Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 02.04.2003
Aktenzeichen: 1 U 702/02
Rechtsgebiete: ZPO, VOB/B


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
VOB/B § 5 Abs. 4
VOB/B § 8 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 U 702/02

Verkündet am 2.4.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2003 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Theis sowie der Richter am Oberlandesgericht Dr. Gehrlein und Schmidt

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. November 2002 verkündete Grundurteil des Landgerichts in Saarbrücken - 7 II O 76/01 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4.000 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Der Wert der durch diese Entscheidung begründeten Beschwer der Klägerin wird auf 53.467,81 EUR (104.573,95 DM) festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wurde von der Straßen- und Verkehrsverwaltung im Jahre 2000 beauftragt, bei ... im Bereich der B 270 ein Brückenbauwerk zu sanieren, das eine Gleisanlage der Deutschen Bundesbahn und das Bachbett der Lauter überspannt. Die Beklagte übernahm als Subunternehmerin der Klägerin die Gerüstbau- und Korrosionsschutzarbeiten.

Für die Gerüstbauarbeiten, die allein den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden, hatte die Beklagte zunächst ein Angebot über 130.650 DM (netto) abgegeben (Bl. 83 d.A.). Nachdem sich die Klägerin damit einverstanden erklärt hatte, dass die Beklagte das Gerüst in drei Abschnitten erstellt, einigten sich die Parteien, die ihrem Vertrag die VOB/B zu Grunde legten, am 9. August 2000 (Bl. 15 ff. d.A.) auf einen Preis in Höhe von 97.350 DM (netto).

Die Beklagte rüstete in der Folgezeit die Brücke bis zum ersten Brückenkopfpfeilerpaar ein. Mit Schreiben von 2. Oktober 2000 setzte die Klägerin der Beklagten zur Überbrückung der Lauter eine Frist bis zum 5. Oktober 2000; zugleich drohte die Klägerin für den Fall eines fruchtlosen Fristablaufs die Kündigung des Vertrages an (Bl. 21 d.A.). Die Beklagte erwiderte durch Schreiben vom 19. Oktober 2000 (Bl. 22 d.A.), zwischen den Parteien sei ein Gerüstbau in drei Abschnitten zu je ein Drittel vereinbart worden. Entgegen dieser Abrede verlange die Klägerin nunmehr, das Gerüst über das bereits bestehende Drittel hinaus anzubauen. Diesem Wunsch stimme die Beklagte "entgegenkommenderweise" zu und werde die Arbeiten nächste Woche ausführen. Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 20. Oktober 2000 die Beklagte auf (Bl. 23 d.A.), die Gerüstarbeiten bis zum 25. Oktober 2000 einschließlich der zum Auftrag gehörenden Gerüsterstellung im Bereich der Stützen abzuschließen (Bl. 23 d.A.).

Schließlich setzte die Klägerin durch Schreiben vom 25. Oktober 2000 (Bl. 24 d.A.) und vom 7. November 2000 (Bl. 25 ff d.A.) der Beklagten zur Überbrückung der Lauter und Einrüstung der Stützen eine Frist bis zum 3. November 2000 bzw. 10. November 2000. Mit den Fristsetzungen war die Androhung verbunden, nach fruchtlosem Fristablauf den Vertrag zu kündigen. Schließlich bestimmte die Klägerin mit Schreiben vom 15. November 2000 der Beklagten zur Überbrückung der Lauter eine "allerletzte Nachfrist" bis zum 20. November 2000 (Bl. 93, 96 d.A.). Für den Fall eines fruchtlosen Fristablaufs nahm die Klägerin auf die in den früheren Schreiben angekündigten Maßnahmen Bezug. Zwischenzeitlich führte die Beklagte weitere Arbeiten durch.

Schließlich kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 den Auftrag Gerüstbau gegenüber der Beklagten fristlos (Bl. 29 ff. d.A.). Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, am vergangenen Donnerstag seien drei Mitarbeiter der Klägerin an der Baustelle erschienen, hätten aber keine nachhaltigen Arbeiten vorgenommen.

