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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 14.02.2003
Aktenzeichen: 1 Ws 224/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO §§ 359 ff
StPO § 359 Nr. 5
StPO § 363
StPO § 458 Abs. 1
StPO § 460
StPO § 462 a Abs. 3
StPO § 467 Abs. 1
StGB § 55
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

1 Ws 224/02

Strafsache

gegen ..., geboren am Mai 1974 in ..., wohnhaft ..., verheiratet, Deutscher

wegen Verletzung der Unterhaltspflicht

(hier: Korrektur einer fehlerhaften Gesamtstrafenbildung)

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 8. November 2002 gegen den Beschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Oktober 2002

hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 14. Februar 2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Balbier die Richterin am Oberlandesgericht Morgenstern-Profit die Richterin am Landgericht Burmeister

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Neunkirchen hatte den Angeklagten am 29. Februar 2000 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht in Tatmehrheit mit Diebstahl geringwertiger Sachen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Durch Urteil der 6. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Januar 2002 war die Berufung des Angeklagten gegen dieses Urteil nach Teileinstellung des früheren Anklagevorwurfs wegen Diebstahls geringwertiger Sachen mit der Maßgabe verworfen worden, dass der Angeklagte - ausgehend von der von dem Amtsgericht verhängten Einzelstrafe von sechs Monaten Freiheitsstrafe für die Unterhaltspflichtverletzung als Einsatzstrafe - unter Einbeziehung einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 DM aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Heilbronn vom 30. August 2000 (Az.: 41 Cs 16 Js 20838/00) und von fünf weiteren Einzelstrafen von viermal zwei Monaten und einmal einem Monat Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 26. Oktober 2000 (Az.: 22 Ds 56 Js 11610/00) und Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung war dem erkennenden Gericht nicht bekannt, dass die fünf Einzelstrafen aus dem zuletzt genannten Urteil schon vorher, nämlich bereits am 20. September 2001 durch nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Heilbronn (Az.: 41 Ds 21 Js 30195/00, rechtskräftig seit 9.10.2001) in eine weitere Gesamtstrafe einbezogen worden waren.

Gegen das Urteil der 6. Strafkammer wurde kein Rechtsmittel eingelegt; es ist rechtskräftig seit dem 11.1.2002.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken hat nach Bekanntwerden der vorgreiflichen Gesamtstrafenbildung durch das Amtsgericht Heilbronn und der aus dem Bundeszentralregisterauszug ersichtlichen "Doppelbestrafung" am 23. September 2002 bei der 6. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken den Antrag gestellt, analog $ 460 StPO unter Aufhebung der im Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Januar 2002 fehlerhaft gebildeten Gesamtstrafe eine neue Gesamtstrafe zu bilden.

Die 6. Strafkammer hat diesen Antrag mit Beschluss vom 8. Oktober 2002 als unzulässig zurückgewiesen.

Sie ist der Auffassung, sie sei gemäß § 462 a Abs. 3 StPO zur Entscheidung über den Antrag als Berufungsgericht nicht befügt; vielmehr sei das Gericht des ersten Rechtszuges und damit das Amtsgericht Neunkirchen zuständig. Gegen den ihr formlos übermittelten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft am 8. November 2002 Beschwerde eingelegt, der Vorsitzende der 6. Strafkammer nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Auffassung, die Korrektur der fehlerhaften Gesamtsstrafenbildung sei über eine Entscheidung des Gerichts nach § 458 Abs. 1 (i.V.m. §§ 462, 462 a) StPO herbeizuführen.

II.

Die nach Ablehnung einer Sachentscheidung durch die 6. Strafkammer statthafte einfache und auch im übrigen zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist nicht begründet.

Im Ergebnis hat die Kammer es zu Recht abgelehnt, ihr eigenes Urteil im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufzuheben und eine neue Gesamtstrafe zu bilden. Das Urteil vom 3. Januar 2002 bedarf allerdings im Gesamtstrafenausspruch der Korrektur.

Zum Zeitpunkt der nachträglichen Gesamtstrafenbildung am 3. Januar 2002 lagen die Voraussetzungen des § 55 StGB hinsichtlich der durch Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 26. Oktober 2000 verhängten Einzelstrafen von vier mal 2 Monaten und einmal einem Monat nicht (mehr) vor, weil diese Einzelstrafen bereits in eine durch nachträglichen Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 20. September 2001 gebildete Gesamtstrafe eingegangen waren.

