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Beginn der Entscheidung

Gericht: Saarländisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 03.07.2003
Aktenzeichen: 5 W 125/03
Rechtsgebiete: FEVG, FGG, AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

FEVG § 7
FEVG § 3 S. 2
FEVG § 16
FGG § 27
FGG § 29
AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5
AuslG § 57 Abs. 2 S. 3
AuslG § 57 Abs. 2 Nr. 5
AsylVfG § 55 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT BESCHLUSS

5 W 125/03

In der Abschiebungshaftsache

betreffend die algerische Staatsangehörige

hat der 5. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts durch den Präsidenten des Saarländischen Oberlandesgerichts Prof. Dr. Rixecker, den Richter am Oberlandesgericht Geib und die Richterin am Oberlandesgericht Hermanns

am 03. 07. 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 13. 05. 2003 (Geschäftsnummer: 5 T 154/03) abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Abschiebungshaft der Betroffenen vom 05. 03. 2003 bis 07. 03. 2003 rechtswidrig war.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe:

I.

Die Betroffene ist algerische Staatsangehörige und nach eigenen Angaben am 21. 05. 2002 ohne Reisepass und Einreisevisum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo sie noch am gleichen Tag Asylantrag stellte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat diesen mit Bescheid vom 06. 06. 2002 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Betroffene aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; für den Fall der Nichteinhaltung dieser Frist ist ihr die Abschiebung nach Algerien angedroht worden. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 01. 07. 2002 vollziehbar. Das Verwaltungsgericht des Saarlandes hat die Klage der Betroffenen auf Anerkennung als Asyl berechtigte mit Gerichtsbescheid vom 05. 09. 2002 rechtskräftig zurückgewiesen, wodurch der Bescheid vom 06. 06. 2002 bestandskräftig wurde.

Die für den 24. 09. 2002 vorgesehene Abschiebung der Betroffenen scheiterte, weil das algerische Generalkonsulat die Ausstellung eines Passersatzpapiers für die Betroffene verweigerte, nachdem diese wahrheitswidrig angegeben hatte, sie stehe unmittelbar vor der Eheschließung und sei von ihrem künftigen Mann schwanger.

Die Betroffene begehrte - vertreten durch ihre Vefahrensbevollmächtigte - vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes einstweiligen Rechtsschutz gegen ihre Abschiebung; dieses Verfahren wurde durch Beschluss vom 20. 11. 2002 eingestellt, nachdem die Ausländerbehörde mit Schriftsatz vom 20. 11. 2002 erklärt hatte, es sei beabsichtigt, die Betroffene "rechtzeitig vor erneuter Einleitung einer Rückführung hiervon zu unterrichten".

Die Antragstellerin ermittelte, dass bei der Betroffenen weder eine Schwangerschaft vorlag, noch eine Eheschließung unmittelbar bevorstand. Sie leitete daraufhin erneut aufenthaltsbeendende Maßnahmen ein und erhielt von dem algerischen Generalkonsulat die Zusage, dass dieses ein Passersatzpapier ausstellen werde. Als Rückführungstermin wurde der 13. 03. 2003 angeordnet. Ein weiteres, von der Betroffenen angestrebtes verwaltungsgerichtliches Verfahren mit dem Ziel einer einstweiligen Anordnung auf Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, blieb ohne Erfolg (Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 11. 03. 2003, GA Bl. 64 ff).

Am 05. 03. 2003 erschien die Betroffene bei der Antragstellerin um ihre Duldung verlängern zu lassen. Dabei wurde sie in Gewahrsam genommen. Mit Beschluss vom gleichen Tage ordnete das Amtsgericht gegen die Betroffene Abschiebungshaft bis zum 18. 03. 2003 an, wogegen diese sofortige Beschwerde einlegte.

Am 07. 03. 2003 wurde die Betroffene auf Antrag der Antragstellerin aus der Abschiebungshaft entlassen, nachdem das algerische Generalkonsulat trotz der erteilten ". Zusage und mehrfacher Aufforderung die Passersatzpapiere nicht erteilt hat. Die Betroffene verfolgt die sofortige Beschwerde mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaft und der Anordnung der Kostenerstattung weiter; das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss einen entsprechenden Fortsetzungsfeststellungsantrag zwar als zulässig, hier jedoch unbegründet angesehen, wogegen sich die sofortige weitere Beschwerde der Betroffenen richtet.

II.

Die gem. §§ 7, 3 S. 2 FEVG i. V. m. §§ 27, 29 FGG zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Gesetzes (§ 3 S. 2 FEVG i. V. m. § 27 Abs. 1 FGG).

