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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 14.01.2004
Aktenzeichen: 5 U 396/03
Rechtsgebiete: DÜG, VVG


Vorschriften:

DÜG § 1
VVG § 61
VVG § 61 2. Alt.
Zu den Voraussetzungen einer grob Fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Kaskoversicherung, wenn sich der Fahrer bei einer nächtlichen Fahrt plötzlich umdreht.
Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21.5.2003 - 12 O 394/02 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 41.964,22 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

I.

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten für ein Leasing-Fahrzeug der Marke BMW, amtliches Kennzeichen, dessen Halter ihr Ehemann war, eine Vollkaskoversicherung. Sie nimmt die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung der Versicherungssumme für einen von ihrem Ehemann verursachten Verkehrsunfall in Anspruch.

Am 6.10.2001 war der Ehemann der Klägerin gegen 22 Uhr 30 mit dem Fahrzeug in Polen unterwegs. Außer dem Ehemann der Klägerin, der das Fahrzeug führte, befanden sich weitere Personen in dem Fahrzeug: Auf dem Beifahrersitz saß Frau K. (im Folgenden K.); auf der Rücksitzbank saßen die Mitfahrerin S. (im Folgenden: S.), mit der der Ehemann der Klägerin ein Verhältnis hatte, und ein weiterer Mitfahrer. Am selben Abend war es zwischen dem Fahrer und Frau S. zu einem Streit gekommen, nachdem diese dem Ehemann der Klägerin vorgeworfen hatte, er mache Frau K. Avancen. Während der Autofahrt schlug Frau S. dem Fahrer plötzlich von hinten auf die rechte Schulter, weil sie - wie die Klägerin in der Berufung einräumt zu Recht - den Eindruck hatte, dieser habe seine Hand in Richtung auf das Knie seiner Beifahrerin bewegt. Hierauf drehte der Fahrer den Kopf nach hinten, wobei er beim Durchfahren einer Linkskurve die Kontrolle über das Fahrzeug verlor und dieses in den Straßengraben fuhr.

Unter dem 18.12.2001 (Bl. 28 ff. d. A.) wurde der Schaden mit einer von dem Ehemann der Klägerin unterschriebenen Schadensanzeige bei der Beklagten angezeigt. Mit Schreiben vom 18.10.2002 (Bl. 11 d. A.) versagte die Klägerin den Versicherungsschutz mit der Begründung, der Ehemann der Klägerin habe den Unfall als deren Repräsentant infolge alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit verursacht.

Die Klägerin hat behauptet, der Fahrer sei infolge des Schlages auf die Schulter erschrocken und habe dabei die Kontrolle über das Fahrzeug verloren. Es habe sich um eine sog. Spontanreaktion auf eine plötzliche Gefahrensituation gehandelt, die nicht als grob fahrlässig zu werten sei. Der Fahrer sei verpflichtet gewesen, kurz nach hinten zu schauen, um sich Klarheit darüber zu verschaffen, was im Fond des Wagens geschehen sei. Die Geschwindigkeit des Wagens habe allenfalls 70 km/h betragen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die BMW Leasing GmbH, , 41.964,22 Euro nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 1 des DÜG vom 9.6.1998 seit dem 6.7.2002 zu zahlen.

Dem ist die Beklagte entgegen getreten. Sie hat die Auffassung vertreten, der Fahrer habe den Unfall grob fahrlässig verursacht. Soweit die Klägerin versuche, die Reaktion des Fahrers als Spontanreaktion darzustellen, stünde dies im Widerspruch zu den Angaben der Mitfahrer gegenüber der den Unfall aufnehmenden polnischen Polizei und dem Sachvortrag in der Klageschrift. Demnach habe sich der Fahrer ganz bewusst umgedreht, um Frau S. zu beruhigen. Aus Sicht des Fahrers habe keine Gefahrensituation bestanden. Vielmehr habe dieser aufgrund des vorangegangenen Streites ganz genau gewusst, wer ihm einen Schlag versetzt habe. Die Geschwindigkeit vor dem Unfall habe mindestens 90 km/h betragen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und hierzu ausgeführt:

Der Klägerin stehe kein Anspruch auf Zahlung der Versicherungssumme zu, da die Beklagte gem. § 61 VVG leistungsfrei geworden sei. Denn der Fahrer habe den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt. Das Umdrehen des Fahrers während des Durchfahrens einer Kurve bei Dunkelheit mit mindestens 70 km/h stelle ein grob verkehrswidriges Verhalten dar. Dieser grobe Verkehrsverstoß sei auch subjektiv unentschuldbar. Insbesondere könne sich die Klägerin nicht auf die Grundsätze des sog. Augenblicksversagens berufen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

