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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Urteil verkündet am 18.06.2009
Aktenzeichen: 4 L 36/07
Rechtsgebiete: AO, LSA-KAG


Vorschriften:

AO § 227
LSA-KAG § 13a Abs. 1
1. Maßgebend für die gerichtliche Prüfung einer Entscheidung über einen Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen sind - abweichend von dem Grundsatz, dass für Verpflichtungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts maßgebend ist - die tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorgelegen haben.

2. Eine Erlassunwürdigkeit des Abgabepflichtigen ist nur dann anzunehmen, wenn dieser seine mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat.

3. Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Abgabentatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist.

4. Persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Abgabeerhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Abgabepflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Ein persönlicher Billigkeitserlass setzt damit immer voraus, dass er sich auf die wirtschaftliche Situation des Abgabepflichtigen noch konkret auswirken kann.


Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten den Erlass von Niederschlagswassergebühren ab 1. Juli 2000 für ihr Grundstück in der M-Straße. Das Grundstück diente der Klägerin und weiteren gewerblichen Unternehmen, die von der Klägerin Teilflächen gemietet hatten, als Firmensitz. Bereits mit Abtretungserklärung vom 6. August 1997 hatte die Klägerin außergrundbuchlich die gegenwärtigen und laufenden Mieteinnahmen an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben abgetreten. Den ursprünglichen Geschäftsbetrieb auf dem Grundstück, die Herstellung von Druckfarben, stellte die Klägerin zum 31. Dezember 2000 ein und übertrug den Betrieb an die Firma (...) AG, die seit September 2004 die auf die angemietete Teilfläche entfallenden Niederschlagswassergebühren an die Beklagte zahlt. Am 29. Juni 2007 haben die Gesellschafter der Klägerin deren Auflösung und Liquidation gemäß §§ 60 ff. des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG - beschlossen.

Bereits unter dem 21. Mai 2002 beantragte die Klägerin die Stundung bzw. den Erlass rückständiger und laufender Niederschlagswassergebühren, da sie nicht in der Lage sei, die angelaufenen Rückstände und laufenden Gebühren zu begleichen, insbesondere genügten die Mieteinnahmen bei weitem nicht, die Belastungen zu decken. Die Vermietung der leer stehenden Grundstücksteile sei wegen des Zustandes der aufstehenden Baulichkeiten nicht möglich. Auch könne sie die Abbruchkosten (1,5 Mio. Euro) bzw. die Kosten für die Altlastenbeseitigung (2,5 Mio. Euro) nicht aufbringen.

Mit Bescheid vom 16. Dezember 2003 erließ die Beklagte der Klägerin die bis zum 30. Juni 2000 entstandenen Abwassergebühren in Höhe von 98.394,63 Euro. Wegen der seit dem 1. Juli 2000 aufgelaufenen Forderungen in Höhe von 127.539,86 Euro hingegen komme ein weitere Erlass nicht in Betracht, da die Klägerin über nicht unbeträchtliche Mieteinnahmen einschließlich Mietnebenkosten verfüge, die vornehmlich zweckgebunden zum Ausgleich laufender Gebührenforderungen einzusetzen seien.

Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. November 2004 zurück und führte zur Begründung aus, Gründe für einen weitergehenden Erlass lägen nicht vor, weil die Klägerin seit 2001 Mieteinnahmen erziele, die sie jedenfalls teilweise zur Begleichung der Gebührenschulden einsetzen müsse.

Mit ihrer am 8. Dezember 2004 bei dem Verwaltungsgericht Halle erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Einnahmen aus der Vermietung seien bereits seit 1992 an die Kreditanstalt für Wiederaufbau abgetreten. Die Durchsetzung der Gebührenansprüche gefährde ihre wirtschaftliche Existenz. Ein Rangrücktritt der Gesellschafter mit ihren Forderungen gegen die Gesellschaft sei nicht geeignet, die Begleichung der Gebührenschulden zu ermöglichen. Eine weitere Belastung des Grundstücks sei nicht möglich.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, auf den Antrag der Klägerin die Niederschlagswassergebühren zu erlassen und den Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2004 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und ausgeführt, die Zahlung sei der Klägerin möglich. Aus den vorgelegten Unterlagen lasse sich nicht ableiten, dass die Durchsetzung der Ansprüche die wirtschaftliche Existenz der Klägerin gefährde. Vielmehr sei die Klägerin verpflichtet, ihr Vermögen einzusetzen. Zudem sei die Klägerin gehalten, bezüglich ihrer Verbindlichkeiten einen Rangrücktritt zu erwirken, damit die Gebührenforderungen ganz oder teilweise getilgt werden könnten.