1.

Das Landgericht hat festgestellt:

In Ansehung der Betroffenen sei der Haftgrund des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AuslG gegeben. Die Betroffenen sei in Haft zu nehmen, da sie aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig sei. Die mit der Stellung des Asylantrags zunächst entstandene Aufenthaltsgestattung sei mit der im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ausgesprochenen vollziehbaren Androhung der Abschiebung erloschen.

Die Betroffene habe auch nicht gemäß § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG glaubhaft gemacht, dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen wolle. Aufgrund des Vorverhaltens der Betroffenen sei vielmehr das Gegenteil anzunehmen, da sie vor dem algerischen Generalkonsulat wahrheitswidrig behauptet habe, von ihrem künftigen Ehemann schwanger zu sein. Dieses Verhalten zeige, dass die Betroffene ihre Abschiebung in jedem Fall verhindern wolle und begründe zugleich den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG.

Die Ausländerbehörde sei auch nicht durch ihre Zusage in dem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren an der Haftantragstellung gehindert gewesen. Unabhängig davon, wie diese Zusage rechtlich zu qualifizieren sei und ob und inwieweit ihr eine Bindungswirkung zukomme, könne der Erklärung nicht die Zusage entnommen werden, es werde kein Antrag auf Anordnung einer Abschiebungshaft gestellt. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut gehe diese allein dahin, dass der Betroffenen vor ihrer Abschiebung noch einmal Gelegenheit zur effektiven Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes eingeräumt werden soll. Dies ändere an der Pflicht der Betroffenen zur Ausreise nichts, solange ein hiergegen gerichteter Eilantrag nicht positiv beschieden sei.

Der Anordnung der Abschiebungshaft stehe auch nicht entgegen, dass die tatsächliche Rückführung der Betroffenen am Fehlen von Passersatzpapieren scheitere, da die Ausländerbehörde aufgrund der anders lautenden Zusage des algerischen Generalkonsulats von dessen grundsätzlicher Bereitschaft, kurzfristig Passersatzpapiere auszustellen, habe ausgehen dürfen.

2.

Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

a)

Zutreffend ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass - entgegen der früheren Rechtsprechung der Kammer - die Weiterverfolgung der sofortigen Beschwerde nach der Entlassung der Betroffenen mit dem nunmehr gestellten Feststellungsantrag statthaft ist. Dies ist aufgrund des mit der Inhaftierung verbundenen gravierenden Eingriffs in das Grundrecht der Freiheit der Person durch die Verfassung geboten (BVerfGE 104, 220 ff). Die frühere - hiervon abweichende - Rechtsprechung (BGHZ 139, 254) ist durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überholt.

Nicht zu beanstanden ist - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - auch, dass das Landgericht den Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG bejaht hat. Nach dieser Vorschrift ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, wenn dieser aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, da der Betroffene unerlaubt nach Deutschland eingereist ist (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 AuslG). Soweit die Rechtsbeschwerde darauf hinweist, dass die Beklagte noch am gleichen Tage einen Asylantrag gestellt hat, steht dies dem oben genannten Haftgrund nicht entgegen. Zwar führt die Stellung eines Asylantrags gem. § 55 Abs. 1 AsylVfG zu einer Aufenthaltsgestattung. Diese erlischt jedoch mit der Bestandskraft des den Asylantrag ablehnenden Bescheides (§ 67 Abs. 1 Nr. 6, §§ 34, 36, 75 AsylVfG; vgl. BGH Report 2001, 34; ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt Beschluss vom 07. 05. 2003; 5 W 103/03-24 mit weiterem umfangreichem Nachweis).

c)

Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann sich die Betroffene allerdings auf § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG berufen.

aa)

Nach dieser Vorschrift kann von der Anordnung der Sicherungshaft nach § 57 Abs. 2 S. 3 AuslG ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Kammer hat dabei verkannt, dass die Festnahme der Betroffenen ausweislich des Antrags der Ausländerbehörde erfolgte, als diese selbst die Antragstellerin aufgesucht hat, um eine Verlängerung der Duldung zu erreichen. Das Aufsuchen der Ausländerbehörde durch einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer, dem die Abschiebung angedroht wurde, macht glaubhaft, dass dieser sich nicht der Abschiebung zu entziehen versucht. Die Argumentation des Landgerichts, hiergegen spreche, dass die Betroffene durch Täuschung des algerischen Generalkonsulats über das angebliche Vorliegen einer Schwangerschaft die Ausstellung von Passersatzpapieren und damit die Abschiebung vereitelt habe, greift zu kurz. Zwar ist im Ansatz richtig, dass auch unrichtige Angaben grundsätzlich geeignet sein können, einen Rückschluss auf den Willen des Ausländers, sich der Abschiebung zu entziehen, zuzulassen (vgl. die Beispiele bei Renner, Ausländerrecht, § 57 Rn.19, 20). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung misst der Senat dem jedoch keine so große Bedeutung bei, dass die aus dem freiwilligen Aufsuchen der Antragstellerin zugunsten der Betroffenen resultierende Vermutung, dass sie sich der Abschiebung nicht entziehen wird, erschüttert wird.

