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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 5 U 46/06
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 16 Abs. 1
Zu den Indizien der Beweiswürdigung in Fällen eines Streits um den Ablauf der Aufnahme eines Versicherungsvertrages.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 46/06

Verkündet am 22.11.2006

In dem Rechtsstreit

wegen Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente

hat der 5 Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11.10.2006 unter Mitwirkung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Knerr und der Richterin am Landgericht Hoffmann-Lindenbeck

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 9.1.2006 - 12 O 42/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 51.000 € festgesetzt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger beantragte am 5.11.2003 - ebenso wie viele andere Mitarbeiter der Deutschen Post im Saarland - bei der Beklagten über deren Vertreter, den Zeugen A., den Abschluss eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages. Hintergrund war eine Vereinbarung der Gewerkschaft ver.di mit der Beklagten, nach der ihr angehörenden Versicherungsinteressenten günstige Beiträge versprochen wurden. Unter den Bediensteten der Post wurde damals ein Personalabbau diskutiert.

Das Vertragsangebot enthielt eine - strenge - Dienstunfähigkeitsklausel ("Zusatzvereinbarung für das Dienstunfähigkeitsrisiko", Bl. 25), nach der die Beklagte Leistungen auch für den Fall zusagte, dass der versicherte Beamte auf Lebenszeit ausschließlich wegen medizinisch festgestellter allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt werden würde.

Die Beklagte policierte den Vertrag am 1.12.2003. Er sah für den Versicherungsfall eine monatliche bis 30.11.2024 zu zahlende Rente vor. Der Kläger, ein Postbetriebsassistent, wurde durch Bescheid vom 9.5.2004 (Bl. 34) wegen postärztlich festgestellter allgemeiner Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt und bezieht seither beamtenrechtliche Versorgungsbezüge.

In dem von dem Zeugen A. ausgefüllten und durch den Kläger unterzeichneten Antragsformular sind die Fragen nach Krankheiten, gesundheitlichen Störungen und sonstigen Beschwerden in den letzten 10 Jahren und nach heilkundlichen Behandlungen in den letzten 5 Jahren verneint. In Wirklichkeit hatte der Kläger 1996 einen Bandscheibenvorfall erlitten, der in den folgenden Jahren zu gelegentlich auftretenden Beschwerden führte, befand sich in den Jahren 1998 bis 2003 in Abständen von einem bis weit überwiegend mehreren Monaten (insgesamt zwölfmal) wegen Ischialgien, einem Zervikal- und einem LWS-Syndrom in hausärztlicher Behandlung, war wegen Herzrhythmusstörungen - ohne dass ein koronarer Befund festgestellt worden wäre - untersucht worden und hatte 2003 fünf Wochen lang an einem Tinnitus gelitten. Eine Blutuntersuchung hatte einen auffallenden ASL-Wert erbracht. In den Jahren 1998 bis 2003 war er mehrfach wenige Tage bis zu in zwei Fällen zwei Wochen arbeitsunfähig geschrieben.

Der Kläger hat behauptet, der Zeuge A. habe ihm die Fragen des Antragsformulars nicht vorgelesen, er habe lediglich nach Krankheiten in den letzten fünf Jahren gefragt; daraufhin habe er, der Kläger, dem Zeugen A. alle seine Beschwerden genannt; der Zeuge A. habe erwidert, es seien Allerweltsbeschwerden, man brauche sie nicht aufzunehmen. Die Beklagte hat das bestritten.

Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 9.1.2006 - 12 O 42/05 - antragsgemäß verurteilt, an den Kläger ab Juni 2004 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1000 € längstens bis 30.11.2024 monatlich im Voraus zu zahlen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung.

II.

Die Berufung ist nicht begründet

1.

Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass der Kläger seine Obliegenheit, gefahrerhebliche Umstände anzuzeigen, verletzt hat.

Allerdings hat der Kläger die Beklagte durch die Unterzeichnung des Antragsformulars, das die "Gesundheitsfragen" verneinte, nicht vollständig unterrichtet. Damit steht indessen nicht fest, dass der Kläger, wie es ihm nach § 16 Abs.1 VVG obliegt, ihm bekannte gesundheitliche Beeinträchtigungen verschwiegen hat.

a.