Das Verwaltungsgericht Halle hat mit Urteil vom 18. Dezember 2006 die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Erlass komme nur dann in Frage, wenn dem Schuldner die Zahlung der geschuldeten Abgabe nach seinen wirtschaftlichen und sonstigen persönlichen Verhältnissen nicht möglich sei. Dabei führe eine wirtschaftliche Notlage allein noch nicht zur Erlassbedürftigkeit. Hinzukommen müsse, dass die Einziehung der Abgabe im Zeitpunkt der Fälligkeit den Abgabenschuldner in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährde. Dabei gehöre zur Erlasswürdigkeit, dass der Abgabenschuldner nachweise, dass es ihm bei Eintritt der Fälligkeit der Abgabenschuld nicht möglich gewesen sei, die Schuld zu begleichen. Deshalb genüge es nicht, wenn ein Gebührenschuldner - wie die Klägerin - über Jahre hinweg Rückstände aus dem Abgabenschuldverhältnis auflaufen lasse, um dann geltend zu machen, jetzt könne er die aufgelaufene Gebührensumme nicht mehr begleichen. Die Klägerin habe bei der Beklagten um Stundung und/oder Erlass der Abgabenforderungen erst unter dem 21. Mai 2002 und damit zu einem Zeitpunkt nachgesucht, als die Forderungen aus dem Abgabenschuldverhältnis einen Gesamtbetrag von 190.000,00 Euro erreicht hätten. Wer aber über Jahre hinweg Gebührenschulden anhäufe, könne nicht geltend machen, dass ihm nunmehr die Schulden zu erlassen seien und letztlich der Steuerzahler den ungedeckten Aufwand der öffentlichen Einrichtung zu tragen habe.

Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat mit Beschluss vom 2. November 2007 die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil auf der Grundlage des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sie über Jahre hinweg Rückstände aus dem Abgabenschuldverhältnis habe auflaufen lassen, ohne zur Regulierung der Verbindlichkeiten tätig zu werden. Vielmehr habe sie sich bereits seit 1999 z. B. durch den Abschluss einer Ratenzahlungsvereinbarung und die Abgabe eines Schuldanerkenntnisses darum bemüht, die aufgetretenen Zahlungsschwierigkeiten zu lösen. Dabei lägen die Ursachen hinsichtlich ihrer Zahlungsunfähigkeit eindeutig in der überwiegend fehlenden Nutzung der Gebäude auf dem Grundstück. Sämtliche Veräußerungsbemühungen - mit Ausnahme einer Veräußerung der Objekte C 5 und C 6 - seien erfolglos geblieben. Inzwischen hätten die Gesellschafter die Liquidation beschlossen. Eine Durchsetzung der Forderungen seitens der Beklagten würde zwangsläufig zu einer Zahlungsunfähigkeit führen, die derzeit noch nicht gegeben sei. Eine mit einer Zahlungsunfähigkeit einhergehende Insolvenz und die daraus folgende Zwangsversteigerung des Grundbesitzes würden allerdings nicht dazu beitragen, dass die Beklagte ihre aufgelaufenen Forderungen befriedigen könne, da die Bundesanstalt für die Verwaltung des Sondervermögens mit 5,5 Mio. DM (ca. 2,8 Mio. Euro) bestrangige Gläubigerin sei. Insoweit könne auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Abtretung der Einnahmen aus der Vermietung an die Kreditanstalt für Wiederaufbau im Jahre 1992 bereits zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als Niederschlagswassergebühren noch nicht erhoben worden seien und eine derartige Erhebung auch noch nicht absehbar gewesen sei. Mit dem Erlass der streitgegenständlichen Niederschlagswassergebühren könne eine Insolvenzreife abgewendet werden, so dass von dem Erlass ihre (rechtliche und tatsächliche) Existenz abhänge.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 9. Kammer - vom 18. Dezember 2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 16. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2004 zu verpflichten, die Niederschlagswassergebühren zu erlassen,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung ihres insoweit entgegenstehenden Bescheides vom 16. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2004 zu verpflichten, über ihren Antrag auf Erlass der Niederschlagswassergebühren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, die bereits im Jahre 1999 mit der damals zuständigen (...) GmbH geschlossene Ratenzahlungsvereinbarung beziehe sich nur auf die Lieferung und Leistung von Wasser/Abwasser, nicht aber auf die hier streitgegenständlichen Niederschlagswassergebühren, so dass bei der Prüfung der Erlasswürdigkeit nicht von ernsthaften Anstrengungen der Klägerin zur Tilgung ihrer Schulden ausgegangen werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen; die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I. Der Klägerin steht der primär geltend gemachte Anspruch auf Erlass von (weiteren) Niederschlagswassergebühren in Höhe von 127.539,86 Euro nicht zu. Insoweit ist der Bescheid der Beklagten vom 16. Dezember 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2004, der sich ausschließlich auf eine noch offene Forderung in Höhe von 88.059,86 Euro per 31. Dezember 2002 und laufende Forderungen per 15. Oktober 2003 in Höhe von 39.480,00 Euro bezieht, im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Gemäß § 13a Abs. 1 S. 2 und 5 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - KAG LSA - i. V. m. § 227 der Abgabenordnung - AO - können Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