bb)

Ungeachtet dessen hat die Kammer auch nicht gewürdigt, dass die Antragstellerin - nach dem vorgetragenen Lebenssachverhalt - offenbar in stabilen familiären Verhältnissen lebt und beabsichtigt, ihren derzeitigen Lebenspartner auch zu heiraten. Auch dieser Gesichtspunkt hätte zumindest in Erwägung gezogen werden müssen, was überdies erforderlich gemacht hätte, die Betroffene und ggf. auch ihren Lebensgefährten persönlich zu hören (vgl. BayObLG in InfAuslR 2001, 174, zitiert nach juris). Hierauf kommt es allerdings letztlich nicht an, da bereits das "freiwillige" Aufsuchen der Ausländerbehörde einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür darstellt, dass die Betroffene eine Flucht nicht beabsichtigt.

d)

Aus obigen Erwägungen ergibt sich, dass auch der Haftgrund des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG nicht vorlag.

e)

Der Inhaftierung der Betroffenen steht zudem entgegen, dass diese auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben - dieser gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2003, Az: 2 C 23/02 zitiert nach juris unter Hinweis auf BVerwGE 55, 337 <339>) - davon ausgehen durfte, derzeit nicht inhaftiert zu werden. Entgegen der Auffassung des Landgerichts konnte die Betroffene einen solchen Gehalt ohne weiteres aus der Zusicherung der Antragstellerin in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren entnehmen. Das Verwaltungsgericht des Saarlandes hatte mit Verfügung vom 30. 10. 2002 bei der Antragstellerin angefragt, ob die Betroffene für den Fall der Ausstellung eines "Laisser-Passez" "darüber vor der Abschiebung eine Mitteilung" erhält (GA Bl. 33). Hierauf reagierte die Antragstellerin mit Schreiben vom 20. 11. 2002, wonach die Antragstellerin "vor erneuter Einleitung einer Rückführung" hiervon "unterrichtet" werde (GA Bl. 17). Hieraus konnte die Betroffene ohne weiteres herleiten, dass sie - bei rechtstreuem Verhalten - die Information über die bevorstehende Abschiebung sowohl von der Form her als auch vom Zeitpunkt her anders erhalten würde, als durch das Mittel der Sicherungshaft. Sowohl die Wortwahl des Verwaltungsgerichts, wo von "Mitteilung" die Rede ist, als auch die zugesagte "Unterrichtung" sind nach üblichem Sprachverständnis so zu verstehen, dass der Antragstellerin vor der Abschiebung in mündlicher oder schriftlicher Form von diesem Vorhaben unterrichtet werden soll, nicht aber durch faktische Ingewahrsamnahme. Überdies stellt sich die Inhaftierung in Form der Sicherungshaft aus der Sicht des betroffenen Ausländers auch nicht als eine Maßnahme "vor Einleitung der Rückführung" dar, sondern als eine Maßnahme, mit der die "Rückführung" bereits in Form eines belastenden Grundrechtseingriffs massiv durchgesetzt wird. Gänzlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang, wenn vor der Ingewahrsamnahme - pro forma - eine entsprechende Mitteilung erfolgt.

3.

Die Entscheidung über die Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten des Verfahrens der sofortigen ersten und weiteren Beschwerde beruht auf § 16 FEVG. Danach hat das Gericht bei Ablehnung des Antrags auf Freiheitsentziehung die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen der Gebietskörperschaft aufzuerlegen, der die antragstellende Verwaltungsbehörde angehört, wenn das Verfahren ergeben hat, dass ein begründeter Anlaß zur Antragstellung nicht vorlag. Der Anwendungsbereich der Vorschrift muß sich auch auf eine Konstellation erstrecken, in dem sich die Freiheitsentziehungsmaßnahme zwar als solche anderweitig erledigt, dann aber eine feststellende Entscheidung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ergeht. In der Sache hat die Kosten des Verfahrens die Antragstellerin zu tragen, da ein begründeter Anlaß zur Antragstellung nicht vorgelegen hat.

Ende der Entscheidung

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