Die Klägerin behauptet, der Fahrer hätte seinen Annäherungsversuch an die neben ihm sitzende Beifahrerin nicht gestartet, wenn es hell gewesen wäre und er davon hätte ausgehen müssen, dass Frau S. sein Vorgehen beobachten könne. Da er sicher angenommen habe, dass sein Annäherungsversuch unentdeckt bleiben würde, sei er von dem Schlag völlig überrascht worden. Er habe sich auch nicht bewusst umgedreht, sondern habe sich zunächst überhaupt keine Gedanken gemacht, von wem der Schlag gekommen sei. Er habe deshalb die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren, weil er aufgrund des heftigen Schlages erschrocken sei und bei seinem Blick nach hinten gleichzeitig das Steuer verrissen habe. Auslöser für den Unfall sei in erster Linie der Schreck über den heftigen Schlag gegen seine Schulter gewesen. Seine Darstellung bei der Polizei stelle eine Wertung des Geschehens dar, die von ihm im Nachhinein vorgenommen worden sei. Der Fahrer habe eine Erklärung für sein Umdrehen liefern wollen. Da er im Augenblick des Umdrehens noch nicht habe wissen können, wer ihn geschlagen habe, habe seine Aussage, er habe sich umgedreht, um Frau S. zu beruhigen, nicht richtig gewesen sein können. Auch habe er nicht annehmen können, dass sich Frau S. mit nur einem Schlag begnügen werde. Aus Sicht des Fahrers sei die Situation völlig unklar gewesen, weshalb es sogar geboten gewesen wäre, sich umzudrehen und sich über das zu informieren, was hinter ihm geschehe.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an die BMW-Leasing GmbH 41.964,22 Euro nebst 7,47% seit dem 6.7.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, der Disput zwischen dem Fahrer und Frau S. über den Vorwurf, der Fahrer habe der Beifahrerin Avancen gemacht, habe sich während der gesamten Autofahrt fortgesetzt. Vor diesem Hintergrund habe der Fahrer durch sein Verhalten die Reaktion der Mitfahrerin im Grunde selbst herausgefordert, so dass er auch definitiv gewusst habe, dass ihm Frau S. auf die Schulter geschlagen habe. Damit sei die einzige plausible Erklärung für das Sichumdrehen darin zu sehen, dass der Fahrer die hinter ihm sitzende Frau habe beruhigen wollen.

Entscheidungsgründe:

II.

A. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin stehen keine vertraglichen Ansprüche auf Zahlung der Versicherungssumme zu, da die Beklagte gem. § 61 VVG wegen grob fahrlässigen Verschuldens des Repräsentanten der Klägerin von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden ist.

1. Gem. § 61 2. Alt. VVG wird der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei muss dem Versicherungsnehmer im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit bei einem grob fahrlässigen Verhalten auch in subjektiver Hinsicht ein gesteigertes Fehlverhalten unterlaufen sein, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH, Urt. v. 29.1.2003 - IV ZR 173/01, VersR 2003, 364; Urt. v. 18.12.1996 - IV ZR 321/95, VersR 1997, 351). Das entspricht dem Grundgedanken des § 61 VVG, der verhindern soll, dass ein sich in Bezug auf das versicherte Risiko völlig sorglos oder sogar unlauter verhaltender Versicherungsnehmer in Form der Versicherungsleistung unverdiente Vergünstigungen genießt (BGH, Urt. v. 8.2.1989 - IVa ZR 57/88, VersR 1989, 582; VersR 2003, 364).

2. Diese Voraussetzungen hat das Landgericht mit Recht für gegeben erachtet.

a) Zunächst begegnet es keinen Bedenken, die objektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit daraus herzuleiten, dass der Fahrer sich während dem Durchfahren einer Kurve nach hinten umgedreht hat, um sich den Vorgängen zu widmen, die im Fond des Wagens vor sich gingen. Denn es muss sich jedem Fahrer aufdrängen, dass er sein Fahrzeug einer besonderen Unfallgefahr aussetzt, wenn er - vor allem bei nächtlicher Fahrt - während einer Richtungsänderung seine Aufmerksamkeit nicht auf die Fahrbahn, sondern auf Dinge richtet, die sich innerhalb des Fahrzeugs ereignen (OLG Köln, VersR 1993, 575; 1983, 575; LG Coburg NZV 1994, 236; OLG Frankfurt, VersR 1973, 610). Entgegen der Auffassung der Berufung wird die Schwere des Sorgfaltsverstoß nicht dadurch relativiert, dass der Blick nach hinten im Straßenverkehr regelmäßig vorkommt. Der entscheidende Unterschied liegt gerade darin, dass die von der Berufung erwähnten Vorgänge - Blick in den Rück- oder Außenspiegel - der Erforschung des Verkehrsgeschehens dienen und der Fahrer dadurch die Fahrbahn auch nicht völlig aus den Augen verliert. Auch darauf, ob der Fahrer zum Zeitpunkt des Unfalls 70 km/h oder 100 km/h schnell gefahren ist, kommt es nicht an, da auch das Fahren mit 70 km/h ein erhebliches Gefahrenpotenial birgt: Bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h legt das Fahrzeug pro Sekunde einen Weg von ca. 20 m zurück. Mithin reicht selbst eine kurze Unaufmerksamkeit aus, um beim Durchfahren einer Kurve von der Fahrbahn abzukommen.

