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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 12.04.2000
Aktenzeichen: 1 U 771/99
Rechtsgebiete: BGB, AGBG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1357
BGB § 611
BGB § 1360
BGB § 1360 a
BGB § 1357 Abs. 1
AGBG § 3
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT URTEIL IM NAMEN DES VOLKES

1 U 771/99-191- 16 O 57/99

Verkündet am 12. April 2000 Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. April 2000 durch die Richter am Oberlandesgericht Theis, Dr. Gehrlein und Schmidt

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 28. Juli 1999 verkündete Urteil des Landgerichts in Saarbrücken - 16 O 57/99 - teilweise abgeändert:

Der Erstbeklagte wird verurteilt, an das klagende Land 26.295,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. November 1996 zu zahlen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Von den gerichtlichen Kosten des Rechtsstreits und den außergerichtlichen Auslagen des Klägers tragen der Kläger und der Erstbeklagte je 1/2.

Der Erstbeklagte hat seine außergerichtlichen Auslagen allein zu tragen.

Der Kläger hat die außergerichtlichen Auslagen der Zweitbeklagten zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Wert der durch diese Entscheidung begründeten Beschwer des Klägers und des Erstbeklagten sowie der Streitwert des Berufungsverfahrens werden auf jeweils 26.295,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

(abgekürzt gemäß § 543 ZPO)

Der Erstbeklagte wurde im Anschluss an einen Unfall am 31. Mai 1996 in die Universitätsklinik aufgenommen, deren Träger das klagende Land ist, und dort im Zeitraum bis zum 10. Juli 1996 stationär behandelt. Die während der Dauer vom 31. Mai bis 3. Juni 1996 entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 2.780,-- DM übernahm die A weil die Zweitbeklagte, die Ehefrau des Erstbeklagten, bis zum 3. Juni 1996 Arbeitslosenhilfe bezog und auf diese Weise dem Erstbeklagten einen gesetzlichen Krankenversicherungsschutz vermittelte.

Am 5. Juni 1996 unterzeichnete der Erstbeklagte einen ihm von der Universitätsklinik unterbreiteten vorformulierten "Aufnahmevertrag" (Bl. 15 d.A.). Darin ist in Fettdruck ausgeführt:

"Für den Fall, dass keine Kostenübernahmeerklärung eines Sozialleistungsträgers, eines sonstigen öffentlich-rechtlichen Kostenträgers oder einer privaten Krankenversicherung vorgelegt wird oder die vorgelegte Kostenübernahmeerklärung nicht die Kosten aller in Anspruch genommenen Leistungen abdeckt, ist der Patient ganz bzw. teilweise als Selbstzahler zur Zahlung des Entgeltes für die Krankenhausleistungen verpflichtet."

Mit vorliegender Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Zahlung der noch offenen Behandlungskosten in Höhe von 26.295,-- DM in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte sowie ordnungsgemäß begründete Berufung des Klägers ist zulässig und hat Erfolg, soweit von dem Erstbeklagten Zahlung in Höhe von 26.295,-- DM begehrt wird. Demgegenüber ist das gegen die Zweitbeklagte auf § 1357 BGB gestützte Zahlungsverlangen unbegründet.

I.

Der Erstbeklagte ist dem Kläger gemäß § 611 BGB zur Zahlung in Höhe von 26.295,-- DM verpflichtet.

1. Da der Erstbeklagte im Blick auf die Behandlungskosten weder gesetzlich krankenversichert noch sozialhilfeberechtigt ist, scheidet eine Überleitung des Honoraranspruchs des Klägers auf eine Krankenkasse oder den Träger der Sozialhilfe aus.

a) Der niedergelassene Kassenarzt und der Kassenpatient sind einander durch einen privatärztlichen Behandlungsvertrag verbunden, der stillschweigend zu Stande kommt, indem sich der Patient in die Behandlung begibt und der Arzt die Behandlung übernimmt (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 3. Aufl., A 9). Im Unterschied zum Privatpatient ist jedoch der Honoraranspruch des Kassenarztes von dem Behandlungsvertrag abgekoppelt und richtet sich unmittelbar gegen die gesetzliche Krankenkasse (BGH NJW 1999, 858; BGH NJW 1984, 1820; Geiß/Greiner, a.a.O., A 10; Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rn. 48). Ebenso besteht im Rahmen einer stationären Behandlung ein privatrechtliches Behandlungsverhältnis zwischen Kassenpatient und Krankenhausträger (Geiß/Greiner a.a.O., A 23). Entsprechend dem Modell der ambulanten Versorgung ist auch bei einer stationären Behandlung der Honoraranspruch des Krankenhausträgers vom Behandlungsvertrag losgelöst und unmittelbar gegen die Krankenkasse gerichtet (Geiß/Greiner a.a.O, A 24).

