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Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 01.11.2005
Aktenzeichen: 4 M 335/05
Rechtsgebiete: KAG LSA


Vorschriften:

KAG LSA § 6c II 1
Im Rahmen des § 6c Abs. 2 KAG LSA ist auf die bau(planungs)rechtliche Auslegung der Wohnnutzung abzustellen.

Der Begriff des "Wohnens" umfasst auch den dauerhaften Aufenthalt von Menschen in einem Wohnheim, bei denen - wie in einem Altenpflegeheim - die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gegenüber der Betreuung und Pflege der Bewohner in den Hintergrund tritt. Erst dann, wenn eine krankenhausähnliche Unterbringung vorliegt, kann nicht mehr von einem Wohnen gesprochen werden.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 M 335/05

Datum: 01.11.2005

Gründe:

Die statthafte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Die erhobenen Einwände der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben nach dem im einstweiligen Rechtsschutzverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstäben zu einer Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung keinen Anlass.

Im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin ist davon auszugehen, dass es sich bei dem mit einem Heim zur Pflege und Betreuung alter Menschen bebauten Grundstück des Antragstellers im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. OVG LSA, Urt. v. 6. Dezember 2001 - 1 L 321/01 -) um ein übergroßes Wohngrundstück i.S.d. §§ 11 Abs. 1 der Abwasserabgabensatzung der Antragsgegnerin vom 24. Januar 2003, 6 c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA gehandelt hat.

Auch wenn das Heim auf dem streitbefangenen Grundstück als Altenpflegeheim i.S.d. §§ 23 bis 27 Heimmindestbauverordnung - HeimMindBauVO - einzustufen ist, lässt sich bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung feststellen, dass dieses Heim i.S.d. § 6c Abs. 2 Satz 1 KAG LSA nach der tatsächlichen Nutzung vorwiegend Wohnzwecken dient bzw. gedient hat.

Mit Wohnen ist nach dem sprachgebräuchlichen Verständnis der Inbegriff des häuslichen Lebens umschrieben, der die unterschiedlichen, gegenüber anderen Lebensbereichen abgrenzbaren Wohnbedürfnisse und üblichen Wohngewohnheiten umfasst. Dabei ist Wohnen anders als die Unterbringung oder die Schlafstätte geprägt von einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit, die die selbstbestimmte Gestaltung des häuslichen Wirkungskreises einschließt. Das Wohnen in diesem Sinne wird u.a. durch die Merkmale des Ausruhens, der Feierabend- und Wochenendbeschäftigung, aber auch des aktiven Kräftesammelns ausgefüllt (so OVG LSA, Urt. v. 6. Mai 2003 - 1 L 498/02 -; vgl. auch Fickert/Fieseler, BauNVO 9. A., § 3 Rdnr. 1). Zu Recht hat sich das Verwaltungsgericht weiterhin zur Abgrenzung des Wohnens von anderen Nutzungsformen, wie der Unterbringung, an den einschlägigen Regelungen der Baunutzungsverordnung i.d.F. der Bekanntmachung 23. Januar 1990, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. April 1993 - BauNVO - orientiert. Zwar gilt die BauNVO - von Einzelnormen abgesehen - nicht unmittelbar gegenüber dem Bürger und regelt außerdem nur die bau(planungs)rechtliche Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben. Jedoch ist im Rahmen des § 6c Abs. 2 KAG LSA auf die bau(planungs)rechtliche Auslegung der Wohnnutzung abzustellen. Der Zweck der Regelung, die im Anschluss- und Ausbaubeitragsrecht gleichermaßen Anwendung findet, besteht darin, der Erfahrungstatsache Rechnung zu tragen, dass das Maß, in dem einem Grundstück ein Vorteil i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA entsteht, ab einer bestimmten Grundstücksgröße nicht mehr proportional zur Grundstücksfläche zunimmt (vgl. OVG LSA, Urt. v. 6. Dezember 2001 - 1 L 321/01 - zum Anschlussbeitragsrecht; vgl. auch Kirchmer/Schmidt/Haack, KAG LSA 2. A., § 6c S. 355 f.). Der Landesgesetzgeber beschränkte diese Privilegierung aber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die der Wohnnutzung dienenden Grundstücke, weil er einerseits der verbreiteten Großflächigkeit solcher Grundstücke, die historisch bedingt ist, Rechnung tragen wollte, und andererseits davon ausging, dass andere Nutzungsarten - insbesondere die Industrie- und Gewerbenutzung - in der Regel stets einen mit der Grundstücksgröße proportional zunehmenden Vorteil erlangen. Weil § 6c Abs. 2 KAG LSA daher als Billigkeitsregelung (vgl. OVG LSA, Beschlüsse v. 27. Juli 2000 - 1 M 188/00 - und v. 25. November 2004 - 2 M 561/04 -) die Wohnnutzung privilegieren soll und in pauschalierender Weise zwischen dieser Nutzung und den anderen Nutzungsarten differenziert, ist es geboten, an die bau(planungs)rechtliche Einstufung dieser Nutzungsarten anzuknüpfen. Anhaltspunkte dafür, dass § 6c Abs. 2 KAG LSA eine spezifisch beitragsrechtliche und vom Bau(planungs)recht abweichende Auslegung der Wohnnutzung enthält, bestehen nicht. Gerade auch der Umstand, dass die Vorschrift sowohl im Anschluss- als auch im Ausbaubeitragsrecht Geltung entfaltet, spricht dagegen. Schließlich ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 6c Abs. 2 KAG LSA - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend verwiesen hat - ansonsten in erheblichem Maße erschwert würde. Dass in anderen Rechtsgebieten, z.B. dem Einkommenssteuerrecht (vgl. BFH, Urt. v. 30. September 2003 - IX R 7/03 -, zit. nach JURIS), eine abweichende Auslegung des Begriffes der Wohnnutzung gilt, ist auf die unterschiedliche Zweckbestimmung der in diesen Rechtsgebieten heranzuziehenden Normen zurückzuführen und steht daher dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen.

Nach § 3 BauNVO dienen reine Wohngebiete dem Wohnen (Abs. 1), darin zulässig sind Wohngebäude (Abs. 2). Gemäß § 3 Abs. 4 BauNVO gehören zu den nach Absatz 2 sowie den §§ 2, 4 bis 7 zulässigen Wohngebäuden auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Unter Berücksichtigung dieser Vorgabe umfasst der Begriff des "Wohnens" auch den dauerhaften Aufenthalt alter Menschen in Wohnheimen, bei denen - wie in einem Altenpflegeheim - die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gegenüber der Betreuung und Pflege der Bewohner in den Hintergrund tritt. Denn auch dann werden die in dem Heim befindlichen Personen nicht ohne eigene Mitwirkung durch behördliche und ärztliche Anordnung eingewiesen, haben - wenn auch möglicherweise in einem engen, räumlichen Umfeld - noch ein Mindestmaß an eigenständiger Gestaltung ihres Lebensbereiches und sind auf Grund des Heimvertrages grundsätzlich einer umfassenden Verfügungsgewalt Dritter entzogen. Erst dann, wenn eine krankenhausähnliche Unterbringung vorliegt, kann nicht mehr von einem Wohnen gesprochen werden. Grundlegende Voraussetzung dafür ist aber, dass das jeweilige Heim auf die medizinische Erkennung und auf die Rehabilitierung zielende Behandlung von Patienten unter dauerhafter ärztlicher Leitung und Aufsicht ausgerichtet ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 27. April 2004 - 2 Bs 108/04 -, NVwZ-RR 2005, 396 mw.N.; OVG Niedersachsen, Urt. v. 21. August 2002 - 1 LB 140/02 -, zit. nach JURIS m.w.N.; vgl. auch König/Roeser/Stock, BauNVO 2. A., § 3 Rdnr. 4, 23, 30; Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht 6. A., Rdnr. 1455 i.V.m. Rdnr. 1447; Boeddinghaus, BauNVO 5. A., § 3 Rdnr. 6; Jäde/Dirnberger/Weiss, BauGB BauNVO 3. A., § 3 Rdnr. 12; vgl. weiter VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27. Juli 2001 - 5 S 1093/00 -, zit. nach JURIS). Auch Pflegeheime, die als "Langzeitkrankenhäuser" der Unterbringung hochgradig pflegebedürftiger alter Menschen dienen, sind danach der Wohnnutzung zuzurechnen, wenn keine ständige ärztliche Leitung und Aufsicht vorhanden ist (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 13. Mai 2002 - 4 B 86.01 -, NVwZ 2002, 1384: "wohnähnliche Nutzung"; a.M.: Fickert/Fieseler, a.a.O. Rdnr. 20.2; Knaup/Stange, BauNVO 8. A., § 2 Rdnr. 60, § 3 Rdnr. 21).

Diese Auffassung wird zusätzlich durch den Wortlaut des - auch für Altenpflegeheime geltenden - Heimgesetzes sowie der Heimmindestbauverordnung gestützt. Das Heimgesetz regelt ausdrücklich, dass Heime i.S.d. Gesetzes Einrichtungen sind, die dem Zweck dienen, älteren Menschen oder pflegebedürftigen oder behinderten Volljährigen u.a. "Wohnraum" zur Verfügung zu stellen (§ 1 Abs. 1 Satz 2). Weiterhin wird in dem Heimgesetz durchgängig von "Bewohnerinnen und Bewohnern" gesprochen. Auch in den §§ 23 bis 27 HeimMindBauVO, welche die baulichen Mindestanforderungen von (Alten)Pflegeheimen regeln, wird trotz der Bezugnahme auf "Pflegeplätze" in § 23 Abs. 1 Satz 1 ansonsten von "Wohnschlafräumen", "Wohnflächen" und "Bewohnern" gesprochen. Dem lässt sich entnehmen, dass Gesetz- und Verordnungsgeber gerade nicht angenommen haben, dass alte Menschen in Altenpflegeheimen untergebracht werden und dort nicht wohnen.

Es sind aber weder hinreichende Anhaltspunkte ersichtlich noch von der Antragsgegnerin vorgetragen, dass das Pflegeheim auf dem Grundstück des Antragstellers in dem oben dargelegten Sinne einer krankenhausähnlichen Unterbringung dient bzw. zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt gedient hat. Dass in der Betriebsbeschreibung vom 17. Februar 1997 unter dem Punkt "Arbeitsabläufe" angegeben wurde: "Wohnzimmer- (Doppelzimmer) Aufenthaltsräume Funktionsräume: Therapie, Bäder, Arzt, Schwesterzimmer etc." steht dem nicht entgegen. Es handelt sich dabei ersichtlich lediglich um die Benennung von Räumen, in denen eine Untersuchung durch Ärzte stattfinden kann. Dem Hinweis der Antragsgegnerin, der Aufenthalt sei "eher vergleichbar mit einem Krankenhaus, mit dem Unterscheid, dass die Pflege hier in der Regel nicht zeitlich befristet" sei, lässt sich ebenfalls kein dahingehender Erklärungsinhalt entnehmen. Vielmehr spricht nach dem bisherigen Sach- und Streitstand alles dafür, dass in dem Heim keine ständige ärztliche Leitung und Aufsicht vorhanden ist, die der in einem Krankenhaus vergleichbar ist.

Auch die sonstigen von der Antragsgegnerin vorgebrachten Einwendungen haben keinen Erfolg.

Die von der Antragsgegnerin genannten Kriterien zur Prüfung einer Wohnnutzung im Rahmen der BauNVO beruhen - wie die Antragsgegnerin selbst vorträgt - auf der Auslegung des § 3 BauNVO i.d.F. der Änderungsverordnung vom 26. November 1968 und sind daher überholt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25. März 1996 - 4 B 302.95 -, NVwZ-RR 1996, 893, 894 a.E.).

Soweit die Antragsgegnerin auf eine zum (Straßen)Ausbaubeitragsrecht ergangene Entscheidung des OVG LSA vom 19. November 2004 (- 2 M 337/04 -) verweist, so lässt sich dieser Entscheidung nicht entnehmen, dass Altenpflegeheime zur Unterbringung alter Menschen dienten und keine Wohngebäude seien. Zwar wurde darin ausgeführt, dass das Wohnelement in einem solchen Heim stark hinter den Versorgungs-, Pflege- und Betreuungscharakter zurücktrete. Wie oben dargelegt, ist damit aber jedenfalls nach der seit 1990 geltenden Fassung der BauNVO eine Einstufung als Wohngebäude nicht mehr ausgeschlossen. Weiterhin dienten diese Erwägungen allein der Prüfung, ob das betreffende Grundstück einer gewerblichen Nutzung im engeren Sinne darin ähnlich sei, dass sie wie diese eine im Vergleich zur Wohnnutzung deutlich intensivere In-Anspruch-Nahme der Anbaustraße auslöste. Eine Prüfung der Wohnnutzung i.S.d. § 6c Abs. 2 KAG LSA wurde in dieser Entscheidung also nicht vorgenommen, die deshalb auch Altenheime i.S.d. §§ 14 bis 18 HeimMindBauVO im Rahmen der Prüfung eines Gewerbezuschlages nach dem Ausbaubeitragsrecht der gewerblichen Nutzung zurechnete.

Daher ist es im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Antragsgegnerin auch nicht zu beanstanden, dass ein Grundstück wegen seines Ziel- und Quellverkehrs, der dem eines Gewerbegrundstücks vergleichbar ist, im Rahmen des Ausbausbeitragsrechts der gewerblichen Nutzung zugerechnet und mit einem erhöhten Gewerbezuschlag veranlagt wird, während es gleichzeitig wegen seiner Größe nach der Regelung des § 6c Abs. 2 KAG LSA nur begrenzt herangezogen wird. Denn der Gewerbezuschlag im Ausbaubeitragsrecht und die Begrenzung der Heranziehung nach § 6c Abs. 2 KAG LSA sind rechtlich nicht miteinander vergleichbar.

Der Einwand, nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werde nicht von einem "Wohnen", sondern von einer "Unterbringung" in einem Altenpflegeheim gesprochen, ist nicht durchgreifend. Belege dafür werden von der Antragsgegnerin nicht erbracht. Demgegenüber lässt sich - wie oben dargelegt - gerade den für das Betreiben von solchen Heimen maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen, nämlich dem Heimgesetz und der Heimmindestbauverordnung, ein gegenteiliger Sprachgebrauch entnehmen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und erfolgte in Anlehnung an den sog. Streitwertkatalog 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.) Nr. 1.5 Satz 1.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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