Mit vorliegender Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten Schadensersatz wegen der Mehrkosten, die durch die Entziehung des Auftrags und die Vergabe der Arbeiten an einen Drittunternehmer entstanden seien.

Die Klägerin hat beantragt (Bl. 207, 2 d.A.),

die Beklagte zu verurteilen, an sie 104.573,95 DM (53.467,81 EUR) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt (Bl. 207 d.A.).

Durch das angefochtene Grundurteil (Bl. 227 ff. d.A.), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Nach Auffassung des Landgerichts war die Klägerin zur Kündigung berechtigt, weil die Voraussetzungen für eine Entziehung des Auftrages vorlagen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Sie rügt, sie sei im Rahmen des ersten Arbeitsabschnitts bereits nicht verpflichtet gewesen, die Brücke über das Flussbett der Lauter hinweg einzurüsten. Eine wirksame Vertragsfrist sei zwischen den Parteien nicht vereinbart worden. Im Übrigen sei sie auch nicht in Verzug geraten, weil die eingetretenen Verzögerungen von der Klägerin zu vertreten seien.

Die Beklagte beantragt (Bl. 336, 279 d.A.),

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (Bl. 336, 258 d.A.),

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung der Beklagten ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

Die von der Klägerin am 21. Dezember 2000 erklärte, auf §§ 8 Abs. 3, 5 Abs. 4 VOB/B gestützte außerordentliche Kündigung des Gerüstbauvertrages ist unwirksam, weil die Fälligkeit der angemahnten Werkleistung nicht nachgewiesen ist (I) und es an einer ordnungsgemäßen Nachfristsetzung fehlt (II).

I.

Die Klägerin hat bereits als Grundvoraussetzung einer außerordentlichen Vertragskündigung im Sinne der §§ 8 Abs. 3, 5 Abs. 4 VOB/B die Fälligkeit der von ihr angemahnten Werkleistung nicht dargetan.

1. Der Auftraggeber ist nach § 8 Abs. 3 VOB/B berechtigt, den Vertrag zu kündigen, wenn eine nach § 5 Abs. 4 VOB/B gesetzte Frist fruchtlos abgelaufen ist. § 5 Abs. 4 VOB/B setzt den Verzug des Auftragnehmers nach den allgemeinen Verzugsregeln (§§ 284 ff. a.F. BGB) voraus. Die Vorschrift verlangt, dass entweder eine zwischen den Parteien vereinbarte, kalendermäßig bestimmte Frist überschritten oder der Auftragnehmer nach Eintritt der Fälligkeit durch eine Mahnung in Verzug gesetzt wurde (Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB/B, § 5 Rn. 35). Der Auftragnehmer muss also erst tätig werden, nachdem sämtliche Fälligkeitsvoraussetzungen erfüllt sind (Heiermann/Riedel/Rusam, VOB/B, 9. Aufl., § 5 Rn. 17).

2. Die Parteien haben ausdrücklich vereinbart, dass das von der Beklagten geschuldete Gerüst in drei Abschnitten zu errichten ist (Bl. 15 d.A.). Zu der von der Klägerin erwünschten Reduzierung des Werklohns von 130.650 DM (netto) auf 97.350 DM (netto) hat sich die Beklagte nur wegen der Möglichkeit, an Stelle einer Volleinrüstung der Brücke die Einrüstung in drei Schritten materialsparend vornehmen zu können, bereit gefunden. Deshalb konnte die Klägerin die Errichtung des zweiten bzw. dritten Abschnitt des Gerüst erst beanspruchen, nachdem die mit Hilfe des ersten Gerüstabschnitts herzustellenden Arbeiten beendet waren und dieser Teil des Gerüsts nicht mehr benötigt wurde, sondern zwecks Fortsetzung der Arbeiten umgesetzt werden konnte. Nur durch eine solche Art sukzessiver Arbeitsweise war gewährleistet, dass die Beklagte während der gesamten Baumaßnahme nur jeweils ein Drittel des insgesamt benötigten Gerüstmaterials vorzuhalten braucht.