Die Entscheidung der Gemeinde über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 114 VwGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70 -, BFHE 105, 101). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 05.06.2009 - 4 O 71/09 -; BFH, Urt. v. 27.09.2001 - X R 134/98 -, zit. nach juris). Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens werden dabei durch den Maßstab der Billigkeit bestimmt. Maßgebend für die gerichtliche Prüfung einer Entscheidung über einen Antrag auf Erlass aus Billigkeitsgründen sind - abweichend von dem Grundsatz, dass für Verpflichtungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Gerichts maßgebend ist - die tatsächlichen Verhältnisse, die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorgelegen haben (BVerwG, Urt. v. 23.08.1990 - BVerwG 8 C 42.88 -, BFH, Urt. v. 27.05.1987 - X R 41/81 -; BayVGH, Beschl. v. 02.04.2004 - 4 C 03.2425 -, alle zit. nach juris; für die Stundung vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 222 RdNr. 70). Stellt das Gericht fest, dass die Behörde ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, wird es im Regelfall nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Nur in Fällen, in denen der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass ausschließlich eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null) kann das Gericht eine Verpflichtung der Behörde zum Erlass aussprechen.

Gemessen daran steht der Klägerin der geltend gemachte Erlassanspruch nicht zu.

Der Senat hat allerdings Zweifel an der von dem Verwaltungsgericht und der Beklagten vertretenen Auffassung, die Klägerin sei bereits erlassunwürdig; denn eine Erlassunwürdigkeit des Abgabenpflichtigen ist nur dann anzunehmen, wenn dieser seine mangelnde Leistungsfähigkeit selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hat (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, § 227 Rdnr. 103 f. m. w. N.; Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 227 Rdnr. 36). Daran dürfte es unter Berücksichtigung der von der Klägerin im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Unterlagen fehlen; insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin seit 1995 Rückstände aus dem Abgabenschuldverhältnis in Höhe von insgesamt 190.000,00 Euro angehäuft und sodann erstmals unter dem 21. Mai 2002 bei der Beklagten um Stundung und/oder Erlass der Abgabenforderungen nachgesucht habe. Zwar lässt sich den Unterlagen eine auch auf die Niederschlagswassergebühren bezogene Ratenzahlungsvereinbarung mit der damals zuständigen (...) GmbH nicht zweifelsfrei entnehmen. Allerdings ergibt sich aus dem der Ratenzahlungsvereinbarung vorausgehenden Schriftverkehr (vgl. nur Aktennotiz vom 13.08.1999 und Schreiben vom 21.12.2001), dass die Bemühungen der Klägerin jedenfalls auch auf eine Stundung der Niederschlagwassergebühren (KD-Nr: 48774) gerichtet waren, so dass eine selbst herbeigeführte Leistungsunfähigkeit nicht vorliegen dürfte.

