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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 15.04.2008
Aktenzeichen: 4 U 193/07
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, PflVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 517
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
StVO § 4
StVO § 4 Abs. 1
StVO § 4 Abs. 1 Satz 1
StVO § 9 Abs. 5
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 2
StVG § 18 Abs. 1 S. 1
PflVG § 3 Nr. 1 a.F.
PflVG § 3 Nr. 2 a.F.
BGB § 187 Abs. 1
BGB § 286
BGB § 288
BGB § 291
Wer im dichten Stadtverkehr an einer ampelgeregelten Kreuzung unter Hinüberwechseln auf die andere Fahrbahnseite seine Fahrt in entgegengesetzter Richtung fortzusetzen beabsichtigt (sog. U-Turn), darf dies nur dann tun, wenn er dazu in der Lage ist, das beabsichtigte Fahrmanöver dem nachfolgenden Verkehr klar anzukündigen.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT Im Namen des Volkes Urteil

4 U 193/07

Verkündet am 15.04.2008

In dem Rechtsstreit

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27.02.2007 - 9 O 325/06 - wie folgt abgeändert:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 637, 96 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2006 zu zahlen.

Die Beklagten werden weiterhin als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 165, 71 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 60,33 Euroseit dem 28.11.2006 und aus weiteren 105,38 Euro seit dem 29.11.2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die bis zum 07.11.206 entstandenen Kosten des ersten Rechtszuges werden gegeneinander aufgehoben; im Übrigen werden die erstinstanzlichen Kosten dem Kläger zu 77 % und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 23 % auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.583, 98 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

In dem vorliegenden Rechtsstreit macht der Kläger gegen die Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 01.06.2006 gegen 17 Uhr an der Kreuzung R.- W.-Straße/B. Straße in H. ereignete. Der Kläger ist Halter und Eigentümer des an dem Unfall beteiligten PKW Mercedes A-Klasse, amtliches Kennzeichen: XXX. Der Beklagte zu 1) war am Unfalltag Fahrer des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW VW Passat, amtliches Kennzeichen: YYY.

Fahrer des klägerischen Fahrzeugs war im Unfallzeitpunkt der Zeuge S., der Schwiegersohn des Klägers; Beifahrerin war die Zeugin S., die Ehefrau des Zeugen S.. Im Fahrzeug des Beklagten zu 1) war Beifahrerin dessen Verlobte, die Zeugin T..

Wie in zweiter Instanz nunmehr unstreitig, standen beide Fahrzeuge unmittelbar vor dem Unfall auf der linken der beiden Linksabbiegerspuren hintereinander an der roten Ampel. Das klägerische Fahrzeug war das erste Fahrzeug an der roten Ampel und hatte den linken Blinker gesetzt. Nach Umspringen des Ampellichtes auf Grün fuhr der Zeuge S. an und wollte - wie bereits zuvor beabsichtigt - nach dem Linksabbiegen unmittelbar durch "kurzes Wenden" (U-Turn) um die in der Mitte der Fahrbahnen befindliche Verkehrsinsel herum in der Gegenrichtung weiterfahren. Ein solches "kurzes Wenden" ist an dieser Stelle nicht verboten. Während des Abbiegevorganges nach links fuhr der Beklagte zu 1) auf das Fahrzeug des Klägers auf, wobei das klägerische Fahrzeug am hinteren linken Kotflügel und Radkasten, das Fahrzeug des Beklagten vorne rechts beschädigt wurde.

Der Kläger macht gegenüber den Beklagten Schadensersatz in Höhe von insgesamt 5.167,96 € geltend, hiervon 4.568,92 € Reparaturkosten, 573,04 € Sachverständigenkosten und 26 € Auslagenpauschale. Am 7.11.2006 zahlte die Beklagte zu 2) 1.946,02 €. Das Fahrzeug des Klägers ist bis heute nicht repariert und wird weitergenutzt.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet,

der Zeuge S. sei nach Umspringen des Ampellichtes auf Grün langsam angefahren. Noch bevor er habe abbiegen können, sei ihm der Beklagte zu 1) auf den hinteren linken Kotflügel aufgefahren.

Aufgrund der Zahlung der Beklagen zu 2) vom 7.11.2006 nahm der Kläger die Klage in Höhe von 1.946,02 € teilweise zurück. Die Klage wurde den Beklagten am 28. und 29.11.2006 zugestellt.

Die Kläger haben nunmehr beantragt,

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verur- teilen, an den Kläger 3.221,94 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 04.07.2006 zu bezahlen.

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 278, 05 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit als Nebenforderung zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich die Ansicht vertreten, der Kläger sei auf Abrechnung auf Totalschadensbasis beschränkt, da er das Fahrzeug noch nicht repariert habe, obwohl es nicht verkehrssicher sei.

Nach Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung hat das Landgericht Saarbrücken mit Urteil vom 27.2.2007 (GA 68 ff.), auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs.1 Satz 1 Nr.1 ZPO ergänzend verwiesen wird, der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, den Beklagten zu 1) treffe das ganz überwiegende Verschulden an dem Unfall, da er unangemessen schnell in die Kreuzung eingefahren sei und keinen ausreichenden Abstand zum klägerischen Fahrzeug gehalten habe. Den Zeugen S. treffe allenfalls im Hinblick auf die gewählte Fahrlinie ein sehr geringes Verschulden. Die Abrechnung der fiktiven Reparaturkosten ohne Abzug des Restwertes sei nicht zu beanstanden.

Gegen dieses, ihnen am 5.3.2007 zugestellte Urteil wenden sich die Beklagten mit ihrer per Telefax am 2.4.2007 bei Gericht eingegangenen Berufung. Das aus 2 Seiten bestehende Telefax (GA 91 f.) ist nicht unterzeichnet. An den beiden oberen Seitenrändern befinden sich die Aufdrucke "S.5/6" und "S.6/6". Die Originalberufungsschrift ist am 24.4.2007 bei Gericht eingegangen.

Die Beklagten tragen zur Zulässigkeit der Berufung vor, die per Telefax am 2.4.2007 eingelegte Berufungsschrift habe aus 2 Seiten mit Originalunterschrift des Unterzeichners sowie aus 2 gestempelten Abschriften bestanden.

Die Beklagten begehren Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils insoweit, als dort eine Haftungsquote von mehr als 50 % zulasten der Beklagten festgestellt worden ist. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts sei fehlerhaft. Der Beklagte zu 1) habe nicht gegen § 4 StVO verstoßen, da beim Anfahren an einer Lichtzeichenanlage im innerstädtischen Verkehr die Regelung zum Sicherheitsabstand nur eingeschränkt gelte. Der Zeuge S. hingegen habe durch sein Fahrverhalten gegen § 9 Abs.5 StVO verstoßen, da er zu Beginn des "U-Turn"-Manövers zunächst in den Kreuzungsbereich eingefahren und erst dann nach links abgebogen sei.

Die Beklagten beantragen,

das am 27.02.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken 9 0 325/06 abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagten verurteilt worden sind,

1. an den Kläger mehr als 637,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2006 zu zahlen,

2. an den Kläger mehr als 60,33 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2006 zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten und Berufungskläger zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das ihm günstige erstinstanzliche Urteil. Bereits der Anscheinsbeweis spreche gegen die Beklagten, da der Beklagte zu 1) auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren sei. Das seitens des Zeugen S. eingeleitete Fahrmanöver (U-Turn) stelle kein Wenden (§ 9 Abs.5 StVO) dar, da der Gegenverkehr aufgrund der Ampelschaltung nicht habe gefährdet werden können.

Hinsichtlich des Sachverhaltes und des Parteivortrages im Einzelnen sowie des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift des Landgerichts vom 06.02.2007 (GA 41 ff.) und auf das Sitzungsprotokoll des Senats vom 04.03.2008 (GA 126 ff.) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

1.

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere haben die Beklagten die Berufungsfrist eingehalten. Die Berufungsfrist beträgt gemäß § 517 ZPO einen Monat und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Das vollständig abgefasste Urteil wurde den Beklagten am 5.3.2007 zugestellt (GA 80). Die per Telefax am 02.04.2007 eingereichte Berufungsschrift ist innerhalb der Monatsfrist bei Gericht eingegangen, so dass die Berufungsfrist gewahrt ist.

a.

Die Einlegung der Berufung erfolgt durch Einreichung der Berufungsschrift bei Gericht (§ 519 Abs.1 ZPO). Die Einlegung per Telefax ist entsprechend den allgemeinen Grundsätzen für bestimmende Schriftsätze zulässig (BVerfG NJW 1996, 2857; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Auflage, § 519, Rd. 18a).

b.

Die Telekopie muss die Unterschrift des Rechtsanwaltes wiedergeben (BGH NJW 1994, 2097; Zöller/Gummer/Heßler, a.a.O.). Zwar ist dies bei dem in der Gerichtsakte enthaltenen Telefax des Beklagtenvertreters nicht der Fall. Gleichwohl ist vorliegend die Berufungsfrist gewahrt.

Die Beweislast für die Fristwahrung trägt der Berufungskläger (BGH VersR 1991, 896; Zöller/Gummer/Heßler, a.a.O., Rd.20). Allerdings trägt der Rechtsmittelführer nicht die Beweislast für Vorgänge, die er nicht aufklären kann, weil sie sich ausschließlich im gerichtsinternen Bereich abgespielt haben und die Unaufklärbarkeit deshalb allein in den Verantwortungsbereich des Gerichts fällt (BVerfGE 69, 385; Zöller/Gummer/Heßler, a.a.O.).

Vorliegend ist festgestellt, dass das am 02.04.2007 bei dem Berufungsgericht eingegangene und in der Gerichtsakte enthaltene - nicht unterzeichnete -Telefax an den beiden oberen Seitenrändern die Aufdrucke des Telefaxgerätes "S.5/6" und "S.6/6" enthält. Dies spricht dafür, dass entsprechend dem Vortrag des Beklagtenvertreters das Telefax tatsächlich aus insgesamt 6 Seiten bestanden hat und auch alle 6 Seiten am Telefaxempfangsgerät des Gerichtes eingegangen sind. Ansonsten befände sich nicht der auf den beiden vorhandenen Seiten enthaltene Aufdruck zur Seitenzahl. Da eine weitere Sachaufklärung - auch innerhalb des Gerichtes - nicht möglich war, ist zugunsten des Berufungsbeklagten in Übereinstimmung mit der eidesstattlichen Versicherung der zuständigen Rechtsanwaltsfachangestellten (GA 125) davon auszugehen, dass das Telefax vom 02.04.2007 aus insgesamt 6 Seiten bestanden und auch eine von dem Beklagtenvertreter unterzeichnete Berufungsschrift enthalten hat. Weitere Beweiserbringung kann dem Beklagtenvertreter nicht auferlegt werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Unaufklärbarkeit vorliegend gerichtsintern bedingt und somit außerhalb des Sphärenbereiches des Beklagtenvertreters eingetreten ist.

2.

Die Berufung ist auch bis auf einen Teil der vorprozessualen Anwaltskosten begründet. Entgegen der Auffassung des Landgerichts muss sich der Kläger für das Unfallereignis vom 01.06.2006 einen Haftungsanteil von 50 % gemäß §§ 17 Abs.1, Abs.2 StVG zurechnen lassen.

a.

Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Beklagten dem Kläger aus dem Unfallereignis vom 01.06.2006 gemäß §§ 7 Abs.1, 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs.1 S.1 StVG, bei der Beklagten zu 2) i. V. m. § 3 Nr. 1 und 2 PflVG a.F. als Gesamtschuldner schadensersatzpflichtig sind.

Ohne Rechtsfehler und von der Berufung nicht angegriffen ist das Landgericht aufgrund der verfahrensfehlerfrei getroffenen, für den Senat bindenden Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unfall sich beim Betrieb der beteiligten Fahrzeuge ohne Einwirkung höherer Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) ereignet hat.

Auch konnten die Beklagten nicht nachweisen, dass der Unfall für den Beklagten zu 1) ein unabwendbares Ereignis (§ 17 Abs.3 StVG) gewesen wäre. Vielmehr steht aufgrund der unstreitigen Beschädigungsstellen an den beiden Fahrzeugen und der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senates fest, dass der Beklagte zu 1) unter Missachtung der Abstandsregelung des § 4 Abs.1 StVO gegen das klägerische Fahrzeug gefahren ist.

Nach § 4 Abs.1 Satz 1 StVO muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. In zweiter Instanz unstreitig haben beide Fahrzeuge unmittelbar vor dem Unfall hintereinander an der roten Lichtzeichenanlage gestanden. Das klägerische Fahrzeug hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt und ist bei Umspringen des Lichtes auf Grün losgefahren. Auch der Beklagte zu 1) setzte sein Fahrzeug in Bewegung und fuhr kurz später gegen die hintere linke Seite des klägerischen Fahrzeugs.

Ein Verschulden des Beklagten zu 1) besteht nicht bereits aufgrund Anscheinsbeweises. Dieser gilt zwar grundsätzlich beim Auffahrunfall, wobei der Anschein gegen den auffahrenden Hintermann spricht (BGH NZV 1989, 105; Hentschel-König, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 4 StVO, Rd.18). Der Anscheinsbeweis greift jedoch nicht ein, wenn auf Grund erwiesener Tatsachen oder unstreitig die für ein Verschulden des Auffahrenden sprechende Typizität der Unfallkonstellation fehlt (Hentschel-König, a.a.O). Typisch für einen Auffahrunfall sind insbesondere Schadensstellen, nach denen das auffahrende Fahrzeug gegen die gesamte Heckbreite des vorausfahrenden Fahrzeuges gestoßen ist. Keine Typizität ist bei einer Schrägstellung des vorausfahrenden Fahrzeugs im Zeitpunkt der Kollision gegeben (OLG Düsseldorf, Schadens-Praxis 2005, 116; Hentschel-König, a.a.O).

Nach der von der Klägerseite vorgelegten Unfallskizze (GA 4) ist davon auszugehen, dass der klägerische PKW im Unfallzeitpunkt schräg stand. Dem entsprechen auch die von dem Beklagten zu 1) und dem Zeugen S., Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht mit Hilfe von Modellautos gefertigten Rekonstruktionen der Unfallendstellung (GA 41 ff.). Bei beiden, jeweils durch Fotografien dokumentierten Darstellungen, steht das Fahrzeug des Klägers so schräg, dass auch von einer Schrägstellung bereits im Zeitpunkt der Kollision zweifelsfrei auszugehen ist.

Aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, an die das Berufungsgericht gebunden ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), steht gleichwohl fest, dass der Beklagte zu 1) schuldhaft gehandelt hat. Der Zeuge S., Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, bekundete, er habe an der Ampel den linken Blinker gesetzt. Er habe an der Ampel einen Wendevorgang machen und dann in die andere Richtung zurückfahren wollen. Bei Grünlicht sei er los gefahren. Er habe es quietschen gehört und schon habe es gekracht. Übereinstimmend bekundete seine Beifahrerin, die Zeugin S.. Die Beklagtenseite konnte entlastende Gesichtspunkte nicht nachweisen. Zur Überzeugung des Senats hat der Beklagte zu 1) daher den Mindestabstand zu dem vor ihm fahrenden klägerischen Fahrzeug aus Unachtsamkeit und somit schuldhaft nicht eingehalten, was bei der Haftungsverteilung erheblich zu seinen Lasten ins Gewicht fällt.

Zwar ist der Beklagtenseite Recht zu geben, dass der Sicherheitsabstand nach § 4 Abs.1 Satz 1 StVO nicht ausnahmslos gilt und insbesondere im dichten Stadtverkehr aufgrund der Besonderheiten dieser Verkehrssituation Einschränkungen unterliegen kann. Beim Anfahren bei Grün darf ausnahmsweise so angefahren werden, wie die Fahrzeuge stehen, sonst würde die Grünphase nicht ausgenutzt und der Verkehr behindert (Hentschel-König, a.a.O., § 4 StVO, Rd. 8 mit Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung, abgedruckt bei Rd.2/3). Aber auch im dichten Stadtverkehr, etwa beim Anfahren an einer grünen Lichtzeichenanlage, muss der Hintermann in der Lage sein, auf unvorhergesehene Reaktionen und Verhaltensweisen des Vordermannes durch rechtzeitiges Bremsen zu reagieren.

b.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist auf Klägerseite ebenfalls ein haftungsrelevanter Tatbestand gegeben.

Der Zeuge S. hat durch die Einleitung des "kurzen Wendemanövers" (U-Turn) das klägerische Fahrzeug in eine Kollisionsposition gebracht, die für den unmittelbar nachfolgenden Verkehr die Betriebsgefahr des Fahrzeugs in unfallursächlicher und schuldhafter Weise erheblich erhöhte.

Das Fahrmanöver des Zeugen S. ("kurzes Wenden") ist in Abweichung zu dem landgerichlichen Urteil als Wenden i. S. v. § 9 Abs. 5 StVO einzustufen. Im Unterschied zum bloßen Abbiegen verlässt das Fahrzeug beim Wenden nicht die bisherige Straße. Es wird vielmehr auf derselben Straße in die der bisherigen Fahrtrichtung entgegengesetzten Fahrtrichtung gebracht (BGHSt 27, 233,235). Auch das Umkehren auf derselben Straße durch Hinüberwechseln auf die andere Fahrbahnseite, um dort die Fahrt in entgegengesetzter Richtung fortzusetzen, erfüllt grundsätzlich den Rechtsbegriff des Wendens, wenn die beiden Fahrbahnen - wie im vorliegenden Fall - getrennt sind. Dabei wird vorausgesetzt, dass sich der Vorgang auf einer baulich einheitlichen Straße vollzieht (BGH NJW 1982, 2454). Dies ist z.B. dann der Fall, wenn sich zwischen den Fahrbahnen ein Straßenbahnkörper oder ein schmaler Grünstreifen befindet. Die Abgrenzung ist letztlich eine Frage des Einzelfalles. In der Rechtsprechung besteht jedenfalls darin Übereinstimmung, dass dann nicht mehr von einem "Wenden" gesprochen werden kann, wenn die andere Fahrbahnseite nicht in einem, wenn auch größeren Bogen, sondern erst nach einem Stück Geradeausfahrt erreicht werden kann. Erfordert es z.B. der die Fahrbahnen trennende (Mittel) Streifen, zunächst nach links einzubiegen, dann eine nicht ganz unbedeutende Strecke geradeaus zu fahren und schließlich noch einmal nach links einzubiegen, dann liegt nicht mehr ein Wenden im Sinne von § 9 Abs.5 StVO vor, sondern ein doppeltes, ein zweimaliges Abbiegen nach links (BGH a.a.O./OLG Hamm NZV 1997, 438).

Nach der Unfallskizze (GA 4), die die Klägerseite ausdrücklich zu ihrem Sachvortrag erklärt hat, und deren wahrheitsgetreue Wiedergabe der Unfallstelle die Beklagtenseite nicht in Frage gestellt hat, ist von folgendem auszugehen: Der Zeuge S. ist unmittelbar nach dem Anfahren an der Lichtzeichenanlage - entsprechend seinem Fahrtrichtungsanzeiger - nach links gefahren. Er hat hierbei begonnen, einen Bogen einzuschlagen, um den beabsichtigten "U-Turn" auszuführen. Bereits dann ereignete sich der Unfall. Hätte der Zeuge S. den "U-Turn" ungehindert weiter ausführen können, wäre er in einem Bogen um die Verkehrsinsel herum unmittelbar in die Gegenfahrbahn der R.- W.-Straße eingebogen. Es lag daher kein zweimaliges Linksabbiegen, sondern ein einmaliges Wenden vor.

Beim Wenden muss sich der Fahrzeugführer so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (§ 9 Abs. 5 StVO). Diesem Maßstab hat das Verhalten des Zeugen S. nicht entsprochen. Der Zeuge durfte sich nicht darauf beschränken, mehrdeutig lediglich den linken Blinker zu setzen. Vielmehr musste er den dicht nachfolgenden Verkehr an der um diese Uhrzeit stark befahrenen Kreuzung im Auge behalten und sich vergewissern, dass dieser sich auf das beabsichtigte Wenden eingestellt hatte. Denn der ganz überwiegende Anteil der Verkehrsteilnehmer wendet an dieser viel befahrenen Stelle nicht, sondern biegt dem allgemeinen Verkehrsfluss folgend nach links ab. Der nachfolgende Verkehr rechnet daher an dieser Stelle nicht mit dem "ungewöhnlichen", sondern mit dem üblichen Fahrverhalten des Vorausfahrenden, nämlich dem Linksabbiegen. Wer an einer solchen Stelle gleichwohl zu wenden beabsichtigt, darf dies nur dann tun, wenn er in der Lage ist, das beabsichtigte Manöver dem nachfolgenden Verkehr klar anzukündigen. Diesen Anforderungen hat das Fahrverhalten des Zeugen S. nicht entsprochen, weswegen von schuldhaftem Handeln auszugehen ist.

Das verkehrswidrige Verhalten hat zudem dazu geführt, dass das klägerische Fahrzeug in eine für die übrigen Verkehrsteilnehmer äußerst gefährliche Unfallstellung verbracht wurde. Der Zeuge S. hat durch die ungewöhnliche Fahrzeugschrägstellung eine besondere Gefahrenlage geschaffen. Diese Gefahrenlage weicht erheblich von dem normalen Gefahrenpotential eines PKW ab. Sie ist als erhöhte Betriebsgefahr einzustufen.

c.

Bei der gemäß §§ 17 Abs.1, Abs.2 StVG abschließend vorzunehmenden Haftungsabwägung hängt im Verhältnis der beteiligten Fahrzeuge zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der nach den genannten Vorschriften gebotenen Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge sind nur solche unfallursächlichen Umstände zu berücksichtigen, die unstreitig, zugestanden oder erwiesen sind (BGH NJW 2000, 3069). Auch Schuldgesichtspunkte kommen mit zum Tragen (BGH NZV 2005, 249; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 17 StVG, Rd.4).

Vorliegend führt die zwischen den Parteien vorzunehmende Haftungsquotelung zu dem Ergebnis, dass beide Seiten mit 50 % haften. Beide Unfallbeteiligten trifft ein Verschuldensvorwurf. Der Beklage zu 1) hat den gemäß § 4 Abs.1 Satz 1 StVO vorgeschriebenen Mindestabstand nicht eingehalten, den Zeugen S. als Fahrer des klägerischen Fahrzeugs trifft ein Verschulden im Zusammenhang mit dem von ihm eingeleiteten Wendemanöver. Zudem ist der Klägerseite erhöhte Betriebsgefahr aufgrund der Schrägstellung des Fahrzeugs im Kreuzungsbereich anzulasten.

Beide Verursachungs- und Verschuldensanteile sind im Rahmen der Abwägung nach §§ 17 Abs.1, Abs. 2 StVG als gleich gewichtig einzustufen. Sowohl die Verletzung der Abstandsvorschriften, die zu den Grundregeln des Straßenverkehrs gehören, als auch die beim Wenden besonders erforderliche äußerste Sorgfalt sind elementare Verhaltensregeln, die vorliegend von beiden Unfallbeteiligten missachtet wurden. Andererseits hat keiner der Unfallbeteiligten derart eklatant gegen die ihm obliegenden Verhaltenspflichten verstoßen, dass die überwiegende Haftung einer Seite festzustellen gewesen wäre.

Der Kläger kann von den Beklagten auch die Erstattung vorprozessualer Anwaltskosten in Höhe von 165, 71 Euro verlangen. Dies entspricht der geltend gemachten 0,65 Gebühr aus einem Streitwert von 2.583, 98 Euro zzgl. 20 Euro Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288, 291, 187 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO. Soweit der Kläger nach teilweiser Zahlung der Klagesumme die Klage in dieser Höhe zurückgenommen hat, waren die Kosten des Rechtsstreits der Beklagtenseite aufzuerlegen, da die Beklagten sich in dieser Höhe freiwillig in die Position des Unterlegenen begeben haben und nach obigen Ausführungen von einer hälftigen Haftungsquote beider Seiten auszugehen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO, die Entscheidung zur Streitwertfestsetzung aus §§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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