Die nachträgliche Gesamtstrafenbildung durch das Amtsgericht Heilbronn vom 20. September 2001 ist zu Recht erfolgt. Ihr liegt eine Verurteilung vom 9. Mai 2001 durch das Amtsgericht Heilbronn wegen einer Tat vom 24. Oktober 2000 zugrunde, die wegen der durch die Verurteilung vom 30. August 2000 eingetretenen Zäsurwirkung nicht ihrerseits gesamtstrafenfähig mit der Verurteilung durch die 6. Strafkammer vom 3. Januar 2002 war.

Der danach fehlerhafte, aber - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung - mangels greifbarer Gesetzwidrigkeit nicht nichtige, sondern lediglich anfechtbare (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. A, Einl. Rn 105; Löwe-Rosenberg/Gössel, StPO, 25. A., § 359 Rn 70) Gesamtstrafenausspruch im Urteil des Landgerichts vom 3.1.2002 verstößt gegen das in Art. 103 Abs. 3 GG enthaltene Doppelbestrafungsverbot. Die Einzelstrafen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits zur Bildung einer anderen Gesamtstrafe gedient. In beiden Gesamtstrafen sind dieselben anderweitig verhängten fünf Einzelstrafen enthalten.

Nachdem angesichts der Rechtskraft des Urteils eine Korrektur im Wege eines Revisionsverfahrens (vgl. BGHSt 9, 190; 20, 292; BGH NStZ 98, 350 f.) nicht mehr erreicht werden kann, war zu entscheiden, auf welche Weise die erforderliche Korrektur zu bewirken ist.

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft kann vorliegend eine Korrektur der fehlerhaften Gesamtstrafenbildung über eine Entscheidung des Gerichts nach § 458 Abs. 1 StPO nicht herbeigeführt werden.

In Rechtsprechung und Literatur wird allerdings z. T. vertreten, dass einer Doppelbestrafung durch Unzulässigerklärung der Vollstreckung aus dem zweiten, fehlerhaften Urteil begegnet werden könne (vgl. OLG Koblenz NStZ 81, 520; KMR-Paulus, § 359 Rn. 47; Meyer-Goßner, a.a.O., § 359 Rn. 39; Peters, Fehlerquellen im Strafprozess S. 670). Der Senat brauchte nicht zu entscheiden, ob dem in der Verfassung verankerten Verbot des ne bis in idem bei einer Doppelbestrafung, die auf Unkenntnis eines früheren Urteils beruht, über eine Entscheidung nach § 458 Abs. 1 StPO, mit der lediglich die Unzulässigkeit der Vollstreckung festgestellt wird, überhaupt hinreichend Rechnung getragen wird, da nur die Vollstreckung wegen der "Doppelbestrafung" verhindert wird, der die Doppelbestrafung beinhaltende Schuldspruch jedoch weiter Bestand hat.

Vorliegend ist der Weg über § 458 Abs. 1 StPO - abgesehen davon, dass er einen Antrag des Verurteilten voraussetzt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 458 Rn 7 m.w.N.) - schon deshalb nicht gangbar, weil in die fragliche Gesamtstrafe nicht nur fünf Einzelstrafen fehlerhaft eingegangen sind, sondern die Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Recht einbezogen worden ist. Die Unzulässigerklärung der Vollstreckung dürfte sich daher nicht lediglich auf die die Einsatzstrafe von sechs Monaten übersteigende Vollstreckung beziehen, sondern müsste einen weiteren, mangels neuer Gesamtstrafenbildung derzeit nicht messbaren Anteil der zu Recht einbezogenen Einzelgeldstrafe von 100 Tagessätzen ausklammern.

Nach Ansicht des Senats ist die Korrektur aber aus rechtssystematischen Erwägungen auch nicht über eine (analoge) Anwendung des § 460 StPO - sei es allein, sei es i.V.m. § 458 Abs. 1 StPO - zu bewirken.

Für eine direkte Anwendung des § 460 StPO ist schon deshalb kein Raum, weil die fehlerhafte Gesamtstrafenbildung auf der Anwendung des § 55 StGB beruht, dessen Nichtanwendung § 460 StPO aber gerade voraussetzt.

Für eine analoge Anwendung der Vorschrift lässt sich eine tragfähige, rechtssystematischen Vorgaben verpflichtete Begründung nicht finden; allein mit "Gründen der Praktikabilität" kann die analoge Anwendung keinesfalls gerechtfertigt werden.