b) Nach diesen Grundsätzen hat die Rechtsprechung Direktansprüche eines Krankenhausträgers gegen den krankenversicherten Patienten abgelehnt, wenn dessen Kasse aus sozialversicherungsrechtlichen Gründen die Kostenübernahme verweigert (OLG Köln NJW 1990, 1537 f. LG Bremen NJW 1991, 2353). Mithin, darf der krankenversicherte Patient, der sich auf Grund einer kassenärztlichen Einweisung in ein Krankenhaus begibt, darauf vertrauen, mit den Kosten der Behandlung nicht belastet zu werden (OLG Köln, VersR 1987, 792). Daran anknüpfend ist der Anspruch auf Zahlung der Krankenhauskosten für die Behandlung eines sozialhilfeberechtigten Patienten nicht gegen diesen, sondern ausschließlich den Träger der Sozialhilfe geltend zu machen (OLG Köln NJW-RR 1995, 366 f.).

2. Von den geschilderten Fallgestaltungen weicht die vorliegende Sache jedoch im entscheidenden Punkt ab, weil der Erstbeklagte im maßgeblichen Behandlungszeitraum ab dem 3. Juni 1996 weder gesetzlich krankenversichert noch sozialhilfeberechtigt war und daher eine Kostenübernahme durch einen Träger der Krankenversicherung oder Sozialhilfe von vorneherein nicht in Betracht kam. Bei gänzlich fehlendem Versicherungsschutz bleibt jedoch der Patient Schuldner des Honoraranspruchs.

a) Zwischen dem Krankenhausträger und dem Kassenpatient bestehen privatrechtliche Rechtsbeziehungen, die insbesondere dem Patienten im Falle von Leistungsstörungen die Rechtsbehelfe des bürgerlichen Vertragsrechts eröffnen und den Krankenhausträger zur Einhaltung von Aufklärungs und Sorgfaltspflichten verpflichten. Diese privatrechtlichen Verpflichtungen betreffen indes nur die Behandlungsebene und lassen die Kostenebene unberührt. Grundsätzlich besteht zwischen dem Krankenhausträger und dem Kassenpatienten auf der Kostenebene kein Vertragsverhältnis, das den Kassenpatienten verpflichtet, dem Krankenhausträger die Kosten der Behandlung zu erstatten (LG Bremen, NJW 1991, 2353).

b) Vorliegend war der Erstbeklagte während des der Klageforderung zu Grunde liegenden Behandlungszeitraums indes weder gesetzlich krankenversichert noch sozialhilfeberechtigt. Darum sind die Grundsätze, nach denen der Honoraranspruch vom Behandlungsvertrag abgekoppelt wird, schon im Ansatz unanwendbar. Naturgemäß kommt eine Überleitung des Vergütungsanspruchs vom Patienten auf den Träger der Krankenversicherung oder der Sozialhilfe allein in Betracht, wenn der Patient tatsächlich gesetzlich krankenversichert oder sozialhilfeberechtigt ist. Scheidet hingegen sowohl eine gesetzliche Krankenversicherung als auch eine Sozialhilfeberechtigung aus, fehlt es an einem Tatbestand, der den Honoraranspruch des Arztes auf einen Dritten verlagern kann. In diesen Fällen gänzlich fehlenden Krankenversicherungsschutzes bleibt es vielmehr dabei, dass der Patient als Vertragspartner des Arztes oder Krankenhauses das Behandlungshonorar persönlich schuldet. Es liegt im eigenen Interesse des Patienten, durch Beitritt zu einer gesetzlichen Krankenversicherung oder Erwirkung von Sozialhilfe gegen eine Inanspruchnahme auf Zahlung von Behandlungskosten wirksam Vorkehr zu treffen. Versäumt der Patient diese seinem eigenen Schutz dienende Vorsorge, muss er, weil ein sonstiger Honorarschuldner nicht vorhanden ist, für die Behandlungskosten selbst aufkommen. Andernfalls könnte sich selbst ein wirtschaftlich leistungsfähiger Patient, dessen gesetzlicher Krankenversicherungsschutz aus unvorhergesehenen Gründen endet, jeder Zahlungspflicht entziehen.

c) Der Erstbeklagte war ab dem 3. Juni 1996 nicht mehr gesetzlich krankenversichert. Außerdem wurde seinem Antrag auf Bewilligung von Sozialhilfe nicht stattgegeben. Mithin muss der Erstbeklagte die angefallenen Behandlungskosten in Höhe von 26.295,-- DM selbst tragen.