3. Die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin hat indes die Fälligkeit- und Verzugsvoraussetzungen nicht dargelegt. Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Verzugs vorliegen, trägt der Gläubiger. Mithin muss die Klägerin als Gläubigerin beweisen, dass die Leistung fällig ist und der Schuldner zur Leistung aufgefordert wurde bzw. eine Mahnung entbehrlich ist (Münchener Kommentar/Thode, BGB, 3. Aufl., § 284 Rn. 85).

a) Es ist weder substantiiert dargetan noch sonst ersichtlich, dass die Beklagte den ersten Abschnitt der Einrüstung nicht ordnungsgemäß vorgenommen hat. In den Vertragsunterlagen der Parteien sind die drei Abschnitte nicht annährungsweise konkretisiert. Auch fehlt es an Anhaltspunkten, dass die Abschnitte jeweils exakt einem Drittel des Längenmaßes der Brücke von 142 Metern entsprechen sollen. Auch den Schreiben der Parteien vom 2. August 2000 (Bl. 21 d.A.) und 19. Oktober 2000 (Bl. 22 d.A.) sind keine - wie auch der Erstrichter zutreffend ausführt (Bl. 236 d.A.) - hinreichenden Präzisierungen zu entnehmen.

b) Ferner hat sich die Beklagte - entgegen der Auffassung des Erstrichters (Bl. 236 d.A.) - nicht verpflichtet, abweichend und über die vertragliche Abrede hinausgehend noch vor Abschluss des ersten Abschnitts auch den Bereich des Bachbetts der Lauter einzurüsten.

Im Schreiben der Beklagten vom 19. Oktober 2000 (Bl. 22 d.A.) heißt es, auf "Wunsch" der Klägerin "entgegenkommenderweise" mit der Überbrückung der Lauter zu beginnen. Diese Erklärung kann nicht der Vertragswille entnommen werden, eine über die vertragliche Einigung hinausgehende zusätzliche Verpflichtung zu übernehmen. Vielmehr hat die Beklagte in dem Schreiben lediglich zum Ausdruck gebracht, in Form von Kulanz einem rechtlich unverbindlichen "Wunsch" - mithin keinem vertraglichen Anspruch - Folge zu leisten. Der Wille der Beklagten, keine weitere vertragliche Verpflichtung einzugehen, wird auch aus dem Einleitungssatz des Schreibens deutlich, wo sich die Beklagte auf die dem günstigen Preis zu Grunde liegende vertragliche Vereinbarung beruft.

c) Bei dieser Sachlage ist Voraussetzung für die Fälligkeit des Anspruchs der Klägerin, auch den zweiten Abschnitt des Bauvorhabens einzurüsten, dass die eigenen Arbeiten im ersten Abschnitt abgeschlossen sind und das Gerüst abgebaut werden kann. Ein entsprechender Sachverhalt ist indes nicht vorgetragen.

II.

Überdies ist die außerordentliche Kündigung der Klägerin vom 21. Dezember 2000 mangels einer gültigen Nachfristsetzung als unwirksam zu erachten.

1. Nach §§ 8 Abs. 3, 5 Abs. 4 VOB/B rechtfertigen Terminüberschreitungen grundsätzlich nur dann eine Beendigung des Vertragsverhältnisses, wenn der Auftraggeber dem Auftragnehmer ohne Erfolg eine angemessene Frist zur Vertragserfüllung gesetzt und erklärt hat, dass er ihm nach fristlosem Ablauf der Frist den Auftrag entziehe. Jedoch ist eine erneute Fristsetzung nötig, wenn der Auftraggeber nach Ablauf der gesetzten Frist weitere Arbeiten des Auftragnehmers erbringen lässt, also nicht in unmittelbarem Anschluss an die abgelaufene Frist die Kündigung erklärt. Nimmt der Auftraggeber nach Ablauf der von ihm gesetzten Frist noch Arbeiten des Auftragnehmers entgegen, kann er also erst nach erneuter Fristsetzung nebst Androhung des Auftragsentzuges wirksam kündigen (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 149; OLG Karlsruhe, BauR 1987, 448 f.; Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen a.a.O., § 5 VOB/B Rn. 45; Ingenstau/Korbion, VOB, 13. Aufl., VOB/B § 5 Rn. 45).