Zwar würde sich die Analogie vorliegend zugunsten des Angeklagten auswirken. Auch wird immerhin eine entsprechende Anwendung des § 460 StPO mit der Begründung, die Vorschrift bezwecke die Verwirklichung des materiellen Rechts ohne Rücksicht auf die Rechtskraft von Urteilen (BGHSt 35, 243) in anderen Fallkonstellationen befürwortet. So soll § 460 StPO entsprechend anwendbar sein, wenn trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 55 StGB im Urteil eine gebotene Gesamtstrafenbildung aus Irrtum unterblieben ist (vgl. BGHSt 35, 208, 214; OLG Karlsruhe NStZ 1987, 186; OLG Stuttgart, NStZ 1989, 47) oder wenn bei Wegfall einer Gesamtstrafe versehentlich nicht über die Frage der Bewährung entschieden worden ist (vgl. OLG Koblenz, NStZ 1991,555 m. Anm. Gössel; OLG Zweibrücken NStZ 1996, 303). Die vorgenannten Fälle haben gemeinsam, dass das jeweils erkennende Gericht gerade mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung oder der Auflösung einer Gesamtstrafe befasst war und die erweiternde Anwendung des § 460 StPO in diesem Zusammenhang bejaht wurde.

Vorliegend würde § 460 StPO aber gerade bemüht, ehe auf der Grundlage des § 55 StGB bereits abgeschlossene Gesamtstrafenbildung sozusagen "rückgängig zu machen". Das Landgericht ist mit der Gesamtstrafenbildung gerade nicht (mehr) befasst.

Auch würde die analoge Anwendung des § 460 StPO nach allgemeinen Grundsätzen eine Lücke im Gesetz voraussetzen, die nur auf diese Weise geschlossen werden kann (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Einl. Rn 198). Eine solche Lücke ist nicht vorhanden, denn die Korrektur eines gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßenden Gesamtstrafenausspruches ist - bei Urteilen wie bei Beschlüssen - über §§ 359 ff StPO zu erreichen.

Die Doppelbestrafung ist nämlich nach herrschender Lehre zugleich auch als eine Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO anzusehen, die bei Wiederaufnahme eines auf Unkenntnis einer früheren Verurteilung wegen derselben Tat eingeleiteten und durch Urteil abgeschlossenen Verfahrens zur Einstellung des die Doppelbestrafung nicht beachtenden Verfahrens wegen des Prozesshindernisses der bereits eingetretenen Rechtskraft führen kann (vgl. LR-Gössel, a.a.O., § 359 Rn. 70; LG Bochum, MDR 70, 259; LG Darmstadt, NJW 68, 1542; KK-Schmidt, StPO, 4. Auflage, § 359 Rn. 20). Da die Rechtskraft des Beschlusses nach § 460 StPO aber bewirkt, dass die Gesamtstrafe in gleicher Weise festgesetzt wird wie durch ein Urteil nach § 55 StGB wird die nachträgliche Abänderung eines soeben Beschlusses ebenso für unzulässig gehalten wie die nachträgliche Abänderung eines Urteils und deshalb auch für diese Fälle auf die (entsprechende) Anwendung der §§ 359 ff. StPO verwiesen (vgl. LG Stuttgart, NStZ 1997, 455).

Diese Grundsätze beanspruchen auch vorliegend Geltung.

Zwar sind die tatsächlichen Feststellungen des Urteils vom 3. Januar 2002 durch die Doppelbestrafung nicht unmittelbar betroffen. Zu der Doppelbestrafung ist es nicht infolge Unkenntnis einer früheren Verurteilung, sondern lediglich infolge Unkenntnis einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gekommen. Weder der Schuld- noch der Einzelstrafenausspruch des Urteils sind von dem Verfahrenshindernis betroffen, sondern lediglich die Einbeziehbarkeit und Vollstreckbarkeit im Rahmen des Gesamtstrafenausspruchs. Zudem kann es vorliegend nicht lediglich mit der (Teil-)Aufhebung des Gesamstrafenausspruchs sein Bewenden haben, sondern ist nach Aufhebung der Gesamtstrafe eine neue Gesamtstrafe zu bilden.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kann jedoch vorliegend mit dem Ziel des Entfallens der auf Unkenntnis der Doppelbestrafung beruhenden und deshalb in Anwendung des § 55 StGB zu Unrecht erfolgten Einbeziehung der fünf Einzelstrafen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden. Die Vorschrift des § 363 StPO steht nicht entgegen (vgl. LR-Gössel, a.a.O., § 359 Rn 66 und 142, § 363 Rn 4).

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den die Korrektur der bereits erfolgten Gesamtstrafenbildung in analoger Anwendung des § 460 StPO ablehnenden Beschluss der 6. Strafkammer bleibt daher ohne Erfolg.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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