Ob der normabweichende Blutwert ASL (Antistreptolysine), der ein Indikator für mögliche Infektionen ist, überhaupt auf die gestellte Frage nach "Krankheiten in den letzten fünf Jahren" - die Stellung weiterer Fragen hat die Beklagte nicht bewiesen - zu erwähnen gewesen wäre, kann dahinstehen. Dass der Kläger ihn kannte und ihn als gesundheitliche Beeinträchtigung bewertete, ist bestritten und nicht bewiesen.

b.

Die weiteren unzulänglichen Informationen des Antragsformulars - dort finden sich keine Angabe der fortdauernden gelegentlichen Wirbelsäulenbeschwerden aufgrund des 1996 erlittenen Bandscheibenvorfalls, keine Hinweise auf untersuchte Herzrhythmusstörungen, keine Erklärungen zu einem Tinnitus und dort werden keine Arbeitsunfähigkeitszeiten und ärztlichen Konsultationen erwähnt - schaden dem Kläger indessen nicht. Denn die Beklagte hat nicht, wie ihr obliegt, bewiesen, dass der Kläger sie auch ihrem Agenten, dem Zeugen A. verschwiegen hat.

Ein Versicherer ist zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag nur berechtigt, wenn er darlegt und beweist, dass der Versicherungsnehmer Fragen nach im Zweifel gefahrerheblichen Umständen unrichtig beantwortet hat. Weil die dem Versicherungsagenten erteilte Vollmacht zur Entgegennahme des Antrags auf Abschluss eines Versicherungsvertrags zugleich die Vollmacht zur Entgegennahme der bei dieser Gelegenheit verlangten Informationen erhält, ist, was dem Agenten im Rahmen der Antragsaufnahme mitgeteilt wird, zugleich dem Versicherer mitgeteilt. Den Beweis der unzulänglichen Information kann der Versicherer, wenn sein Vertreter das Antragsformular - wie hier - selbst ausgefüllt hat, nicht allein durch Vorlage des Antragsformulars führen. Er muss vielmehr widerlegen, dass der Versicherungsnehmer seinen Agenten, der, bildlich gesprochen, als sein Auge-und Ohr gilt, mündlich zutreffend unterrichtet hat (vgl. allg. BGH, Urt. v.11.11.1987 - IVa ZR 240/86- BGHZ 102, 194; Urt.v. 23.5.1989 - IVa ZR 72/88 - VersR 1989, 834).

Das ist der Beklagten nicht gelungen. Der Senat ist nicht überzeugt, dass der Kläger die ihm von dem Zeugen A. gestellten Fragen falsch beantwortet und verschwiegen hat, dass er gelegentlich an Rückenbeschwerden litt und sich einer befundlosen Untersuchung wegen Herzrhythmusstörungen und einer Behandlung wegen eines Tinnitus unterzogen hatte (§ 286 ZPO).

aa.

Allerdings hat der Zeuge A. bekundet, er könne sich zwar nicht an das Gespräch mit dem Kläger erinnern, lese aber stets die in dem Antragsformular enthaltenen Fragen wörtlich vor und nehme, vielleicht von der Angabe einer Erkältung einmal abgesehen, alle ihm mitgeteilten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf. Er schließe daher aus, dass der Kläger ihn so wie angegeben informiert habe. Dem entspricht es, dass das von dem Kläger unterzeichnete Antragsformular tatsächlich keinerlei Hinweise auf die Beschwerden des Klägers enthält. Von bloßen subjektiven Empfindungen abgesehen vermag der Senat begründbare Anhaltspunkte, die persönliche Glaubwürdigkeit des Zeugen A. in Frage stellen, nicht darzulegen.

In Fällen, in denen die Angaben des Versicherungsvertreters zu dem Ablauf einer Antragsaufnahme von jenen des Versicherungsnehmers unvereinbar abweichen, darf nicht gewissermaßen regelhaft eine Beweislastentscheidung zu Lasten des Versicherers erfolgen. Es kann nicht ohne weiteres erwartet werden, dass sich ein hauptberuflich tätiger und über die Jahre hinweg mit einer Vielzahl von Verträgen befasster Agent nach längerer Zeit noch an das genaue Geschehen bei der Erörterung eines bestimmten Angebotes erinnert. Auch im Streitfall war der Antrag des Klägers einer von weit über 200 gleichartigen Anträgen auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung innerhalb eines begrenzten Zeitraums. Daher ist allein die fehlende konkrete Erinnerung des Zeugen A. an die Aufnahme des Antrags des Klägers und seine Erläuterung seiner angeblich immer gehandhabten Praxis kein Grund, ihm nicht zu glauben, dass er auch im Fall des Klägers korrekt vorgegangen ist.

bb.

Für den Senat ist es ein grundsätzlich schwer wiegendes, für die Glaubwürdigkeit eines Versicherungsvertreters und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zum Antragsgespräch sprechendes Argument, wenn er in anderen gleich gelagerten Fällen ihm berichtete Beschwerden redlich in das Antragsformular aufgenommen hat. Ein solches Verhalten hat die Beklagte auf Aufforderung des Senats hin - unwidersprochen - bestätigt; in mehreren von ihr noch ermittelbaren Vorgängen ist es zur Ablehnung oder zum Ausschluss - auch wegen Vorerkrankungen vergleichbarer Schwere wie jener des Klägers - gekommen. Die Zeugin Sch. hat davon abgesehen glaubhaft bestätigt, in ihrer Gegenwart sei in ihrem Unternehmen nicht von anderen den Zeugen A. betreffenden Fällen fehlerhafter Antragsbearbeitung die Rede gewesen.

cc.

Dennoch kann der Senat dem Zeugen A. nicht folgen.

Seiner Aussage steht zunächst die Aussage der Zeugin M. entgegen. Sie hat widerspruchsfrei und ohne dass sonstige Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit erkennbar geworden wären bekundet, ihr Mann habe den Zeugen A. über seine Beschwerden unterrichtet. Dabei hat sie, was für die Richtigkeit ihrer Angaben spricht, zwischen dem Rückenbeschwerden und den sonstigen Untersuchungen ihres Mannes differenzierende Antworten des Zeugen A. geschildert. Ihr Mann hat das ebenso widerspruchsfrei gleichfalls berichtet. Seine Schilderung stimmt nicht nur mit seinen Angaben in erster Instanz überein. Der Kläger hatte sich schon unmittelbar nach der Rücktrittserklärung der Beklagten mit seiner Einlassung erkennbar empört an die Beklagte gewendet. Das wirtschaftliche Interesse Beider am Ausgang des Rechtsstreits entwertet ihre Angaben nicht von vornherein.

dd.

Der Darstellung des Klägers und seiner Ehefrau entsprechen Schilderungen von Zeugen, die der Senat in diesem Rechtsstreit vernommen hat, und Erkenntnisse, die er, wie die Parteien aufgrund eigener Wahrnehmung durch die Beklagte und Information durch den Senat wissen, aus einem bei ihm anhängigen parallelen Rechtsstreit und einem Rechtsstreit vor dem Landgericht, dessen Akten Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat waren, gewonnen hat. Alle vernommenen Zeuginnen und Zeugen, in diesem Rechtsstreit die Zeugin Mo. und die Zeugen Lo. und Kl., haben bekundet, dass der Zeuge A. die Antragsfragen nicht vollständig wörtlich vorgelesen hat, und dass er den Eindruck erweckt hat, der Beklagten gehe es um schwerere Erkrankungen innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren vor der Antragstellung. Gerade die Zeugen Mo., Lo. und Kl. haben auch berichtet, dass der Zeuge A. auf die Erwähnung von Rückenbeschwerden hin den Allerweltscharakter solcher Leiden ins Feld geführt und die Notwendigkeit einer Aufnahme in das Antragsformular geleugnet hat. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Zeugen Mo. und Kl. ebenfalls Ansprüche gegen die Beklagte geltend machen, gegen die sich die Beklagte mit der Behauptung der Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit wendet. Das ist bei dem Zeugen Lo. ebenso wie bei anderen Zeugen in dem parallelen Rechtsstreit allerdings anders. Er hat seinen Versicherungsvertrag gekündigt und folglich kein erkennbares wirtschaftliches Interesse, den Zeugen A. zu Unrecht zu belasten.

ee.

Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen A. könnte dennoch sprechen, wenn finanzielle Motive, einen Vertrag auf jeden Fall policieren zu lassen, auszuschließen wären. Davon kann indessen gleichfalls nicht ausgegangen werden. Ohne dass die Bedeutung gerade dieses Umstandes den vernommenen Zeugen offenbar gewesen wäre, haben sie ausgesagt, der Zeuge A. - ein erfahrener Versicherungsagent, der im fraglichen Zeitraum deutlich mehr als 200 Anträge auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung aufgenommen hat - habe in den Anträgen deutlich höhere Rentenleistungen vorgesehen als die Beklagte schließlich zu akzeptieren bereit gewesen ist. Das spricht für sein erhebliches von seiner beruflichen Erfahrung nicht zurück gehaltenes Provisionsinteresse.

Daher hat die Beklagte nicht zur Überzeugung des Senats bewiesen, dass der Kläger den Zeugen A. nicht wie angegeben unterrichtet hat.

b.

Die Beklagte kann sich auch nicht auf einen dem Kläger erkennbaren Missbrauch der Vertretungsmacht des Zeugen A. berufen.

Allerdings verletzt ein Versicherungsnehmer seine Obliegenheit, gefahrerhebliche Umstände dem Versicherer anzuzeigen, wenn er zwar die durch den Versicherungsvertreter gestellten Fragen diesem gegenüber zutreffend beantwortet, mit dem Versicherungsvertreter jedoch arglistig zu Lasten des Versicherers zusammenwirkt, weil er weiß, dass der Vermittler die als gefahrerheblich erkannten Umstände dem Versicherer nicht weiterleiten wird, oder weil er angesichts eines ersichtlich verdächtigen Verhalten des Versicherungsvertreters den begründbaren Verdacht haben muss, dass von der Vertretungsmacht treuwidrig Gebrauch gemacht wird (BGH, Urt. v. 30.1.2002 - IV ZR 23/01 - VersR 2002, 425).

Der Versicherungsvertreter ist jedoch dem Versicherungsnehmer gegenüber auch zur Beratung verpflichtet. Eröffnen die von dem Versicherer - nachweislich - gestellten Fragen Bewertungsspielräume, so darf sich der Versicherungsnehmer auf deren Konkretisierung durch den Agenten grundsätzlich verlassen, sei es, dass der Versicherungsvertreter Fragen eines Antragsformulars von vornherein modifiziert, sei es, dass er dem Versicherungsnehmer eine eigene Einschätzung der Erheblichkeit seiner Antworten vermittelt, die objektiv nicht zutrifft. In solchen Fällen kann von der Erkennbarkeit eines Missbrauchs der Vertretungsmacht - zur Entgegennahme von Wissenserklärungen - nicht ohne weiteres ausgegangen werden.

So liegt der Fall hier. Die Beklagte hat - wie ausgeführt - nicht nachzuweisen vermocht, dass der Zeuge A. nicht den Eindruck erweckt hat, der Beklagten gehe es nur um eine Information über erheblichere Erkrankungen innerhalb der letzten fünf Jahre vor Antragstellung, was "jeder mal habe" müsse nicht angegeben werden. Sie hat nicht nachzuweisen vermocht, dass der Zeuge A. die von dem Kläger berichteten Wirbelsäulenbeschwerden in der Folge eines Bandscheibenvorfalls vor dem von dem Zeugen A. möglicherweise konkretisierten Interessezeitraum von fünf Jahren nicht bagatellisiert und mit der einem Laien nicht auf Anhieb verständlichen Bemerkung zu einem Leistungsausschluss den Eindruck mangelnder Gefahrerheblichkeit erweckt hat. Die Beklagte hat weiter nicht bewiesen, dass der Zeuge A. berichtete Herzrhythmusstörungen ohne aktuelle Befindlichkeitsstörungen als unerheblich bezeichnet hat. Und sie hat weiter nicht bewiesen, dass er auf eine mögliche Information über einen Tinnitus, dessen Behandlung weitgehend erfolgreich abgeschlossen war, dessen Gefahrerheblichkeit verneint hat. Hat der Zeuge A. indessen - was nach der Beweisaufnahme nicht auszuschließen ist - nur nach Krankheiten gefragt und hat er zugleich durch eine Verharmlosung von Rückenbeschwerden als (ohnehin nicht versicherte) Allerweltsleiden den Eindruck erweckt, bestimmte gesundheitliche Beeinträchtigungen seien für die Beklagte nicht von Interesse, so hat er dem Kläger den Blick dafür verstellt, was anzugeben war. Aus der Sicht eines Laien in Angelegenheiten des Versicherungsvertragsrechts hielten sich seine Erläuterungen des Informationsinteresses der Beklagten in einem vertretbaren Bewertungsrahmen. Es ist nämlich nicht von vornherein offenkundig, dass jegliche Rückenbeschwerden, auch wenn sie zu Massagen und krankengymnastischen Behandlungen geführt haben, und folgenlos gebliebene Untersuchungen wegen Herzrhythmusstörungen oder ein nicht mehr belastender Tinnitus - andere Befunde hat die Beklagte nicht dargelegt, im Gegenteil spricht die Verneinung von Berufsunfähigkeit durch den Hausarzt des Beklagten, den Zeugen P., für die Arglosigkeit des Klägers - von einem falsch beratenen Versicherungsnehmer als dennoch gefahrerheblich erkannt werden müssen.

Von einer Evidenz des Missbrauchs der Vertretungsmacht kann auch nicht deshalb ausgegangen werden, weil die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers, nach denen nicht bewiesenermaßen gefragt war, - im erfragten Zeitraum immerhin mehrere Wochen - ins Gewicht fielen. Zum einen steht nicht fest, dass die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Jahr 1998 alle in den von dem Zeugen A. möglicherweise als erheblich bezeichneten Zeitraum fielen. Zum anderen ist die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht so erheblich, dass sich einem jeden vernünftigen Versicherungsnehmer aufdrängen musste, dass die Leugnung der Gefahrerheblichkeit der sie verursachenden Leiden durch den Zeugen A. nicht zutreffen könne.

Auch aus den Angaben der Zeugin M. ergibt sich nichts anderes. Die Zeugin hat zwar bekundet, ihr - der Kläger hat sich zu diesem Empfinden und seiner darauf beruhenden Einschätzung nicht geäußert - sei das Verhalten des Zeugen A. merkwürdig vorgekommen. Daraus kann jedoch kein durchgreifender Anhaltspunkt dafür entnommen werden, dass der Kläger einen Missbrauch der Vertretungsmacht des Zeugen A. hätte erkennen können. Denn die Zeugin M. hat weiter ausgeführt - und Anhaltspunkte, an ihrer sehr freimütigen Bekundung zu zweifeln, bestehen nicht - sie habe sich schließlich damit abgefunden, der Zeuge A. - und damit die Beklagte - "werde es schon wissen". Dieses "Verlassen" auf das - nicht widerlegte - Verhalten des Zeugen A. leuchtet ein: Alle von dem Senat vernommenen Zeuginnen und Zeugen, die in irgendeiner Weise in vertraglichen Kontakt zu der Beklagten getreten sind, haben einerseits ihr Unbehagen zum Ausdruck gebracht, dass die Beklagte in der ökonomischen Situation ihres Arbeitgebers, dem vorauszusehenden Arbeitsplatzabbau, überhaupt Berufsunfähigkeitsversicherungsverträge mit "Dienstunfähigkeitsklausel" abzuschließen bereit war. Alle von dem Senat vernommenen Zeuginnen und Zeugen haben zum Ausdruck gebracht, dass sie die ihnen vorgestellte, nicht zu widerlegende Konstruktion der Verträge, die Verbindung der Dienstunfähigkeitsklausel mit der von dem Zeugen A. bewirkten beschränkten Risikoprüfung, als überraschend empfunden haben. Alle haben bekundet, dass sie das Produkt der Beklagten als ein interessantes, gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft entwickeltes Angebot in einer wirtschaftlichen Lage ihres Arbeitsgebers, die für sie Befürchtungen weckte, betrachtet haben. Damit wurde aber für die Versicherungsinteressenten wie den Kläger der Eindruck erweckt, die Beklagte sei auf gewerkschaftliche Initiative oder mit deren Unterstützung ohnehin unüblich bereit, ein größeres Risiko als in anderen Fällen zu tragen. In einem solchen Fall ist es dann allerdings nicht Sache der Versicherungsnehmer als versicherungsvertraglichem Laien, eine eigene Risikoprüfung zu verantworten, sondern Sache des Versicherers, für seine Produktgestaltung und das - nicht auszuschließende - Verhalten seines Vermittlers einzustehen. Von einem dem Kläger offen erkennbaren und ihm zuzurechnenden Missbrauch der Vertretungsmacht des Zeugen A. kann folglich keine Rede sein.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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