b) Auch in subjektiver Hinsicht trifft den Fahrer ein gesteigertes, den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigendes Verschulden. Entgegen der Auffassung der Berufung besteht keine Veranlassung, den Schuldvorwurf als "Augenblicksversagen" herabzustufen. Tragende Erwägung dafür, ein Verhalten als "Augenblicksversagen" in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, ist die Erfahrungstatsache, dass es Umstände geben kann, aufgrund derer selbst ein mit dem versicherten Risiko sorgsam umgehender Versicherungsnehmer das zum Schaden führende Verhalten nicht vermieden hätte (BGH, Urt. v. 8.7.1992 - IV ZR 223/91, VersR 1992, 1085, 1086; Berliner Kommentar zum VVG, § 61 Rdn. 62; Römer/Langheid, VVG, § 61 Rdn. 31; Römer, VersR 1992, 1187).

Die Klägerin beruft sich darauf, der Fahrer habe nur deshalb nach hinten geschaut, weil er durch den spontanen Schlag der hinter ihm sitzenden Frau S. abgelenkt worden sei, er habe wissen wollen, was hinter ihm vorgehe. Dieser Sachverhalt entlastet die Klägerin nicht.

Zwar ist der Berufung im Ausgangspunkt zuzugestehen, dass es Verkehrssituationen geben kann, in denen es so verständlich wenn nicht gar geboten erscheint, dass der Fahrer kurz nach hinten blickt, um sich über eine - selbst nur vermeintliche - Gefahrensituation im Fond des Fahrzeugs zu vergewissern (OLG Köln, VersR 1983, 575). Auf eine solche Lage kann sich die Klägerin nicht berufen. Hierbei verstellt sie sich dadurch den Blick, dass sie lediglich den Schlag der Mitfahrerin als unmittelbaren Anlass für das Umdrehen berücksichtigt. Sie verkennt, dass der zum Schaden führende Kausalverlauf bereits mit dem Annäherungsversuch an die Beifahrerin in Lauf gesetzt worden ist: Die Klägerin selbst trägt mit der Berufung vor, dass der Fahrer den Annäherungsversuch nicht unternommen hätte, wenn es hell gewesen wäre und seine im Fond sitzende Freundin seine Vorgehensweise hätte bemerken können. Dieser Vortrag belegt zum einen, dass der Fahrer unmittelbar vor dem Unfall einen nicht unerheblichen Teil seiner Aufmerksamkeit vom eigentlichen Fahrgeschehen ablenkte. Zum andern wird deutlich, dass sich der Fahrer aufgrund der vorangegangenen Auseinandersetzung mit Frau S. durchaus bewusst gewesen war, im Falle seiner Entdeckung eine Reaktion der hinter ihm sitzenden Frau zu provozieren. Mithin barg bereits der Annäherungsversuch des Fahrers ein erhebliches Gefahrenrisiko, das ein sorgfältig handelnder Versicherungsnehmer in jedem Fall vermieden hätte. In einer solchen Situation besteht kein Anlass, dem subjektiven Vorwurf mit Verständnis zu begegnen. Denn letztlich hat sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des zum Schaden führenden Geschehens nur das Risiko verwirklicht, das der Fahrer unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zuvor bewusst eingegangen ist und ein mit dem versicherten Risiko sorgsam umgehender Versicherungsnehmer vermieden hätte (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1996, 446). Mithin kann es im Ergebnis dahinstehen, ob sich der Fahrer spontan zur Aufklärung der Situation oder deshalb umgedreht hat, um beruhigend auf die Mitfahrerin einzuwirken.

Dessenungeachtet scheitert eine Entlastung der Klägerin auch daran, dass auf der Grundlage des Klägervortrags nicht nachvollzogen werden kann, weshalb der Fahrer keine Möglichkeit besessen hat, der Gefahrensituation durch eine Unterbrechung der Fahrt zu begegnen: Nach dem Vortrag der Klägerin war das Fahrzeug auf der Landstraße lediglich mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h unterwegs. Umstände, die einem Anhalten entgegengestanden haben könnten, sind nicht ersichtlich. Es ist nicht plausibel, weshalb der Fahrer durch den Schlag seine Steuerungsfähigkeit in einem solch hohen Maße verloren hat, dass er sich statt des riskanten Umschauens nicht hätte zu einer Unterbrechung der Fahrt entscheiden können.

c) Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass der Fahrer die tatsächlichen Voraussetzungen der Repräsentantenstellung (vgl. Berliner Kommentar, aaO, § 61 Rdn. Rdn. 46) erfüllt, weshalb sich die Klägerin das Verhalten des Fahrers zurechnen lassen muss.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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