2. Nach diesen Grundsätzen fehlt es im Streitfall an einer ordnungsgemäßen Nachfristsetzung.

a) Die Klägerin hat der Beklagten bereits mit Schreiben vom 2. Oktober 2000 eine Frist mit Kündigungsandrohung gesetzt. Entsprechende Fristen wurden der Beklagten mit Schreiben vom 25. Oktober 2000 und 7. November 2000 bestimmt. Schließlich setzte die Klägerin der Beklagten durch Schreiben vom 15. November 2000 eine letzte Nachfrist bis zum 20. November 2000. Durch Schreiben vom 21. Dezember 2000 kündigte die Klägerin den Gerüstbauvertrag.

b) Bei dieser Sachlage fehlt es an einer ordnungsgemäßen Nachfristsetzung, weil die Klägerin der Beklagten wiederholt (vier Mal) eine Frist mit Kündigungsandrohung gesetzt, aber nach Fristablauf weitere Arbeiten der Beklagten entgegengenommen hat. Nach der eigenen Darstellung der Klägerin fanden sich Mitarbeiter der Beklagten am 30. Oktober, 31. Oktober, 2. November, 6. November, 7. November (Bl. 319 d.A.) und 30. November 2000 (Bl. 321 d.A.) an der Baustelle ein. Folglich hat die Klägerin noch nach Ablauf der durch Schreiben vom 15. November 2000 bis zum 20. November 2000 gesetzten Nachfrist Arbeiten der Beklagten an der Baustelle geduldet. Vor diesem Hintergrund bedürfte es jedoch der Setzung einer weiteren Nachfrist, um zu einer fristlosen Kündigung des Bauvertrages zu schreiten.

3. Die Kündigung ist nicht ausnahmsweise trotz fehlender Fristsetzung wirksam.

a) Es ist anerkannten Rechts, dass sich eine Partei nicht am Vertrag festhalten zu lassen braucht, wenn der Vertragspartner bei der Abwicklung des Vertrages durch schuldhaftes Verhalten eine solche Unsicherheit in das Vertragvershältnis hineinbringt, dass dem Vertragstreuen Teil die Aufrechterhaltung des Vertrages nicht mehr zugemutet werden kann (BGH NJW 1969, 975 f.; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 149).

b) Eine derart schwerwiegende Unzuverlässigkeit kann der Beklagten nicht angelastet werden, selbst wenn sie die Arbeiten nicht mit höchster Priorität beschleunigt hat. Einerseits muss sich die Klägerin nach den Feststellungen des Erstgerichts eigene Vertragsuntreue wegen einer Asbestverschmutzung vorhalten lassen, wodurch die Arbeiten der Beklagten erschwert und verzögert wurden. Außerdem ist zu beachten, dass die Klägerin nicht sämtliches Vertrauen in die Beklagte verloren hat und trotz der bis zum 20. November 2000 gesetzten Nachfrist erst am 21. Dezember 2000 die Kündigung des Vertrages erklärt hat. Schließlich ist auch zu beachten, dass die Klägerin das Vertragsverhältnis zur Beklagten im Blick auf die Korossionsarbeiten aufrechterhalten hat. Vor diesem Hintergrund kann eine Kündigung des Vertragsverhältnis ohne ordnungsgemäße Bestimmung einer Nachfrist nicht gebilligt werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, während die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO beruht.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück