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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 03.12.2003
Aktenzeichen: 5 U 25/03
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 21
Tritt der Versicherer wegen Verschweigens einer Essstörung (Bulimie) wirksam von einerm Krankenversicherungsvertrag zurück, so steht es seiner Leistungspflicht nach § 21 VVG entgegen, wenn die Behandlung einer "psychischen Dekompensation" durch die Bulimie kompliziert wurde, auch wenn die Bulimie selbst nicht Ursache der Behandlung war.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 05.12.2002 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

I.

Die Klägerin macht Wahlleistungen anlässlich einer stationären Krankenhausbehandlung in der "..." vom 12. 02. 1999 bis zum 03. 05. 1999 aus einer privaten Krankenversicherung (als Zusatzversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung) gegen die Beklagte geltend. Die Beklagte ist von dem Versicherungsvertrag zurückgetreten. Hinsichtlich der Einzelheiten des erstinstanzlich vorgetragenen Sach- und Streitstandes wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.

Soweit die Klägerin erstinstanzlich die Feststellung begehrte, dass der streitgegenständliche Versicherungsvertrag noch fortbesteht, hat das Landgericht die Klage - insoweit rechtskräftig - abgewiesen. Die Klägerin habe die im Versicherungsantrag gestellten Fragen zumindest hinsichtlich Beschwerden, Krankheiten und Behandlungen innerhalb der letzten 3 Jahre (Frage 4.5) objektiv falsch beantwortet. Sie habe seit ihrer Jugend immer wieder unter Kopfschmerzen gelitten, die sie veranlassten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, ohne diese anzugeben. Auf den Zahlungsantrag wurde die Beklagte zur Erstattung der Kosten für ein Einbettzimmer (14.580 DM) sowie der Chefarztbehandlung (4.437,83 DM) verurteilt. Der Versicherer sei gemäß § 21 VVG zur Leistung verpflichtet, da die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf den Versicherungsfall und den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt habe. Die Beklagte habe den ihr hierfür obliegenden Nachweis erbracht. Das gerichtlich eingeholte Gutachten (GA Bl. 171 ff) habe nachvollziehbar und überzeugend festgestellt, dass kein Ursachenzusammenhang zwischen den bereits langjährig bestehenden Kopfschmerzen der Klägerin und der Behandlung in der bestehe. Aus den eingeholten schriftlichen Aussagen sei ersichtlich, dass die Klägerin wegen einer Bulimie oder bulimischen Essstörung in dem Zeitraum vor der Antragstellung nicht ärztlich behandelt und auch nicht als behandlungsbedürftig angesehen worden sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die beanstandet, dass die schriftliche Aussage der Zeugin Dr., wonach die Klägerin bereits am 14. 04. 1996 im Rahmen einer Eigenannamnese berichtet habe, dass sie an einer Bulimie seit langem leide, bei dem Urteil nicht berücksichtigt worden sei. Das Urteil beruhe darüber hinaus auf einer Rechtsverletzung, da für einen dem Versicherungsnehmer "bekannten Umstand" im Sinne der §§ 16, 21 VVG unerheblich sei, ob der Versicherungsnehmer wegen seiner Erkrankung ärztlich behandelt oder als behandlungsbedürftig angesehen worden sei.

Die Beklagte beantragt,

soweit das Landgericht Saarbrücken im Verfahren 12 O 313/99 die Beklagte zur Zahlung von 9.752, 05 Euro nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 16. 04. 1999 verurteilt hat, das Urteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zum Zeitpunkt, als die Beklagte den Versicherungsantrag gestellt habe, habe weder eine Bulimie vorgelegen, noch sei eine solche zuvor diagnostiziert worden. Soweit sie gegenüber der Zeugin Dr. im Rahmen der Eigenanamnese eine Bulimie angegeben habe, habe sie sich geirrt. Daraus, dass eine Bulimie nicht behandelt worden sei, sei zu ersehen, dass eine solche nicht vorgelegen habe.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und wurde insbesondere frist- und formgerecht eingelegt und begründet. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Ein versicherungsvertraglicher Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Behandlungskosten steht der Klägerin nicht zu, nachdem die Beklagte wirksam von dem Versicherungsvertrag zurückgetreten ist und die Voraussetzungen, unter denen die Versicherung auch nach wirksamem Rücktritt gemäß § 21 VVG zur Leistung verpflichtet ist, nicht vorliegen.

Im Einzelnen:

1.

Nach § 16 Abs. 1 S. 1 VVG hat der Versicherungsnehmer bei der Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind dabei die Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Ein Umstand, nach welche der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt dabei im Zweifel als erheblich. Gemäß § 17 Abs. 1 VVG kann der Versicherer von dem Vertrag zurücktreten, wenn über einen erheblichen Umstand eine unrichtige Anzeige gemacht worden ist.

Vorliegend hat die Beklagte vor Vertragsschluss - soweit hier relevant - folgende Frage an die Klägerin gestellt, (GA Bl. 9):

"Haben in den letzten 3 Jahren Beschwerden, Krankheiten oder Unfallfolgen bestanden, haben Behandlungen oder Untersuchungen stattgefunden?"

Durch diese Frage war - neben den Kopfschmerzen - auch die der Klägerin bekannte Essstörung - hier in Form der Bulimie - erfasst, welche die Klägerin nicht angegeben hat. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Klägerin die entsprechende Diagnose bekannt war (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., §§ 16, 17 Rn. 8) oder ob sie deshalb gar behandelt wurde; ausreichend ist vielmehr, dass die Klägerin diese Erkrankung auch als gesundheitliche Beschwerde empfunden hat. Nach Wortlaut und Syntax der Frage ist eindeutig, dass "Beschwerden" einerseits und "Behandlungen und Untersuchungen" andererseits kumulativ erfragt werden und deshalb auch Beschwerden, wegen derer keine Behandlung stattfindet, angegeben werden müssen.

Aus der durchgeführten Beweisaufnahme ergibt sich, dass bei der Klägerin in dem von der Frage erfassten Zeitraum eine Bulimie bestand, dass diese der Klägerin bekannt war und ihr Beschwerden verursachte. So bekundetet die Zeugin Dr. bereits bei ihrer schriftlichen Aussage vom 28. 08. 2000 (GA Bl. 105):

"Beim Erstkontakt am 24. 04. 1996 - (also innerhalb von 3 Jahren vor dem Versicherungsantrag vom 28. 01. 1997, Anmerkung des Senats) - berichtete Frau mir im Rahmen der Eigenanamnese, dass Sie an einer Bulimie seit langem leide."

Dies hat sie in ihrer schriftlichen Aussage vom 04. 08. 2003 auf Nachfrage des Senates ausdrücklich bestätigt. Soweit die Klägerin demgegenüber - bereits erstinstanzlich - verharmlosend vorgetragen hat, sie sei lediglich nach ihren Essgewohnheiten befragt worden und habe in diesem Zusammenhang von den gelegentlichen "Fressattacken" berichtet (Bl. 119), wurde dies so nicht bestätigt. Zwar konnte die Zeugin - nachvollziehbar - das Gespräch nicht mehr im Einzelnen wiedergeben; sie bekräftigte indes, dass die Klägerin im Rahmen der Eigenanamnese mitgeteilt habe, dass sie unter einer Bulimie "leide". Dass die Zeugin diese nicht behandelte, begründete sie dabei nachvollziehbar damit, dass sie lediglich organische Ursachen der vorhandenen Kopfschmerzen abzuklären hatte.

Auch die "...", welche die Behandlung durchführte, deren Kosten hier streitgegenständlich sind, hat nach der schriftlichen Aussage des Zeugen Dr. vom 24. August 2000 für Februar bis Mai 1999 eine "seit Jahren (sich) bestehende bulimische Erkrankung mit immer wieder auftretenden "Fressattacken" und nachträglichem Erbrechen nachgewiesen" (GA Bl. 97). Auch wenn hieraus nicht der genaue Anfang der Erkrankung rückgeschlossen werden kann, ist dies doch geeignet, die Aussage der Zeugin Dr., die Klägerin leide (jedenfalls) seit 1996 an Bulimie, zu bestätigen.

Umstände, die die unterlassene Anzeige als entschuldigt erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Beklagte hat den Rücktritt auch im übrigen wirksam, insbesondere auch fristgerecht (§ 20 Abs. 1 VVG) erklärt.

2.

Die Beklagte ist auch nicht nach § 21 VVG zur Leistung verpflichtet. Dies würde voraussetzen, dass der Umstand, in Ansehung dessen die Anzeigepflicht verletzt ist, keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalles und auf den Umfang der Leistung des Versicherers gehabt hat. Wurden - wie hier im Hinblick auf die Kopfschmerzen einerseits und die Bulimie andererseits - mehrere anzeigepflichtige Umstände unter Verstoß gegen die Anzeigeobliegenheit nicht angezeigt, wird der Versicherer leistungsfrei, wenn nicht der Versicherungsnehmer für alle Umstände das Fehlen eines Einflusses nachweist (Voit, Berliner Kommentar, § 21 VVG, Rn. 5).

Dies ist nicht der Fall. Die Behandlung der "psychischen Dekompensation in Konfliktsituation", deren Erstattung mit vorliegendem Rechtsstreit geltend gemacht wird, wurde nach der schriftlichen Aussage des behandelnden Arztes durch eine vorliegende Eßstörung ("bulimische Erkrankung") kompliziert (Aussage Dr. vom 24. 08. 2000, (GA Bl. 98), was die Klägerin auch selbst einräumte (GA Bl. 118). Darauf, ob die Bulimie "ursächlich für die erfolgte Behandlung" war, was die Klägerin erstinstanzlich bestreitet, kommt es nicht an, da in den Fällen, in denen nach ärztlicher Aussage die Therapie lediglich kompliziert wird, nicht ausgeschlossen ist, dass die Komplikation zu umfänglicheren Versicherungsleistungen geführt hat.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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