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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt
Beschluss verkündet am 18.02.2005
Aktenzeichen: 4 P 3/05
Rechtsgebiete: GG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 17
GG Art. 103 I
VwGO § 80 V
VwGO § 80 VII
VwGO § 86 I
VwGO § 88
VwGO § 152a
1. Eine "Gegenvorstellung" ist nur zulässig, wenn das Gericht noch befugt ist, seine angegriffene Entscheidung zu ändern.

2. Liegen die - insbesondere zeitlichen - Voraussetzungen des § 152a VwGO ("Gehörsrüge") vor, so ist die "Gegenvorstellung" als "Gehörsrüge" zu behandeln.

3. Seit der Ergänzung der Verfahrensordnung um die (fristgebundene) "Gehörsrüge" ist für die "Gegenvorstellung" oder eine "außerordentliche Beschwerde" im Übrigen kein Raum mehr; sie ist unzulässig.

4. Rechtliches Gehör ist nicht verletzt, wenn das (Ober-)Verwaltungsgericht im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz die vollständige Aufklärung des Sachverhalts unterlässt, den Fall lediglich summarisch prüft und die Einzelheiten dem Hauptsachverfahren vorbehält.


OBERVERWALTUNGSGERICHT DES LANDES SACHSEN-ANHALT BESCHLUSS

Aktenz.: 4 P 3/05

Datum: 18.02.2005

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin zog die Antragsteller zu einem Straßenausbaubeitrag heran. Hiergegen haben die Antragsteller erfolglos Widerspruch und anschließend beim Verwaltungsgericht Magdeburg Klage erhoben und um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Mit Beschluss vom 27.09.2004 (Az.: 2 B 175/04 MD) hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Urteil vom 30.09.2004 (Az.: 2 A 136/04 MD) die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es jeweils ausgeführt, für die Beitragserhebung fehle es an einer ordnungsgemäß bekannt gemachten Satzung. Gegen den Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts hat die Antragsgegnerin Beschwerde erhoben und gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts die Zulassung der Berufung beantragt (Az.: 2 L 662/04).

Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin ihre Satzung erneut bekannt gemacht. Daraufhin hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 20.12. 2004 (2 M 590/03) den Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts geändert und den einstweiligen Rechtsschutzantrag der Antragsteller abgelehnt.

Die mit dem Begehren, den Beschluss aufzuheben, am 05.01.2005 erhobene "außerordentliche Beschwerde", auf deren Begründung wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat der inzwischen zuständig gewordene 4. Senat mit Beschluss vom 25.01.2005 - 4 P 3/05 - als Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ausgelegt, daneben keine "Gegenvorstellung" oder "außerordentliche Beschwerde" für zulässig gehalten sowie hilfsweise die Voraussetzungen einer Rüge nach § 152a VwGO geprüft; den Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO hat der Senat abgelehnt und die Rüge nach § 152a VwGO hat er (jedenfalls) für unbegründet gehalten. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 25.01.2005 Bezug genommen.

Mit ihrem auf § 152a VwGO gestützten und erneut als "Gegenvorstellung bzw. Rüge" bezeichneten Begehren möchten die Antragsteller nunmehr die Aufhebung der vorangegangenen Beschlüsse des 2. und des 4. Senats erreichen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 15.02.2005 verwiesen.

II.

Das Begehren hat keinen Erfolg.

1. Soweit der Schriftsatz erkennen lässt, die Antragsteller wollten über eine "außerordentliche Beschwerde" den Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht beschreiten, bleibt der Senat bei seiner Auffassung, dass eine solche Beschwerde neben dem Rechtsbehelf des § 80 Abs. 7 VwGO und evtl. dem Rechtsbehelf des § 152a VwGO nicht zulässig ist. Das folgt aus dem in § 152 Abs. 1 VwGO zum Ausdruck kommenden Grundsatz, dass das Bundesverwaltungsgericht mit Beschwerden im vorläufigen Rechtsschutz unabhängig davon nicht befasst werden soll, ob es sich um erst- oder zweitinstanzliche Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts handelt. Für eine "außerordentliche" Beschwerde besteht auch kein Schutzbedürfnis, weil der Gesetzgeber durch § 80 Abs. 7 VwGO sowie durch das neue Rügerecht des § 152a VwGO "ordentliche" Rechtsbehelfe geschaffen hat, welche einen Rückgriff auf "außerordentliche" Mittel entbehrlich machen.