3. Im Übrigen folgt die Zahlungsverpflichtung des Erstbeklagten auch aus dem von ihm am 5. Juni 1996 unterzeichneten Aufnahmevertrag, durch den er sich, sofern kein öffentlich-rechtlicher Kostenträger eintritt, zur Zahlung des Entgelts für die Krankenhausleistungen verpflichtete. Diese Klausel verstößt nicht gegen § 3 AGBG.

a) Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner mit ihnen nicht zu rechnen braucht, liegen dann vor, wenn ihnen ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnt und zwischen ihrem Inhalt und den Erwartungen des Kunden eine deutliche Diskrepanz besteht. Die Klausel muss eine Regelung enthalten, mit der der Vertragspartner den Umständen nach vernünftigerweise nicht zurechnen braucht. Auch der ungewöhnliche äußere Zuschnitt der Klausel, ihre Unterbringung an unerwarteter Stelle, kann die Bestimmung zu einer ungewöhnlichen und damit überraschenden Klausel machen (BGHZ 84, 109, 113).

b) Dem Vertragsformular kann ein Überraschungseffekt nicht entnommen werden. Die Verpflichtung zur Übernahme der Kosten findet sich bereits im zweiten Satz des knapp gefassten, mit einem Blick überschaubaren Vertragstextes. Überdies ist die Erklärung in Fettdruck gehalten und kann daher auch von einem flüchtigen Leser nicht übersehen werden. Ferner kann die Belastung mit der Kostenpflicht aus Warte des Klägers nicht als überraschend eingestuft werden. Überraschender Charakter mag dieser Klausel innewohnen, wenn sie gegenüber einem gesetzlich versicherten Patienten verwendet wird, der von einer Kostenübernahme durch seine Krankenkasse ausgehen darf (OLG Köln VersR 1987, 792; LG Bremen, NJW 1991, 2353 f.). Anders verhält es sich aber bei einem Patienten, der - wie hier - keine Vorsorge gegen eine Kostenübernahme durch eine Versicherung oder einen Sozialhilfeträger geschaffen hat. Er muss damit rechnen, dass der Krankenhausträger ihn mangels sonstiger Rückgriffmöglichkeiten persönlich in Anspruch nimmt. Soweit das Vertragsformular von dem Erstbeklagten erst nach Aufnahme der Behandlung unterzeichnet wurde, erwächst dem Kläger daraus kein Rechtsnachteil, weil die Verpflichtungserklärung des Beklagten lediglich die Grundversorgung, aber nicht Wahlleistungen umfasst (Wolf in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl., § 9 K Rn. 23).

3. Zinsen können dem Kläger mangels Vereinbarung eines höheren Zinssatzes durch AGB nur in der gesetzlichen Höhe zuerkannt werden.

II.

Unbegründet ist die Berufung dagegen, soweit die Klägerin auf der Grundlage des § 1357 BGB von der Zweitbeklagten Zahlung in Höhe von 26.295,-- DM fordert.

1. Eine medizinisch gebotene ärztliche Behandlung ohne Inanspruchnahme von Sonderleistungen ist grundsätzlich eine Maßnahme zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie (BGHZ 116, 184, 187). Ärztliche Behandlungskosten in einer Höhe, wie sie hier entstanden sind, stellen unterhaltsrechtlichen Sonderbedarf dar. Die Verpflichtung zu dessen Deckung setzt, soweit die Kosten nicht durch eine Krankenversicherung abgedeckt sind, grundsätzlich Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Ehegatten, bei nicht getrennt lebenden Eheleuten also die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie im Rahmen der §§ 1360, 1360 a BGB, voraus. Ist diese nicht gegeben, überschreiten die Kosten einer - auch medizinisch indizierten, unaufschiebbaren - ärztlichen Behandlung eines Ehegatten vielmehr eindeutig die wirtschaftlichen Verhältnisse und finanziellen Möglichkeiten der nicht krankenversicherten Familie, dann scheidet eine Mitverpflichtung des anderen Ehegatten gemäß § 1357 Abs. 1 BGB nach den Umständen von vornherein aus (BGHZ 116, 184, 188 f .).

2. Die Zweitbeklagte bezieht Sozialhilfe. Bei dieser Sachlage versteht es sich von selbst, dass eine Mitverpflichtung zur Tragung von Behandlungskosten in Höhe von 26.295,-- DM angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie nicht mehr durch § 1357 Abs. 1 BGB gedeckt ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92, Abs. 1 ZPO, während, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO beruht.

Ende der Entscheidung

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