Letztlich kann der Senat die Frage, ob die Klägerin erlassunwürdig ist, aber offen lassen, mit der Folge, dass ihr auch die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragte Einräumung einer angemessenen Schriftsatzfrist nicht zu gewähren war; denn jedenfalls liegen weder die Voraussetzungen für einen Erlass aus sachlichen noch aus persönlichen Gründen vor.

Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Abgabentatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (BFH, Urt. v. 25.11.1980 - VII R 17/78 -, BStBl. II 1981, 204) bzw. wenn der Abgabenbescheid auf einem offensichtlichen und eindeutigen Irrtum der Gemeinde über die bereits aus dem Gesetz ersichtlichen Wertungen des Gesetzgebers beruht (BFH, Urt. v. 03.03.1970 - II 135/64 -, BStBl. II 1970, 503). Vorliegend ist nicht ersichtlich, dass die Einziehung der Niederschlagswassergebühren den Wertungen des Gesetzgebers des Kommunalabgabengesetzes oder der Abgabenordnung widerspricht oder widersprochen hat. Dies wird von der Klägerin im Übrigen auch selbst nicht geltend gemacht.

Im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 8. November 2004 stand der Klägerin aber auch kein Anspruch auf einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen zu. Persönliche Unbilligkeit ist gegeben, wenn die Abgabenerhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Abgabenpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Das ist der Fall, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Lebt der Abgabenpflichtige allerdings unabhängig von Billigkeitsmaßnahmen in wirtschaftlichen Verhältnissen, die eine Durchsetzung von Ansprüchen aus dem Abgabenschuldverhältnis ausschließen, könnte ein Erlass hieran nichts ändern und wäre aus diesem Grund nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Abgabenpflichtigen verbunden. Ein persönlicher Billigkeitserlass setzt damit immer voraus, dass er sich auf die wirtschaftliche Situation des Abgabenpflichtigen noch konkret auswirken kann (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 12.03.2007 - 4 O 69/07 -, m. w. N.). Bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit kommt deshalb ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen nach § 227 AO grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BFH, Urt. v. 27.09.2001 - X R 134/98 -, zit. nach juris).

So liegt es hier; denn die Klägerin hat bereits in ihrer Antragsschrift vom 21. Mai 2002 geltend gemacht, dass sie u. a. aufgrund des auf ihrem Grundstück bestehenden Sanierungsaufwands (Abbruchkosten und Altlastenbeseitigung in Höhe von insgesamt ca. 4 Mio. Euro) über keinerlei Einnahmen oder Vermögen verfüge, um die aufgelaufenen Gebührenrückstände zu begleichen. Weiter hat sie mit Schreiben vom 15. September 2003 auf die Einstellung des Geschäftsbetriebs zum 31. Dezember 2000 hingewiesen und mitgeteilt, dass bisher alle Versuche, ihre wirtschaftliche Situation zu stabilisieren, zu keinem Ergebnis geführt hätten. Sie erziele lediglich Mieteinnahmen, die allerdings die Belastungen des Grundstücks nicht decken könnten. Auch ihren Schreiben vom 21. April 2004 und 4. Oktober 2004 lässt sich schließlich eine ernsthafte Aussicht auf eine dauerhafte Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation der Klägerin nicht entnehmen. Soweit die Beklagte im Rahmen ihres Widerspruchsbescheids vom 8. November 2004 noch darauf abstellt, dass die Klägerin erhebliche Mieteinnahmen erziele, mit denen sie die rückständigen Gebührenschulden begleichen könne, hat sich dieser Sachverhalt nicht bestätigt; denn die Klägerin hat im Klageverfahren nachgewiesen, dass sie sämtliche Mieteinnahmen bereits mit Abtretungserklärung vom 6. August 1997 an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben abgetreten hatte. Haben damit die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin eine Durchsetzung der Gebührenansprüche von vornherein ausgeschlossen, weil Einkünfte und Vermögen überhaupt nicht oder nur geringfügig vorhanden waren, kann der begehrte Erlass der Gebührenschuld hieran nichts ändern und ist aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für die Klägerin verbunden. Erst recht ist damit ein Ermessenspielraum für die Beklagte eröffnet und ein Anspruch auf Erlass nicht gegeben.

Soweit die Klägerin auf den gerichtlichen Hinweis vom 26. März 2007 einwendet, die Ablehnung des begehrten Erlasses würde dazu führen, dass - neben der bereits am 29. Juni 2007 beschlossenen Liquidation - nunmehr Insolvenzreife eintrete, hat dies auf das vorliegende Verfahren schon deswegen keinen Einfluss, weil die allein maßgebliche Vermögenslosigkeit der Klägerin nach ihren Angaben bereits seit dem Jahre 2002 bestand. In dem für den hier zu prüfenden Anspruch maßgeblichen Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung war es daher nicht mehr möglich, dass eine durch die Liquidation beabsichtigte Sanierung der Klägerin der Aufrechterhaltung der unternehmerischen Tätigkeit derselben dient. Der Erlass wäre deshalb nicht mehr geeignet gewesen, eine Fortführung des Unternehmens sicherzustellen. Der Erlass der Gebührenforderungen hätte allenfalls der Entlastung der Klägerin von Verbindlichkeiten dienen und gegebenenfalls einen Liquidationserlös sicherstellen können. Ein solcher Zweck rechtfertigt den Erlass der Gebührenschuld indes nicht.

II. Auch das Hilfsbegehren der Klägerin, mit dem sie einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Erlassbegehrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts geltend macht, hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

Zwar ist die Beklagte in ihrem Widerspruchsbescheid vom 8. November 2004 fehlerhaft von einer Liquidität der Klägerin aufgrund der von ihr vermeintlich seit 2001 nicht unwesentlich erzielten Mieteinnahmen inklusive Mietnebenkosten ausgegangen; denn die Klägerin hat im erstinstanzlichen Verfahren durch die Vorlage einer Abtretungserklärung vom 6. August 1997 nachgewiesen, dass sie die gegenwärtigen und laufenden Mieteinnahmen an die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben abgetreten hatte. Indes hat die Klägerin die Abtretung der Mieteinnahmen auch gegenüber der Beklagten nicht geltend gemacht, sondern noch mit Schreiben vom 15. September 2003 darauf hingewiesen, dass sie - ihren Aufwand allerdings nicht deckende - Mieteinnahmen erziele. Zwar muss die Behörde nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AO den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln; denn die Untersuchungsmaxime hat gerade bei Ermessensentscheidungen erhebliche Bedeutung. Die Behörde kann ihr Ermessen nämlich nur dann sachgerecht ausüben, wenn sie den entscheidungserheblichen Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt (BFH, Urt. v. 27.09.2001, a. a. O.).

Beruft sich ein Abgabenpflichtiger im Verfahren nach § 227 AO - wie hier - auf persönliche Billigkeitsgründe und macht die Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz geltend, ist die Abgabenbehörde danach grundsätzlich gehalten, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse näher zu überprüfen, wobei den Abgabenpflichtigen allerdings gesteigerte Mitwirkungspflichten gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 AO treffen. Auf Anforderung der Behörde muss der Abgabenpflichtige insbesondere seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse substanziiert darlegen. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen; denn die Beklagte hat sich von der Klägerin die Jahresabschlüsse vorlegen lassen, um die von ihr behaupteten prekären Einkommensverhältnissen aufzuklären. Aus den von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ergab sich die Abtretung der Mieteinnahmen indes nicht, so dass die Beklagte diesen Umstand auch nicht in ihre Erwägungen einbeziehen konnte.

Mithin war die Ermessensausübung der Beklagten auf der ihr bekannten und von der Klägerin aufgezeigten Tatsachengrundlage im Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung fehlerfrei, so dass der Klägerin kein Anspruch auf Neubescheidung ihres Erlassbegehrens zusteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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