Der Senat wird deshalb die "außerordentliche Beschwerde", über welche er durch den jetzt kritisierten Beschluss vom 25.01.2005 entschieden hat, nur dann dem Bundesverwaltungsgericht vorlegen, wenn die Antragsteller darauf - dieser Rechtslage zum Trotz - ausdrücklich bestehen sollten.

2. Soweit die Antragsteller am 15.02.2005 erneut eine "Gegenvorstellung" erhoben haben, gilt dasselbe: Auch insoweit bedarf es des Rückgriffs auf das von Rechtsprechung und Literatur entwickelte und letztlich auf Art. 17 GG gegründete Institut der Gegenvorstellung nicht, wenn und soweit "ordentlicher" Rechtsschutz bereits durch die Prozessordnung gewährt wird.

Die "Gegenvorstellung" könnte deshalb wiederum nur als (erneuter) Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO angesehen werden. Eine förmliche Umdeutung nimmt der Senat gleichwohl nicht vor (§ 88 VwGO), weil die Antragsteller sich auf diese Vorschrift nicht berufen und weil ein solcher Antrag auch ersichtlich ohne Erfolg bleiben müsste. Im Vergleich mit der Situation, welche Grundlage für den Beschluss des Senats vom 25.01.2005 gewesen ist, hat sich die Sach- oder Rechtslage nämlich nicht verändert, so dass die Antragsteller keinen Rechtsanspruch auf Änderung der früheren Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO mit Hilfe eines erneuten Antrags nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO erreichen können und weil - soweit die "Gegenvorstellung" die Anregung enthält, den Beschluss von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO zu ändern - der Senat hierfür keinen Anlass sieht.

Soweit die Antragsteller in der Beschlussfassung vom 25.01.2005 eine i. S. des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO veränderte Lage erblicken, verkennen sie, dass der Senat am 25.01.2005 nicht bereits deshalb eine nach dieser Vorschrift beachtliche Veränderung annehmen musste, weil er den ursprünglichen Beschluss im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO geändert hatte, sondern dass allein zu prüfen war, ob gegenüber der Beurteilungsgrundlage für das frühere Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nachträglich Veränderungen eingetreten waren; hierfür ist gleichgültig, ob ein Beschluss des Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 unangefochten geblieben oder ob dieser im Rechtsmittelverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO geändert worden ist; denn es kommt allein auf das abschließende Ergebnis des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO an. Dem können die Antragsteller nicht mit dem Hinweis auf die Kommentierung bei Kopp (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., Vor § 123 RdNrn. 9, 9c) zu Rechtsbehelfen begegnen; denn diese Stellen befassen sich mit der Frage, wann eine "Gegenvorstellung" Erfolg haben könnte. Auch der Hinweis auf die Kommentierung speziell zum vorläufigen Rechtsschutz (Schenke, a. a. O, § 80 RdNr. 197) kann das von den Antragstellern gewünschte Ergebnis nicht stützen; denn diese steht zu der oben ausgeführten Auslegung des Senats nicht im Widerspruch, weil sie jedenfalls Veränderungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder bei der Prozesslage (wegen neuer Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren) voraussetzt und im Übrigen - wie der Senat - § 80 Abs. 7 VwGO für brauchbar hält, Irrtümer bei der Beurteilung des Begehrens auf vorläufigen Rechtsschutz zu korrigieren. Soweit die Kommentierung auch noch auf den Fall der Gehörsverletzung abstellt, ist sie überholt, weil der Gesetzgeber inzwischen durch § 152a VwGO einen eigenständigen Rechtsbehelf geschaffen hat.

3. Die danach allein verbleibende Rüge nach § 152a VwGO ist unbegründet.

Die rechtzeitig (§ 152a Abs. 2 VwGO) angebrachte und - weil die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht anfechtbar sind (§ 152 Abs. 1 VwGO) - auch sonst zulässige Rüge hat in der Sache keinen Erfolg, weil die angegriffene Entscheidung vom 25.01.2005 das rechtliche Gehör der Antragsteller (Art. 102 Abs. 1 GG) nicht verletzt (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 VwGO).

Hierfür reicht der Vorwurf nicht aus, der Senat habe falsch entschieden; denn dass ein Gericht angeblich Tatsachen unrichtig gewürdigt hat, kann den Verstoß gegen den Grundsatz rechtlichen Gehörs nicht begründen, weil Art. 103 Abs. 1 GG nicht schon dadurch verletzt wird, dass der Richter im Zusammenhang mit der ihm obliegenden Tätigkeit zur Sammlung, Feststellung und Bewertung der von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen zu einer möglicherweise unrichtigen Feststellung gekommen ist (BVerfG, Beschl. v. 19.07.1967 - 2 BvR 639/66 -, BVerfGE 22, 267 [273 f]; Beschl. v. 04.04.1991 - 2 BvR 1497/90 -, InfAuslR 1991, 262 [263]; ständige Rechtsprechung des Senates, z. B.: Beschl. v. 10.03.2002 - A 2 S 54/98 -).

Der Senat hat entgegen der Auffassung der Antragsteller entscheidungserheblichen Vortrag nicht übergangen.

Schon einfaches Verfahrensrecht (§§ 108 Abs. 1 Satz 2; 117 Abs. 2 Nr. 5; 122 VwGO) verlangt nicht, dass sich die Entscheidungsgründe mit jeder Einzelheit des Vorbringens befassen; es genügt vielmehr die Angabe der Gründe, "die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind". Der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet dem Gericht gleichfalls nicht, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG, Beschl. v. 17.11.1992 - 1 BvR 168,1509/89, 638,639/90 -, BVerfGE 87, 363 [392 f]). Art. 103 Abs. 1 GG fordert allein, dass das Gericht das Vorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 - 1 BvR 986/91 -, BVerfGE 86, 133 [145]). Art. 103 Abs. 1 GG ist erst verletzt, wenn das Gericht gegen diesen Grundsatz erkennbar verstoßen hat; das Bundesverfassungsgericht geht grundsätzlich davon aus, dass ein Gericht dem Verfassungsgebot entsprochen hat (BVerfGE 86, 133 [146]; 87, 363 [392]). Als Indiz für die Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG ist erst anzusehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Parteivortrags zu einer Frage von zentraler Bedeutung nicht eingegangen ist, sofern das Vorbringen vom Gericht nicht für unerheblich oder offensichtlich unsubstanziiert gehalten wird (BVerfGE 86, 133 [146]).

Den Vortrag, die Satzung sei im Ortsteil H. nicht zusätzlich veröffentlicht worden, konnte der Senat vernachlässigen, weil es nach dem Hauptsatzungsrecht der Gemeinde zur Wirksamkeit der Satzung allein einer Veröffentlichung im "Biederitzer Buschfunk" bedurfte; dieser Annahme des Verwaltungsgerichts haben die Antragsteller nicht substanziiert widersprochen.

Hinsichtlich der Höhe der Forderung ist nicht erkennbar, dass der Senat Vortrag der Antragsteller übergangen hat; denn er hat ihn mit Rücksicht auf die Natur des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz hier nicht für beachtlich gehalten, sondern die Prüfung der Sachrügen insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dem begegnen die Antragsteller ohne Erfolg mit dem Hinweis auf § 86 Abs. 1 VwGO und die dazu vorliegende Kommentierung bei Kopp; denn die Aussagen zur Aufklärungspflicht im Klageverfahren (Schenke, a. a. O., § 86 RdNr. 5) gelten wegen der unterschiedlichen Natur beider Verfahrensarten nicht in gleichem Umfang auch für das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz. Das belegt das "Prüfungsprogramm" des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach die Aussetzung nicht schon notwendig ist, wenn irgend welche vorgebrachten Rügen erhoben werden, sondern nur dann, wenn an der Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung "ernstliche Zweifel" bestehen; allein in diesem Umfang besteht die Aufklärungspflicht entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz. Keinesfalls ist das Gericht in diesem Verfahrensstadium bereits verpflichtet, "jede mögliche Aufklärung ... bis an die Grenze der Zumutbarkeit" zu versuchen.

Kam es nach der Rechtsauffassung des Senats auf die Frage der Abschnittsbildung nicht an, so bestand auch keinerlei "Hinweispflicht" (Schriftsatz, S. 3 [zu Nr. 1, Mitte]).

Ende der Entscheidung

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