung festzustellen, welcher Nutzung das Grundstück vorwiegend dient. Zwar sind neben der Bebauung grundsätzlich auch die Freiflächen mit einzubeziehen, jedoch erhält ein Grundstück seine maßgebliche Prägung durch seine Bebauung, wobei die Ermittlung der vorwiegenden Nutzungsart nicht lediglich anhand eines schematischen Flächenvergleichs vorzunehmen ist. Wird ein Gebäude nicht ausschließlich zu Wohnzwecken, sondern daneben teilweise auch zu anderen Zwecken genutzt, so ist die Frage, welcher Nutzungsart das Grundstück vorwiegend dient, anhand einer Gewichtung und Bewertung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, die für einen verständigen Betrachter ausschlaggebend sind, um die Nutzungsart nach ihrem Schwerpunkt typisierend zu umschreiben. Allerdings kommt die Annahme einer überwiegenden Wohnnutzung grundsätzlich nicht in Betracht, wenn bereits bei einer Gegenüberstellung der unterschiedlichen Nutzungsarten eines auf einem Grundstück befindlichen Gebäudes die Wohnzwecken dienenden Flächen nicht überwiegen. Denn für die Feststellung, ob ein Grundstück nach der tatsächlichen Nutzung überwiegend Wohnzwecken dient, ist eine Erfassung der auf die verschiedenen Nutzungsarten entfallenden Gebäudeflächenanteile ein erster gewichtiger Anhaltspunkt (so auch OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 27. Februar 2004 - 1 L 3/03 -).

Nach diesen Maßstäben wurde das Hauptgebäude in einer Größe von 200 m2 zu Wohnzwecken genutzt, während eine anderweitige Nutzung auf dem klägerischen Grundstück nicht vorlag. Denn die Flächen in dem Anbau, der in dem Protokoll als "unfertiger Rohbau" beschrieben wurde, waren noch für keine Nutzung bestimmt und geeignet, während das Erdgeschoss des Hauptgebäudes - nach dem Protokoll ein ehemaliger Gastraum und eine alte Toilettenanlage - nicht mehr nutzbar war. Selbst wenn man diese Erdgeschossräumlichkeiten als (noch) zu gewerblichen Zwecken genutzt ansähe, würde im Übrigen die Wohnnutzung auf dem Grundstück überwiegen. Zusätzlich müssen nämlich die Flächen des Kirchengebäudes und der ehemaligen Toilettenanlage der Kirche sowie die Freiflächen jedenfalls zu einem bestimmten Anteil der Wohnnutzung zugerechnet werden. Die Tierhaltung auf dem Grundstück erfolgte unstreitig rein privat und in dem Kirchengebäude und dessen ehemaliger Toilettenanlage wurden Futter für diese Tierhaltung gelagert. Auch diese Flächen dürfen bei der gewichtenden Bewertung aller Umstände des Einzelfalles nicht unberücksichtigt bleiben. Angesichts der Größe der in Rede stehenden Flächen wäre also nach den Umständen des Einzelfalles auch dann die Wohnnutzung als überwiegende Nutzungsart des Grundstücks anzusehen.

Das klägerische Grundstück war daher in Anwendung der Vorgaben des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 ABS 2001 in einer Größe von 1.248 m2 in voller Höhe, in einer Größe von 624 m2 nur zu 50 % und in einer Größe von 4.108 m2 nur zu 30 % heranzuziehen. Bedenken gegen die Richtigkeit des danach ermittelten Anschlussbeitrages von 10.722,82 € sind weder ersichtlich noch geltend gemacht.

Ohne dass dies abschließend geklärt werden muss, spricht schließlich Überwiegendes dafür, dass das Tatbestandsmerkmal "dienen werden" in § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 mangels hinreichender Bestimmtheit unanwendbar und die Regelung damit insoweit (teil)nichtig ist (vgl. auch Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht, 8. A., § 39 Rdnr. 16). Die rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit von Normen zwingen den Gesetzgeber zwar nicht, den Tatbestand mit genau erfassbaren Merkmalen zu umschreiben. Die Vorschriften brauchen nur so bestimmt zu sein, wie dies nach der Eigenart der zu regelnden Sachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm steht ihrer Bestimmtheit dabei nicht entgegen. Es genügt, dass die Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. BVerfG, Urt. v. 24. April 1991 - 1 BvR 1341/90 - und Beschl. v. 18. Mai 1988 - 2 BvR 579/84 -, jeweils zit. nach JURIS). Es lässt sich dem Gesetz aber weder hinsichtlich des zeitlichen Abstands zu einem (noch) in der Zukunft liegenden Vorhaben noch hinsichtlich der erforderlichen Belege für die tatsächliche Durchführung dieses Vorhabens Näheres entnehmen. Darüber hinaus ist äußerst fraglich, wie eine gewichtende Bewertung von Umständen vorgenommen werden soll, die noch gar nicht vorliegen. Auch eine Auslegung nach den anerkannten Auslegungsmethoden dürfte nicht weiter führen, wobei der Ausnahmecharakter dieser Billigkeitsregelung nicht außer Acht gelassen werden darf, die bundesweit wohl keine Entsprechung findet. Es handelt sich vorliegend gerade nicht um eine typische Erscheinung des sozialen Lebens, bei der es genügt, wenn der Gesetzgeber sie mit einem unbestimmten Rechtsbegriff kennzeichnet und die Konkretisierung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe den Verwaltungsbehörden und Fachgerichten überlässt (vgl. dazu BVerfG, Urt. v. 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 -, zit. nach JURIS). Die Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit der zu erfassenden Vorgänge im Abgabenrecht, die das von der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte geprägte Bestimmtheitsgebot vorliegend beschränkt (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 1. Dezember 2005 - 10 C 4/04 -, zit. nach JURIS), ist als Rechtfertigung für die fehlende Konkretisierung wohl ebenfalls nicht ausreichend. Die in der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts vertretene einschränkende Auslegung, die Verwirklichung der Planung müsse bei gewöhnlichem Fortgang mit hinreichender Sicherheit in einem überschaubaren Zeitraum zu erwarten sein (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschlüsse v. 12. November 2002 - 1 M 488/02 - und v. 2. September 2002 - 1 M 430/01 -; vgl. auch Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 1068b S. 668/4b), dürfte daher in der Regelung keinen ausreichenden Niederschlag gefunden haben.

Diese Teilnichtigkeit würde jedoch nicht zu einer Ungültigkeit der gesamten Regelung führen. Denn der übrige Teil des § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA 2005 bliebe auch ohne den ungültigen Teil sinnvoll und es ist mit hinreichender Sicherheit anzunehmen, dass die Regelung auch ohne diesen Teil erlassen worden wäre. Weiterhin spielte das Tatbestandsmerkmal "dienen werden" bei der Heranziehung des klägerischen Grundstücks keine Rolle. Auch im Rahmen der Ermittlung der durchschnittlichen Grundstücksgröße nach § 6c Abs. 2 Satz 3 KAG LSA 2005 wurden ausweislich der darauf bezogenen Kalkulationsunterlagen lediglich die "maßgeblichen Katasterunterlagen und vergleichbaren genauen Flächenermittlungen" ausgewertet. Eine prognostische Betrachtung hat der Beklagte danach nicht angestellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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